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Interview führen-aber wie?


von Marcus Knill


Interview Ein Interview ist mehr als nur das Stellen vorbereiteter Fragen. Gute Interviews zu führen ist eine Kunst, die erlernt werden kann. Nachfolgend werden Bausteine zusammengefasst, die wir im Seminar für Journalisten gemeinsam erarbeitet haben.

Vorbereitung


Interview In der Vorbereitungsphase klären wir nicht nur, wann das Interview stattfinden oder wo es geführt werden soll. Wir überlegen uns, welches Ziel wir anstreben. Mit anderen Worten: Worum geht es? Welche Antworten benötigen wir dringend?



Grundsätzliches

Beim Schreiben des Entwurfs überlegen wir bereits, welche Antworten wir vom Interviewpartner erwarten.

"Was soll mir mein Interviewpartner sagen? Welche Information brauche ich von ihm?"


Wir sollten sogar die erwarteten Sätze als Wegleitung vorformulieren, um uns bewusst zu machen, worum es geht, was wir vom Gegenüber erwarten. Das ähnelt einem Jeopardy-Spiel (Risiko-Quiz- Spiel). Wir schreiben im Entwurf die Antworten und denken uns dazu die passenden Fragen aus. Wir müssen uns jedoch stets bewusst bleiben, dass der Interviewte nicht so antworten muss, wie wir es erwarten. Wir dürfen uns nicht durch die eigenen Erwartungen einschränken lassen.

Übung: Sie befragen einen Lokalpolitiker über ... (aktuelles Thema) Erstellen Sie eine Liste mit Fragen oder Stichworten, die sie als Notiz oder im Kopf bei sich haben. Eventuell auf einem Zettel oder auf einzelnen Kärtchen.



Gespräch antizipieren

Wir müssen uns stets vor Augen halten:
  • Mit wem führe ich das Interview?
  • Welche Schwierigkeiten könnten auftauchen?
  • Mit welchen Hindernissen muss ich rechnen?
Tip: Telefonieren Sie mit dem Interviewpartner. Ein Vorgespräch macht die wichtigen Fragen bewusster. Spricht der Befragte bereits am Telefon schwerfällig und gehemmt? Dann lohnt es sich zu überlegen, wie das Gespräch aufzulockern wäre. Jemandem, der sehr kritisch reagiert, könnte man eine Stellungnahme zu einem heiklen Thema bereits im Vorgespräch entlocken. Versucht jemand dauernd auszuweichen, überlegen Sie, welche Strategie am besten zum Ziel führt. Muss jemand über eine emotionale Sache sprechen (Unfall), und besteht die Gefahr einer emotionalen Entgleisung, überlegen Sie, wie Sie die Emotion unter Kontrolle halten können. Die Zielvorgabe muss bei jedem Gespräch schon vor dem Interview klar sein.

Thema vorbereiten

Wir müssen uns nicht nur auf den Interviewpartner und die jeweilige Situation einstellen. Es gilt auch, uns in die Thematik einzuarbeiten. Je mehr wir in der Vorbereitungsphase über das Thema erarbeiten, desto fundierter können wir das Interview führen.

Details sind wichtig

Vor Ort sind wir in der Regel mit dem Setzen des Lichts und der Vorbereitung des Bildes beschäftigt. Je heikler das Interview ist, desto mehr gilt:

Zeit lassen

Die Zeit unmittelbar vor Beginn des Gesprächs kann entweder Spannung fürs spätere Interview erzeugen oder auch reduzieren. Wenn wir Interviews führen, die emotional schwierig sind, lohnt es sich, die Position für den Gesprächspartner ruhig und entspannt zu gestalten. Beispielsweise indem wir den Gesprächspartner erst setzen lassen, wenn das Licht fast fertig eingerichtet ist. Oder wir unterhalten uns locker mit ihm, während das Licht noch auf ihn abgestimmt wird. Wichtig:

Nie darüber reden, was anschliessend thematisiert wird!

Es besteht sonst die Gefahr, dass der Gesprächspartner all sein Pulver vor der Aufnahme verschiesst. Die besten O-Töne sind immer die spontanen, wenn etwas zum ersten Mal gesagt wird. Plaudern wir deshalb lieber übers Wetter oder andere Unverfänglichkeiten, während mit dem Kameramann die letzten Lichtkorrekturen und die Einstellungsgrößen abgesprochen werden.


