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Antizyklisches Verhalten lohnt sich in vielen Situationen

von Marcus Knill


Antizyklisches Denken und Handeln lohnen sich bei vielen Kommunikationsprozessen im Alltag. Aktuell Beitrag vom 26. September, 2013.
Die Fische, von Escher

Wer kennt nicht den Ausspruch: 'Taxifahrer, bitte langsam - ich habe es eilig!' Antizyklisches Denken und Handeln lohnt sich bei vielen Kommunikationsprozessen im Alltag. Wenn es um Leben und Tod geht, beispielsweise im Operationssaal, strahlt der Chefarzt trotz Zeitdruck und Hektik bewusst Ruhe aus, spricht langsamer, überlegt länger. Er lässt die Anordnungen wiederholen. Dieses antizyklische Verhalten scheint ein Zeitverlust zu sein. Doch wird der angebliche Zeitverlust letztlich zum Zeitgewinn. Das gegenteilige Verhalten lohnte sich. Die Praxis bestätigt immer wieder, dass das Schlüsselwort 'Antizyklisches Verhalten' viel ernster genommen werden müsste. Nachfolgend einige Beispiele, wie und wo bewusst Gegensteuer gehalten werden könnte:

Vorsicht bei überschwenglicher Freundlichkeit -Keine Angst bei rüden Tönen.
Kommuniziert jemand überfreundlich, ist Skepsis berechtigt. Auch Insekten erleben es: Der süsse Honig kann gefährlich sein, er ist klebrig. Vorsicht ist angebracht. Grobschlächtiges Verhalten bedeutet hingegen in den wenigsten Fällen eine Gefahr. Hinter einer rauen Schale steckt vielfach ein weicher Kern. Deshalb reagieren wir bei grobschlächtigem Verhalten eher freundlich.
Wenn es laut tönt: Bewusst leise reden - Bei faden Aussagen (leiser Stimme): Kraftvoller sprechen.
Bei lauten Stimmen bewährt sich eine bewusste Zurückhaltung im dynamischen Bereich. Auch das antizyklische Verhalten bei kaum hörbaren Äusserungen kann Wunder bewirken. Der bewusst kräftiger formulierte Beitrag wird dann nicht nur besser verstanden; er überzeugt mehr, weil er dadurch herausgehoben wird. (Aus-Druck)
Werden wir gedrängt, gehetzt und beim Redefluss unterbrochen: Ruhe bewahren und nicht ebenfalls unterbrechen -Bei gleichförmigem langatmigem Reden: Eindeutig Gegensteuer halten.
Leute, die uns hetzen und unterbrechen, bewirken meist den bekannten Effekt: Wir reden auch schneller und übernehmen die Unterbrechungstaktik. Antizyklisches Verhalten heisst in diesem Fall: Bewusst 'bremsen', längere Pausen einschalten, mehr überlegen, mehr wiederholen. Zum roten Faden zurückkehren. Freundlich signalisieren: 'Ich will weiterreden.' Überlange, gleichförmige, monotone Beiträge dürfen hingegen mit kurzen Fragen unterbrochen werden. Das antizyklische Verhalten bedeutet hier das Gegenteil von Lange -weile von Lang -fädigkeit, d.h. wir reagieren gezielt mit kurzen Unterbrechungen, mit kurzen Entgegnungen.
Unfreundliches Benehmen begegne ich mit Freundlichkeit.
In der Regel weckt Unfreundlichkeit auch Unfreundlichkeit. Wer gehässigen Aussagen bewusst freundlich (nicht überfreundlich oder mit ironischem Ton) begegnet, handelt ebenfalls antizyklisch. Wer dieses Verhalten im Alltag testet, wird feststellen, welche Wirkung dieses unerwartete Verhalten auslöst.
Bei Fragen: Anstatt antworten, nachfragen.
Viele haben während der Ausbildungszeit die sogenannte 'Fragekultur' verlernt. Wir wissen zwar, dass derjenige führt, der Fragen stellt. Dennoch wurden wir in unserem Kulturkreis jahrelang aufs Antworten konditioniert. Es lohnt sich, bei Fragen ebenfalls bewusst mit Fragen zu reagieren. Nur jene, die keine Fragen dulden ( bei autoritären Kommunikationsmodellen) behaupten, Gegenfragen seien nicht erlaubt. Wer die Antwort in eine geschickte Frage kleiden kann, handelt ebenfalls antizyklisch.
Wenn uns jemand auf den Pelz rückt: Distanz schaffen.
Wird das Distanzverhalten unerwarteterweise verändert, irritiert dies. Wenn wir spüren, dass uns jemand zu nahe kommt, dürfen wird dies nicht übersehen und einfach so hinnehmen. Antizyklisch Verhalten heisst: Entweder dafür sorgen, dass die angemessene Distanz gewahrt wird u.U. sogar ansprechen. Wir sagen, dass....Oder wir können auch nonverbal signalisieren, dass uns die Nähe stört.
Das 'Themenwechselspiel' nicht mitspielen: Beim Themenwechsel nicht 'mitspringen' - sondern, auf das Thema zurückkommen.
Wer kennt nicht jene Redner, die bewusst oder unbewusst dauernd das Thema wechseln. Zuerst gilt es - wie bei allen Verhaltensweisen - auch dieses Verwirrspiel wahrzunehmen. Wir können Gegensteuer halten, indem wir nicht auf dieses 'Wechsel - Spiel' eingehen, sondern das Gegenteil tun d.h. immer wieder auf den roten Faden zurückkommen.





