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www.rhetorik.ch aktuell: (Ab 14. April, 2002)

Haariges.


Seit Monaten waren die mutmasslich gefärbten Haare des Bundeskanzlers ein gefundenes Fressen für die Medien. Es gab sogar Strassenumfragen: "Hat er oder hat er nicht?" Gemeint war das Färben seiner tiefbraunen Haare. Gerhard Schröder hätte zwar zu diesen lächerlichen Mutmassungen schweigen können. Doch was tat er?
Er verwehrte sich gegen die Behauptung, seine Haare wären gefärbt. Denn wer nun künftig solches behauptet, wird juristischen Ärger bekommen.
Das Hamburger Verfassungsgericht verhandelte nämlich am 12. April über eine Unterlassungsklage des Kanzlers gegen die Nachrichtenagentur ddp. Damit wird die Haarfarbe erst recht zum Dauerthema.


Im Spiegel online vom 12. April, 2002 schreibt Lisa Erdmann:
"Es geht um eine Meldung der Nachrichtenagentur ddp, die am 23. Januar 2002 um 5:56 Uhr in den Redaktionen über die Ticker lief. Darin hatte sich die Image-Beraterin Sabine Schwind von Egelstein über das gelungene Auftreten und die gute Kleidung des Kanzlers ausgelassen. In einem Nebensatz mahnte sie allerdings an, dass Schröders Glaubwürdigkeit steigen würde, "wenn er sich die grauen Schläfen nicht wegtönen würde." Das hat den Kanzler erzürnt. Er möchte erreichen, dass die Agentur dieses nie, nie wieder schreibt und hat dazu eigens eidesstattliche Versicherungen über die Echtheit seiner Haarfarbe bei seinen Coiffeuren eingeholt. Zur Verteidigung seiner Rechte schickte er seinen Vertrauensanwalt Michael Nesselhauf ins Rennen.
Die Agentur will die Behauptung der Dame auch gar nicht wiederholen. Als der Kanzler sich ob der Meldung beschwerte, schickte ddp noch am selben Tag eine Richtigstellung in Sachen Schröders Haare über die Ticker. Doch Schröder wollte mehr: Die Agentur sollte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung unterschreiben. Das ging den Journalisten denn doch zu weit. "Wenn der Kanzler meint, uns ein Zitat, das nicht von uns stammt, verbieten zu können, ist das presserechtlich äusserst bedenklich", sagte ddp-Chefredakteur Bernd von Jutrczenka vor Beginn des Prozesses zum "Spiegel".
Der Anwalt der Nachrichtenagentur, Klaus Sedelmeier, erfahrener Presserechtler, sieht eine Überspannung der Sorgfaltspflicht der Journalisten. Der Mann hat sichtlich Spass an dem Verfahren. "Eigentlich habe ich mich schon aus der Berufstätigkeit zurückgezogen. Aber den Fall habe ich gern noch mal angefasst", erklärt er auf dem Flur des Gerichts. Vor dem Richter legte er im Plauderton seine Argumente dar: Es habe sich nur um einen Nebensatz gehandelt, und niemand habe von den Redakteuren verlangen können, sich in dieser Sache zur Überprüfung an den Kanzler zu wenden. "Er hat bemerkenswert gefärbtes Haar, ... ich meine farbiges." Ausserdem sei ihm kürzlich aufgefallen, als Schröder zu Gast bei Boulevard Bio war, dass die Brauen viel heller seien als die Haare. Richter Buske liess jedoch erkennen, dass er zusätzliche Recherchen vermisst und sprach von einer rechtswidrigen Veröffentlichung.
Bei aller Feixerei geht es eben um Medienrecht. Wer unwahre Äusserungen anderer verbreitet (darüber sind sich in diesem Fall beide Parteien einig), kann sich nur dann erfolgreich gegen eine Unterlassungsklage wehren, wenn er sich eindeutig und ernsthaft davon distanziert. Die von ddp verschickte Richtigstellung bezeichnete Nesselhauf vor Gericht als Witz. Die Nachrichtenagentur hafte für von ihr verbreitete Inhalte, auch wenn es Äusserungen Dritter seien. Vorab hatte Nesselhauf schon erklärt, dass es sich bei dem Vorwurf, Schröder färbe sich die Haare, nicht um eine "Petitesse" handele. Es gehe um Glaubwürdigkeit.
Ein Urteil gab es in dieser Verhandlung nicht. Das Landgericht vertagte die Entscheidung auf den 17. Mai. "Nach dem, was der Vorsitzende gesagt hat, sind unsere Chancen hier sicherlich nicht so gross," wertete Sedelmeier die Sitzung. Er kündigte an, notfalls bis zum BGH in Karlsruhe zu ziehen. Und so könnte sich die Geschichte über die Haarfarbe des Kanzlers, die Schröder nie wieder lesen wollte, noch Monate hinziehen."
Wir haben in verschiedenen Beiträgen darauf hingewiesen, dass sich jeder so kleiden und sich so geben darf, wie er möchte. Wir empfahlen lediglich: Es lohne sich, darauf zu achten, dass es dem Betreffenden wohl ist in seiner Bekleidung und dass vor allem bei Medienauftritten das Äussere zur persönlichen Rolle wie auch zur jeweiligen Situation passsen sollte.


