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www.rhetorik.ch aktuell: (ab 3. Jan. 2003)

Medien und Intimsphäre

Einblicke in den Gerüchtejournalismus.


Schröder stoppt erneut Medienberichte.

Wir haben verschiedentlich gesehen, dass man Medien gegenüber nicht völlig machtlos ist. Zwei gegensätzlich Beispiele von Verhalten in Bagatellfragen passierten im letzten Jahr:
Beide Stategieen waren erfolgreich.
  • Gerichtliche Interventionen in Bagatellfragen können kontraproduktiv sein, wenn durch die Intervention die Angelegenheit erst recht verbreitet wird.
  • Konsequentes Durchgreifen wie in Schröders Fall hatte auch einen positiven Effekt. Während des Wahlkampfes war das Thema der angeblich gefärbten Haare endgültig vom Tisch. Der "Schuss vor den Bug" in einer Bagatellsache machte die Boulevardjournalisten vorsichtiger.
Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nun erneut juristisch gegen Medienberichte über sein Privatleben vorgegangen. Er hatte wiederum Erfolg. Diesmal konnte er Berichte über angebliche Eheprobleme mit einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Berlin stoppen.
Es betraf einen Artikel der "Märkischen Oderzeitung" über angebliche Eheprobleme.
Der Artikel enthielt Gerüchte aus dem Privatleben Schröders. Die Intimsphäre des Kanzlers sei verletzt worden und daher dürfe der Artikel nicht mehr verbreitet werden.
Laut "Focus" hat Schröder beim Landgericht versichert, es habe keinen lautstarken Ehekrach darüber gegeben, "dass ich der gemeinsamen Wohnung in Hannover öfter fern bleibe, als es die dienstlichen Verpflichtungen erfordern und mein Nachtquartier schon mal anderswo in der niedersächsischen Landeshauptstadt aufschlage."
Auch dieses konsequente Eingreifen wird bestimmt nachhaltige Auswirkungen bei den Medienschaffenden haben. Journalisten werden künftighin vorsichtiger sein.
Im Fall Schröder wehrte sich zwar die betreffende Zeitung gegen diese einstweilige Verfügung und legte umgehend Einspruch ein. Es wird damit zu einem Prozess kommen. Der Kanzler will sich bis zum Prozesstermin zu dieser Geschichte nicht äussern (Der Prozess ist für den 21. Januar, 12 Uhr, im Saal 143 des Berliner Landgerichtes anberaumt.) Die Geschichte ist somit noch nicht vom Tisch. Bereits griffen andere Medien den Wirbel um Schröders Privatleben auf. Der Berliner "Tagesspiegel" schrieb: "Die Quelle, aus der die Gerüchte sprudeln, wird nicht versiegen. Schröder ist nicht völlig unschuldig. Er hat als erster Spitzenpolitiker seine familiären Verhältnisse als "Waffe der Politik eingesetzt."
Wir werden diese Auseinandersetzung mit Interesse weiter verfolgen. Es geht einmal mehr darum, wie sich eine Person gegen Eingriffe der Medien in die Privatsphäre wehren kann.
Auch im Fall Borer haben wir gesehen: Der Botschafter hätte sich viel früher gegen die Eingriffe in seine Privatsphäre wehren müssen.

Fazit: Bei Eingriffen in die Privatsphäre heisst es, unter Umständen sofort zu handeln. Nach zulangem Zuwarten kann die Lawine nicht mehr gestoppt werden.

Links zum Thema
Nachtrag vom 7. Januar 2003
Am 6. Januar berichteten deutsche Zeitungen erstmals konkreter über die angebliche Schröder-Affaire. Die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" machte die Gerüchte über eine Beziehung zwischen Schröder und einer bekannten TV-Moderatorin zum Thema. Pikant ist, dass einer der Geschäftsführer dieser Zeitung der SPD Politiker Budo Homach ist, der als Kulturminister einer der engsten Vertrauten Schröders war. Am selben Tag titelte die "Westdeutsche Zeitung" die angebliche Affaire mit der Überschrift:
"Britische Presse: Des Kanzlers neue Freundin."


Dazu veröffentlichte sie ein Foto Schröders mit der Moderatorin. Bildunterschrift: "Auch privat ein Paar?"

