Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

www.rhetorik.ch aktuell: (28. März, 2005)

Stummes Urbi et Orbi

25. Februar, 2005 28. März, 2005 24. April, 2005


Auf dem Petersplatz verfolgten am Ostersonntag 250'000 Besucher einen dramatischen Augenblick: TV Stationen auf der ganzen Welt übermittelten den verzweifelten Versuch des Papstes, zu sprechen. Der Papst bemühte sich krampfhaft, Töne von sich zu geben. Aber es war nur ein Röcheln zu vernehmen. Der Fernsehkommentar war

Sie sehen, das Zeichen ist stärker als das Wort.


Nach dem erfolglosen Versuch zu sprechen, sah man dem Papst die Enttäuschung und Frustration an. In den Jahren davor hatte Johannes Paul selbst in mehr als 60 verschiedenen Sprachen den Text verlesen. Experten haben entschieden, dass auch ein stummes "Urbi et orbi" möglich sei.




Wir können uns gut vorstellen, dass der Vatikan das Leiden bewusst zelebrieren lässt und auch damit begründen kann, dass "im Leiden Gnade liegt". Der Zustand des Papstes hat aber auch weltweit mehr Interesse am österlichen Urbi et Orbi bewirkt. Ob das geplant war? Auf jedenfall: der Event war ungewöhnlich, spanned fast wie in Dan Brown's "The Da Vinci Code", der auf Deutsch unter dem Namen "Sakrileg" erschienen ist. Der Vatikan hat übrigens zm 15. März zum Boykott des Buches "Sakrileg" aufgerufen, nachdem schon 25 Millionen Menschen das Buch gelesen haben und es in 44 Sprachen übersetzt worden ist. Eine Verfilmung mit Tom Hanks ist im Gange. Dieses Medienverhalten passt zu den anderen hier aufgezeigten Kommunikationsmustern des Vatikans.
Die Kommunikation des Vatikans ist weiter unklar: vor Ostern hatte es widersprüchliche Mitteilungen gegeben. Der Vatikan sprach einerseits von einem geistig wachen Papst, der die Kirche noch leiten kann. Anderseits war auch zu vernehmen: "Betet für den Papst. Es geht ihm schlecht."

