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www.rhetorik.ch aktuell: (9. März 2002)


Reden in geschwätziger Zeit


Iwan Rickenbacher Der mehrteilige Zyklus der Vortragsgemeinschaft Schaffhausen über das "Reden in geschwätziger Zeit" rundete der Kommunikationsexperte Prof. Dr. Iwan Rickenbacher am 7. März ab. Die Titel der früheren Beiträgen dieser Vortragsrheihe waren: "Bedachtsam reden" , und "Reden über das Reden". Seinen Titel umschrieb der Referent mit der Frage:
"Wer sagt uns, was wir hören, lesen und sehen wollen?"

Wir greifen wiederum nur jene Kernaussagen heraus, die unsere Beiträge bereichern und verzichten bewusst auf eine ausführliche Zusammenfassung des Referates.

Rickenbacher setzte einen Schlusspunkt im Vortragszyklus über das Reden in geschwätziger Zeit. Er machte bewusst, dass im Zeitalter der Medien, die Menschen der Informationsfülle und "Geschwätzigkeit" gar nicht so hilflos ausgeliefert sind, wie oft angenommen wird. Wir bestimmen letztlich selbst, wieviel wir von der "Geschwätzigkeit" aufnehmen wollen oder auch nicht. d.h. Wir können das "Geschwätz" selber steuern. (Man vergleiche dazu auch den rhetorik.ch Beitrag: Informationsmanagement.) Rickenbacher beleuchtete in seinem Vortrag die Kommunikationslandschaft Medien - Journalisten - Konsumenten.


Wie nutzen wir die Medien?
Der Medienkonsum in der Schweiz ist recht hoch: Neben Radiohören, TV, Printmedien, Video/CD/DVD sind in den letzten 10 Jahren auch das Internet dazugekommen. Rickenbacher gab folgende Zahlen: Beim Internet haben wir heute in Schweiz 4 Millionen PCs. Wir zählen 2,6 Mio Internetnutzer, 2 Millionen surfen einmal pro Tag. Die Bevölkerung sei täglich durchschnittlich 13 Min online.
Nach NUA (Quelle) sind 3.41 Mio Schweizer (Juli 2001) 28.6 Mio Deutsche (August 2001). Fast 50 Mio Europaer sind online ( Quelle). Die Nua Internet Umfrage gibt an, dass 154 Mio Europär online sind. Canada und USA: 180 Mio Davon 10.2 Mio in Deutschland, Österreich under Schweiz. Eine halbe Milliarde 500 Mio Menschen ist weltweit online. ( Quelle).
Infoweek.ch meldete im Juni 2001, dass laut Netbase um die 3.1 Millionen Personen in der Schweiz mindestens einmal monatlich das Internet nutzen. Davon 2.2 Millionen zu Hause, 1.9 Millionen am Arbeitsplatz und 2.9 Millionen sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz. Laut einer Studie von Baromedia (Ringier Romandie) zum Medienkonsum der Schweizer, ist die Internetnutzung im Vergleich zum Vorjahr (2000) um acht Prozent auf 45 Prozent angestiegen. Sie liegt damit auf Platz 5 nach Radio (73%), Fernsehen (66%), Tageszeitungen (61%) und Gratiszeitungen (48%).


Wie reagieren wir auf das, was wir aufnehmen? Rickenbacher verwendetete eine einleuchtende Analogie

Im Gegensatz zu einem feuchten Schwamm, der alles aufnimmt, konsumieren wir nur, was uns interessiert.

Der Mensch reagiert nach Rickenbacher nicht auf alle Signale. Entscheidend für die Aufnahme ist auch Herkunft, Alter, das Lebensumfeld und die Einstellung. Die Bereitschaft, Informationen aufzunehmen wird von Vorgeschichte, Prägung und der Situation des Medienkonsumenten beeinflusst die Aufnahme.
So wie die Heilsarmee im Mai weniger Geld bei einer Topfkollekte einnimmt, aber in der Adventszeit recht viel Geld erhält, genauso wenig können uns die Medien dann Geschichten aufdrängen, an denen wir kein Interesse zeigen oder für die Zeit nicht reif ist. Das Bewusstsein der Konsumenten für Probleme kann untersucht werden. Laut Statistik stehen in der Aufmerksamkeitsliste von Herr und Frau Schweizer das ganz oben, was uns zur Zeit unter den Nägeln brennt:
An erster Stelle steht zur Zeit das Gesundheitswesen (64%) welches im Vorjahr noch an zweiter Stelle gestanden hatte. Dann die Arbeitslosigkeit (45%) und die Globalisierung (letzteres stand 2001 nach an 9. Stelle). Darauf folgen Themen wie die "neue Armut", die AHV und der Terrorismus, ein Thema, das nach New York und Zug nach vorne gerückt war. Sicherlich werden bei nächsten Wahlkampagnen diese Erkenntnisse von den Parteien gezielt ausgeschlachtet. Auch bei den Medien müssen die Themen immer zur richtigen Zeit gewählt werden. Die Mediennutzer haben eine bestimmte Erwartungshaltung und die Medien haben sich diesen Bedürfnissen laufend anzupassen.

Die Menschen sind somit den Medien nicht einfach ausgeliefert, denn sie verfügen über einen eigenen Selektionsmechanismus.