Beide deutschen Blätter bezogen die Beiträge aus einer Exklusivstory der britischen Sonntagszeitung "Mail of Sunday". Die Quelle dieser Geschichte ist noch nicht bekannt. Vermutet wird ein Racheakt der Exfrau Schröders, Hiltrud Schröder. Doch sie bestritt, der Sonntagszeitung je ein Interview gegeben zu haben. Die Geschichte war auch für die Boulevardpresse ein gefundenes Fressen. Sie veröffentlichten eine Fotogalerie des Ehepaars Schröder beim Turteln in vergangenen Zeiten. Aber auch die verkleinerten Titelseiten der englischen und deutschen Presse wurden abgebildet.
Nachtrag vom 8. Januar: Schröder platzt der Kragen. Provokateure sind erfreut, wenn der Provozierte die Nerven verliert. (Provozieren). Anderseits ärgern sich Provokateure, wenn die Provokation im Sande verläuft. (Siehe Affentheater.)
Gerhard Schröder schimpfte am 8. Januar nach den Vorkommnissen vor versammeltem Parteivorstand in Wiesbaden:

"Wie manche Medien mit der Privatsphäre von Politikern umgehen - mir kommt das Kotzen."

Wir fragen uns erneut, ob dieser öffentliche Wutausbruch nicht kontraproduktiv sein könnte.
Obwohl gilt:
Sage kurz und bestimmt mit deutlichen Worten.
heisst es auch:
Ruhe bewahren. Jedes Wort auf die Goldwaage legen. Keine Wutausbrüche!


Selbst wenn eine Zeitung ohne konkrete Beweise Gerüchte verbreitet. Wer diesen Grundsatz missachtet, muss sich nicht wundern, wenn plötzlich das ungehaltene Verhalten thematisiert wird, anstatt dass die Gerüchtekocher an den Pranger gestellt werden. Wir werden es noch sehen.
Nachtrag vom 11. Januar: Üble Gerüchte
Jetzt will der Kanzler die Verantwortlichen für die Berichte über die angebliche Affaire mit einer bekannten TV-Moderatorin juristisch belangen. Der Kanzleranwalt Michael Nesselhauf bestätigte, dass er Schmerzensgeld für den Bericht in der englischen "Mail of Sunday" haben will. Die Sonntagszeitung dichtete einer bekannten deutschen Moderatorin eine Affaire an, unter dem Titel: "TV-Frau könnte Kanzler den Job kosten." Das juristische Vorgehen wird damit begründet:
  • Der Artikel basiert auf Gerüchten.
  • Die Intimsphäre des Kanzler wurde schwerwiegend verletzt.
Auch deutsche Zeitungen, welche die Gerüchte weiter verbreiteten, müssen mit einer saftigen Schmerzensgeldklage rechnen. Der Essener Presseanwalt Dr. Frank Roeser rechnet mit Beträgen um 100'000 Euro.
Kommentatoren sehen hingegen die Situation in anderem Licht. Sie schreiben:

"Ausgerechnet der Medienkanzler, der das Spiel mit den Medien beherrscht, wie kein anderer vor ihm, beschwert sich jetzt so mimosenhaft, als sei er selbst stets diskret."


"Mit welchem Recht beklagt sich Gerhard Schröder? Wenn das Private von seiner Politik nicht zu trennen ist, dann darf die Öffentlichkeit auch wissen, ob er seine grossartige Frau betrügt. Ohne Doris - seiner heimlichen Vorsitzenden - wüsste der Kanzler und seine Partei nicht, was in den Familien los ist. Demnach verdient jede denkbare Veränderung volle Aufmerksamkeit."




Tatsächlich nutzte der Kanzler in der Wahlkampagne immer wieder seine Beziehung zu seiner Frau. Auf einem Plakat, auf dem das Paar zusammen abgebildet war, stand beispielsweise die Aussage des Kanzlers:

"Wie wichtig es ist, dass Frauen Kinder und Karrieren vereinbaren können, höre ich jeden Tag zu Hause."
Nachtrag vom 10. Januar: Das Kanzlergerücht wird warm behalten

Nachdem am 9. Januar Doris Schröder zutiefst verletzt wirkte, weil Ihre Ehe in den Medien öffentlich preis gegeben würde, überbot Stefan Raab im Privatfernsehen die Skala der Geschmacklosigkeit. Er veranstaltete ein Ratespiel:

"Wer könnte die angebliche Geliebte des Kanzlers sein?"


Die WAZ anderseits entschuldigte sich inzwischen beim Kanzler.

"... Es habe sich um einen bedauerlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gehandelt."