Medienspiegel:
  • NZZ: Papst versagt beim Ostersegen die Stimme Die NZZ am Sonntag vom 27. März thematisierte die zur Schaustellung des kranken und behinderten Papstes, die widersprüchliche Reaktionen auslöse. Die einen sehen im Medienspektaktel ein unwürdiges Schauspiel. Der Verdacht, der Papst wird nur noch vorgeführt, ist nicht von der Hand zu weisen. Andere bewundern den Papst, wie er zu seinem Leiden steht. Die Popularität von Papstes Johannes Pauls II. verdankt er den elektronischen Medien, die er immer verstanden hatte, für sich zu nutzen. Hinter der Kulisse haben - nach NZZ am Sonntag - bereits die Diadochenkämpfe um die Nachfolge begonnen. Kaum jemand hat heute Zutritt zum Papst, der nur noch flüssige Nahrung zu sich nimmt.
  • Bild: Millionen Christen sahen das Leiden eines unbeugbaren Mannes: Während Kardinalstaatssekretär Sodano die Osterbotschaft des Papstes verliest, begleitet Johannes Paul stumm die von ihm verfassten Worte mit Gesten. Er nickt, schlägt die Hände vors Gesicht. Millionen Christen an den Fernsehern sehen das Leiden eines unbeugbaren Mannes. Johannes Paul scheint sprechen zu wollen, schluckt, verzerrt das Gesicht vor Schmerzen. Dann reicht ein Mitarbeiter dem Papst das Mikrofon. Er selbst will den Segen sprechen, den nur er spenden kann - für die Stadt und für den Erdkreis. Doch seine Stimme ist nur ein Grollen, die Worte sind nicht zu verstehen. Dann schlägt Johannes Paul das Kreuzzeichen, segnet die Gläubigen auf dem Petersplatz und in aller Welt.
  • Spiegel: Todkranker Papst spendet Ostersegen Von seiner schweren Krankheit sichtlich gezeichnet hat Papst Johannes Paul II am Mittag in Rom den Ostersegen Urbi et Orbi gespendet. Der Pontifex zeigte sich nach der Ostermesse am Fenster seiner Wohnung und hauchte die segnenden Worte mit grösster Mühe in ein Mikrofon. Mit der Geste des Kreuzes hat Papst Johannes Paul II. am Sonntag den traditionellen Ostersegen erteilt. Helfer rückten dem 84-Jährigen an seinem Fenster über dem Petersplatz ein Mikrofon zurecht. Unter grossen Mühen versuchte der Papst zu sprechen. Zu hören waren einen Monat nach seinem Luftröhrenschnitt jedoch nur einige Laute, keine vollständigen Wörter. Johannes Paul II. trägt seit der Operation eine Kanüle im Hals, die ihm das Sprechen so gut wie unmöglich macht. Er hatte Schwierigkeiten, seinen Kopf aufrecht zu halten und hustete mehrmals. Die Menge war sichtlich betroffen vom Gesundheitszustand des Papstes, der sich nur unter grösster Anstrengung am Fenster aufhalten konnte.
  • Blick: Kranker Papst erteilt Ostersegen. Er mühte sich ab und hatte Schwierigkeiten, seinen Kopf aufrecht zu halten. Er war kaum zu verstehen und hustete mehrmals. Nachdem Kardinal Angelo Sodano heute Vormittag seine Botschaft verlesen hatte, warteten die Gläubigen gespannt auf den Papst. Bis zuletzt war nicht sicher, ob er den traditionellen Segen selber sprechen könnte. Doch dann zeigte sich Johannes Paul II. zitternd wenige Minuten vor Ende der Messe am Fenster des Zimmers von seiner Wohnung über dem Petersplatz. Er konnte kaum seinen Kopf aufrecht halten. Schliesslich versuchte er, den Segen selbst zu sprechen. Die Worte des Heiligen Vaters waren wegen seines Luftröhrenschnitts vor einem Monat jedoch nicht zu verstehen. Der Papst stützte sich währenddessen auf sein Lesepult und fuhr sich mehrfach mit der Hand über das Gesicht, bevor Mitarbeiter ihm ein Mikrofon vor den Mund hielten. Obwohl der Papst sich erkennbar anstrengte, versagte ihm jedoch die Stimme, und er konnte den traditionellen Segen "Urbi et Orbi" - der Stadt und dem Erdkreis - nicht sprechen. Viele der auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen hatten Tränen in den Augen. Unter dem Beifall von zehntausenden Gläubigen schlug der Pontifex maximus mehrfach das Kreuzzeichen. Nach wenigen Minuten schlossen sich die Vorhänge vor seinem Fenster im Apostolischen Palast wieder.




Nachtrag vom 30. März, Neuer misglückter Auftrittversuch des Papstes









Nachtrag vom 1. April, 2005: Papst im Koma?

Am Freitagmorgen wurde die Information verbreitet, der Papst liege im Koma. Für den Vatikan wäre ein Koma ein Problem, denn damit wäre der Papst nicht mehr führungsfähig. Der Vatikan hatte bis anhin eine Stellvertretung strikte abgelehnt. In einem Komafall müsste die Frage der Stellvertretung geregelt werden. Über Mittag liess der Vatikan verlauten, der Papst liege nicht im Koma. Er befinde sich im ruhigen Zustand. Wie informiert der Vatikan, wenn sich Tatsachen nicht mehr so leicht beschönigen lassen? Am 1. April kamen weniger optimistische Statements vom Vatikan: der Papst sei in einem "sehr ernsten Zustand".




