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www.rhetorik.ch aktuell: (13. Mai, 2005)

Kürze und Details vor Mikrofon und Kamera



Das Problem vor Mikrofon und Kamera ist bekannt: Das Telefon klingelt. Ein Journalist will einen Beitrag über einen komplexen Sachverhalt. Doch im betreffenden Sendegefäss können nur einige Sekunden gebracht werden. Wie soll man sich verhalten? Ein Beispiel.

Links:


Ich wurde während des Fernsehmarathons "Befragung Fischers" um 10 Uhr morgens vom Schweizer Fernsehen angefragt, ob ich bereit wäre, für die Abendsendung des 10 vor 10, das Verhalten des deutschen Aussenministers zu analysieren. Zur Zeit laufe am Fernsehen live die stundenlange Befragung. Ich sagte zu, wohlwissend, dass beim Eintreffen des Fernsehteams um 15 Uhr der Antwortmarathon immer noch voll im Gange war. Ich sass ja ohnehin schon vor dem Bildschirm und verfolgte für einen Aktuell Beitrag die Langstreckenrhetorik Fischers auf dem n-tv Sender. Selbstverständlich wusste ich, dass ich nun in wenigen Stunden einem Fernseh - Journalisten zahlreiche Fragen beantworten musste, obwohl am Abend nur ein paar Sekunden gesendet werden können. Es war mir bewusst, dass ich dem Journalisten die Auswahl der entsprechenden Antwort überlassen musste. Deshalb gab es für mich nur eines: Ich musste mich darauf einstellen, alle Antworten so vorzudenken, dass jede Antwort für sich als Ganzes gesendet werden konnte. Ich durfte keine Kurzvorträge halten. Auch für mich galt nun das von bewährte Prinzip, das wir immer empfehlen: Konzentrieren Sie sich bei jeder Antwort nur auf einen Kerngedanken und fügen Sie jeweils nur eine Zusatzinformation hinzu. Lernen Sie nichts auswendig! Weil ich mich mit der Rhetorik Fischers verschiedentlich beschäftigt hatte (Beispiel), antizipierte ich bis zum Eintreffen der TV- Equipe bei jedem der möglichen Beobachtungspunkte den Ausspruch Schillers: "Was ist der Rede kurzer Sinn?"

Ich notierte mir deshalb während der Analyse bei jedem Beobachtungspunkt nur ein Stichwort. Dieses Antizipieren lohnt sich übrigens bei allen Interviews. Tatsächlich wurden dann auch viele meiner antizipierten Beobachtungspunkte in den gestellten Fragen angesprochen. Ich versuchte bei jeder Antwort bewusst nur je einen Kerngedanken herauszuschälen und diesen mit einer konkreten Zusatzinformation (Bild, persönliche Beobachtung, Wahrnehmung, Detail, Geschichte) zu vertiefen. Wohlwissend, dass am Abend nur eine Antwort gesendet wird, musste ich vor der Kamera beim Journalisten zu folgenden Punkten Stellung nehmen:
  • Antworttechnik Fischers - Verhalten, wenn es eng wurde (Angriffe, Gegenfragen, Lächerlichmachen des Befragers, Wassertrinken usw.)
  • Verhalten generell - Wirkung auf die Zuschauer - Körpersprache, Stimme Argumentationstechniken - Rhetorische Tricks (Ausweichtechniken, Ablenkungstechnik, Inszenierung des Unwissenden, usw) - Glaubwürdigkeit der Aussagen - Die Beurteilung der Befragungstechnik - Kamen bei der Befragung neue Aspekte zum Vorschein?
  • Welche mutmasslichen Kernargumente wurden vom Aussenminister bewusst unterstrichen? (Kohl hatte schon die Grenzen geöffnet - Wir wollen bewusst die Grenze öffnen, damit der Osten die Demokratie kennenlernt
  • Die Öffnung führte zu keiner erhöhten Kriminalität usw.)
Nach dem Interview hatte ich ein gutes Gefühl. Jede meiner Antworten hätte gesendet werden können. Alle Voten waren angemessen kurz. Ich konzentrierte mich während der ganzen Befragung nur ans Denken. Ich dachte weder an meine Gestik, noch an meine Stimme, noch an mich.



Nachdem sich die Fernsehequipe verabschiedet hatte, zeichnete sich ab:

Fischer hatte rhetorisch gesehen eine Meisterleistung vollbracht und alle Register gezogen. Man konnte ihn nicht festnageln. Er konnte den Kopf aus der Schlinge ziehen. Dennoch fehlte die Glaubwürdigkeit. Die Inszenierung des Auftrittes war zu offensichtlich.


Das Fernsehen wählte daher im Studio jene meiner Antworten aus, die zum Gesamtbeitrag passten. In diesem Fall war es jene Antwort, die mit dem Resultat der Publikumsumfrage des n-TV Senders übereinstimmte. Diese Umfrage bestätigte nämlich meine Prognose, dass Fischer trotz rhetorischem Geschick nicht überzeugt hatte. 70% der Fernsehzuschauer betrachteten den Auftritt Fischers als unglaubwürdig.

Es ist gut denkbar, dass Fischer mit den rhetorischen Mitteln übertrieben hatte und gleichsam zu "perfekt" konterte. Wir stellen immer wieder fest: Das Publikum reagiert meist positiv, auch wenn jemand nicht geschliffen auftritt. Denn die Bevölkerung schätzt natürliche Auftritte. Sie verzeiht durchaus rhetorische Mängel, wenn sie das Gefühl hat, es wird kein Theater gespielt.


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