Die Boulevardpresse garnierte die Gerüchteküche mit folgender Geschichte: Titel und Text heuchelten Erbarmen mit der armen geplagten Kanzlergattin. Hierauf folgen jedoch Fakten, die implizit einen Kanzler mit grossem Frauenverschleiss zeichnen.
1991 habe Schröder gesagt: "Wäre ich nicht treu, stünde mein Haus in Flammen." Damals sei Schröder noch als Ministerpräsident mit der dritten Frau verheiratet gewesen. Nach fünf Jahren trennten sie sich. 1997 habe sich Gerhard Schröder scheiden lassen, um für die damalige Focus-Redakteurin Doris Köpf frei zu sein. "Bild" zitierte am 9. Januar mit fetten Buchstaben den Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Rolf Lauterbach, der die umstrittenen Medienberichte erstaunlicherweise verteidigte:
Nach Pressekodex sei es möglich, über Gerüchte zu berichten, solange sie als solche kenntlich gemacht würden.


Damit ist die Rechnung der Gerüchteverbreiter bereits teilweise aufgegangen. Mit jedem Bericht über das Recht oder die Unverschämtheit einer privaten Geschichte wird nämlich jedes Mal die ganze Geschichte in gekürzter Form aufgewärmt und das Kanzlerehethema bleibt auf der Traktandenliste.
Wie im Falle des Botschafters Borer besteht die Gefahr, dass ein nichtssagendes Gerücht plötzlich zum Dauerbrenner wird.


Nachtrag vom 11. Jan: Bild: "Schröder sauer auf Christiansen"
Obschon die Angelegenheit nicht zum Protokoll der Geschehnisse in der Gerüchteküche "Schröderaffaire" gehört, so beeinflusst das nachfolgende Vorkommnis trotzdem das Image des Kanzlers in dieser Phase. Im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Gerücht erlebte die Öffentlichkeit verschiedentlich einen ungehaltenen und zum Teil unbeherrschten Kanzler. Deshalb fällt die neue Geschichte auf einen ungünstigen Nährboden. Die Öffentlichkeit ist heute auf das Verhalten Schröders besonders sensibilisiert. Was ist vorgefallen?
Die Boulevardpresse zeigte an erster Stelle einen erbosten Kanzler, der von Christiansen für die Sonntags - Talksendung vom 19. Januar ausgeladen worden ist. Angeblich hatte er sich diesen Termin seit langem reserviert. Am Donnerstag hat nun der Redaktionsleiter Wolfgang Klem im Kanzleramt angerufen und erklärt, dass es so kurz vor den Wahlen in Niedersachsen keinen Einzelauftritt mehr geben könne. Hierauf reagierte das Kanzleramt empört. Der Regierungssprecher Béla Anda schrieb am 8. Januar dem Intendanten des NDR, Jobst Plog, einen geharnischten Brief und verlangte eine rasche Erklärung des Vorfalles. In der Sonntagspresse bestreitet nun die ARD, dass es je eine definitive Einladung gegeben habe. Ein Einzelauftritt sei nie vorgesehen gewesen. Es habe Gespräche gegeben über einen gemeinsamen Auftritt mit Angela Merkel. Doch das Kanzleramt habe dann aus Termingründen am 19. Januar abgesagt.
Laut ARD muss sich Sabine Christiansen über diese Bedenken hinweggesetzt haben und den Einzelauftritt im Alleingang vorgeschlagen haben. Auf Druck der Sendeleitung musste sie dann nachträglich der Absage zustimmen. Wir vertreten die Meinung: Wenn es in der Gerüchteküche brodelt und in den Medien alle Reaktionen feinsäuberlich registriert werden, wäre eine subtilere, überlegenere Reaktion angemessener. Bei Überreaktionen besteht immer die Gefahr, dass dem Provozierten plötzlich der schwarze Peter zugeschoben wird. Wir haben bei vielen Skandalierungsfällen gesehen:

Es geht oft sehr schnell und der Unschuldige wird plötzlich zum Sündenbock. Bei Gerüchten, Skandalen und Krisensituationen ist deshalb das Wichtigste:
  • Ruhig Blut bewahren!
  • Nie die Nerven verlieren!
  • Warten, Überlegen - erst dann reagieren.


Die Medien werden nämlich in der heutigen Situation das Verhalten des Kanzlers genau verfolgen. Es gibt genug Journalisten, die nur darauf warten würden, bis der Angeschossene überreagiert.