Chronologie der Krankengeschichte (Quelle: Spiegel.de):
  • 13. Mai 1981: Der Papst wird auf dem Petersplatz niedergeschossen und erleidet schwere Verletzungen im Unterleib sowie an einer Hand. Er wird im Gemelli-Krankenhaus operiert.
  • 20. Juni 1981: Johannes Paul II. wird wegen der Schussverletzungen abermals ins Krankenhaus eingeliefert. Am 5. August erfolgt eine weitere Operation.
  • 15. Juli 1992: Der Papst lässt sich einen gutartigen Dickdarmtumor entfernen.
  • 11. November 1993: Bei einem Sturz von einer Treppe im Vatikan kugelt Johannes Paul sich den rechten Oberarm aus.
  • 29. April 1994: Beim Sturz in seinem Badezimmer bricht sich der Papst ein Bein. Er krieg ein künstliches Hüftgelenk.
  • 25. Dezember 1995: Während der Weihnachtsmesse auf dem Petersplatz wird Johannes Paul infolge einer Grippe von Fieber und Übelkeit befallen.
  • 13. März 1996: Der Papst sagt wegen einer neuerlichen Grippeerkrankung eine Messe im Petersdom ab.
  • 15. August 1996: Der Papst sagt Audienzen ab, weil er nach Angaben des Vatikans an einer fiebrigen Darmgrippe leidet.
  • 8. Oktober 1996: Dem Papst wird der Blinddarm entfernt.
  • Februar 1997: Wegen Grippe und Fieber sagt Johannes Paul wieder Audienzen ab.
  • 15. Juni 1999: Eine Grippe hält den Papst davon bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Krakau eine Messe zu zelebrieren.
  • 24. September 2003: Absage von Audienzen wegen einer Darmkrankheit.
  • 31. Januar 2005: Der Vatikan gibt eine "leichte Grippeerkrankung" des Papstes bekannt, woraufhin öffentliche Auftritte abgesagt werden.
  • 1. Februar 2005: Der Papst wird wegen akuter Atembeschwerden ins Gemelli-Krankenhaus von Rom eingeliefert. Der Papst war schon so oft dort, dass dieser Ort von der italienischen Presse schon "der dritte Vatikan" getauft wird. am 10. Februar 2005 kehrt er in den Vatikan zurück.
  • 24. Februar 2005: Der 84-Jährige wird mit Grippe-Symptomen in die Gemelli-Klinik gebracht. Die Ärzte nehmen einen Luftröhrenschnitt vor, um die Atmung zu erleichtern. Am 13. März kehrt er in den Vatikan zurück.
  • 27. März 2005: Der Papst kann nicht an den Osterfeierlichkeiten teilnehmen. Er versucht vergeblich, den Segen Orbi et Orbi zu sprechen.
  • 30. März 2005: Der Vatikan meldet, dass der Papst über eine Sonde ernährt werden muss. Der Papst zeigt sich gegen den Rat seiner Ärzte am Fenster. Es gelang ihm nicht zu sprechen.
  • 31. März 2005 Nach Vatikansprecher leidet der Papst an hohem Fieber, hat tiefen Blutdruck. Die Medien berichten unter Berufung auf anonyme Quellen im Vatikan, dass der Papst die Letzte Ölung erhalten habe. Das italienische Fernsehen berichtete, der Papst sei ins Koma gefallen. Dies wird vom Vatikan als "Blödsinn" bezeichnet wurde. Später hiess es, er sei bei vollem Bewusstsein.
  • 1. April 2005: Der Vatikan bestätigt, dass der Papst in einem "sehr ernsten Zustand" ist. Der Pressesprecher Joaquin Navarro-Valls hatte Tränen in den Augen als er über das Lebensende des Papstes gefragt wurde. In der Zwischenzeit ist der italienische Kardinal Camillo Ruini im Vatikan eingetroffen. Nach kirchlichem Recht ist der römische Vikar beauftragt, den Tod des Papstes zu verkünden. Spiegel: Freitag abend: Das EKG zeigt italienischen Presseberichten zufolge kein Signal mehr. Die Nachrichtenagentur ADNKronos meldet sogar den Hirntod. Der Vatikan widerspricht dieser Darstellung.