Wir haben zudem bei Borers Verhalten mitverfolgen können, dass das Dementieren meist kontraproduktiv ist.
Dass bei Prominenten die Haartracht plötzlich zum Dauerthema werden kann, zeigt sich immer wieder. (Cori, Merkel) Derartige Diskussionen dürfen jedoch nie ernst genommen werden, denn das auf dem Kopf ist, ist viel weniger wichtig, als das, was im Kopf ist.
Bundeskanzler Schröder will es darauf ankommen lassen. Die Diskussion um seine Haare soll mit gerichtlichen Mitteln vom Tisch haben. Scheinbar macht es Schröder im Wahlkampf etwas aus, ob seine Haare echt braun sind oder nicht. Vielleicht glaubt er, dass sonst seine Glaubwürdigkeit oder seine Jugendlichkeit bewzweifelt werden könnte.
Wir glauben, dass sich mit dieser gerichtlichen Abklärung der Bundeskanzler unnötigerweise schadet. Die läppische Thematik wird aufgewertet. Jetzt wird die Haarfarbe erst recht thematisiert. Geschichten um Schröders Haare lassen sich nun noch besser vermarkten. Die Schmuddelpresse lässt grüssen. Wer über Wirtsschaftfragen und Politik wenig oder nichts versteht, kann dank Schröders Entscheid immerhin beim Thema "gefärbte Haare" wochenlang kompetent mitreden.


Nachtrag vom 17. Mai: Haarspalterei und kein Ende? Shampooreklame Bundeskanzler Schröder bei der ersten Gerichtsinstanz in der Auseinandersetzung um seine gefärbten Haare gewonnen. Die Nachrichtenagentur ddp darf nicht mehr schreiben, dass Bundeskanzler Schröder seine Haare gefärbt habe. Mit der eidesstattlichen Erklärung seines Frisörs konnte der Bundeskanzler belegen, dass die Aussage einer Stilberaterin unzulässig war. Sie hatte geschrieben, dass die grauen Schläfen dem Kanzler viel besser stehen würden, wenn sie nicht gefärbt wären.
Die Agentur ddp will die Angelegenheit an den Bundesgerichtshof weiterziehen. Damit würe die Haarspalterei erneut angeheizt und des Kanzlers Kompetenz würde nochmals auf das, was er auf dem Kopf - nicht im Kopf hat - reduziert.
Wie zu erwarten war, wurde die Geschichte im Fernsehen in verschiedensten Informationssendungen dankbar aufgenommen. Zum Beispiel am 17. Mai in einer längeren 10 vor 10 Sendung des Schweizer Fernsehens. Es wurden Zeichnungen von Karikaturisten und Auszüge aus Satiresendungen eingeblendet und wie sich die Werbung (z.B. für Schampoos) und die FDP des Haarthemas annimmt. Die Geschichte ist auch ein gefundenes Fressen für die Konkurrenz. Westerwelle:

"Nicht meine Gags sind lächerlich. Lächerlich ist es, wenn ein Bundeskanzler wegen seiner Haarfarbe zu Gericht zieht!"

Und die Imageberaterin nutzte in ihrer Stellungsnahme einen rhetorischen Trick. Implizit ihre alte Behauptung wiederholend, erwähnte sie die Färbung mit den Worten:

"Ich werde nie mehr sagen, Schröder habe die Haare gefärbt. Denn das ist seine private Sache."

Dank dieser Formulierung verstoss sie zwar nicht gegen das Verbot, sagte aber auch nicht, die wären echt.
Stern Titelbild vom Mai 2002 Stern brachte Schröder in einer Photomontage auf einen Männerkörper mit einem Feigenblatt. Auch diese Stichelei wäre ohne Haargeschichte kaum gekommen. Frau Schröder reagierte auf das Titelbild gelassen:

"In Wirklichkeit sieht mein Mann besser aus."


Eine rhetorisch weniger defensive Antwort wäre vielleicht gewesen:
"Schade, dass die Photomontage nicht professioneller gemacht worden ist. Wäre technisch sicher machbar gewesen."


Der Rechtsanwalt von Schröders begründete die gerichtliche Beurteilung:

"Die Haarfaerbung hätte im Wahlkampf ausgeschlachtet werden können."


Diese Begründung überzeugt uns nicht. Der juristischen Berater war sich nicht bewusst, dass er dem Bundeskanzler einen Bärendienst erwiesen hatte. Die Haarafarbe wurde durch das Beharren auf der Wahrheitsfrage zu einem Politikum.


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