Nachtrag vom 15. Jan: Privates soll privat bleiben!
Der Medienkanzler stellte sich am 14. Januar in Berlin bei seiner traditionellen Neujahr-Pressekonferenz den Journalisten. Im Gegensatz zu Helmut Schmid, der die Journalisten (halb im Scherz und halb aus Zorn) als "Wegelagerer" bezeichnete, suchte Schröder immer wieder das Zwiegespräch mit den Vertretern der Presse. Die Schrödersche Faustformel hinsichtlich der unterschiedlichen Funktion von Politiker und Journalisten ist bekannt:

"Die einen schreiben kluge Leitartikel, die andern treffen kluge Entscheidungen."


Nach verschiedenen grundsätzlichen Gedanken über Irak, Wirtschaftswachstum, Wahlen usw. liess Schröder an der Konferenz ebenfalls durchblicken, dass ihm die Neugier der Journalisten bisweilen zu weit geht.
Obschon es während der letzten paar Tage das Medieninteresse am Gerücht der angeblichen Affaire abgeflaut war, sprach der Medienkanzler diese Thematik an der Medienkonferenz auch noch direkt an: Zu den jüngsten Spekulationen in- und ausländischer Medien über sein Privatleben sagte er:

"Auch Politiker haben ein Recht auf Privatheit!"


Der Kanzler gestand immerhin den Medien das Recht zu, über Privates zu berichten, doch betonte er:
"Es gibt kein Recht zu lügen!"


In welchen konkreten Fällen dies nach seinem Urteil geschehen sein soll, sagte er jedoch nicht.


Nachtrag vom 16. Januar: Privates in der Politik
Im Deutschen Fernsehen ARD kam in der Sendung "Panorama" die Thematik "Privates in der Politik" zur Sprache. Aufhänger wie erwartet das Schrödergerücht. Anhand alter Fernsehaufzeichnungen wurde gezeigt, dass früher auch bei Spitzenpolitiker Privates kein Thema war.
Nicht weil es damals einen Ehrenkodex gegeben hätte, sondern weil das politische Leben früher nicht privatisiert worden war. Die Medien interessierten sich damals kaum für die Kanzlergattinnen. Bei Adenauer, Brand wie auch bei Kohl standen die Partnerinnen eher im Hintergrund. Die Frauen waren in der Regel seltene Begleiterinnen. Sie waren gleichsam Dekor.
Verschiedene ältere Filmsequenzen machten aber bewusst, dass Schröder seit langem sein privates Leben politisiert hatte. Bereits seine früheren Frauen machten mit Gerhard Schröder Wahlkampf. Er inszenierte sich mit seiner Frau beim Tennisspiel. Dank "Hilu" wurde er angeblich Wahlsieger. Auch die Scheidung spielte sich öffentlich ab. Das öffentliche Glück und der Rosenkrieg wurden zu Mediengeschichten. Später, bei der ersten Kanzlerwahl wurde der Geburtstag von Doris sogar am Bildschirm mit 10 Journalisten inszeniert. Das Fernsehen filmte das Telefongespräch. Die Journalisten sangen im Chor: "Happy birthday". Und der Kanzler fragte das Filmteam nach der gestellten Szene: "Habt ihr es?"
Es ist verständlich, wenn bei grosszügiger Öffnung des privaten Lebens sich die Grenzen zwischen Politik und Privatem verschieben. Wer das politische Leben privatisiert, wer Privates den Wählern zu Füssen legt, der reisst natürliche Grenzen nieder.
Die Medien sind dann auch sofort da, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Die Geister, die man gerufen hat, wird man dann plötzlich nicht mehr los. Heute verlangt der Kanzler bekanntlich Schmerzensgeld nach der Verbreitung des Gerüchtes und man hört sogar den Begriff "Politischer Rufmord". Wenn jedoch ein Kanzler seine Frau zu oft aufs politische Parkett nimmt, so verschiebt sich damit das Interesse der Medienschaffenden und des Publikums. Der Text auf einem Transparent vor der Wahl lautete beispielsweise:

"Ich will der Doris ihren Mann seine Partei!"