Das Interview selbst


Interview Mitunter gerät man an Personen, die schon während der Vorbereitung etwas Nervosität benötigen. Es gibt Situationen, wo das für uns hilfreich sein kann. Wenn wir zum Beispiel einen Mißstand aufgedeckt haben und den Verantwortlichen im Interview damit konfrontieren wollen, kann es dienlich sein, schon vor dem Interview die Positionen klarzustellen, nach dem Motto:

"Ich stelle hier die Fragen!"


Flexibilität ist gefragt



Offen fragen

Fragen müssen öffnen. Sie sollten dem Gegenüber die Möglichkeit geben zu reden. Auf die Frage:

"Haben Sie sich darüber geärgert?"


erhalten wir ein trockenes "Ja", und das läßt sich nicht zitieren. - Besser:

"Wie haben Sie diesen Vorwurf empfunden?" oder: "Weshalb haben Sie sich darüber geärgert?"




Wer, Wo, Was, Wann, Wie, Warum, Woher?

Die wichtigsten Fragen hierbei sind die W-Fragen: Wer, Wo, Was, Wann, Wie, Warum, Woher? Wichtig ist eine offene Fragehaltung. Es gibt "geschlossene Fragen", die dennoch zum Sprechen animieren. Voraussetzung ist ein vertrauenerweckendes Gesprächsklima.

Unproblematische Fragen zuerst

Grundsätzlich brauchen wir eine Einleitungsfrage, die es dem Gegenüber ermöglicht, sich auf die Interviewsituation einzustellen und den persönlichen Redefluß zu finden. Erst dann können wir auf die wichtigen Themen eingehen.
Auch im Interview gilt es, die unproblematischen Fragen zuerst zu stellen. Die wirklich emotionalen Fragen oder jene, die eine kritische Situation verursachen könnten, kommen erst am Schluß. Das hat folgende Vorteile:
Bei emotionalen Interviews kann sich der Partner an die Situation und uns gewöhnen. Er fasst Vertrauen und fühlt sich wohler. Bei kritischen Interviews hilft der Colombo-Effekt. Der Kriminalkommissar vermittelt ein Gefühl der Sicherheit: Er verabschiedet sich und geht zur Türe. Der Befragte rechnet nicht mehr damit, daß ihm Colombo gefährlich werden könnte. - Dann kehrt er sich unter der Türe um, und stellt unverhofft die wichtigste Frage. Diese Technik können auch wir anwenden, wenn es erforderlich wäre. Um, beispielsweise, einen abgebrühten Typ "kalt zu erwischen".

Das Interview als psychologisches Spiel?

Jedes Interview strotzt von psychologischen Phänomenen. Wir sprechen mit Menschen, von denen wir bestimmte Aussagen hören möchten. Der Gesprächspartner ist in der Regel bereit, mit uns zu reden - aber ob er offen Sachverhalte preisgeben wird, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Fall müssen wir versuchen, auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten einzugehen.



Der Interviewpartner kann nicht reden

  • Es gibt Interviewpartner, die mit ungebräuchlichen Fremdwörtern um sich schmeissen.
  • Es gibt Menschen, die vor Nervosität stottern.
  • Andere reden wie ein Wasserfall ohne Punkt und Komma
Leider gibt es nur wenige, die fernsehtauglich reden: Einfach, verständlich und konkret. Was soll man tun wenn der Eindruck entsteht, dass "was der da schwafelt, unbrauchbar ist"?

Sagen, was stört

Um das Gegenüber wissen zu lassen, was wir wollen, lohnt es sich, zu sagen, was stört.

"Könnten Sie sich kürzer fassen?" "Könnten Sie versuchen, weniger Fremdwörter zu verwenden?".


Die Korrektur kann die Gesprächspartner aber auch verunsichern. Ohne Fingerspitzengefühl geht es nicht. Von einer Mutter, die über den Tod ihrer Tochter spricht, können wir nicht verlangen, die schlimmste Erfahrung ihres Lebens noch einmal knapp und präzise zu formulieren. Manchmal funktioniert ein Mittelweg:

"Das haben Sie jetzt sehr schön erzählt. Es wäre gut, wenn Sie es noch einmal kurz zusammenfassen könnten".




