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www.rhetorik.ch aktuell: (1.-14. April, 2002)


Der Fall Borer: Protokoll einer Skandalierung


Wie vorhergesehen, musste man auf eine Fortsetzungsgeschichte zum Borer Paar nicht allzu lange warten. Nach den zahlreichen Vorkommnissen rund um Thomas Borer und seiner Frau Shawne, wird die Liste zu früheren Geschichten wieder länger:
Das unkonventionelle Verhalten des Botschafter Ehepaars irritierte zwar viele Leute, doch die Medien schätzten die farbigen und schrillen Auftritte. Das Ehepaar Borer wurde auch als unkonventionelle PR Träger gelobt:

Shawne und Thomas waren für die Medien stets dankbare Schlagzeilen-Garanten. Die Öffentlichkeit honorierte die Geschichten mit enormen Interesse. Andererseits schätzten die Medien die Einschaltquoten.
Die gewagten und unkonventionellen Vorkommnisse waren stets medienwirksam. Das Ehepaar Borer hatte nicht nur Ärger mit den Medien, es profitierte selbst auch vom grossen Medienecho.
Dank dem öffentlichen Interesse wurde das Ehepaar überall gefragt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn die Presse weiterhin recht genau weiterverfolgt, was sich so rund um die Botschaft in Berlin alles tut.
An Ostern 2002 kam Botschafter Borer erneut in die Schlagzeilen. Auf der Frontseite des Sonntagsblicks stand gross aufgemacht:
Was geschah in der Botschaft?

Borer und die nackte Frau

EDA verlangt Stellungnahme.


Das Ganze war kein Aprilscherz, sondern eine heikle Geschichte für Borer.
Djamila Rowe Nach Beobachtungen von Sicherheitbeamten parkte in der Nacht auf den 21. März 00 Uhr47 eine Frau 80 Meter vor der Schweizer Botschaft und Djamila Rowe stieg in die Borer-Limousine. Sie fuhr hierauf in die Tiefgarage der Botschaft. Alles wurde von Überwachungskameras aufgezeichnet.
Um 2 Uhr 34 verliess dann die Frau die Botschaft und eilte zu ihrem Auto zurück.
Diese angebliche Affaire um die frühere Nackttänzerin Djamila führte verständlicherweise zu einem Boulevardmedienwirbel. Auf die Frage von Journalisten, was sie nachts in der Botschaft zu schaffen hatte, antwortete Djamila keck:

"Es liegt ja auf der Hand. Aber vielleicht haben wir auch nur eine Tangostunde genossen. Oder er hat Frauenkleider angezogen, und ich habe ihn als Frau geschminkt."


Shawne war dazumal nicht zu Hause. Sie hielt ein Referat im Grandhotel Viktoria in Interlaken. Djamila die heute als Visagistin arbeitet, behauptete, Shawne habe sie nach einer Auseinandersetzung vor zwei Wochen getreten. Nachher sei sie zu einem Arzt gegangen.
Brisant an der Geschichte ist der Umstand, dass der Mann des Kindes von Djamila wegen Betruges mehrfach vorbestraft ist.
Der Pressechef des Aussenministers hatte keine Kenntnis von all den sonderbaren Geschichten. Das Departement wünsche keinenfalls, dass ein Botschafter erpressbar werden könne, meinte Pressechef Ruedi Christen, man wolle anderseits im Departement keine Vorverurteilung, noch ein vorschnelles Urteil abgeben. Doch Bundesrat Deiss wünsche, dass die Fakten rasch geklärt werden. Der Departements Chef wolle eine schnelle Darstellung des genauen Sachverhaltes.
Auch uns geht es bei dieser Medienstory nicht um eine Vorverurteilung. Es könnte letzlich alles nur eine Bagatelle sein. Doch müssen wir trotzdem festhalten: Wer in der Öffentlichkeit steht und dauernd von sich reden macht, der muss sich nicht wundern, wenn die Medien laufend alle Details mitverfolgen. Selbst wenn bei dieser jüngsten Geschichte gar nichts Schlimmes vorliegen sollte und alles sofort geklärt werden könnte, so haben die Boulevardmedien bereits ihr Futter bekommen. Denn: die Geschichte ist
  • aktuell,
  • von öffentlichem Interesse,
  • es geht um Beziehungen
  • und um ein Paar, das Auftritte liebt.
Die Ehe gedieh bis anhin im grellen Licht der Öffentlichkeit. Der Sonntagsblick zitierte im Zusammenhang mit der jüngsten Geschichte postwendend Shawnes alte Aussage zur Lewinsky-Affaire. Sie sagte damals:

"Vor Hillary habe ich den Respekt verloren. Ihr Mann hat sie beleidigt, und sie macht nichts dagegen. Ich hätte meinen Mann mit Sicherheit sofort verlassen."

Es bleibt lediglich zu hoffen, dass die Geschichte keine echte Affaire ist.

Fazit: Medien sind nicht vergesslich. Alles, was in der Öffentlichkeit gemacht oder gesagt wurde, bleibt gespeichert.


Nachtrag 2. April:
An Ostern stellte Borer die oben geschilderte Mediengeschichte in Abrede. Hatte damit die Besucherin gelogen? Oder leidet der Botschafter an einer Gedächtnislücke?
Ist die Sensationspresse einer profilierungssüchtigen Frau auf den Leim gekrochen oder haben die Medien einmal mehr ihre Kontrollfunktion wahrgenommen? Die Situation ist für Thomas Borer nach dem Wirbel noch nicht ausgestanden. Der Hinweis "Alles sei kostruiert und erlogen" genügt der politischen Zentrale in Bern noch nicht. Eigenartig: 24 Stunden nach seinem Dementi bestritt Borer vor "TeleZüri" nicht mehr, dass er die Besucherin kenne. Sie könnte schon einmal in der Botschaft gewesen sein, meinte er nun. Djamila Rowe beschrieb am 2. April in einem Interview das Treffen:
"Vor der Botschaft stieg ich seinen Wagen, er fuhr mich in die Tiefgarage. Er zeigte mir die Botschaft, auch die Privaträume, bot mir einen Drink an. Ich nahm ein Wasser. Ich war traurig, sehr anlehnungsbedürftig. Ich kuschelte mich an seine Schulter. Er nahm mich in den Arm, drückte mich ganz fest. Als ich weinte, gab er mir ein Küsschen auf die Wange. Trotzdem wusste ich, dass ich allein nach Hause fahren würde. Dass er alles leugnet, enttäuscht mich nicht. Ich wollte nie seine Ehe zerstören."
Shawne fand gegenüber der Agentur AP: "Ich stehe zu meinem Mann." In Bern geht man davon aus, dass Borer die Wahrheit sagt. Er hat eine höhere Glaubwürdigkeit als eine Visagistin. Der EDA Informationschef meinte trotzdem: "Das ist eine ungemütliche Situation, in der Klarheit geschaffen werden muss. Im Interesse von Thomas Borer kann man das alles nicht mit einem Dementi stehen lassen."
Sicherlich muss abgeklärt werden, unter welchen Umständen die Photos vor der Botschaft entstanden waren. Die Situation bleibt für den Botschafter heikel. Schon einmal wurde er vom Aussenminister gerüffelt, weil er für kompromittierenden Schlagzeilen gesorgt hatte. Der Sprecher von Deiss meinte zum tolerierbaren Mass der privater Eskapaden:

"Die Botschafter dürfen in der Ausübung ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden. Sonst muss man Lösungen suchen."
(Rhetorik Leser können sicherlich diese diplomatische Formulierung selbst interpretieren. Was heisst dies konkret?)
Die Medienstory wird bestimmt noch etwas weitergehen, denn der Stoff ist ideal für Fortsetzungsgeschichten. Der Inhalt entspricht allen Anforderungen der Bouvardpresse:
  • Die Geschichte ist aussergewöhnlich.
  • Es ist Schadenfreude im Spiel.
  • Es geht um Sex und Klatsch.
  • Es geht um prominente Personen.
Uns interessiert vor allem, wie sich das Botschafterehepaar in dieser heiklen Situation verhalten wird.