Diese Verhaltenweisen gilt es zu trainieren. Die K+K Kommunikationsberatung hilft Ihnen dabei.

Die Situation bestimmt das Verhalten.

Die aufgeführten Beispiele wollen nicht als allgemeingültige Rezepte verstanden sein. Selbstverständlich gibt es viele Situationen, die synchrones d.h. kein antizyklisches Verhalten erfordern. Wer sich zu schematisch zu plump- antizyklisch verhält (als Marotte), wird nicht mehr ernst genommen. Es lohnt sich jedoch, die Möglichkeiten des antizyklischen Verhaltens bei der Alltagskommunikation vermehrt zu beachten.


Wir lassen uns führen (leading)

Fachleute, die sich mit den Phänomenen des Neurolinguistischen Programmierens ( NLP ) beschäftigt haben, wissen, wie die Menschen in kommunikativen Bereichen geführt werden können. Beim NLP sprechen wir von 'leading'. Wird beispielsweise das Sprechtempo beschleunigt, passt sich in der Regel der Partner an und wird auch schneller. Dies gilt analog bei der Lautstärke oder bei nonverbalen Prozessen. Therapeuten passen sich mitunter bewusst dem Klienten an und ändern nach und nach das eigene Verhalten. Unbewusst passt sich dann der Partner auch an. Er wird - ohne, dass er es merkt - geführt. Mit dem antizyklischen Verhalten entziehen wir uns im Grunde genommen dem allfälligen Leading - Prozess und lassen uns gleichsam weniger 'fremd-steuern'. Wir führen und lassen uns nicht führen.
Antizyklisches Verhalten ist gleichsam eine Möglichkeit, einseitige Kommunikationssituationen wieder ins Lot zu bringen. Dialogische Kommunikation hat letztlich immer etwas mit Ausgleich und Balance zu tun. Deshalb ist das antizyklische Verhalten ein Weg, der sich lohnt, in der Praxis vermehrt zu begehen.


Das Überraschungsphänomen

Fraser'sche Spirale
 (Überraschung durch optische Täuschung) Wer ungewohnt reagiert -das antizyklische Verhalten ist meist eine Überraschung - bewirkt Folgendes:
  • Die Aussage wird besser beachtet, erhält mehr Aufmerksamkeit.
  • Der Sprechende wird weniger manipuliert.-
  • Falls der Partner mit mir ein übles Spiel treibt, spiele ich nicht mit. Ich werde nicht zum 'Spielball'.
Habe ich nicht auch das Recht, zu überraschen?
Im Bereich Medienrhetorik, provokative Rhetorik oder bei Stress-, Schockbefragungen und auch bei Kreuzverhören wird das Element Überraschung bewusst eingesetzt. Der Befrager wechselt plötzlich die Rolle, seine Position ( z.B. um den Stuhl gehen/ Seitenwechsel usw) oder ein Moderator wechselt plötzlich die Art und Weise der Befragung (Lautstärke, Mimik, Distanz usw). Der unerwartete Wechsel führt zu den hinlänglich bekannten Überraschungseffekten: Die Befragten werden destabilisiert, irritiert. Mit den üblichen Auswirkungen, wie: Faden verlieren, Sprechstörungen, Muskelverspannungen, Atemstörungen (Gehirn wird nicht mehr genügend mit Sauerstoff versorgt und dies führt dann auch zu Denk- und Redestörungen, zu Versprechern). Einseitiges Kommunizieren d.h. wenn nur eine Seite über das Machtmittel 'Überraschung' verfügt, kann durch antizyklisches Verhalten wettgemacht werden. Dialogisches Kommunizieren heisst deshalb auch: Beide Seiten sind berechtigt, die Überraschungsphänomene zu nutzen. Mit dem antizyklischen Verhalten wird somit auch das gegebene Ungleichgewicht etwas ausgeglichen.




