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www.rhetorik.ch aktuell: (1. August, 2002)


Provokative 1. Augustfeier?



Das Theater zur Bundesfeier an der Expo war als Provokation geplant: Stichworte wie Schweizerfahnenfreie Zone, letzte Augustfeier oder kopulierende Affen lieferten einen guten Reklame-Nährboden im Vorfeld der Feier. Der Sturm der Entrüstung beim Theater selbst blieb jedoch aus. Die Geschichte illustriert:
Affe provoziert Provokateure sind frustriert,
wenn niemand auf die Provokation reagiert.



Theatergruppe 300asa Das Regisseur-Duo Samuel Schwarz/Lukas Bärfuss von der Theatergruppe "400asa" hatte für die 1. Augustfeier an der EXPO eine anti-notionalistische, anti-rassisitische und anti-sexistische Veranstaltung angekündigt. Samuel Schwarz

Obschon die Proben für die "Feier" wie bei einem Staatsgeheimnis abgeschirmt worden waren, gab es im Vorfeld bereits empörte Leserbriefe. Der Grund der Empörung war, dass die Regisseure keine Schweizerfahnen duldeten. Laut Schwarz soll bewiesen werden, dass
"Schweizersein nur ein Verwaltungsakt ist".
Bonobo in Missionarstellung Im Theaterstück "august02-août02-agosto02-avust" wird eine Gruppe von Schweizern von einem Professor in Bonobo-Affen verwandelt. Der Grund für die Primatenwahl: Diese Schimpansen praktizieren als einzige Menschenaffen die Missionarstellung und küssen auch gerne. Diese Affen seien auch bekannt dafür, ihre Streitigkeiten mit Sex zu schlichten. "Ähnlich wie beim Menschen", so die Theaterautoren.
Der Professor will dann herausfinden, ob die fünf tatsächlich Schweizer sind. Trotz aller Provokation soll am Schluss die Landeshymne erklingen.
Bonobo in Missionarstellung

Bonobo Affe ist provoziert Die Öffentlichkeitsprovokation mit dem "Affentheater" hatte Erfolg. Sie bewirkte Aufmerksamkeit. Die Medien schrieben wacker darüber. Entsetzt wurde zum Beispiel von den Äusserungen der Regisseure Kenntnis genommen, dass der 1. August überflüssig sei und dass dies in Biel der letzte 1. August gewesen sei, den die Schweizer veranstalten sollten. Franz Steinegger, der Leiter der Expo 02 sah sich die Probe persönlich an und befand:

"Ich bin zum Schluss gekommen, dass das, was die beiden sagen wollen, nicht anders gesagt werden kann."


Auch Gottfried Keller habe im "Grünen Heinrich" ein Pferd sprechen lassen, als es um die nationale Identität ging. Er könne deshalb nichts gegen dieses Stilmittel haben.

Bonobo ist provoziert

Bonobo Affen Sex
"Wir haben kein Interesse, uns Freunde zu machen. Wir wollen lieber unangenehme Fragen stellen und die Beziehung belasten, soweit sie zu belasten sind."


erklärte der Regisseur Bärfuss in der "WoZ". Die Aussagen Steineggers und die Antworten Bärfuss sind für uns rhetorisch recht aufschlussreich:
Steinegger, die Politikersprache nutzend, fand, es könne nicht anders gesagt werden. Damit sagt er auch: Sie können es nicht besser (sagen). Die Antworten Bärfusss impliziert, dass die Vorführung anecken wollte. Der Ärger war gewollt und die Provokation war ein Stilmittel.
Bonobo affen spielen