Nachtrag in der Nacht vom 2. auf den 3. April:
Auch das "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens widmete sich der geschilderten Klatschgeschichte. Angeblich nicht deshalb, weil Klatsch Wohlbefinden auslöst, sondern weil der Botschafter im Nachhinein gravierende Fehler gemacht hat und seine Aussagen für ein Informationsgefäss auch sendewürdig geworden sind. Nachdem bin anhin Aussage gegen Aussage gestanden war und noch niemand sagen konnte, ob die Küsschengeschichte nur heisse Luft ist, erlebte man im "10 vor 10" einen recht ungehaltenen Thomas Borer.
  • Fehler Nr 1:
    Der Diplomat machte genau das, was nach Kurt Imhof von der Uni Zürich im Falle einer angehenden Skandalierung nie gemacht werden sollte: Siehe Aliesch: Skandallawine in den Medien?.

    • Der Skandalierte darf sich nicht auf das Spiel einlassen.
    • Er darf nicht dementieren. Die Sache geht niemanden etwas an.
    • Er darf den Sachverhalt nicht öffentlich diskutieren.
    • Nach Imhof ist es heute für einem Befreiungsschlag schon zu spät. Das hätte sofort geschehen müssen.


  • Fehler Nr 2.
    Für uns kaum zu glauben: Botschafter Borer machte nach dem Dementi den zusätzlichen Fehler und griff in der 10 Vor 10 Sendung die Ringier Medien direkt an:

    "Will die Schweiz so einen Journalimus?"


    Aus Borers Sicht müsste gegen so eine Presse etwas unternommen werden. Damit hat nun Borer die ganze Ringerpresse gegen sich. Am 3. April fliegt Djamila von Berlin nach Zürich und gibt bei Ringier eine offizielle Erklärung ab. Diese Zeugenaussage wird dann sicherlich wiederum gross aufgemacht.

  • Fehler Nr 3:
    Botschafter Borer unterstellte im Originalton, dass Ringier der Frau grosse Summen bezahlt haben soll. Die Behauptung, Ringer habe Geld bekommen, müsste Borer beweisen können. Wenn nicht, könnte diese unbedachte Aussage nicht spurlos an ihm vorbeigehen und die Klatschgeschichte eine neue Dimension annehmen. Siehe Gedanken zur bedachtsamen Rede .


Nachtrag 3. April. Eskaliert die Klatschgeschichte doch noch zur Skandalgeschichte?
Alles schien zwar bis heute völlig offen: Ein Botschafter, der von "ungeheuren Lügen" spricht. Ein EDA, das bis zum Beweis des Gegenteils keinen Grund hat, an der Aussage von Thomas Borer zu zweifeln. Dann die Sicht von Mjamile R. sowie einer Klatschpresse, die zum Gegenschlag ausholt, nachdem sie gestern von Borer angegriffen wurde.
Heute prangt nun auf der Frontseite in fetten Lettern die Frage:

"Warum sagen Sie nicht die Wahrheit, Herr Borer?"

In der Fortsetzungsgeschichte veröffentlicht "Blick" zwei eidesstattliche Erklärungen von Djamila Rowe und dem Fotojournalisten, in der beide versichern, dass Botschafter Borer tatsächlich mit Djamila Rowe in seinem Wagen in die Tiefgarage gefahren ist. Der Wirbel um den nächtlichen Besuch wird damit noch nicht so schnell abflauen, obwohl Tageszeitungen wie die NZZ die "Klatschgeschichte" bisher ausgeklammert haben. So oder So: Die Affaire um den nächtlichen Besuch brachte der Sensationspresse immerhin einige Tage Schlagzeilen. Die Geschichte liess sich gut verkaufen. Zu bedenken gibt aber:

Das Ehepaar Borer kam dank der Medien über Monate zu enormer Popularität. Ohne Medien hätte Shawne Fielding heute keinen so hohen Marktwert erlangt. Ein Wert, der auch für guten PR Aktionen nützlich war. Nun sind es aber ausgerechnet auch wieder Medien, die dem Botschafter das Leben schwer machen. Die Geschichte erinnert an den Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, plötzlich nicht mehr los wurde. Dank der früheren Borergeschichten darf man sich an dieser Stelle die Frage erlauben ob jemand, der so oft mit dem Feuer spielt, nicht auch mit einer Verbrennung rechnen muss.


Links zum Thema:


Nachtrag 3. April Abend: Rundschau Interview im SF DRS:
Auf dem Rundschaustuhl sitzt Bernhard Weissberg von der Konzernleitung Ringier. Der Rundschau Journalist ist Reto Brennwald. Es geht um die Borergeschichte. Statt eines hartes Briefing oder dem üblichen Hinterfragen von Sachverhalten und Widersprüchen, sahen und hörten die Zuschauer den Ringiervertreter auf der Anklagebank. Er wird beschuldigt eine Kampagne inszeniert zu haben. Weissberg konnte am Anfang des Interviews kaum einen Gedanken zu Ende bringen. Die Widersprüche bei den Aussagen des Ehepaares Borer durfte Weissberg nicht ausformulieren obwohl dies die Zuschauer auch interessiert hätte. Statt dessen sammelte Brennwald Widersprüche bei der Ringiergeschichte. Weissberg blieb trotz alledem ruhig. Als es ihm unmöglich war, den DRS Journalisten so weit zu bringen, dass er seine Gedanken ganz vermitteln konnte und alle Versuche, den Journalisten zu stoppen nichts nützen, wehrte er sich freundlich:

"Sie haben mich gefragt, darf ich nicht antworten?"
"Darf ich den Gedanken nicht fertig machen?"
"Ich bin gekommen, um Ihnen ....."


Erstaunlich war, dass ein Journalist so eng positioniert einen Kollegen in die Mange nehmen kann. Der ungehaltene DRS Journalist gab gewiss nicht nur uns zu denken. Weshalb diese unverständliche Überreaktion? Berufsstolz war da sicher im Spiel, wie Brennwald während des Interviews auch selbst sagte. Wir können davon ausgehen, dass aber beim Publikum der Rundschaujournalist durch seine Art wenig gepunktet hat.

Weissberg gelang es noch, trotz den ständigen Unterbrechungen darauf aufmerksam zu machen, dass Borer wie auch seine Frau jetzt alles unternehmen wüden folgende Ringier - Geschichte zu verbreiten: Ringier will den Botschafter abschiessen! Shawne Fielding habe explizit verlauten lassen, Ellen und Michael Ringier würden persönlich hinter dieser Kampagne stehen. Morgen wird der "Blick" bestimmt wieder Neues bringen. Denn Weissberg verstand es, inmitten des ungewöhnlichen Wortgefechtes noch darauf aufmerksam zu machen, dass es sich lohne, morgen den Blick zu kaufen. Die Skandalgeschichte wird also noch mehr Lehrstoff abgeben.


Nachtrag: 4. April, 2002, Bern bleibt gelassen - trotzdem will die Geschichte kein Ende nehmen.
SRG Bericht, 4. April 2002 Thomas Borer geniesst bei seinen Vorgesetzten trotz des Medienwirbels viel Vertrauen. Die Besuchs-Affaire lässt Bundesbern kalt. Das EDA sah jedenfalls am 3. April keinen Handlungsbedarf. Ruedi Christen, Sprecher beim Amt für Auswärtiges (EDA), liess gegenüber der Gatiszeitung "20 Min" verlauten:

"Es steht überhaupt nicht zur Diskussion, Botschafter Borer für eine Aussprache nach Bern kommen zu lassen."

Die Skandalierungskampagne der Ringierpresse könnte deshalb bald ein Ende finden, obschon im Blick vom 4. April Djamila Rowe entgegen früherer Aussagen zusätzlich behauptete, dass sie in der besagen Nacht - wie schon zuvor - mit dem Botschafter Sex gehabt habe. Sie sei durch das Verhalten Thomas Borers heute so enttäuscht, dass sie ihn nicht mehr schütze. Diese Blickneuigkeit mit dem Titel:

"Immer wenn Shawne weg war, hatten wir Sex in der Botschaft!"


führte erstaunlicherweise dazu, dass die Abendtagesschau DRS diese Neuigkeit ebenfalls brachte. Dass die Klatschstory damit nicht wie üblich langsam versandet, bestätigt jetzt die Reaktion des Pressesprechers des EDA vom 4. April. Christen liess im Tagesschaubericht verlauten, die Situation sei unklar. Botschafter Borer müsse nun zeigen, dass er die Wahrheit sage. Borer selbst will ein Klage einreichen.