Dieser Text ist gekürzt in Alpha erschienen und ist im Archiv von Alphaartikeln zu finden.
Eine Review auf diesen Artikel ist im Redeberater (hier eine gescannte Version) erschienen.

Alpha
Nachtrag vom 12. März, 2011: Ein Aus einem Artikel von Frederik Weitz:

Bei der antizyklischen Kommunikation allerdings geht es um etwas anderes: Zwar widersetzt auch sie sich dem aktuellen, im Gespräch vorherrschenden Zyklus, doch ist hier der wesentliche Effekt, mit einer vorherrschenden Stimmung oder einem vorherrschenden Thema zu brechen. Antizyklische Kommunikation ist eine Strategie, um (schwierige) Dialoge zu lenken.

Der Kommunikationsberater Marcus Knill gibt hier einige unsystematische Beispiele. So schreibt er, dass ein Chirurg im Operationssaal trotz Zeitdruck und Hektik Ruhe bewahrt. Diese Ruhe ist natürlich wichtig, damit er keinen Tunnelblick bekommt. Und seinen Mitarbeitern ist er damit Vorbild.

Vorsichtiger sollte man mit der Empfehlung umgehen, einen überfreundlichen Gesprächspartner mit einer rauen Kommunikation zu attackieren. Es mag zwar sein, dass diese süssliche Verhaltensweise auf Falschheit oder Kriechertum oder was auch immer hinweist, doch ist ein aggressiver Gegendruck nicht automatisch eine Lösung dieses Problems. Trotzdem kann dies dann sinnvoll sein, wenn man jemanden aus der Reserve locken möchte. Auf andere Emotionen ausweichen

Grundsätzlich kann man aber eine Empfehlung aussprechen: Weichen Sie bewusst auf andere Emotionen aus, wenn Ihnen die aktuelle Stimmung im Gespräch nicht gefällt. Hierzu kann man zwei weitere Regeln anhand des Emotionsmodells von Plutchik formulieren: Plutchik setzt bestimmte basale Emotionen als Nachbarn. So sind etwa die Nachbarn des Gefühls "Erwartung" die Freude und der Ärger. Der Ärger hat neben der Erwartung als weiteren Nachbarn den Ekel und die Freude wiederum das Vertrauen. Wollen Sie einen Kommunikationszyklus unterbrechen, weichen Sie günstigerweise auf die nächsten oder übernächsten Nachbarn aus.

Die zweite Empfehlung lautet: Dämpfen Sie die Emotion. Jedes Gefühl kann, laut Plutchik, in verschiedenen Intensitätsgraden vorliegen. Ist Ihr Gesprächspartner gerade in einer selbstverliebten Hochstimmung, können sie auf die Emotion der Furcht ausweichen, allerdings nicht in ihrer starken, sondern eher in der schwachen Form, als Beunruhigung. Dadurch bringen Sie Ihren Gesprächspartner oft dazu, mit Ihnen zu argumentieren, Ihnen die Beunruhigung auszureden. Doch Vorsicht! Jeder Mensch reagiert anders. Es gibt zwar übliche Reaktionsmuster, aber üblich heisst nur, dass sie statistisch gesehen besonders häufig vorkommen, nicht, dass ein einzelner Mensch auf übliche Weise reagiert. Hier ist Sensibilität gefragt!






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