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- TV-Zuschauer.
In der live im Fernsehen übertragenen
Befragung zur Visa-Affäre hat der Aussenministers die meisten Zuschauer nicht
überzeugt. Zuschauer-Umfragen der Sender zufolge gab die grosse Mehrheit an,
Fischers Aussagen seien nicht glaubwürdig.
- "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Im Visa-Untersuchungsausschuss geht
es beileibe nicht um "umfassende Aufklärung", sondern
um möglichst grosse Wirkung auf die Öffentlichkeit.
(...) Über das Schicksal des Aussenministers
befindet nicht der Ausschuss, sondern der Kanzler. Und auch dem kommt
es in diesem Fall nicht zuerst auf die Wahrheit, sondern auf die Wirkung
an. Fischer gab sein Bestes. Man wird sehen, wie weit das noch reicht.
- "Süddeutsche Zeitung"
Der Tag im Visa-Untersuchungsausschuss wird ihn
eher wieder stabilisieren: Der Höhepunkt dieser Skandalgeschichte
ist jetzt wirklich überschritten, neue Erkenntnisse gibt es nicht,
es wird sie wohl auch nicht mehr geben. Es geht jetzt um die Bewertung
der schon bekannten Fakten: Denn bekanntlich verwirren nicht die Dinge die
Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge.
- Neue Zürcher Zeitung: "Der Auftritt des deutschen Aussenministers
Fischer vor dem so genannten Visa-Ausschuss des Bundestages in Berlin
hat wohl weitgehend dem entsprochen, was man hatte erwarten müssen:
ein geschicktes, langatmiges Taktieren des Zeugen zwischen reuevoller
Schuldzuweisung an sich selbst und frischen Attacken auf einzelne
Mitglieder des geduldig zuhörenden Gremiums. Der Ausschuss liess
es über sich ergehen, dass Fischer einen Filibuster-ähnlichen
Monolog von weit über zwei Stunden Länge zum Hergang der
Affäre und zu seiner Rolle in derselben hielt, ehe er dann
den Zeitpunkt für reif erachtete, Fragen zuzulassen. Stil und
Stossrichtung standen sich dabei diametral gegenüber. Hier der mit
allen Wassern gewaschene Politprofi, der elastisch die zu erwartenden
Fragen im Voraus abfederte, dort das spröde Komitee, das Fischers
Eloquenz nichts entgegenzusetzen hatte und es kaum vermochte, den Finger
auf die Schwachstellen des Marathon-Vortrages zu legen."
(Dieses Echo weist auf einen wichtigen Aspekt hin, den wir in unserer
Analyse nicht erwähnt hatten. Tatsächlich waren die meisten
Befrager sehr schlecht. Es dominierten die Selbstdarsteller und die
Befrager stellten hintereinander mehrere Fragen (Fragenketten). Sie
hörten auch Fischers nicht genau zu. Sie konzentrierten sich
auf die eigenen Beiträge. Nur ein Befrager hakte nach, wenn
Fischer gekonnt auswich, ablenkte, eine Geschichte erzählte, die
mit der Frage nichts zu tun hatte, oder wenn der gewiefte Minister
mit rhetorisch geschickter Taktik den Befrager attackieren und sie
dadurch bewusst destabilisieren konnte).
- El Mundo "Joschka Fischer hat sich hinter einer arroganten
Verteidigung verschanzt. Bei seiner Aussage vor dem Parlamentsausschuss, der
den Skandal der Visa-Vergabe in osteuropäischen Staaten untersucht,
entschied der deutsche Außenminister sich für Ironie und Anmaßung. Er räumte
ein, Fehler begangen zu haben. Aber er verlangte von den Christdemokraten,
dass diese sich bei ihm entschuldigten."
- Bild online: Visa-Erlasse
Beim Marathon-Fernsehverhör im Visa-Auschuss
beteuerte der Aussenminister, er habe der EU-Kommission
längst alle umstrittenen Visa-Erlasse zur rechtlichen
Prüfung nach Brüssel geschickt.
EU-Kommissar Franco Frattini mahnte per Fax beim deutschen
Botschafter dringend und umgehend die Erlasse an.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes soll versichert haben:
Das angeforderte Material wurde gestern zugestellt ...