Nach Soziologieprofessor Imhof, gibt es immerhin bei jedem Skandalierungsprozess zu beachten, dass alle Schritte gut überlegt sein müssen, damit es nie zu Überreaktionen kommt.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Schuldfrage noch nicht geklärt ist und auf beiden Seiten die Wahrheit der Aussagen nicht erhärtet ist, so dürfte sich eine skandalierte Person in keiner Phase provozieren lassen oder die Nerven verlieren.


Der Botschafter schlug leider zu oft wild um sich. Seine Verhaltensfehler müssen noch komplettiert werden:
  • Er schimpfte über die "käuflichen Stasi- Journalisten von Ringier".
  • Er verunglimpfte Verleger Michael Ringier und seine Frau recht übel.
  • Er verwies auf sein Ansehen in Deutschland und beschwor die patriotische Empörung in seinem Heimatland.
  • Er stempelte die Visagistin als psychisch gestörte Unperson.
Nach den Gesetzmässigkeiten der Skandalierung könnte die Summe der Fehlverhalten dazu führen, dass der Skandal neue Nahrung bekommt und jene Journalisten, welche die Klatsch - Geschichte gerne warm behalten möchten, im Grunde genommen belohnt werden. Hinsichtlich Fortsetzung ist heute immer noch alles offen.
Hoffentlich lässt sich das Ehepaar Borer fachgerecht beraten. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Jeder Formfehler könnte während der Skandalierungsphase plötzlich zu einer ernsthaften Krise führen.
Für uns gilt immer noch die Regel: Im Zweifel für den Angeklagten, bis das Gegenteil bewiesen ist.


Nachtrag 5. April: Borer tappte in eine Blick-Falle.

Die NZZ erwähnte die Schlammschlacht Borer tagelang mit keinem Wort. Sie klammerte die Klatschgeschichte bewusst aus. Dafür beleuchtete die NZZ nachträglich die Affaire in einem aufschlussreichen Beitrag. Die NZZ stelle ebenfalls fest: Hätte Borer nach den Insinuationen des "Sonntags Blicks" gesagt:

"Und wenn es so wäre: na und?"


dann hätte die Geschichte einen völlig anderen Verlauf genommen. Jedenfalls wäre es nicht zu einer Eskalierung gekommen. Die NZZ weist ebenso deutlich darauf hin, dass ein Botschafter nicht verpflichtet ist, ein Medienspiel mitzuspielen. Niemand muss sein Privatleben gegenüber der Öffentlichkeit ausbreiten oder gar legitimieren. Der erste Beitrag des "Sonntags-Blicks" war eine unzulässige Verletzung von Borers Prvatspäre. Borer hätte damals den Ringier-Postillen nicht nur den Wind aus den Segeln nehmen können und sie einklagen können. Statt dessen tappte der Botschafter in die Blick-Falle:
  • er dementierte
  • er reagierte viel zu heftig und wild
  • er schlug verbal vehement um sich, so dass das Publikum sich allmählich fragen musste, ob an der Geschichte nicht doch etwas dran sein könnte.
Die NZZ schreibt: Ein Botschafter muss nicht einen Schweizer Musterknaben darstellen. Er soll einfach seine Arbeit gut machen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, diskrete Dinge diskret zu handhaben.

Dank dem Dementi konnte sich die "Affaire" von den Ringier Blättern neu positioniert werden. Plötzlich rückt die Frage ins Zentrum, ob der Botschafter gelogen oder nicht gelogen habe. Die Angelegenheit bekam mit dem Dementi eine völlig neue Dimension. Falls nun Borer gelogen hat, so gibt es kein Entrinnen mehr. Die Rolle des Botschafters wäre auch mit einer Notlüge angeschlagen, sein privates wie auch öffentliches Ansehen tangiert. Der Skandal konnte dank dem ungeschickten Verhalten weiter in Gang gehalten werden, zumal auf beiden Seiten häppchenweise Widersprüche und Ungereimtheiten laufend für neuen Gesprächstoff sorgten. Detailfragen werden in der Öffentlichkeit diskutiert. Waren die Bilder manipuliert? Regnete es zum Zeitpunkt der Aufnahme? Darf ein Botschafter privat überhaupt photografiert werden? Wie öffentlich ist die Wohnung und die Botschaft?

Heute will Borer eine Klage gegen jene nachreichen, die an der Verletzung seiner Privatsphäre beteiligt waren. Der Botschafter hofft damit, das Feuer eindämmen zu können. Diese Klage kommt jedoch recht spät. Das Verlagshaus Ringier behält sich seinerseits rechtliche Schritte gegen die wahrheitswidrigen Aussagen Borers vor. Anstelle einer Beruhigung brachte das offizellen Schweizer Fernsehen nach den jüngsten offizellen Borerbeiträgen in der Tagesschau und dem "10 vor 10" vom 4. April zudem noch in der "Arena" vom 5. April eine ausführliche öffentliche Diskussion über diese Skandalgeschichte. Thema:

"Wie weit dürfen die Medien gehen?"


Die Diskussion bestätigte viele Erkenntnisse, die wir im bisherigen Protokoll bereits ausführlich beschrieben haben. Dass die Boulevardpresse Medienopfer produzieren kann, wissen wir nicht erst seit der Paparazzigeschichte mit Diana. Es wurde in der "Arena" ebenfalls betont, dass es in den Medien eine zunehmende Tribunalisierung oder Vorverurteilung von Menschen registriert werden kann, von Menschen die gegen ihren Willen angeprangert werden, bevor Sachverhalte geklärt sind. Den Zuhörern wurde dank diesem "Arena" Beitrag bewusst:

Medien können skandalieren, emotionalisieren sowie personifizieren.


Die Borergeschichte wurde von der einen Seite als vulgär, primitiv, ordinär, sowie als ein Machwerk "aus der untersten Schublade" qualifiziert. Es zeigte sich auch bald, dass die Ringierpresse auf der Anklagebank stand. Den beiden Vertretern des "Blicks" und "Sonntagsblicks" Jürg Lehmann und Mathias Nolte blies ein eisiger Wind entgegen. Im Grunde genommen hatten die Ringier Vertreter gegen alle anderen zu konteren. Der Moderator Reto Brennwald war jetzt erstaunlicherweise ausgewogen und moderierte aus unserer Sicht recht geschickt.
Bei den Gesprächsteilnehmern erstaunte, dass Maximilian Reimann genau wusste, was wir von der Affaire Borer halten müssen, obschon er selbst die Blickgeschichte gar nicht mitverfolgt hatte.
Uns erstaunte ebenfalls die Haltung von Roger Schawinski, der sich als Saubermann aufspielte: "Ich habe nie die Privatsphäre öffentlicher Personen verletzt". Er müsste selbst genau wissen, dass er den Boulvardjournalismus sehr gepflegt hatte und es mit der Verletzung der Privatspäre bei Privatpersonen nicht immer so ernst genommen hatte, denn er war nie ein Verächter von Klatschgeschichten. Die jetzige Ringier-geschichte hätte er wahrscheinlich nicht zurückgestellt. Wir wagen die Behauptung: Könnte er beim "TELE 24" heute noch Leute in die Zange nehmen: Er hätte die Klatschgeschichte Borer ebenfalls ausgeschlachtet.

Einige der Diskussionsteilnehmer beschuldigten im Zusammenhang mit der Borer-Affaire die Sensationspresse:
  • Warum wurde Borer nicht orientiert, bevor man den Bericht brachte?
  • Hat nicht jede Person ein anrecht auf Privatsphäre?
  • Es gibt eine Medienethik. Borer hätte vor dem ersten Bericht orientiert werden müssen!
  • Damit hätte er auch die Publikation rechtlich verhindern können (mit einer gerichtlichen Verfügung)
  • Die Publikation war ein Verstoss gegen die Fairness
  • Ein Botschafter darf sogar in dieser Situation zur Not lügen (Die Notlüge wäre aus der Sicht der Ringier-Kritiker erlaubt)
Auf der andern Seite vertraten die zwei Vertreter der Ringierpresse die Meinung:
  • Borer und seine Frau verkaufe eine Spasskultur und sie hätten ja die Botschaft selbst öffentlich gemacht. (Mit den vielen schaubühnenähnlichen Aktionen z.B. Schiessen auf die Schweizerfahne).
  • Die Chefredaktoren fragten sich: Warum sollte Borer besonders geschont werden?
  • Auch wenn er als Botschafter gute Arbeit leiste unterliege er den gleichen Gesetzen wie andere Prominente. Darf Borers Verhalten nicht auch hinterfragt werden?
  • Die Ringier Presse stellte fest, dass viele Zeitungen Borer einseitig in Schutz nehmen oder seine Faux-pas gezielt totschweigen.
  • Wenn nachgewiesen werden kann, dass ein Verhalten im öffentlichen Interesse ist, so sei das Offenlegung von Privatem immer zulässig.


