Ich wurde während des Fernsehmarathons "Befragung
Fischers" um 10 Uhr morgens vom Schweizer Fernsehen angefragt, ob ich
bereit wäre, für die Abendsendung des 10 vor 10, das Verhalten
des deutschen Aussenministers zu analysieren. Zur Zeit laufe am Fernsehen
live die stundenlange Befragung. Ich sagte zu, wohlwissend, dass beim
Eintreffen des Fernsehteams um 15 Uhr der Antwortmarathon immer noch
voll im Gange war. Ich sass ja ohnehin schon vor dem Bildschirm und
verfolgte für einen Aktuell Beitrag die Langstreckenrhetorik
Fischers auf dem n-tv Sender. Selbstverständlich wusste ich,
dass ich nun in wenigen Stunden einem Fernseh - Journalisten zahlreiche
Fragen beantworten musste, obwohl am Abend nur ein paar Sekunden gesendet
werden können. Es war mir bewusst, dass ich dem Journalisten die
Auswahl der entsprechenden Antwort überlassen musste.
Deshalb gab es für mich nur eines:
Ich musste mich darauf einstellen, alle Antworten so vorzudenken,
dass jede Antwort für sich als Ganzes gesendet werden konnte.
Ich durfte keine Kurzvorträge halten. Auch für mich galt nun
das von bewährte Prinzip, das wir immer empfehlen: Konzentrieren
Sie sich bei jeder Antwort nur auf einen Kerngedanken und fügen Sie
jeweils nur eine Zusatzinformation hinzu. Lernen Sie nichts auswendig!
Weil ich mich mit der Rhetorik Fischers verschiedentlich beschäftigt
hatte (Beispiel), antizipierte ich bis zum
Eintreffen der TV- Equipe bei jedem der möglichen Beobachtungspunkte
den Ausspruch Schillers: "Was ist der Rede kurzer Sinn?"
Ich notierte mir deshalb während der Analyse bei jedem
Beobachtungspunkt nur ein Stichwort. Dieses Antizipieren lohnt sich
übrigens bei allen Interviews. Tatsächlich wurden dann
auch viele meiner antizipierten Beobachtungspunkte in den gestellten
Fragen angesprochen. Ich versuchte bei jeder Antwort bewusst nur je
einen Kerngedanken herauszuschälen und diesen mit einer konkreten
Zusatzinformation (Bild, persönliche Beobachtung, Wahrnehmung,
Detail, Geschichte) zu vertiefen.
Wohlwissend, dass am Abend nur eine Antwort gesendet wird, musste ich
vor der Kamera beim Journalisten zu folgenden Punkten Stellung nehmen:
- Antworttechnik Fischers - Verhalten, wenn es eng wurde (Angriffe, Gegenfragen,
Lächerlichmachen des Befragers, Wassertrinken usw.)
- Verhalten generell - Wirkung auf die Zuschauer - Körpersprache, Stimme
Argumentationstechniken - Rhetorische Tricks
(Ausweichtechniken, Ablenkungstechnik, Inszenierung des Unwissenden,
usw) - Glaubwürdigkeit der Aussagen - Die Beurteilung der
Befragungstechnik - Kamen bei der Befragung neue Aspekte zum Vorschein?
- Welche mutmasslichen Kernargumente wurden vom Aussenminister bewusst
unterstrichen? (Kohl hatte schon die Grenzen geöffnet - Wir wollen
bewusst die Grenze öffnen, damit der Osten die Demokratie kennenlernt
- Die Öffnung führte zu keiner erhöhten Kriminalität
usw.)
Nach dem Interview hatte ich ein gutes Gefühl.
Jede meiner Antworten hätte gesendet werden können. Alle Voten
waren angemessen kurz. Ich konzentrierte mich während der ganzen
Befragung nur ans Denken. Ich dachte weder an meine Gestik, noch an
meine Stimme, noch an mich.
Nachdem sich die Fernsehequipe verabschiedet hatte, zeichnete sich ab:
Fischer hatte rhetorisch gesehen eine Meisterleistung vollbracht und alle
Register gezogen. Man konnte ihn nicht festnageln. Er konnte den Kopf
aus der Schlinge ziehen. Dennoch fehlte die Glaubwürdigkeit. Die
Inszenierung des Auftrittes war zu offensichtlich.
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Das Fernsehen wählte daher im Studio jene meiner Antworten
aus, die zum Gesamtbeitrag passten. In diesem Fall war es jene
Antwort, die mit dem Resultat der Publikumsumfrage des n-TV Senders
übereinstimmte. Diese Umfrage bestätigte nämlich meine
Prognose, dass Fischer trotz rhetorischem Geschick nicht überzeugt
hatte. 70% der Fernsehzuschauer betrachteten den Auftritt Fischers
als unglaubwürdig.
Es ist gut denkbar, dass Fischer mit den rhetorischen Mitteln
übertrieben hatte und gleichsam zu "perfekt" konterte. Wir stellen
immer wieder fest: Das Publikum reagiert meist positiv, auch wenn jemand
nicht geschliffen auftritt. Denn die Bevölkerung schätzt
natürliche Auftritte. Sie verzeiht durchaus rhetorische Mängel,
wenn sie das Gefühl hat, es wird kein Theater gespielt.
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