Wenn eine Frau so stark ins Zentrum der Politik gerückt wird, darf man sich nicht wundern, wenn das Interesse an dieser Frau auch wächst.
Auch Scharping genoss zuerst die Offenlegung des persönlichen Glücks im Klatschblatt "Bunte".
In guten Zeiten schätzte der Politiker die Symbiose Presse - Politiker. Die Bunte stellte ein Forum zur Verfügung. Der Politiker konnte es nutzen. Die Zeitschrift ihrerseits profitierte von der exklusiven Geschichte. Doch in weniger rosigen Zeiten sind die Journalisten nach dieser Offenlegung des Privaten leider auch wieder da. Diese Zusammenhänge werden von den Medienfreudigen zu wenig berücksichtigt. Der Panoramabeitrag schloss mit dem Zitat:
Wer in der Öffentlichkeit Kegeln schiebt, muss auch damit rechnen, dass nachgezählt wird.


Nachtrag vom 17. Januar: Die Klatschpresse kostet das Gerücht weiter aus Wie zu erwarten war, erfolgte im Januar in den Boulevardmedien ein weiterer Dominoeffekt beim Schrödergerücht. Die "Neue Revue" packte die Story auf der Titelseite an:

Unter den hervorgehobenen Lettern:

Er kann die Gerüchte nicht stoppen


steht der Haupttitel:
"Darf Schröder zwei Frauen lieben?"




Obschon das Gerücht als Gerücht deklariert wird, bedienten sich die Journalisten einer raffinierten Methode, um den Lesern zu suggerieren, es könnte doch am Gerücht etwas wahr sein. Das Klatschheft arbeitete mit ausgewählten Photos die gleichsam "beweisen" sollen, dass sich "Dörchen" und der "Spatzl" heute kühler geben und nonverbal distanziert haben. Durch die Benutzung der Bildersprache laufen die Klatschjournalisten keine Gefahr, den Kanzler direkt zu beschuldigen.


Dass das Niveau in dieser Journalismussparte noch weiter sinken könnte, zeigen Klatschblattbeispiele wie der "National Enquirer", "Globe" in den USA, bei denen die Betroffenen oft nicht klagen, wohl wissend, dass aus einem schnellen Ende einer Affäre auch ein öffentlicher und peinlicher Justiz-Marathon werden kann. Fälle wie die Klage von Tom Cruise gegen Anschuldigungen, er sei schwul, sind eher selten (Cruise gewann die 100 Mio Dollar Klage).


Gefahr eines peinlichen Justiz-Marathons
Eine der von Schröder verklagten Zeitungen will nun bewirken, dass die Kanzlergattin als Zeuge vor Gericht geladen werden. Die ehemalige Journalistin Doris Schröder-Köpf könnte so bald gezwungen werden, vor Gericht auszusagen. Neben ihr sollen dann auch die Bodyguards, die den Kanzler rund um die Uhr begleiten, vor dem Gericht Stellung nehmen, wie es um die Kanzler-Ehe bestellt ist. Die Lage für den Kanzler vertrackt. Schröder muss ähnlich wie im Streit über eine Haare sehen, wie sich eine rechtliche Auseinandersetzung über leine angeblich falsche Presseberichte verselbstständigt. Um die Frage, ob das Gerücht über vermeintliche Seitensprünge des Kanzlers oder den angeblichen Streit zwischen den Schröders nun stimmt oder nicht, geht es in diesem Zwist nämlich schon lange nicht mehr. Die betroffenen verklagten Zeitungen wollen vor allem nicht akzeptieren, dass sie in ihrer Freiheit der Berichterstattung eingeschränkt werden.

Nachtrag vom 19. Januar. Nichtigkeiten statt Wichtigkeiten
Es macht den Anschein, als ob es Kanzler Schröder gelegen kommt, von wichtigen politischen Geschäften oder Problemen abzulenken. Das banale Gerücht bewegte seit Tagen die Medien. Jedenfalls wäre die Nichtigkeit längst kein Thema mehr, hätte der Kanzler nicht überreagiert. Ein ruhiges eindeutiges Verhalten (Bitte - Verletzen sie nicht meine Privatsphäre!) hätte genügt und Gerücht wäre längst vom Tisch. Falls die Medien den unmissverständlichen Hinweis nicht verstanden hätten, hätte mit Erfolg geklagt werden können. Die Überreaktion bewirkte ein Eskalation mit einer unkontrollierbaren Eigendynamik. Mit dem bevorstehenden Gerichtstermin ist die Fortsetzungsgeschichte vorprogrammiert. Die Deutsche Boulevardpresse wird dank dieser Termine wieder genügend Futter haben und kann das nichtige Thema weidlich auskosten. So werden Nichtigkeiten zu Wichtigkeiten.

