|
Obwohl im Alltag die Aversion gegenüber Kritik dominiert, gilt zu
bedenken: Dank Kritik kommt es zu Verbesserungen.
Dieser Artikel ist in "Schulpraxis 3/2005" erschienen.
|
Kurz vor dem Abschluss einer Teamsitzung verlangt Roland Müller
das Wort:
"Am letzten Meeting war ich nicht anwesend. Nun habe ich
gehört, dass René behauptet hat, ich sei schon das zweite
Mal unentschuldigt ferngeblieben. Es gefällt mir gar nicht, wenn
in unserem Team Kollegen blossgestellt werden, ohne dass vorher die
Sachverhalte geklärt sind!"
|
Müllers Kritik veranschaulicht,
welche Prinzipien beim Kritisieren wichtig sind und welche Fehler in
der Praxis häufig gemacht werden:
1. Prinzip: Das "Vier-Augen-Gespräch"
Persönliche Kritik sollte immer zunächst unter vier
Augen erfolgen. Hätte Roland Müller mit René einen
Termin vereinbart und ihn unter vier Augen kritisiert, wäre der nicht an der Sitzung
blossgestellt worden. Der Glaube ist verankert: "Wäsche muss
gemeinsam gewaschen werden." Nach der Devise: Ich kritisiere offen! Diese
angeblich "offene" Kritik wird von vielen geschätzt. Denn sie
hat Unterhaltungswert. Schadenfreudige können verfolgen, wie der
Kritisierte errötet und sein Gesicht verliert.
2. Prinzip: Kritik ohne Umschweife konkret auf Punkt bringen
Im 4-Augen Gespräch hätte Roland Müller beispielsweise sagen
können: "Du sollst an der letzten Sitzung gesagt haben, ich sei
schon das zweite Mal unentschuldigt ferngeblieben." Damit wüsste
René, um was es geht. Er könnte nun den Sachverhalt ins
richtige Licht rücken.
Was wir beim Kritisieren beachten müssen: Vor jedem
Kritikgespräch benötigen wir einen positiven Einstieg
(Anwärmphase, die nicht gespielt ist). Die Beziehungsebene muss
beim Kritisieren stimmen, weil Kritik nur dann akzeptiert wird, wenn
die Stimmung stimmt. Deshalb sind bei Kritikgesprächen das Wie
(Körpersprache) und unsere Stimme enorm wichtig. Sachverhalte
müssen möglichst rasch konkret und unmissverständlich
auf den Punkt gebracht werden, nämlich: Beschreibend
nie wertend, verurteilend oder anklagend. Kritik wird leider meist mit solchen
Formulierungen vorgebracht:
"Du René, ich möchte Dir etwas sagen.
Aber bitte nimm es nicht persönlich. Es geht um Etwas,
das Du an der letzten Sitzung über mich gesagt hast. Du weisst
schon, worum es geht. Also, ich finde es eigentlich nicht so gut, wenn
Du immer über andere Sachen erzählst, die nicht stimmen. Ich
würde es schätzen, wenn Du nicht so unkolle- gial wärst
und..."
|
Meist wird auf ähnliche Art und Weise um den "Brei herum" geredet.
Man möchte den Kritisierten schonen und ist sich nicht bewusst:
Vage, mehrdeutige Aussa- gen, Verallgemeinerungen und Interpretatio- nen
führen bei Kritikgesprächen zwangsläufig zu Eskalationen
und zu Missverständnissen!
3. Prinzip: Selbstkritik hat Priorität!
Nachdem die Fakten des
Kritikpunktes konkret beschrieben worden sind (eigene Wahrnehmung,
Feststellung), muss der Kritisierte Gelegenheit erhalten, seine Sicht
der Dinge ausführlich darzulegen. Wichtig: Der Kritiker muss in
dieser Phase aktiv zuhören und darf nicht unterbrechen. Er sollte
vor allem zusammenfassen, spiegeln oder bestätigen.
Beim Kritisieren gilt:
- Im Gegensatz zur destruktiven Kritik
(Kritik als Selbstzweck oder Kritik, die das Gegenüber demontiert)
bezweckt die aufbauende Kritik stets eine Verbesserung.
- Ein natürlicher und freundlicher Ton ist beim Kritisieren
oft viel wichtiger als die Formulierung.
- Fragen statt sagen (klären)
Häufige Fehler
- Der Kritisierte
wird mit Anderen verglichen. (Kontrastfehler).
- Erfahrungen oder
erworbene Persönlichkeitstheorien führen
zu Vorurteilen (Stereotype).
- Alte Beurteilungen oder die Kenntnis fremder Urteile (Zeugnisse)
prägen den Kritiker und beeinflussen seine Beobachtungen und
die Gesamtbeurteilung (Korrekturfehler).
- Negatives wird zu stark gewichtet (Gewichtungsfehler).
- Entspricht eine Person oder ein Argument der Gesinnung der Führung
(Einstellung, Verhalten), wird sie weniger hart kritisiert
(Ähnlichkeitseffekt).
Fazit
- Das erste Gebot gesellschaflichen Umgangs sollte künftig nicht
mehr lauten: "Du sollt nicht kritisieren!" Sondern: "Deine Kritik soll
aufbauen helfen."
- Alle kritisieren gerne (nicht nur Journalisten und Lehrkräfte)!
- Schon "François de La Rochefoucault" fand: "Hätten wir selbst
keine Fehler, machte es uns nicht so viel Vergnügen, bei anderen
solche zu bemerken"
- Wer kritisiert, sollte zudem beherzigen: Wer mit einem Finger auf andere
zeigt, zielt mit den drei Fingern gleichzeitig auf sich selbst und sagt
damit recht viel über sich aus.
|
Marcus Knill Kommunikationsexperte, Coach und Supervisor.
Er machte sich vor allem als Buchautor, Publizist und mit seinem
virtuellen Lehrbuch www.rhetorik.ch> einen Namen. Seit Jahren bildet er auch
Lehrkräfte und Behördemitglieder weiter. Knill ist Ombudsmann
der Kantonsschule Schaffhausen.
|
|