Dass Borer sich ungeschickt verhalten hatte, blieb von den meisten Diskussionsteilnehmern unbestritten: Der Botschafter war der heiklen Situation, der überraschenden Provokation tatsächlich nicht gewachsen. Er wurde überrascht und provoziert . Er tappte in eine Falle und begab sich selbt ins Schlammassel. Auch wenn die Sensationspresse unfair und falsch gehandelt hat, Ein Botschafter dürfte auch in einer privaten Krisensituation die Nerven nicht verlieren. Selbst wenn er überrascht und provoziert worden ist, er hätte niemals so ungeschickt reagieren dürfen. Einige Diskussionteilnehmer meinten ferner:
  • Eine Notlüge bei einem Botschafter ist ein Berufsfehler
  • Borer hätte unbedingt schweigen müssen
  • Die ganze Affaire, die zu einer Affaire Ringier hätte werden können, habe nur deshalb eskaliert, weil Borer eine Verschwörungstheorie kostruierte, masslos und ungehalten die Ringier Presse anschuldigte und sich nicht mehr unter Kontrolle hatte d.h. sich in Widersprüche verstrickte (Beispielsweise: Ich kenne dese Frau nicht - kenne sie nur von Empfängen - dann später im "Facts": Er habe sie einmal in einer Bar getroffen) behauptete, die Journalisten wären bezahlt worden (Checkbuchjournalismus/Stasijournalismus), die Photos seien gefälscht, manipuliert worden oder Djamile sei psychisch krank.
Mit diesen Rundumschlägen machte Borer ein zentraler Fehler. Jetzt hat er die Beweislast und dies führt zwangsläufig zu weiteren Verstrickungen. Es konnte nun zu endlosen Abklärungen und Diskussionen kommen.
Borers Behauptungen können jetzt ausführlich thematisiert werden. Die Klatschpresse erhält laufend neues "Futter". Die Angelegenheit wird nicht - wie erhofft - zum "Fall Ringier" sondern sie wird immer mehr zum "Fall Borer".
Auch bei Borers Klage die zwar eine wichtige Klärung bei der zentralen Frage: - Wie weit darf die Presse gehen? - bringen könnte, muss der Botschafter bei einem Gerichtsverfahren damit rechnen, dass noch einmal alles aufgerollt und publiziert wird. Die Geister die er bekämpfen wollte, würde er vielleicht nicht mehr los!

Aus der "Arena" Sendung ist noch erwähnenswert: Es leuchtete ein, dass bei einem fairen Journalismus die betroffene Person vor der Veröffentlichung über die geplante Publikation orientiert werden sollte. Ausgerechnet ein Psychiater, der sich für Medienopfer stark machte und bei der "Arena" mitdiskutierte, gab im Zusammenhang mit einer vertraulichen Aussage den Namen eines Ringierjournalisten preis. Peinlich war, dass diese Person nicht wusste, dass sein Name an der "Arena" genannt wird. Dass ausgerechnet derjenige, der sich für Medienopfer einsetzt, so unlauter sein konnte und während der "Arena"-Sendung selbst ein Medienopfer geschaffen hat, war unverständlich. Der Journalist, der ohne Vororientierung genannt wurde, muss jetzt damit rechnen, dass er nicht mehr lange bei Ringier arbeiten kann.


Nachtrag: 7. April DRS Nachrichten vom 7. April, 2002 Dieses Verhalten entspricht den Empfehlungen in publizistischen Krisen. Aussagen werden erst gemacht, wenn die Fakten auf dem Tisch lagen. Wollen die Medien mehr wissen, so wird wenigstens informiert, wann man weiter informieren kann. Oder man sagt, was unternommen wird. Das ist alles!
Im Grunde genommen ist es erstaunlich, dass so eine private und unbedeutende Angelegenheit zu so einem grossen Wirbel führen kann. Die Geschichte ist weder ein nationales, geschweige denn ein internationales Ereignis. Die Geschichte illustriert aber, wie plötzlich eine Banalität zu einem Skandal werden kann. Dies alles nur deshalb, weil ein Botschafter sich undiplomatisch verhielt. In Krisen darf man nie Widersprüche produzieren. Borer hätte am Anfang nichts sagen, nicht dementieren dürfen. Bei Skandalierungen ist die Früerkennung das Wichtigste. Obwohl eine Geschichte beim "Blick" normalerweise nur 5-6 Tage dauert und in der Regel dann wieder ein neues Menue gekocht wird, lag es nach der "Arena" Sendung in der Luft, dass in diesem Fall die Sache etwas länger gehen würde:
Am 6. April fand man auf der Titelseite von "Blick" die Schlagzeile: "Jetzt redet der Fotograf. Neuer Zeuge gegen Borer!" Der Zeuge ist ein Kellner, der Borer im Wintergarten des Berliner Kaufhauses KaDeWe mit Djamile gesehen haben will. Nachdem es nicht gelungen ist, die Affaire Borer leerlaufen zu lassen, zeigt sich bei den anderen Medien folgendes Bild:
  • Im "Bund" schrieb Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher: "Wer wie Borer das Privatleben in den Dienst seiner öffentlichen Funktion stellt, muss mit den Konsequenzen leben."
  • In "20 Minuten": "Nun zeigt sich, warum Borer für sein Amt ungeeignet ist: nicht weil er unschicklich, sondern weil er sich ungeschickt verhält."
  • In der "Berner Zeitung" wird Alt-Staatssekretät Edouard Brunner interviewt. Dieser erfahrene Diplomat schreibt: "Als Diplomat muss man halt immer ein bisschen aufpassen." und "Das Privatleben eines Diplomaten eines Botschafters interessiert halt mehr als jenes eines Metzgers." "Ohne Medien gibt es keine Diplomatie. Allerdings darf ein Diplomat die Medien nicht einfach dazu benutzen, sich selber darzustellen." Eine Zusatzbemerkung dazu von Rhetorik.ch: Bei der Krisenkommunikation werden Manager trainiert, Krisen zu antizipieren. Sollten nicht auch Diplomaten ausgebildet werden, private Krisen professionell zu meistern? Krisen auf dem internationalen Parkett sind etwas anderes als private, persönliche Provokationen.
  • Im "Echo der Zeit" vom Schweizer Radio DRS. wurde der Berliner Fotograf Manfred Neugebauer als schockierter Journalist präsentiert, der am liebsten den Auftrag zurückgegeben hätte. Das Radio unterstellte Ringier, Botschafter Borer eine Falle gestellt zu haben. Eigenartigerweise wurden diese Passagen in der Wiederholung plötzlich ersatzlos gestrichen.
  • Auf der Frontseite im "Bild", einer deutschen Boulevard Zeitung war zu sehen: "Jeden Tag böse Sex-Gerüchte um den Schweizer Botschafter. Wie hält seine Frau das aus?" Neben der Photo von Shawne Fielding steht: Die Frau hält tapfer zu ihrem Mann. "Ich liebe ihn. Die Anwürfe bedrücken uns, wie sind ihnen wehrlos ausgeliefert." Auf Seite 4 dann ein grösserer Beitrag mit Fotoaufnahmen von Djamile und das Porträt des verärgerten Aussenministers Joseph Deiss.
  • Die "Sonntagszeitung" analysiert in einem gross angekündigten Artikel "die Anatomie eines Medienskandals", wie ein Stück Boulevardjournalismus die Medien echauffiert und zeigt, warum die Debatte um eine angebliche Lüge vom Problem ablenkt. Und weshalb die Politik der Treibjagd zuschaue. Das Departement für auswertige Angelegenheiten EDA kam nämlich jetzt selbst unter Beschuss. Die Verantwortlichen im EDA hätten zur "Eskalation" der Borer-Affäre beigetragen, kritisieren jetzt Aussenpolitiker. Und sie wollten die Sache nicht auf sich beruhen lassen. "Das Krisenmanagement des Aussenministeriums war unprofessionell", sagt SP-Aussenpolitiker Boris Banga. FDP-Nationalrat Marc F. Suter ortete gar ein "unloyales Verhalten des EDA gegenüber seinem Berliner Botschafter".


