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www.rhetorik.ch aktuell: (12. Mai, 2005)

Blocher Rhetorik in Rafz

Die Rede wurde seit Tagen mit Spannung erwartet. Am Sonntag, dem 8. Mai referierte Bundesrat Christoph Blocher in der Nähe des zürcherischen Grenzorts Rafz an einer Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Blochers Ansprache trug den Titel "Die Schweiz im europäischen Umfeld", ein Thema, wie es angesichts der bevorstehenden Abstimmung über den Schengen-Beitritt aktueller und brisanter nicht sein könnte. Die SVP erhoffte sich von Blochers Rede den dringend nötigen Schub im Abstimmungskampf und gibt dies auch unumwunden zu: Parteipräsident Ueli Maurer liess keinen Zweifel daran, dass ohne die Schengen-Abstimmung der Rafzer Anlass gar nicht stattfinden würde.




Blocher durfte seine Anhänger nicht enttäuschen. Zwar konnte der erklärte Schengen-Gegner die Kollegialität nicht verletzen und kein Wort zu Schengen sagen, aber er präsentierte ein flammendes Plädoyer zu Gunsten starker, intakter Grenzen. Grenzen, die nach Ansicht der SVP und der Auns fallen würden, wenn die Schweiz Schengen beiträte.
Zu Rafz: In den Grenzregionen wird der 60. Jahrestag des Kriegsendes besonders intensiv begangen. Die Gemeinde Rafz im Zürcher Unterland ist umgeben vom nördlichen Nachbar. Drei direkt an Rafz grenzende Gemeinden gehören zu Deutschland. Wenige Monate vor Kriegsende, im Februar 1945 wurde Rafz sogar von der amerikanischen Luftwaffe versehentlich bombardiert. Die SVP hat sich also zur Feier und Rede Blochers einen historischer Ort ausgesucht. Der Bundesrat selbst hatte es übrigens verpasst, eine eigene nationale Feier zu veranstalten.


Blochers Grenz-Plädoyer machte einen wichtigen Teil der Rede aus. Es gipfelt in einer apokalyptisch anmutenden Warnung:

"Wer alle Grenzen auflösen will, muss sich nicht wundern, wenn damit nicht nur Grenzen, sondern der ganze Staat aufgelöst wird. Wir sind aufgerufen, wieder Grenzen zu setzen und zu respektieren!"


Mit der Kernaussage Die Schweiz braucht starke Grenzen half er der Partei indirekt, ohne dem Bundesrat in den Rücken zu fallen.

Blocher nutzte die von SVP-Kreisen organisierte Gedenkfeier auch für explizite Kritik an der Informationspolitik des Bundes zur Abstimmungsvorlage vom 5. Juni:

"Ich habe kein Verständnis, wenn ein Bundesrat erklärt, die Regierung stehe 'geschlossen' hinter einem Entscheid, wenn dieser nicht einstimmig gefällt worden ist."


Dies sei an der Pressekonferenz zu Schengen geschehen. Durch solches Verhalten werde das kollegiale Schweigen der Unterlegen von der Mehrheit missbraucht. Das bedeute Gift für die direkte Demokratie, sagte Blocher.Die immerwährende Neutralität bilde eine der wichtigsten aussenpolitischen Massnahmen der Schweiz, erklärte der Justizminister weiter. Das war Balsam für die SVP, die im Hinblick auf die Abstimmung ihre Felle davonschwimmen sieht. Von einer direkter Hilfe für die SVP wollte Blocher vor der Rede nichts wissen:


"Ich halte keine Rede gegen Schengen; das habe ich der Partei auch so gesagt" um aber sofort anzumerken: "Das Ende des Kriegs hat natürlich mit allen aussenpolitischen Fragen zu tun; Interpretationen zu meiner Rede lassen sich nicht vermeiden."


Damit hatte Blocher auf geschickte Weise die nächste Runde der Schlacht um Schengen eingeläutet. Die Befürworter reagierten schon vor der Ansprache zu nervös und gespalten: FDP-Chef Fulvio Pelli hatte im "Blick" präventiv das Kriegsende mit der Forderung nach einem Schengen-Beitritt verknüpft. CVP-Sekretär Reto Nause fand richtigerweise: Das ist "das Dümmste, weil es der SVP nur hilft, wenn Pelli diese Verbindung herstellt".
"Schengen" ist eine kleine Stadt in Luxemburg. Im Juni 1985 haben fünf EU Läder dort einen Vertrag über Grenzkontrollen unterschrieben. Andere Länder haben sich angeschlossen Im Moment gibt es 15 Schengen Länder: Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland Island, Italien, Griechenland, Luxenburg, Holland, Norwegen, Portugal, Spanien und Schweden. All ausser Norwegen und Island sind EU Mitglieder.




Nachtrag vom 13. Mai, 2005 Justizminister gibt Exklusivinterview mit der Nachrichtenagentur SDA In einem Interview kommt Blochers Rhetorik zum Tragen. Seine Kernaussage sitzt: Fehlinformationen würde er auch in Zukunft richtigstellen. Es stimme nicht, dass er gegen Schengen geredet habe. Tatsächlich hat der Justizminister nur implizit die Frage der Grenzen betrachtet. Blocher konterte auf den Vorwurf, er habe doch indirekt Schengen in Frage gestellt: Jede Frage hat indirekte Auswirkungen. Es war falsch zu sagen, der Bundesrat stehe geschlossen hinter dem Abkommen. Das musste er korrigieren. Falschinformationen kann er nicht tolerieren. Transparenz ist besser als Halbwahrheiten stehen lassen. Wenn er eine Diskussion über das Kollegialitätsprinzip in Gang gebracht habe, so sei dies gut.