Nachtrag vom 1.April, 2005: 10 vor 10 vom 1.April Für Erwin Koller, Lehrbeauftragter in Medienethik ist der Papst eine öffentliche Person, die wenig Gefühl fürs Private hat. Für Koller geht die Intimität mit der das Leiden gezeigt wurde etwas zu weit. Koller sieht aber auch einen Zweck: so immunisiere das Leiden gegen Kritik. Doch für Koller heiligt der Zweck nicht alle Mittel.

Auch für Klara Obermüller, Publizistin mit Schwerpunkt Religion und Kirche, ist das öffentliche "zur Schaustellen" des Papstes gewollt. Es habe etwas Demonstratives und Glorifizierendes. Es zeigt Leiden als Teil des Lebens, das nicht verdrängt werden soll. Ist damit die Schamgrenze überschritten? Der Papst hat das Leben unter den Medien und der Kamera gelebt und das bis zum Ende durchgezogen.




Nachtrag vom 2. April: Beschönigungsrhetorik Für Papstsprecher Navarro Valls darf der Papst das Bewusstsein nicht verlieren. Obschon das aber immer wieder zu passieren scheint, heisst es nun:

"Der Papst ist müde und er schläft viel."


Nach Navaro-Valls reagiert der Papst, wenn er angesprochen werde.

"Manchmal scheint es, als ruhe er mit geschlossenen Augen, aber wenn man ihn anspricht, öffnet er seine Augen"


sagte Navarro-Valls. Die Beschönigungs-Rhetorik wird bis zum Schluss durchgezogen. Am Samstag morgen sei im Beisein des Papstes die Morgenmesse zelebriert worden, auch wenn Johannes Paul nicht mehr aktiv daran teilgenommen habe. Sa Nachmittag: Das Bewusstsein sei getrübt, aber der Papst liegt nicht im Koma.



Am Samstag Abend, am 2. April ist der Papst Johannes Paul II gestorben. Vor 28 Jahren hätte keiner auf den 58 jährigen Bischof Karol Wojtyla als Papstkandidat getippt.










Nachtrag vom 3. März, 2005: Bei unseren Analysen ging es in erster Linie um die Informationspolitik des Vatikans. Zur Veranschaulichung der Beschwichtigungs-Rhetorik des Vatikansprechers mussten hier auch einige Beispiele mit Bild und Ton dokumentiert werden. Der Papst verstand es sehr gut, mit den Medien umzugehen. Er wurde als "Medienpapst" oder "Telepontifex" weltweit bekannt und nutzte den Multiplikationseffekt der Massenmedien. Er ist der erste Papst, der sogar CD's herausgegeben hatte (CD's, internet gab es vorher noch nicht). Er wusste wie sich das "Sprachrohr Gottes" dank Medien zusätzlich verstärkten lässt. Dass beim Informationsmanagement im Vatikan etwas nicht stimmen konnte - im Umgang mit Medien - wurde auch noch nach dem Tod ersichtlich. Erst am 3. April gestand der Vatikan ein, dass der heilige Vater an der Parkinsonkrankheit litt. Die Symptome waren allen offensichtlich. Aber der Vatikan bestätigte vorher diese Krankheit nie - Nach dem Motto: Was nicht sein darf, darf es nicht geben).



Fazit: Jede Institution schadet sich, wenn Informationen beschönigt oder Fakten bestritten werden. Offenes, proaktives Informieren macht sich immer bezahlt.






Nachtrag vom 10. April, 2005: Medien haben auch noch den toten Papst lange öffentlich zur Schau gestellt. Auf Schritt und Tritt haben die Medien den Papst begleitet. Er war sich dessen immer bewusst und hat diese Multiplikatoren genutzt. Als erster Pontifex des Medienzeitalters wurde diese Präsenz so selbstverständlich, dass man sich eine hermetische Abgeschlossenheit des Vatikans kaum noch vorstellen kann. Nachdem er sich sich während der Leidenszeit der Öffentlichkeit gezeigt hatte, wurde er auch noch nach dem Tod den Kameras stundenlang präsentiert. Ein Zitat aus der Zeit vom 6. April: "Jesus Christus ist fuer alle Menschen gestorben, Johannes Paul vor allen Menschen".


Rhetorik.ch 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com