Thomas Borer mit Frau Nachtrag vom 8. April. Das Ende - oder schnappt die Falle doch noch zu? Das Ehepaar Borer weilte am Wochenende noch immer auf Mauritius in den Ferien. Schawne Fielding informierte dort die "Bild am Sonntag" über die Sexgerüchte. Sie erzählte unter den Palmen, wie sie den perfiden Vorwürfen ausgeliefert worden sei. Nochmals bestärkt sie ihre Unterstützung für ihren Mann, der grosses internationales Vertrauen geniesse. Es seien möglicherweise Geld und eine gezielte Intrige im Spiel, meint Shawne Bild am Sonntag. Nachdenklich fügte sie hinzu:
"Wenn die Energie und das viele Geld, das für den Versuch einer Demontage meines Ehemannes ausgegeben wird, für die Kinder der SOS-Kinderdörfer investiert würden, wäre viel erreicht."
Shawne Fielding-Borer konnte in der deutschen Boulevardpresse ihre Chance nutzen und ihre Botschaften wie auch all ihre positiven Taten ausführlich verkaufen:
  • dass die angebliche Geliebte unglaubwürdig sei,
  • dass alles zu einer inszenierten Aktion zähle,
  • dass sie mit den guten Taten die Geschichte zu vergessen versuche.
Der Beitrag im "Bild" hinterlässt das Bild einer Frau, die in der Not tapfer und treu zu ihrem Mann steht und ihm voll vertraut. Wir stellen fest, dass bei den Skandalierungen von Aliesch und Scharping beide Betroffenen in der Anfangsphase in den Ferien weilten. Damals vertraten wir die Meinung, dass es wenn es brennt, der Skandalierte nicht mehr in den Ferien bleiben sollte. Wer nicht schweigen kann, muss zum Brandherd zurück fliegen und alles tun, damit keine zusätzlichen Fehler geschehen. Die Distanz allein garantiert nicht, dass ein kleines Skandalfeuer von sich aus erstickt.
Thomas Borer Im Fall Ringier-Borer zeigt sich an diesem Wochenende, dass sich das Feuer auch auf andere Medien ausgebreitet hat. Das Gespräch über die Geschichte erlosch nicht so schnell wie erhofft. Auch jene Journalisten, die bewusst Zurückhaltung geübt hatten, erkannten jetzt, dass nicht mehr geschwiegen werden konnte. Es galt jetzt, die Geschichte möglichst neutral und objektiv zu analysieren.
Die Affaire hat die Frist von gut einer Woche mit zunehmender Intensität überdauert. Die Sonntagszeitung und der Sonntagsblick räumten dem Fall dieses Wochenende sogar 1. Priorität ein, obschon es viel wichtigere Geschehnisse gehabt hätte.
Wir fassen diese geballte Ladung (Frontseiten und ganzseitige Artikel) wie folgt zusammen:
Der Sonntags-Blick beleuchtete in den 5 Seiten vor allem Borers Leben in der Partyszene. Angeblich begann die Affaire schon vor Monaten. Die Pirschgänge Borers quer durch das Berliner Nachleben wurde schon langfristig beobachtet. Dem Chefredaktor ging es darum, zu zeigen, dass ein Boulevard-Botschafter oder ein Unterhaltungs-Botschafter zur ehrenwerten Spassgesellschaft gehört. Wenn Borer und seine Frau sich in Klatschseiten zieren, so sei es auch nichts ehrenrühriges, wenn sie auch wie Bohlen, Feldbusch oder Naddel behandelt werden.
  • Eine ganze Seite nimmt der ungekürzte Beitrag der NZZ mit dem Titel "die PR Maschine frisst den Maschinisten" ein. In diesem Beitrag wies der NZZ Autor auf jene Verhaltensweisen hin, die wir in unseren alten Internetbeiträgen beschrieben hatten und folgerte: Das Ehepaar Borer wagte sich auf ein Terrain, das Diplomaten sonst eher meiden. Dass die publikumswirksamen Inszenierungen die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem aufhob, führte dazu, dass die Klatschpresse am Cowgirl und den Aussagen Borers (Bezeichnung eines Rocksängers vor laufender Kamera als Homosexueller) in der Öffentlichkeit Beachtung fanden. Wer so über Privates plaudert, dem fällte es schwer zu schweigen , wo Reden die Lage nur verschlimmern kann. Der NZZ Autor folgerte weiter: Wer sich auf dem Präsentierteller darbietet, dem drehen die Gassenjournalisten irgendwann durch den Fleischwolf. Die Bilanz fällt für die "NZZ" zwiespältig aus: "Immerhin hatte Borer erkannt, dass die Diplomatie andere Formen der Kommunikation pflegen muss als zu Zeiten des Wiener Kongresses. Wenn er dabei übers Ziel hinausschiesst und die namentlich für ihn selbst fatalen Konsequenzen nicht richtig einzuschätzen weiss, so liege dies auch an der im EDA herrschenden Kommunikationskultur.
    Am Schluss verweist die NZZ auf den Punkt, den wir immer wieder betont hatten: An den Aussenposten verstehen die Diplomaten, die nebenher auch Presseattachés sein müssen noch sehr wenig von den Gesetzen des Mediengeschäftes.
    Wir vertraten immer die Ansicht, dass es nicht nur eine Krisenkommunikation im Job gibt, sondern jeder Vorgesetzte wissen müsste, wie er sich in persönlichen Krisen verhalten sollte. Dies müsste jedoch 1:1 trainiert werden! Siehe Umgang mit publizistischen Krisen.
  • Die "Sonntags Zeitung" titelte auf der Frontseite: "Department Deiss liess Borer in die Falle tappen". Hier wird das Krisenmanagement des Aussenministeriums beanstandet. Dies sei unprofessionell. Die Sonntagzeitung beanstandet nicht in erster Linie die hektische Überreaktion des Botschafters, sondern schiebt Bundesrat Deiss den schwarzen Peter zu, denn das EDA habe Borer zu wenig gestützt. Es folgen dann noch vier ganze Seiten! Es wird das Trio vorgestellt, welches die Affaire ins Rollen gebracht hatte:
    • Die Klatschreporterin Alexandra Würzbach
    • Die Kronzeugin Djamile Rowe
    • Der Fotograf Manfred Neugebauer.
    Ferner zeichnete die Sonntagszeitung eine Chronik der Skandalierung nach. ohne jedoch auf die vielen früheren Vorkommnisse des Ehepaares Borer einzugehen. Bei der ganzen Geschichte wurde hernach ein Beitrag jenem Mann gewidmet, der angeblich im Hintergrund bei Ringier die Fäden zieht: Frank A. Meyer. Nach der Sonntagszeitung hatte ihm Borer in Berlin die Show gestohlen. Weil der "eitle" Meyer in Berlin so lange eine Aussenseiterrolle spielen musste, wäre es ihm gelegen, wenn Borer nun vom Parkett gefegt würde. Aus unserer Sicht traf die Sonntagzeitung mit folgendem Titel den Nagel auf den Kopf:

    Wirds privat, wird der Diplomat undiplomatisch.


    Borer hatte viele Krisen hervorragend gemeistert. Doch fiel er wiederholt auf die Tricks der Boulevardpresse herein.

    • Mit einer falschen Verteidigung kommt ein Skandlierungsmechanismus erst richtig in Gang.
    • Wer provoziert wird, der darf sich nie provozieren lassen.
    • Wer andere beschuldigt, z.B. sie hätten den Fotographen gekauft, der hat die Beweispflicht.
Kurt Imhof: Quelle: www.swissresearch.org Gegenskandalierungen (z.B. die Behauptung, die Kampagne sei gesteuert worden) sind immer kontraproduktiv, findet auch der Mediensoziologe Kurt Imhof:

"Gegenskandalierungen sind Zündstoff für die Lügendiskussion und heizen die Sieg-Niederlage Dynamik nur an."