Antizyklisches Verhalten

Es gibt auch eine andere Möglichkeit, die sich bewährt hat, das antizyklische Verhalten. Das kann auch ohne das Bemerken des Gegenübers passieren. Zu allen Gesprächsfehlern gibt es ein gegenteiliges Verhalten. Ist der Gesprächspartner zu kurz angebunden, stellen wir bewusst ausschweifendere Fragen. Redet er zu viel, fragen wir knapp und kurz. Spricht jemand endlos, könnte wir fragen:

"Und was war der Hauptgrund"?


Wenn jemand zu kurz antwortet: "Ich war halt sauer", holen wir bewusst aus:

"Aber es ist doch einiges passiert, das Sie geärgert hat. Sie haben mir ja schon am Telefon von den Mißständen erzählt. Schildern Sie das doch mal."


Bei einem Spezialisten, der nur in Fachbegriffen spricht, verwenden wir eine bewußt einfache Sprache, damit er spürt, daß mit seinen Fremdwörtern nichts anzufangen ist.

Schwierige Situationen

Jedes Interview ist eine psychologische Herausforderung. Was tun, wenn mein Gegenüber schweigt - ausweicht - oder wenn wir das Gefühl haben, die Wahrheit werde verdreht?
Derartige Situationen häufen sich, wenn der Gesprächspartner mit echten Missständen konfrontiert wird. So bei einem Pressesprecher, von dem eine Stellungnahme verlangt wird. In so einem Fall hilft es, Stärke zu demonstrieren und sich Zeit zu lassen. Pressesprecher vertreten ihre Firma, sind ausgebildet und geschult, alles zu tun, um wenn nötig Journalistenfragen im Interesse ihrer Firma auszuweichen. In einem solchen Gespräch dürfen wir nie daran zweifeln, daß wir das Gespräch führen. Bleiben wir uns bewußt, daß beide - Interviewer und Interviewter - nervös sind. Journalisten haben das Recht, nachzufragen. Sortieren wir in aller Ruhe unsere Notizen und unsere Gedanken. Das beruhigt uns - und verunsichert den "Schauspieler". Fragen müssen ruhig und sicher gestellt werden. Hören wir uns die Antwort genau an. Wird ausgewichen, muss die Frage wiederholt werden.


Techniken

  • Lenkungstechniken

    Notieren Sie alle Möglichkeiten, wie sie den Gesprächspartner mit ihren Fragen oder Antworten lenken können.

  • Explorationstechniken

    Notieren Sie alle Techniken, die es ermöglichen, dem Gesprächspartner Aussagen zu entlocken, die er nicht machen möchte. Wenn Mißstände aufgedeckt werden, hat jeder Journalist das Recht, die Wahrheit zu erfragen.



Anhang: Tips von Journalisten für die Praxis

Aus dem Erfahrungsbereich von Profis. In diesem Anhang sammeln wir weitere hilfreiche Erkenntnisse und Hinweise aus der Praxis von Journalisten:
  • Keine Frageketten!
    Wer die Interviews verfolgt, stellt immer wieder fest, dass Kollegen Frageketten bilden, anstatt nach der ersten Aussage nur eine Frage zu stellen! Falls der Partner nicht anwortet, stellen wir die gleiche Frage in abgeänderter Form nochmals und warten! Das Warten lohnt sich! Denn das Gegenüber muss die Frage überlegen, vordenken, planen und auch noch formulieren. Dies benötigt ein paar Sekunden! Wir haben in verschiedenen Beiträgen auf diesen Fehler hingewiesen: Nachteile der Frageketten: Der Befrage kann die leichteste Frage auswählen.
  • Start
    in vielen Fällen loht es sich, dem Gesprächspartner zu sagen, um was es im Interview geht. Selbst dann, wenn er nicht nachfragt. Wir haben in der Praxis festgestellt, dass jeder Journalist sein individuelles Vorgehen hat. Frank A. Meyer ("Vis à vis") hat gute Erfahrungen mit dem vorgängigen Bekanntgeben der Startfrage gemacht. Andere verzichten bewusst auf das Mitteilen des Startthemas, um den Partner bewusst zu wecken.


Literatur und Links

  • Jürgen Friedrichs, Ulrich Schwinges, Das journalistische Interview. Westdeutscher Verlag, 1999
  • Michael Haller, Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten, UVK, 2001


Falls sie die oben erarbeiteten Techniken vollständig kennenlernen und üben wollen, stehen wir Ihnen gerne für ein individuelles Coaching zur Verfügung.



15. November, 2003

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