Der oft zitierte Spruch des Literatur Nobelpreisträgers George Bernard Shaw passt dazu:

"Newspapers are unable, seemingly, to discriminate between a bicycle accident and the collapse of civilization."
"Die Presse vermag anscheinend nicht, zwischen einem Fahrradunfall und dem Kollaps der Zivilisation zu unterscheiden."


Auf der Suche nach neuen Brennmaterial für die Schrödergeschichte graben die Schmuddeljournalisten auch bei der ehemaligen Frau Hildrud Schröder nach. Die Bunte spekuliert, dass jene abfällig über den ehemaligen Mann geredet haben soll. Auch die Journalistin Astrid Frohloff, die unverschuldet belastet worden war, kommt zu Wort. Frohloff:
"Das Interesse an dem Privatleben der Politiker wächst und spült leider auch diese Art von Journalismus nach oben."

Fortsetzung vom 20. Januar: Wie Gerüchte zur Nachricht werden Im Kulturreport ARD des deutschen Fernsehens vom Sonntag dem 19. Januar kam ein aufschlussreicher Beitrag der aufzeigte, dass Gerüchte Konjunktur haben. Die Sendung illustrierte, wie vor allem in angelsächsischen Ländern es gang und gäbe gewesen ist, mit Gerüchten und Medien Politik zu machen. Dabei macht man sich zu Nutze, dass die Sorgfaltspflicht, Fakten abzuklären nicht mehr gilt, wenn sensationsheischende Meldungen und Vermutungen verbreitet werden.
  • Die Behauptung einer erfolgreichen Geburt eines Klonbabies wurde, obwohl unbewiesen, zu einem Medienspektakel.
  • Dass Irak geheime Waffen besitzt ist ebenfalls noch nicht bewiesen. Trotzdem wurde die Behauptung als Tatsache verbreitet.
  • Das Gerücht von Schröders Affaire mit einer Moderatorin konnte nicht nachgewiesen werden. Dennoch wurde dieses Gerücht zum Selbstläufer. Das Britische Boulevardblatt "Mail on Sunday" ging sogar noch weiter: In deutscher Sprache lud das Blatt deutsche Leser ein, bei den britischen Journalisten anzurufen, "wenn Sie irgendwelche Geschichten kennen, die Herr Schröder peinlich finden würde und die die deutsche Presse veröffentlichen sollte." Der Kommentar titelt mit "Entschuldigung, Herr Schröder, aber Sie beherrschen England nicht... zumindest noch nicht."
Schon die Antike kannte das Gerücht in der Politik. Plutrach berichtet von einem Barbier aus Piräus, der 413 vor Christus gehört haben soll, die athenische Flotte sei bei Syrakus vernichtend geschlagen worden. Der Barbier hatte diese Kunde zufällig von einem Matrosen aufgeschnappt. Ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen, rannte der aufgebrachte Barbier nach Athen und plauderte sich dort um Kopf und Kragen.

Der Gerüchteforscher Hans Joachim Neubauer betonte im Fernsehen:
Solange Unsicherheit besteht, wird das Gerücht weitergetragen. Gerüchte leben auch von Ängsten der daran teilnehmenden Leute.


Gerüchte sind deshalb so gefährlich, weil letztlich doch irgend etwas hängen bleibt.
Im Fall des Gerüchtes bei Schröder wurde das Gerücht besonders raffiniert verbreitet. Die Boulevardpresse heuchelte Anteilnahme ("Wie hält das nur Doris aus"). Auch hier hat sich gezeigt. Irgendwann wird das Gerücht zur Nachricht. Unserem Protokoll der Vorgänge zeigt, wie ein Gerücht zum Selbstläufer werden konnte. Es ist aber, wie auch die reflektierende Sendung im ARD wiederum ein Beitrag zur Thematisierung des Gerüchtes.
Im Kulturreport wurde einmal mehr darauf hingewiesen, dass der Medienkanzler mit seinen letzten beiden Frauen die Privatsphäre den Medien selbst geöffnet hat. Er wurde dadurch ein Kanzler zum Anfassen. Anderseits konnten die Medien - dank der beiden modernen aufgeschlossenen Frauen - bei vielen privaten Szenen, aber auch bei der Trennung oder der Scheidung mit dabei sein.

Fortsetzung vom 22. Januar: Kaltet die Gerüchteküche ab? Bei den Richtern erreichte Schröder am Dienstag (21. Januar) einen Teilerfolg. Die 27. Zivilkammer des Landgerichtes Berlin wusste gewiss, dass bei der Gerüchteaffaire ein Grundsatzstreit entsteht, als sie die Klage in Sachen Schröder gegen "Märkische Oderzeitung" beurteilen musste:

  • Wo beginnt der Schutz des Privaten?
  • Wieviel wiegt die Pressefreiheit?


Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine Frau Doris liessen sich durch den Hamburger Anwalt Michael Nesselhauf vertreten. Er hatte gegen die Märkische Oderzeitung" ("MOZ") die in Ulm erscheinende "Südwestpresse", sowie den Journalisten Gunther Hartwig einstweilige Verfügungen erwirkt. Für die Richter gibt es kein öffentliches Interesse an Gerüchten.
Das Gericht entschied scharf: Dem Journalisten wird untersagt, die Behauptung (Gerücht) zu wiederholen. Richter Mauck meinte zudem: "Das Schlimmste ist, wenn ein Gerücht weiterverbreitet wird. Mit Gerüchten kann man jeden totschlagen!"


Einige Kommentatoren der deutschen Lokalzeitungen fanden, der Bogen sei tatsächlich überspannt worden, wenn Korrespondenten von "Klatsch" und "Geraune" berichten und so das Gerücht zum Inhalt machen. Es wurde anderseits auch darauf hingewiesen, dass die Welt der Medien auch immer eine Welt der Spekulationen bleibt und Journalisten davon leben, dass sie in die Geräuschkulisse einer Hauptstadt hineinhorchen und Auffälligkeiten herausfiltern. Die betroffenen Zeitung lässt nach dem jüngsten Urteil nicht locker. Es wird eine "Hauptsache", das heisst ein Verfahren mit Zeugen angestrebt. Damit ist noch nicht garantiert, dass die Gerüchteküche rasch abkaltet.
Nachtrag vom 28. Januar 2003, Happy-End?
Beim Landespresseball in Hannover kehren Gerhard Schröder und seine Frau vor den Medien ins Land der frisch Verliebten zurück. Sie herzten, küssten und tuschelten. Schröder - sonst als Tanzmuffel verschrieen - wagte sogar zwei Tänzchen. Als eine Traube von Journalisten und Fotografen Frau Schröder bedrängen wollten, legte der Kanzler den Arm auf ihre Schultern und zog sie aus der Menge. Begleitet mit einem Lächeln und einem freundlichen: "Oh, Danke". Der Auftritt fand in der Boulevardpresse ein Echo.
Wir vertraten seit je die Meinung, dass der Umgang mit Medien gelernt sein will. Ob die Leser dieser Medien den Auftritt als echt, oder inszenierter Befreiungschlag betrachten wird sich noch herausstellen müssen. Es ist aber durchaus denkbar, dass sich das Medienkanzlerehepaar mit diesem offensiven Auftritt aus der Gerüchteküche wegtanzen konnte. Damit hätte die Story ein Happy-End gefunden.
Nachtrag vom 2. Febr: Hiltrud Schröder verteidigt sich.
Nach "Spiegel" nützt Schröders ehemalige Frau Hiltrud jede Gelegenheit, um den Verdacht zu zerstreuen, sie habe die Gerüchte über die Ehekrise des Bundeskanzlers verbreitet.

In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" lästert sie über die "Klage-Orgien" aus dem Kanzleramt. "Es gibt Wichtigeres, als Färben, Tönen, Fönen. Wen interessiert das?" Dann ergänzte sie noch: " Das ist Sache Gerhard Schröders. "Wenn er Spass daran hat, etwas für die Rechtsfindung zu tun - bitte sehr."
Hiltrud Schröder zeigt für die Empfindlichkeit gegenüber einer aufdringlichen Presse wenig Verständnis. Politiker trügen selbst mehr oder weniger Privates in die Öffentlichkeit.

"Da darf man sich nicht beschweren oder von Kampagnen-Journalismus sprechen, wenn einem auch einmal ein Härchen gekrümmt wird."


Sie selbst fühlte sich jedoch von den Presseleuten auch wenig fair behandelt. Der "Mail of Sunday" warf sie vor, das Interview mit ihr sei frei erfunden. Allerdings hätte sie in einfaches Gespräch über einen Fototermin geführt, aber dies sei kein Interview gewesen.
"Egal, ob das, was da steht, richtig oder falsch ist oder richtig oder falsch wiedergegeben ist."

Kampagnenjournalismus ist leichter zu ignorieren, wenn man nicht selbst betroffen ist.