Mediensoziologe Kurt Imhof spricht in der Sonntagzeitung Klartext: "Borers Verhalten war eine krasse kommunikative Fehlhaltung." Wir stellten uns während allen Beiträgen die Frage: Wie ist es möglich, dass eine Person, nach verschiedenen medialen Schlammschlachten - immer wieder ins Fettnäpfchen tritt? Nach so vielen negativen Erfahrungen müsste Borer heute ein Krisenroutinier sein!
Die Sonntagszeitung schilderte Borer als temparamentvollen Siegertypen, der deshalb immer wieder übers Ziel hinaus schiesse. Ein Studienfreund von Borer verriet: "Wenn es um Ungerechtigkeiten geht (vor allem um seine Frau) reagiert er sehr emotional. "Ein PR-Profi, der die Schweizer Botschaft in Berlin regelmässig betreute, schrieb: "Der Diplomat ist ein Rennpferd, das immer im vollem Gang aus den Boxen springt."

Links zum Thema:


Nachtrag 8.-9. April, 2002. Ende einer Politaffaire?
Wir hatten Gelegenheit, mit verschiedenen Journalisten über die Skandalierungsgeschichte Borer zu diskutieren: Ist nun die Luft draussen? Geht die Geschichte doch noch weiter? Haben die bo(h)renden Medienprodukte konkrete Auswirkungen? Wird der Medienskandal doch noch zum Politskandal?
Es wäre durchaus denkbar, dass die Geschichte im Sand verläuft, weil gewiss alle an einer Beruhigung interessiert sind müssten. Das Ehepaar Borer müsste in erster Linie daran interessiert sein. Die Leser haben genug vom ellenlangen Medienwirbel. Die banale Borergeschichte langweilt zunehmend. Bundesrat Deiss wäre auch froh, wenn er aus dem Schussfeld gerät. Und die Ringierpresse könnte sich mit anderen Problemen beschäftigen. Alle müssten im Grunde genommen froh sein, wenn es zu keinen juristischen Nachspielchen kommt. Deshalb müsste eigentlich über die leide Geschichten Gras wachsen. Die Gespräche mit den Journalisten machten uns jedoch bewusst: So einfach wird es wohl kaum sein. Denn: Personen wurden verletzt und viele wollen bestimmt nicht nur ihre Wunden lecken. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass noch weitere Aktionen folgen werden.
  • Quelle: www.coopzeitung.ch In einer Nachlese ging die NZZ am 8. April nochmals auf den Fall "Borer" und "Blick" ein und beleuchtete die Arbeit der Zauberlehrlinge der PR. Zur erwähnten EDA Aussage wurde kommentiert: Obschon der Informationschef des EDA weder den Artikel, noch die Bilder gesehen hatte - es war ihm nach eigenen Angaben nur eine "zugespitzte" Version mitgeteilt worden, und er sich keine Zeit für eine Rücksprache mit dem Botschafter Thomas Borer ausbedungen hatte, hätte sich der Informationschef des EDA am folgenden Bibelspruch orientieren müssen: "Eure Rede sei ja, ja, nein, nein; was darüber ist, das ist von Übel." In diesem Fall wäre "No comment" zunächst das Richtige gewesen, und das auf die Gefahr hin, im "Sonntags-Blick" danach lesen zu müssen, das Departement habe Borer nicht im Griff. Aber auch der Botschafter hätte "No comment" sagen müssen - gemäss dem ehemaligen englischen Premier Duke of Wellington: "Publish and be damned". Doch hatte Borer bekanntlich auf Mauritius keinen professionellen Berater und weil der Botschafter ohnehin dazu neige, seine PR-Fähigkeiten zu überschätzen, tat er das Dümmste, was er tun konnte: Er telefonierte nach allen Seiten und gab Dementis.
    Vielleicht habe sich Borer in dieser Phase an die Worte Klaus Stölkers - des Vaters seines Berliner Beraters - entsonnen, der einmal gesagt hatte (Quelle NZZ vom 17.3.89) :
    "Liegt jedoch ein schwerer Angriff vor, ist diese Ursache entweder abzustreiten, auch dann wenn sie gegeben ist, oder kurz und sofort zu erwidern".

    (Für uns ist undenkbar, dass ein PR Spezialist heute so eine Aussage machen wüde. Es wäre nämlich aus heutiger Sicht völlig falsch! Ob Klaus Stölker heute noch zu seinem unbrauchbaren Rat stehen würde?)
    Der NZZ Beitrag kommt hernach auf Borers Einsatz für die schweizerische Wirtschaft zu sprechen und weist darauf hin, dass Borer bei der Verhandlungsstrategie, die zum problematischen Luftverkehrsabkommen geführt hat, gegen Borers ausdrückliche Empfehlung gewählt worden war. Der Diplomat war damals für ein hartes "Nein"! Hätte sich der Botschafter doch nur auch so den Medien so entzogen, schliesst der Artikel.
  • Am Montagabend (8. April) im "TELE Zürich" entwickelte in der Nachlese ein Psychoanalytiker eine erstaunliche These. Er behauptete, das unbedachte Verhalten Borers sei vor allem auf die Angst vor seiner Frau zurückzuführen.
  • Die "Schaffhauser Nachrichten" SN erwähnte während dem ganzen Medienwirbel mit keinem Wort die Borer-Ringier-Geschichte. Am 8. April hingegen stellte sie in einer einer Nachlese einige bedenkenswerte Fragen:
    • Waren die perfiden Recherchier- und Publizitätsspiele der beiden auflagestärksten Zeitungen unseres Landes wirklich so viel abstossender als das, was sich die Käufer dieser Gazetten seit Jahrzehnten täglich oder wöchentlich gefallen lassen und akzeptieren?
    • Ist das Sexualleben eines Schweizer Botschafters in der Millionenmetrople Berlin, die kein Publizitätserbarmen kennt, wirklich eine rein private Sache, die Bern und die schweizerische Oeffentlichkeit nicht zu interessieren braucht?
    • Sind die unbeherrschten Reaktionen Borers, die seine persönliche Glaubwürdigkeit beeinträchtigen oder ihn mindestens lächerlich machen, angesichts zweier früherer Ermahnungen kein Anlass zur Ueberprüfung der diplomatischen Eignung?
  • Der "Tagesanzeiger" schreibt auch am 9. April kein Wort mehr zur Borergeschichte. Hier sah es nach Abschluss aus.
  • Am 9. April behandelt der Blick den Skandal nur noch auf der zweiten Seite. Mit einem Interview mit dem CVP Präsidenten Philipp Stähelin wird die politische Dimension betont. Obwohl Stähelin deutlich sagt und auch wiederholt, dass jetzt zuerst der Sachverhalt abgeklärt werden müsse, bevor ein Urteil gefällt werden könne, ist doch noch etwas mehr zu erfahren:
    • Parlamentarier, die heute schon urteilen, müssten warten, bis alles klar sei.
    • Durch die Schlagzeilen in Deutschland müsste die Frage gestellt werden, wie weit das Amt Schaden gelitten habe? Die starke Medienpräsenz beeinträchtigte die Arbeit des Botschafters. Der Botschafter sei schon zweimal ermahnt worden.
    • Die neue Geschichte sei deshalb gravierender, weil Borer zu einem Rundumschlag ausgeholt habe. li>Bundesrat Deiss habe nach Stähelin die Sache besonnen angepackt.
  • Ringier Bei Radio DRS ist noch keine Funkstille. Am 9. April im Rendez-vous vom Mittagsmagazin nimmt erstmals Michael Ringier persönlich Stellung zur Borer-Geschichte. Er persönlich hätte am ersten Tag die Geschichte nicht gebracht. (Vielleicht sah er schon den Titel: Michael Ringier hätte die Story nicht gebracht.) Deshalb fügte er noch bei: Im Nachhinein finde er es richtig, dass die Geschichte gebracht wurde. Denn, was jetzt alles hochgekommen sei, rechtfertige den Entscheid des Chefredaktors von Sonntags-Blick. Die Geschichte wäre am Dienstag schon tot gewesen, wenn der Botschafter nicht so "doof" reagiert hätte. Auf die Frage, ob jetzt die Luft entwichen sei, meinte Ringier: Für uns ist die Geschichte gelaufen. Die Untersuchung des EDA werde zeigen, ob es noch weitergeht. Michael Ringier verteidigte vehement die Arbeit seiner Journalisten. Es gehe nicht um die Frage, ob Borer einen Seitensprung gemacht habe oder nicht. Doch würde er mit "kurzen Hosen dastehen", wenn die Reportage gezinkt gewesen wäre. Dann kehrte Ringier plötzlich den Spiess um und bezeichnete das, was von den anderen Medien der Ringierpresse unterstellt worden war als erbärmlich. (Thesen, gekaufte Informanten, Fallen usw). Die Verteidigung der Borergeschichte in der Ringierpresse wurde am Radio hierauf auch in den Nachrichtensendungen wiederholt. Es war das erste mal, dass sich der Chef selbst äussert.



