Bieber Fieber
Rhetorik.ch Artikel zum Thema: |
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Das Justin Bieber grassiert in Zürich. Der 15 jährige
Justin Bieber stellt auf Twitter selbst Lady Gaga in den
Schatten. Der Film
auf Youtube
wurde bisher über eine halbe Milliarde mal geschaut.
Ein anderer
Remix punkt mit
150 Millionen Views.
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Aus der Ostsee Zeitung:
(...)
Entrücktes Gekreische. Mädchen, die auf die Bühne springen,
um Musikern das Hemd vom Leib zu reissen. "Ausgeflippte Teenanger",
fasste Peter Kraus zusammen. Man kannte das aus den USA, von Elvis und
Bill Haley. 1956 schwappte das Phänomen nach Deutschland. Und der
17-jährige Münchner Krausnecker wurde zum "Teenie-Idol".
In der Sache selbst hat sich seitdem wenig geändert. Ein Foto
in der Zeitung - schon morgens hüpft das Herz in den Hals,
schlägt bis zu den roten Ohren. Ein Konzerttermin legt Glanz
über öde Schulwochen. Vorfreude, wie sie zuvor allenfalls
Weihnachten zustande brachte. Nicht alle Vorbilder sind - siehe
"Rüpelrapper" (Hauptproblem Fäkalsprache) oder "Rebellen"
(Hauptproblem Drogen) - in allen Aspekten gut, aber sie beweisen
uns, was in uns steckt. Der Elan, mit dem wir Dänisch lernen,
weil der Lieblingsfussballer Däne ist, oder - wie im Fall der
Tokio-Hotel-verrückten Französinnen - Deutsch, um mitsingen
zu können. Oder unser Impuls, Gitarre spielen zu wollen, obwohl wir
seit dem Blockflöten-Drama eigentlich durch waren mit Musikschule.
Psychologen trennen die Begriffe Star und Idol, denn während man
einen Star gut finden kann, ohne gleich wie er sein, aussehen oder
ein Kind von ihm haben zu wollen, geht die Identifikation beim Idol
darüber hinaus.
Einerseits vermuten wir, dass uns derselbe
Haarschnitt - aktuell wäre das die "Bieber-Friese", die der
Sänger selbst, oh Schreck, jüngst abgelegt hat - uns der
Gedankenwelt unseres Idols näherbringt. Gleichzeitig wollen wir
uns abgrenzen, indem wir zeigen, zu wem wir "wirklich" gehören,
wenn wir es uns aussuchen können (denn Eltern und Geschwister
aussuchen geht ja nicht). "Es gehört zum Jugendalter, sich auch
Orientierung ausserhalb des Elternhauses zu suchen", betont Eveline von
Arx, die bis 2008 das Dr.-Sommer-Team der "Bravo" leitete.
Orientierung hört sich für Elternohren akzeptabel an. Doch
geht das meist mit Fanatismus einher. "Anhänger von Idolen weisen
erstaunliche Parallelen zu religiösen Eiferern auf", heisst es
in einem wissenschaftlichen Aufsatz. "Sektenähnlich" seien ihre
Fanclubs.
Joey McIntyre hat diese Hysterie als "animalisch" beschrieben. Seine Band
mit den legendären, heute nichtssagenden Anfangsbuchstaben NKOTB
löste 1990 weltweit Schreikrämpfe aus. Die Liebe der Fans
für die New Kids on the Block erinnerte stark an die Beatle-Mania
der 60er Jahre.
Wo immer die Band auftauchte, so ist es für zu spät
Geborene im Netz nachzulesen, versteckten Fans sich in Abfalleimern,
Schmutzwäschestapeln oder Lastenaufzügen, warfen sich auf die
Kühlerhauben der Band-Limousinen, bissen sich in der Kleidung der
fünf Musiker fest, rissen Rasenstücke als Souvenir aus den
Gärten ihrer Häuser.
Der Fanclub soll täglich 30 000 Briefe erhalten haben, eine Milliarde
Dollar brachte 1990 der Verkauf von T-Shirts, Bettwäsche und Postern
ein. Es war der Beginn der Ära der Boybands, die seither als Take
That, Backstreet Boys oder US5 perfekte Projektionsflächen bieten.
Dass man es als Babyface bei den jungen Damen leicht hat, wusste schon
Peter Kraus. Und es funktioniert immer wieder, schliesslich liegt die
Halbwertszeit eines Teenie-Idols bei fünf Jahren, schätzt der
Hamburger Sozialpsychologe Erich Witte. Dann wachsen Jugendliche nach,
denen der Sinn nach etwas Neuem steht. Das muss nicht zwangsläufig
revolutionär daherkommen, wie das Beispiel Robert Pattinson
zeigt. Der Film-Vampir profitiert vom moralisch gefestigten Charakter
seiner "Twilight"-Figur Edward - Romantik pur statt "Generation Porno".
Tragische Idole wie James Dean oder Nirvana-Sänger Kurt Cobain
vereinen in sich den Weltschmerz der Jugend. Konservative Idole wie Boris
Becker dagegen behaupten sich "vorbildlich" in der Leistungsgesellschaft.
Jeder, wie er`s braucht. So lange er`s braucht.
Wenn es vorbei ist, ist das meist unwiderruflich. Aber nicht immer. Als
NKOTB 2008 ihr Comeback verkündeten, brach ihre Webseite unter
dem Ansturm mittlerweile gut 30-Jähriger Frauen zusammen. "Ich
fühle mich wie 14", gaben diese bei den Konzerten zu Protokoll und
wirkten glücklich.
Da ein Comeback von Pierre Brice oder Abba jedoch unwahrscheinlich
ist: Geben Sie dem Justin-Bieber-Film eine Chance. Er hat sogar den
"Spiegel"-Kritiker zu Tränen gerührt - einen Mann.
Annika Reichardt
Nachtrag vom 10. April, 2011:
Aus dem Sonntagsblick:
Eine lustige Szene auf
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