Bundesrat Schmid und Franz Steinegger Die offizielle Reaktion der Regierung war entsprechend verhalten: Martin Bühler VBS Sprecher meinte, nachdem er sich die Probe angesehen hatte, er habe seinen Chef über das Bühnenstück informiert. Bundesrat Schmid habe den Inhalt zur Kenntnis genommen. Er könne sich aber nicht erinnern, ob er geschmunzelt habe oder nicht." Entgegen der Ankündigung konnte das Gelände der Landesausstellung nicht wie geplant - als "Schweizerfahnen-freie Zone" durchgesetzt werden. Die Besucher brachten selbst genügend Fahnen mit. Zudem wurde an einer roten Wand im letzten Moment am 1. August doch noch ein weisses Kreuz montiert. Auch Bunderat Schmid sprach hinter einer Schweizerfahne. Faehnlein der sieben Aufrechten
Bonobo Affe am Spielen Das vieldiskutierte Stück "august02-août02-agosto02-avust" wurde nicht zum Skandal. Wer moderne Theateraufführungen gesehen hat, sah und hörte bislang weit mehr als kopulierende Affen und Verbalentgleisungen. Das Spiel an den Genitalien und anzügliche billige Witze reicht allein nicht, um Zuschauer an den Bildschirm zu fesseln. Bonobo Affe am Spielen
Expo-Präsident Steinegger fiel es aber sichtlich schwer, den Sinn des "Affentheaters" an der Tagesschau des Schweizer Fernsehens zu begründen Das Stück wolle zeigen, dass alle Menschen gleich sind. Schweizer oder Ausländer. Schweizer sein bedeute nichts Besonderes. Wir sind eigentlich nur Schweizer, weil wir einen Schweizer Pass hätten.
Bonobo Affe denkt nach An einer Landesausstellung darf ein Theaterstück sicherlich Aspekte des eigenen Landes auf unkonventionelle Art beleuchten und auch zum Nachdenken anregen. Es würde uns aber interessieren, wieviele Fernsehkonsumenten dieses langatmige Stück mitverfolgt haben und nachträglich bei der Frage -

+ Was ist ein Schweizer? +


- weiter gekommen sind.
Was ist ein Schweizer?
Bonobo Affe Das Theater zeigt, dass bei kulturellen Veranstaltungen eine Regel des adressatengerechten Kommunizierens nicht berücksichtigt werden muss:

Falls das Publikum eine Aussage nicht versteht, so ist der Sender schuld.

Bonobo Affe
Bonobo Affen - etwas gelangweilt Die Kulturkritiker beurteilten das angeblich provokative Theaterstück mit der Gruppe von Schweizeraffen mehrheitlich als langatmig und aussageschwach. Das Statement von Martin Heller, das Stück sei vor allem für intelligente Leute gedacht, hielt Kritiker nicht davon ab, nachträglich von einem unverständlichen Stück zu schreiben. Journalisten aus der Westschweiz kritisierten die sprachliche Deutschlastigkeit des Stückes. Andere beklagten sich über langwierige Elemente im Mittelteil. Bei einem Budget von 450'000 Franken habe man etwas mehr erwarten können als eine gehobenere Jungwachtaufführung. Andere fanden, dass Provokation nicht programmierbar sei, die Botschaft zu plakativ vermittelt worden sei und Überraschungen ausgeblieben seien. Die Regisseure hätten es nicht geschafft, einerseits eine Fernsehshow zu imitieren und gleichzeitig noch ein Theaterstück mit Tiefgang zu schaffen. Selbst Expodirektor Steinegger, der vor der Aufführung alles unternommen hatte, um das Publikum für die erwartete Provokation einzustimmen, fand nachträglich, die Kernaussage sei aus seiner Sicht zu wenig zum Tragen gekommen. Bonobo Affe - mehr als gelangweilt
Bonobo Affe - etwas gelangweilt Der Applaus nach der Aufführung war auch eher verhalten. Die zahlreichen Reizfiguren, der Telegrammstil und die Gleichförmigkeit bei der Behandlung der Kern - Thematik "auch ein 'sans papier' ist von einem Schweizer nicht zu unterscheiden" vermochten keine Stürme der Empörung heraufzubeschwören.
Die Provokation warf keine Wellen. Eine Schocktherapie fehlte. Die Theatermacher hätten statt Applaus lieber einen Eclat gehabt, ein Publikum, das die Vorführung verlässt. Provokateure haben in einer Umgebung der Toleranz schwere Zeiten. Es fehlte der alte Geist des EMD - Informationschefs Mörgeli, der selbst Märchen zensurieren wollte. Mörgeli hätte wahrscheinlich an der Expo ein Aufführungsverbot beantragt und das "Theater" wäre nachträglich ein voller Erfolg geworden.
Bonobo Affe - schlafend
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