Brisant könnte die Geschichte zu werden, weil
es aus Kreisen der Kommission heisst, der
Fischer-Volmer-Erlass vom März 2000
verstoösse gegen EU-Einreiserecht.
Nächste Woche will Frattini das Ergebnis der Prüfung
bekanntgeben. Hellmut Königshaus vom Untersuchungsausschuss:
"Es wird sich herausstellen, dass der Erlass
rechtswidrig war. Fischer hat damit jahrelang EU-Recht gebrochen."
- "Stuttgarter Nachrichten"
Es ist diese Verquickung von zerknirschter
Verteidigung und lustvollem Angriff, die Fischer so meisterhaft
beherrscht, dass es dem Ausschuss schwer fällt, Vorwürfe
von Fakten und Mutmassungen von Argumenten sauber zu trennen. Der
Aussenminister braut mit vielen unterschiedlichen Zutaten ein
Getränk, von dem man schon bald kaum mehr weiss, woraus es eigentlich
besteht. Fehlentwicklungen? Ja! Skandal? Nein! Verantwortung? Ja!
Konsequenzen? Nein! Und so weiter. Frei nach Hegel lässt sich das
Ergebnis wie folgt in Worte fassen: Was nicht mehr verstanden wird,
hat aufgehört zu existieren.
- "Westdeutsche Zeitung"
Wer erwartet hatte, hier würde eine tolle
Fischer-Show geboten, wurde enttäuscht. Der Bundesaussenminister,
hochachtungsvoll "Bundesminister des Äussersten" genannt oder
"grösster anzunehmender Aussenminister" ("Die Zeit") oder sogar
"Gottvater" (Grünen-Jargon), schrumpfte vor dem Visa-Ausschuss auf
das Niveau des Leiters einer ganz normalen Behörde in Deutschland.
In der arbeiten Beamte, wie sie dem Alltagsklischee entsprechen: Da
interessiert sich der Eine nicht für das, was der Andere tut. Im
Zweifel lehnt man mit dem Hinweis, nicht zuständig zu sein, jede
Verantwortung ab. Und wenn es ganz dicke kommt, kann man sich nicht
erinnern.
- "Die Welt" Fischer versucht den dialektischen Trick: Ich war's zwar
formal, aber es ist ja kein Schaden entstanden, für den ich an den
Pranger muss. Doch dieser Trick funktioniert in der Befragung durch den
Ausschuss nicht mehr: Zu sehr muss Fischer die Fakten biegen. Und zu
oft kann er sich an sie gar nicht mehr erinnern. Wann er wie informiert
war? Fehlanzeige. Wie die Warnungen des Innenministers weggeräumt
wurden? Keine Ahnung. Was Fischer bei dieser Erinnerungsakrobatik
vergisst, ist der Eindruck, den er hinterlässt: der eines Ministers,
der seinen Laden nicht im Griff hat. Das mag die Taktik sein, um sich
allen präzisen Fragen weiterhin entziehen zu können. Aber
das hat seinen Preis. Denn am Ende geht es nicht um die politische
Verantwortung, sondern um die tatsächliche.
- "Spiegel"
Der Volmer-Erlass heisst jetzt Fischer-Erlass - sonst ändert sich
fast nichts: Aussenminister Fischer hat heute genau so viele Fehler
eingeräumt wie nötig, um seine Glaubwürdigkeit nicht
zu demolieren, und genau so wenig Missstände, dass er um sein Amt
nicht bangen muss.
- Focus
Der Chefredaktor des "Focus" - Helmut Markwort - kommentierte am
2. Mai:
"Deutsche Körpersprachler wurden ins Studio geladen, Kritiker
rezensierten theatralische Effekt und rhetorische Raffinessen. Allgemein
wurde die Kondition des Marathon- Antworters gelobt. All dies sind
originelle Nebeneffekte. Sie verdecken die beiden Haupterkenntnisse:
- Fischer ist tatsächlich schuld an der VISA- Misere.
- Das Auswärtige Amt und viele seiner Mitarbeiter haben sich
beschämend präsentiert.
Für beide Uebel gilt: Der Fisch
stinkt vom Kopf her. Dass Fischer mit seiner Schuld sorglos kokettieren
kann, liegt darin, dass er zum Aemterhalt dringend bebraucht wird.
Kanzler Schröder entscheidet nicht nach Sachlage, sondern rein
politisch. Dieses Kriterium erlaubt fast alles."
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