Nachtrag: Das Kollegialitätsprinzip als Dauerthema

Die Strategie Blochers ging auf: Je mehr versucht wurde, die Führungskrise im Bundesrat kleinzureden, desto grösser wird der Druck im Bundesrat. Im Bundesrat fand intern eine Debatte über das Kollegialitätsprinzip statt. Genaues über diese Aussprache des Bundesrates wurde leider nichts bekannt. Es hiess lediglich, der Bundesrat habe sich über die Regeln der Kollegialität und deren unterschiedlicher Interpretationen ausgesprochen. Vizekanzler Achille Casanova gab sich vor den Medien im Bundeshaus ungewohnt zugeköpft: Der Bundespräsident habe dabei eine "Beurteilung der Sachlage" abgegeben. Doch werde er nicht mehr sagen, auch wenn Fragen gestellt würden. Die Öffentlichkeit registriert damit, dass es unter dem Deckel kochen muss. Am Dienstag liess sich noch Bundesrat Deiss am Mikrofon zu einer ungehaltenen Bemerkung hinreissen. Der Bundesrat habe ein Führungsfunktion. Der Rat sei am Steuerrad. Es dürfe nicht sein, dass einzelne Bundesräte ans Steuerrad gehen und daran drehen.

Kommentar: Das Hin und Her, die Geheimniskrämerei bei einem offensichtlichen Konflikt, auch die wiederkehrenden Diskussionen über das Kollegialitätsprinzip schadet letztlich nur der Glaubwürdigkeit der obersten Behörde. Der Bundespräsident müsste in dieser Sitation ein deutliches Machtwort sprechen.(Kann, will oder darf er es in dieser Situation?) Die Uneinigkeit, die nach aussen offensichtlich kleingeredet wird, lenkt nur Wasser auf die Mühlen der Schengen-Gegner. Die Oeffentlichkeit wird sich nämlich fragen, ob dieses Abkommen tatsächlich unterstützungswürdig ist, wenn das Abkommen selbst in der Regierung so umstritten ist. Obschon immer von Einstimmigkeit die Rede war, so war dies nie der Fall. Eine Kollegialbehörde, die übrigens keine Sanktionen kennt, wenn ein Mitglied Vereinbarungen nicht einhält, müsste vorerst einmal die Streitkultur innerhalb des eigenen Teams erlernen.

Fazit: bei Auseinandersetzungen gilt das Prinzip: Wer Druck unterdrückt, erhöht den Druck.


Die Präsidenten von SVP und FDP sind der Ansicht, Bundesräte sollen öffentlich ihre Meinung äussern dürfen. Damit würde die Diskussion um Kollegialitätsprinzip und Indiskretionen entschärft. Nach unserem Dafürhalten machte bei der unrühmlichen Kontraverse um das Kollegialitätsprinzip der Gesamtbundesrat selbst einen gravierenden Fehler: er zelebrierte Einigkeit die gar nie bestand. Ein Presseecho im "St Galler Tagblatt":

"Die SVP reibt sich die Hände: Mit dem neuerlichen Ausscheren aus der Kollegialität anlässlich einer Gedenkfeier zum Kriegsende vor 60 Jahren füllt Christoph Blocher seit Tagen wieder die Zeitungsseiten. Die Empörung und das mediale Breittreten dienen der SVP dabei mehr als der wenig überraschende Positionsbezug Blochers zu Schengen - und sie führen zu voreiligen Schlüssen. Es ist, als hätte die Platte einen Sprung. Mit grosser Regelmässigkeit entzündet sich seit Christoph Blochers Wahl in den Bundesrat der Streit um das Kollegialitätsprinzip. Nicht so sehr, wenn der freisinnige Pascal Couchepin wieder einmal auspackt, umso mehr aber, wenn die Reizfigur Blocher es tut. Die Empörung ist jeweils gross und die Freude der Medien noch grösser. Mais im Bundeshaus! Eklat im Bundesrat! Herrlich! Herrlich, das findet auch die SVP - denn Blochers Provokationen haben System. Auch diesmal ist die Inszenierung gelungen, ist die Taktik der SVP perfekt aufgegangen: Seit Tagen ist in zahlreichen Medien nur mehr die Rede von Blocher."


Nachtrag vom 13. Mai, 2005: Raffinierte Rhetorik im Interview

Was seine angebliche Brandrede gegen Schengen angeht, fasst SVP-Bundesrat Blocher im Interview gleich noch einmal nach: Wer über den Zweiten Weltkrieg und über Freiheit, Demokratie, Souveränität rede, komme zu den Grundsätzen des Staates. Bei Schengen gehe es aber auch gerade darum, wie weit die Souveränität des Staates abgetreten werden solle. Das aber habe er in Rafz nicht einmal erwähnt.

Mit der Aussage, dass er die Souveränität nicht erwähnt habe, erwähnt Blocher diesen Gedanken doch.


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