Wer wählt letzlich die Themen aus und wer verarbeitet sie?
Die Anbieter der Geschichten und Informationen sind und bleiben die Journalisten. Rickenbacher beschrieb den typischen Informationsvermittler wie folgt: Er ist zwischen 30-40 Jahre alt, gut ausgebildet. Er verdient im Durchschnitt so viel wie ein Primarlehrer. Der heutige Journalist ist selbstbewusst und respektlos. Er glaubt, dass er neutral über die Realität berichtet und sorgfältig und kritisch analysiert. Obwohl letztlich die Journalisten darüber befinden können, was ausgewählt, gedruckt und thematisiert werden kann. (vgl dazu Macht der Medien) sind es aber bestimmte Kriterien, die die Auswahl der Medien bestimmen: Nach Kurt Imhof von der UNI Zürich sind es vor allem die Kürze und die Aussergewöhnlichkeit eines Ereignisses die bevorzugt werden. Gute Chancen haben stets: Gewalt, spektakuläre Effekte oder Personalisierung.
"Zwischen Anspruch der Journalisten und Wirklichkeit der Veröffentlichungen klafft somit ein grosser Unterschied."

Wie wirkt sich dies auf die Glaubwürdigkeit aus?
Laut einer älteren Umfrage ist der Teletext das glaubwürdigste Medium, gefolgt von Schule, Radio, TV und Presse. Medien werden demnach gut genutzt, aber es wird ihnen nicht immer geglaubt. Andere Umfragen belegen, dass staatliche Stellen z.B der Polizei und der Bundesrat am meisten Vertrauen geniessen. Die Tabelle gibt uns zu denken: Der Legislative oder der Verwaltung wird viel weniger Vertrauen entgegen gebracht. Und die Armee steht sogar am Schluss der Tabelle. Auch hier beeinflussten aktuelle Ereignisse die Skala. Vor dem 11.9. und dem Blutbad in Zug lag die Polizei viel weiter zurück.

Wer bestimmt denn letztlich darüber, was wir lesen, hören oder sehen sollen?
Trotz Medienvielfalt und Informationsschwemme sind wir es selbst, die darüber bestimmen; betont Rickenbacher.
Durch unser Interesse, unsere Bereitschaft und unsere Betroffenheit entscheiden wir, was wir lesen, hören oder sehen wollen.
Selbstverständlich beeinflussen auch Kampagnen unser Konsumverhalten. Es stehen und heute rund um die Uhr unbegrenzt viel Informationen zur Verfügung.
Wir sind aber nicht fremdgesteuert und wir sind den Medien nicht hilflos ausgeliefert. Vergleiche dazu den Beitrag Manipulation und Beeinflussung auf diesen Seiten.

Wir können selbst steuren, wieviel Geschwätz wir zulassen wollen.

In der Diskussion ging Rickenbacher noch auf einige Aspekte besonders ein: Er unterstrich die Bedeutung der Glaubwürdigkeit. Wenn das Vertrauen fehlt, hat eine Botschaft keine Chance.
"Die Zeiten der Société anonyme sind vorbei, wir suchen wieder Menschen", unterstrich Rickenbacher. Denn lange Zeit war nur die Botschaft wichtig. Die Botschafter werden heute wieder wichtiger, was Chancen, wie auch Risiken bietet. Die Werbung kauft ebenfalls Gesichter. Die Politik wird von Personen geprägt. Iwan Rickenbacher ässerte sich in der Schlussdiskussion auch über den Stellenwert des Gesprächs:

"Wir bilden uns vermehrt unsere Meinung im Gespräch mit Menschen, denen wir vertrauen, Und da haben Abende wie dieser eine wichtige Funktion als Ort des Austausches."

Fazit: Es wird zwar schwieriger, Sachverhalte zu überprüfen. Um uns eine möglichst objektive Meinung zu bilden, können wir dies nicht als "Einsiedler" tun. Gefragt ist nebst der Medienvielfalt eine dialogische Versammmlungskultur.
Zum Referenten: Iwan Rickenbacher Iwan Rickenbacher ist promovierter Erziehungswissenschafter und gilt als einer der besten Kenner der schweizerischen Politik und Medienlandschaft. Rickenbacher, geboren 1943, war drei Jahre Primarlehrer, bevor er Erziehungswissenschaften studierte und die Promotion erwarb. Von 1975 bis 1988 leitete er das Lehrerseminar in Rickenbach bei Schwyz. Seit 1992 arbeitet Iwan Rickenbacher als selbständiger Kommunikationsberater. Er ist seit Dezember 1999 Honorarprofessor an der Universtität Bern für politische Wissenschaften.


Zwei Bonmots von Rickenbacher in einem Interview der Schaffhauser Nachrichten: Auf die Interviewfrage, was er als Berater Simon Ammann raten würde, meinte Rickenbacher:
"Als Sechzigjähriger bin ich zu erfahren, um einen Zwanzigjährigen mit meinen Erkenntnissen zu nerven."

Rickenbachers Rat für das Ehepaar Thomas und Shawne Borer-Fielding: (Siehe dazu die Aktuellbeiträge (1) (2) (3) (4)):
"Das Ehepaar Borer sollte für alle Zeiten einen Koffer in Berlin lassen; nach einem allfälligen Ende seiner Tätigkeit dort, wird es nämlich feststellen, dass Berlin fast der einzige Schauplatz auf der ganzen Welt ist, wo man mit diesem Stil Erfolg hat."

Schaffhauser Zunge Iwan Rickenbacher, der den Schaffhausern mit seiner Schwyzer Zunge das Thema "Geschwätzigkeit und Medien" mit aktuellen Beispielen und vielen Bonmots lebendig vorgetragen hatte, durfte vom Präsidenten der Vortragsgemeinschaft sinnigerweise einige "Schaffhauser Zungen", eine Schaffhauser Spezialität entgegen nehmen.
Links zur Vertiefung der Thematik:



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