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www.rhetorik.ch aktuell: (17. Mai, 2005)

Echt oder Posse?



Der Auftritt vermummter Polizisten im Zusammenhang vor der Schengenabstimmung führte zu einem besonderen Medienwirbel. Die Dramaturgie entspricht genau dem, was die Medien wünschen:

  • Vermummte Polizisten vor dem Bildschirm ist etwas Aussergewöhnliches nach dem Muster "Mann beisst Hund". Bis anhin traten in der Regel nur militante Demonstranten (trotz Vermummungsverbot) maskiert auf. Nun sollen es ausgerechnet Ordnungshüter gewesen sein, die sonst für die Einhaltung von Spielregeln eingesetzt werden. Das ist Futter für die Medien! Die Geschichte sprengt die Norm.
  • In den Medien folgte auf die ersten Artikel postwendend eine Gegenmeldung, mit der Behauptung, die Sache sei eine gezinkter Gag der Schengengegner. Damit war die Fortsetzungsgeschichte erneut programmiert und konnte weiter "gekocht" werden.
  • Hierauf folgte wieder eine Gegenmeldung. Nun wurden noch die letzten schlafenden Hunde geweckt. Die Geschichte wird damit im Langzeitgedächtnis verankert.


Damit lag fest: Die Angelegenheit ist als Mediengeschichte zum ernsthaften Politikum geworden. Das Thema wurde verankert. Kein Journalist wird die Geschichte totschweigen können. Wir haben verschiedentlich auf folgendes Phänomen hingewiesen:

Will jemand in die Medien kommen, so muss er nur etwas Ungewöhnliches tun. So kann man beispielsweise provozieren.


Künstler, Autoren und Filmemacher kennen dieses Phänomen bestens: Wichtig ist, man wird zur Mediengeschichte. Auch Negativmeldungen können bekanntlich werbewirksam sein. Für die Schengengegner wird die Polizistengeschichte so oder so als Erfolg abgebucht werden können. Die Leser erfuhren nämlich, dass die Grenzwächter und die Polizisten in keiner Basisbefragung gefragt worden waren, was sie zu Schengen meinen. In der Argumentation der Befürworter wurde jedoch stets betont: Die Zöller und Polizisten befürworten den Schengenvertrag. Sie müssen es doch wissen, dass es eine gute Sache ist.

Am 17. Mai war in der "Basler Zeitung" zu lesen: "Die beiden vermummten Polizisten, die letzten Freitag an einer Pressekonferenz von Schengen-Gegnern aufgetreten sind, waren echt. Dies behauptet das Komitee "Polizei gegen Schengen", nachdem am Wochenende Zweifel aufgekommen waren. Es habe sich um zwei aktive Kantonspolizisten aus je einem Grenzkanton der Deutschschweiz und der Romandie mit 10 bzw. 30 Dienstjahren gehandelt, teilte das Komitee am Dienstag mit. Die beiden Beamten hätten lieber frei gesprochen, statt stumm und vermummt nur Folien zu präsentieren. Das Komitee wehrt sich auch gegen Behauptungen, es sei von der SVP oder der AUNS inszeniert. Dem Verein gehörten viele Beamte ohne Parteimitgliedschaft an. Andere Gründungsmitglieder und Exponenten stammten aus Gewerkschaftskreisen sowie aus dem Umfeld von SP und FDP." Unbekanntes Vermummungsmaterial Nach dem Auftritt der beiden vermummten Polizeibeamten war in Polizeikreisen Zweifel an deren Echtheit geäussert worden. Sturmhauben und Bekleidung, die die beiden Vermummten getragen haben, seien in Polizeikreisen nicht bekannt, sagten Experten.

Die Kombis, die Oberarmabzeichen sowie die Sturmhauben, welche die beiden Vermummten am Freitag in Bern trugen, seien kein gängiges Polizeimaterial.Bei der Berner Stadtpolizei seien solche Ausrüstungsgegenstände nicht bekannt, sagte Sprecherin Franziska Frey.



Kommentar: Ob echt oder inszeniert, diese Aktion konnte einmal mehr politische Auswirkungen gehabt haben. Obwohl es immer noch so aussieht dass die Schengenabstimmung vom Volk genehmigt werden wird, ist es gut denkbar, dass die beiden Mediengeschichten "Blocherrede" und "vermummte Polizisten" die Situation für die Befürworter negativ beeinflussen wird und die Abstimmung doch noch zu einer Zitterpartie werden könnte.








Nachtrag 22. Mai, 2005: Von der Maskengeschichte war auch am Sonntag dem 22. Mai noch die Rede. Dieses Beispiel veranschaulicht einmal mehr: Medien können ungewöhnliche Geschichten nicht ausklammern. Das Bild des vermummten Polizisten kam immer wieder, weil es aussergewöhnlich war. Die Ungewöhnlichkeit "Maskierter Polizist" analog "Mann beisst Hund" machte es möglich, dass die Geschichte eine Woche lang warmgehalten wurde. Wir erlebten in diesem Fall eine verkehrte Welt: Vermummte Polizisten reden vor den Medien. Normalerweise sind es vermummte Demonstranten die es mit Polizisten zu tun haben. Dies ist aussergewöhnlich! Die Geschichte wurde in den Medien zusätzlich "warm" behalten, indem nach dem ersten Bericht behauptet wurde, alles sei nun inszeniert worden. Es wären keine echten Polizisten gewesen. Diese Behauptung wurde mit den "falschen" Polizeimützen erhärtet. Später folgte jedoch postwendend die Gegenbehauptung: Es sind doch echte Polizisten gewesen! Aus Angst vor einer Repression hätten sie nicht laut reden dürfen und ihr Gesicht vermummen müssen. (wurde in Polizeikreisen in Erfahrung gebracht) Hierauf folgten Diskussionen und Leserbriefe. Pro und Kontra. Nach 10 Tagen wusste die Sonntagszeitung zu berichten: Es waren doch Polizisten! Das Bild mit den vermummten Köpfen wurde immer wieder abgebildet und inzwischen kennt die ganze Bevölkerung die eigenartige Mediengeschichte. Das Bild ist im Langzeitgedächtnis verankert. Hätte ein PR Verantwortlicher so viel Medienpräsenz mit Inseraten zahlen müssen, wäre seine Kampagne unbezahlbar gewesen. Dank der vielen grossen Berichte kostet das Ganze in diesem Fall nichts. Wir fragen uns nachträglich, welche Botschaft bei der Bevölkerung hängen geblieben ist:

  • Polizisten und Zöllern wurde ein Maulkorb umgehängt, weil sie die Nachteile des Abkommens kennen.
  • Es gab keine Urabstimmung bei den Polizisten. Sie durften nicht mitreden.
Oder:
  • Es ist bedenklich, wenn jemand in einer Demokratie nicht offen zu seiner Meinung stehen kann.
  • Dies war ein weiterer SVP Gag, weil den Schengengegnern die Felle davon schwimmen (analog Schreckplakat, der Blocherrede und dem Gag mit dem Trojanischem Pferd, das auf dem Bundesplatz aufgestellt werden soll).




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