Nachtrag vom 5. Februar: Schröders Ehe vor Gericht?
Wie schon oben am 22. Januar erwähnt, sieht es so aus, als würde der Streit um die Schrödersche Ehe juristisch eine Runde weitergeführt. Der Kanzler hatte der "Märkischen Oderzeitung" die Verbreitung von Gerüchten über seine Ehe verbieten lassen, worauf sich die Zeitung wehrte. Nach dem Landgericht Hamburg wurde auch dem britischen Blatt "Mail of Sunday" für weitere Berichterstattungen ein Ordnungsgeld von 250'000 Euro angedroht. Auch diese Zeitung trotzte wobei natürlich auch der Nationale Stolz eine Rolle spielte:
"Wir sind ein britisches Blatt und stehen nicht unter deutschen Recht.
Chefredaktor Wright:
"Herr Schröder ist ein wichtiger Staatsmann. Wir glauben, es ist rechtens, dass unsere Leser vollständig über Angelegenheiten informiert werden, die seine Kanzlerschaft beeinflussen."
Johannes Weberling, der die "Märkische Zeitung" vor Gericht vertreten wird rechtfertigte sich vor der Presse ähnlich:
"Schröder hat wie kein anderer Politiker in diesem Lande seine Privatsphäre zum Thema der öffentlichen Berichterstattung gemacht. Beim Landgericht Berlin werde ich Frau Schröder-Köpf und alle Bodyguards als Zeugen benennen. Frau Schröder-Köpf kann im Zeugenstand am besten erklären, wie es um ihre Ehre bestellt ist. Und die Bodyguards können erklären, wo sich der Kanzler aufhielt, während er in Hannover weilte."
Die Zeugen sollen vereidigt werden. Die Sache könnte abstrus werden wenn Frau Schröder-Köpf eine öffentliche Erklärung abgeben müsste wie zum Beispiel unter Eid bestätigen:
"Er übernachtete bei mir und wir sind glücklich dabei."
Schröders Vorgehen ist umstritten. Politische Beobachter in Berlin meinen, dass der Kanzler durch juristische Klagen der Berichterstattung über seine Ehe der Geschichte selbst immer wieder neue Nahrung gegeben hat. Die "Zeit" stellte fest:
"...hier verliert einer augenfällig die Souveränität über sein Image, hier wird ein Kontrollverlust vorgeführt, ein Schröder, der tobt, der Advokaten loslässt, gegen Unbekannt die Moralkeule schwingt und trotzdem sein Haus nicht ruhig kriegt."
Das Boulevardheft "Neue Revue" wärmt die Gerüchte auf besonders geschickte Art auf. Sie beschäftigt sich aus Distanz mit der bevorstehenden Auseinandersetzung vor Gericht. Photos zeigen das Schröder Paar von der besten Seite. Im Text
"Alle sollen sehen: Wir sind ja so glücklich."
wird aber implizit unterstellt, dass das Ganze inszeniert sei.

Zwischenbilanz: Während Zensur und Maulkörbe heikel sind, ist bei eindeutiger Missachtung von Vereinbarungen oder Rechten ein Prozessieren sicherlich angebracht. Aber alte Weisheiten wie
Schiesse nicht mit Kanonen auf Spatzen Weshalb unnötigerweise Hasen aufscheuchen?

haben auch ihre Gütigkeit. Die Kunst des geschickten Verhaltens liegt darin, situationsgerechtes Handeln zuerst gut zu überlegen. Es wird interessant sein, zu sehen, wie im April die Endbilanz in Schröders juristisches Kampf gegen die Gerüchtekampagne aussehen wird.

Nachtrag vom 8. Februar: Klage eingelegt.
Der Anwalt des Kanzlers hat am 7. Februar am Berliner Landgericht Klage gegen die "Märkische Verlags- und Druckhaus GmbH" eingelegt. Der Prozess ist für den 8. April vorgesehen.
Das Landgericht hatte im Januar eine einstweilige Verfügung gegen einen Journalisten bestätigt, der in der "Märkischen Oderzeitung" Gerüchte über einen angeblichen Ehestreit zwischen Schröder und seiner Frau verbreitet hatte.
Nach dem Urteil gegen den Journalisten hatte Schröders Anwalt Unterlassungsklage gegen die Zeitung angekündigt. In dem Verfahren müsse das Blatt darlegen, dass ihre Berichterstattung richtig sei. "Sie kann dabei nicht das Ehepaar Schröder als Zeugen laden, sondern muss die Beweise für die Richtigkeit aus eigener Kraft erbringen".
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