Es ist erstaunlich wenn bei Skandalierungen die Betroffenen sich nicht rechtzeitig beraten lassen. Wir haben bei Skandalbeispielen (Aliesch, Sharping, Schellenberg) gesehen, dass die erste Reaktion ausschlaggebend war. Es lohnt sich deshalb die Fälle schrittweise zu rekapitulieren um herauszufinden: An welcher Stelle wurde richtig oder falsch reagiert?


Nachtrag vom 10. April (vormittag) Der "Blick" vom 10. April bleibt noch beim Thema Borer: in einer persönliche Stellungsnahme fand Michael Ringier dass Borer sich den Medienwirbel selbst eingebrockt habe. Auf die Frage, weshalb Borer sich als Opfer des Ehepaares Ringier sehe, fand Ringer: Vielleicht habe das Ehepaar Borer einen schlechten Berater gehabt, der ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt habe. Angesprochen auf die Bemerkung Ringiers, er hätte persönlich diese Story am Anfang noch nicht veröffentlicht, ergänzte Ringier: Am Anfang war die Verletzung der Privatsphäre noch zu wenig begründet. Botschafter Borer lancierte den Medienwirbel erst durch sein ungeschicktes Verhalten. Thomas Borer sei es gewesen, der die Wahrheitsfrage gestellt habe und für eine Zeitung ist die Wahrheitsfrage die wichtigste überhaupt. Ringier musste beweisen, dass sie korrekt gehandelt haben. Die vielen Geschichten habe sich Borer selbst eingebrockt. Ob die Geschichte noch weitergehe? Ringier antwortete mit der Bemerkung, dass die Zeitung nicht weiter machen wolle. Doch wenn Borer weiter darauf bestehe, dann können sie schon noch weitere Beweise liefern. In einem zweiten Beitrag "Jetzt haben die Deutschen genug von Thomas Borer" wollte die "Blick" Redaktion wissen, was die Deutschen über den Botschafter denken. Es folgten kritischen Stimmen: "Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)" stellte klar: "Eine Botschaft ist keine Bar." Die "Bunte" habe ein verheerendes Bild des hochgejubelten Botschafters gezeichnet. Auch der "Spiegel" räumte der Borer-Affaire fast zwei Seiten ein. Die Reaktion des Diplomaten: "Die Dame war nie in meinen Privaträumen" klinge im Zusammenhang mit den anderen Widersprüchen wenig glaubwürdig.


Nachtrag vom 10. April (abend): Borer wird abberufen.
Die Party ist aus Am Mittwochabend den 10. April erreichte die Skandalierung ihren Höhepunkt. Die Radio Nachrichten titelten "Der Schweizer Botschafter, der in Berlin den Kopf verlor, verliert jetzt seine Stelle."
Bundesrat Deiss verkündete am Radio und am Fernsehen: Botschafter Borer habe sich geweigert, nach Bern zu kommen. und damit eine Weisung missachtet. Deshalb wäre der Antrag um Versetzung Borers möglich geworden. Borer könne in einer anderen Botschaft arbeiten. Ein Anzeichen, dass Botschafter Borer ausscheiden wolle, gebe es nicht.
Deiss Interessant war zu erfahren, dass Borer nun zu diesen jüngsten sensationellen Geschehnissen vorest keine Auskünfte erteilt und vorläufig mit seiner Frau in den Ferien auf Mauritius bleibt.
Dass Ringier den Entscheid des Bundesrates begrüsst, war zu erwarten. Das Haus Ringier ist der Ansicht, dass der "Blick"-Bericht nicht die Ursache, sondern der Tropfen gewesen wär, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. In der Parteienlandschaft wird von allen Seiten mit Ausnahme der SVP Vertändnis für den Entscheid des EDA signalisiert. Dies sei der logische Schritt gewesen.
Dass nach dieser Skandalierung eine Ethikdiskussion stattfinden wird ist vorhersehbar. Die Diskussion um die Grenzen und die Qualitätssicherung beim Journalismus wird mit dem heutigen Entscheid verstärkt.
Mediensoziologe Kurt Imhof und Medienwissenschafter Roger Blum sind sich einig: Thomas Borer habe sich aus der Perspektive des Boulevardjournalismus "ideal" verhalten. Es liege in der Logik jedes Skandals, wenn sich das Opfer wehre, denn dann könne die Geschichte weitergezogen werden.
Daniel Cornu, der Leiter des Westschweizer Medienausbildungszentrums meinte aber, dass sich solche Skandale auch als Eigentor erweisen könnten. Die Medien schädigten sich langfristig ihr Image.
Was unser ausführliches Protokoll eines Skandals vorläufig bewusst macht: Botschafter Borer hatte am Anfang einen gravierenden Fehler gemacht. Danach hatte er kaum mehr eine Chance. Jetzt ist er vorläufig das Opfer.

Borers Karriere Der 1958 im Kanton Solothurn geborene Thomas Borer hat in Basel Jura studiert und 1985 promoviert. Nach einer Stelle als Anlageberater in der Kreditanstalt, trat er er 1987 ins EDA ein. Nach kurzen Auslandeinsätzen wurde er 1989 stellvertretender Chef der Völkerrechtssektion und 1993 nach Washington versetzt. Ein Jahr später wählte ihn der Bundesrat zum stellvertretenden EDA-Generalsekretär, wo der den Auftrag erhielt für die Diplomaten ein neues Berufsprofil zu entwickeln. 1996 wurde Borer zum Chef der Task-Force "Schweiz-Zweiter Weltkrieg" und gleichzeitig zum Botschafter ernannt. Als Vorsteher der Task-Force handelte er den Bankenvergleich mit den jüdischen Organisationen aus. Als Belohnung bekam er den Botschafterposten in Berlin, eine Stelle, die er im August 1999 antrat. Borer ist seit Juni 1999 mit Shawne Fielding verheiratet.


Nachlese, 14. April, 2002

  • Nach der 10 tägigen Skandalierung von Thomas Borer kam es zum Schluss noch zu einem Pressewirbel.In Deutschland wurde Bundesrat Deiss nach der Abberufung im ganzen Land auf einen Schlag bekannt. Als er den deutschen Aussenminister Fischer besucht hatte, mochte damals kein Mensch von ihm Notiz nehmen. Die Borergeschichte war in den meisten Presseerzeugnissen auf der Titelseite. Borer wurde mehrheitlich wohlwollend kommentiert. Doch fehlte fast nirgends der Hinweis auf seine Lust zur Selbstdarstellung. Unter anderem hiess es: Der Botschafter habe Glanz in die Alphütte Schweiz gebracht. Das Ehepaar habe Staub aus den Gardinen geschüttelt.
  • Der Presserat in der Schweiz zeigte sich im Nachhinein über das Verhalten der Medien besorgt. Er befürchtet, dass die Medien heute nicht mehr diskret sondern rücksichtsloser mit der Privatsphäre von Personen umgehen.
  • Es kam ferner zu Spekulationen um die angebliche Fehlgeburt von Shawne Fielding. Der Medienwirbel rund um die Borergeschichte habe zu einer Fehlgeburt geführt: Ohne nähere Quellenangaben wusste "Bild", wie auch der Gratisanzeiger "20 Minuten" zu berichten, dass Shawne Fielding ihr Kind verloren habe. Erst letzte Woche erklärte Thomas Borer der Illustrierten "Bunte", seine Frau sei schwanger und Shawne leide unter den Berichterstattungen.
  • Nach der Zurückberufung verweigerte der Botschafter jede Auskunft. Er tat jetzt das, was er zu Beginn der Skandalierung hätte tun müssen. Am 11. April publizierte aber "Le Matin" erstaunlicherweise doch noch ein Interview mit Thomas Borer. Der Botschafter sagte gemäss diesem Interwiew, er akzeptiere den Entscheid aus Bern. Er sei nicht freiwillig zurückgetreten, weil er sich nichts von Ringier habe diktieren lassen wollen. Borer dementierte aber umgehend, dieses Interview je gegeben zu haben. "Ich habe "Le Matin" kein Interview gegeben!", unterstrich er. "Le Matin"`hingegen beharrte auf der Richtigkeit des Artikels vom 11.4. Nach DPA Angaben habe sich Borer geweigert, seine Äusserung im Originalton ausstrahlen zu lassen. Victor Fingal von "Le Matin" versicherte, er habe mit seinem Natel mit Borer das Gespräch geführt. Es habe 5 Minuten gedauert. Die Bestätigung der Swisscom liege sogar schriftlich vor. Wiederum kommt Borer damit in einen Beweisnotstand.
  • Frank A. Meyer, der sich am Anfang der Skandalierungsaktion nicht öffentlich verlauten liess, verteidigte wieder die Berichte seiner Blätter. Wenn Borer sich zu der "Berliner Spasskultur" zähle und zur Welt der Star und Sternchen gehöre, müsse er sich nicht wundern, wenn er nach den dort geltenden Regeln behandelt werde. Das Ehepaar Borer habe die Öffentlichkeit selbst gesucht und schaffte damit für ihre Privatspäre eine neue Situation.
  • Shawne Fielding verstand es gekonnt, die Medien zu ihren Gunsten zu nutzen. Immer dann, wenn es wichtig war, verhielt sie sich situationsgerecht. Nach der peinlichen Bemerkung ihres Mannes über den Rocksänger, den sie in einer TV Sendung sich auf dem Schoss eines Rocksängers bequem machte, sass sie später in "Wetten-dass?" mit hochgeschlossenem Kleid bei Thomas Gottschalk in schwarz, artig neben ihrem Mann. Als die Situation nun vor wenigen Tagen kurz vor dem Eclat wieder heiss wurde, liess sich Shawne als treue Ehepartnerin entsprechend aufgemacht und geschminkt in Mauritius ablichten. Kleid, Farbe, Schmuck und Frisur wirkte zurückhaltend. "Bild" übernahm hierauf Partei für die treue Ehepartnerin, die Opfer eines bösartigen Inszenierten Gerüchtes geworden sei. Nach "Bild" habe der Schweizer Bundesrat diesem Gerücht Glauben geschenkt und den erfolgreichen Botschafter nur dank den üblen Aussagen einer psychisch kranken Frau des Postens enthoben. "Bild" bediente sich bei den Berichten der Ausklammerungstaktik so wie "Blick" bei der Skandalierung die Traktandierung eines ausgewählten Themas auf andere Weise gezielt zu nutzen verstand. Im "Bild" wurde beim Brief des Bundesrates die Gründe unterschlagen, die zum Entscheid der Abberufung geführt hatten.
  • Der "Blick" wiederholte seinerseits unablässig die Skandalgeschichtschen und wärmte alte Geschichten auf, die den Botschafter als Partygänger und ehrgeizigen Selbstdarsteller unterstrichen.


Aus der Sicht aussenstehender Beobachter zeigt uns diese Skandalgeschichte:
  • Die Macht der Medien darf nicht unterschätzt werden.
  • Es gibt grosse qualitative Unterschiede bei den Medienprodukten.
  • Es ist wichtig, die Mechanismen, Phänomene und Gesetzmässigkeiten der Medien zu kennen.
Der Umgang mit Medien kann in fachgerechten Medienseminaren im Mediensimulator geübt werden. Das Lesen von Beiträgen wie diesem genügt nicht. K-K hilft Ihnen gerne weiter.




Nachtrag 15. April, Schlusspunkt.
Moritz Leuenberger Medienminister Leuenberger äusserte sich ebenfalls öffentlich zum Fall Borer. Er kritisierte sowohl Ringier als auch das EDA.
Kritikpunkt 1:
Der Sonntagsblick habe eindeutig in die Privatspäre einer Person verletzt. "Dieses Eindringen war moralisch und wohl auch rechtlich nicht legitim." Als gravierend empfindet Bundesrat Leuenberger die Tatsache, dass die Geschichte ohne Stellungnahme von Thomas Borer publiziert worden war. So eine wichtige Stellungnahme dürfe man nicht erst am Samstagabend einholen. (Nach Ringier war Borer am Samstag nicht mehr erreichbar.)
Kritikpunkt 2:
Wenn der EDA Pressesprecher etwas sagt, so sei dies von öffentlichem Interesse. Sonst müsse der Sprecher besser nichts nichts sagen.
Nach Leuenberger kann so ein Angriff nicht durch die ungeschickten Antworten und das undiplomatische Verhalten des Diplomaten legitimiert werden.
Der Medienminister ortet heute immerhin Anzeichen, dass auch bei Ringier die Art und Weise des Vorgehens intern kritisiert werde. Leuenberger erhofft sich vom Fall Borer eine heilsame Wirkung für die Medienlandschaft.


Nachdem nun viele Zeitungen über die Möglichkeiten, Rechte und Grenzen im Journalismus ausführlich reflektiert haben und nun die Skandalierung Borers eine politische Dimension erhält, setzen sir hier einen Schlusspunkt.
Die SVP will nämlich mit einer Interpellation den "Fall Borer" zum "Fall Deiss" machen und die junge SVP verlangt in Inseraten die Wiedereinsetzung Borers als Botschafter in Berlin.
Ob durch den Fall Borer, Bundesrat Deiss tatsächlich mittelfristig Schaden zugefügt werden kann, ist heute noch nicht absehbar.


Nachtrag 8. Juni, 2002, Nachwehen.
Nachdem er Schlichtungsversuch vor dem Friedensrichter zwischen Ringier und Borer geplatzt ist, klagt nun der ehemalige Botschafter Thomas Borer den "Blick" Chefredakteur ein. Es ist bekannt, dass das Verlagshaus Ringier an verschiedenen Fronten mit Nachwehen des Falles Borer zu kämpfen hat.
  • Die Untersuchung über die Echtheit der Photos ist noch nicht abgeschlossen.
  • Auch die Frage der journalistischen Sorgfaltspflicht gilt es zu überdenken.
  • Zudem hat Ringier Verwaltungsrat Hans-Olaf Henkel Borer einen Brief geschrieben in dem er das Vorgehen des Verlagshauses missbilligt.


Nachtrag vom 7. Juli, 2002
In einer eidesstattlichen Versicherung distanziert sich die Berlinerin Visagistin Djamila Rowe von früheren Aussagen und erhebt gleichzeitig Vorwürfe gegen Michael Ringier.
Der Verleger Ringier soll ihr einen hohen Geldbetrag angeboten haben wenn sie vermeintliche sexuelle Beziehungen zu Borer eingestehe. In einer Stellungnahme weist der Ringier Verlag die Aussagen von Rowe zurück. "Sie stehen in unaufhebbarem Widerspruch zu früheren Erklärungen von Frau Rowe in zahlreichen Medien im In- und Ausland", wird Ringier zitiert. Die Aussagen stünden auch im Gegensatz zu der eidesstattlichen Versicherung, die sie Ringier gegenüber abgegeben habe, heisst es weiter. Für den Verlag sei deshalb eine juristische Klärung unausweichlich.
Borer, der mittlerweile eine Beraterfirma in Berlin gegründet hatte und mit seiner Frau eine 15-Zimmer-Villa in Potsdam bezogen hatte, sagte gegenüber der "Bild" Zeitung, er habe von Anfang an von einer konstruierten Geschichte gesprochen. Er und seine Frau seien "erleichtert, dass jetzt die Wahrheit an den Tag kommt".


Nachtrag vom 11. Juli, 2002
Mathias Nolte Die Borer-Denunizentengeschichte hat ein Nachspiel. Blick Chefredaktor Mathias Nolte und Korrespondentin Alexandra Würzbach sind zurückgetreten. Nach Tagesanzeiger soll Nolte Ringier den Rücktritt schon vor Wochen in Aussicht gestellt haben. Beide hätten das Vertrauen von Redaktion, Verlag und Öffentlichkeit nicht mehr gehabt. Dass sich die Reporterin Würzbach die Nacktbilder der Djamile Rowe illegal beschafft habe, wie Radio DRS berichtete, kam für den Verlag als letzte Bestätigung hinzu. Schon die von Ringier veranlasste Bildanalyse habe "bisher nicht den erhofften Befreiungsschlag gebracht". Borer hat kürzlich eine Klage gegen Ringier angekündigt.


Fortsetzung

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