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Kommunikation und Lüge


Der vorliegende Beitrag basiert aus Erkenntnissen der Seminartätigkeit und den Erkenntnissen des Psychologen Klaus Fiedler .
Siehe auch den Beitrag im Zürich Express vom 20. Februar, oder in der "Sprechstunde".

von Marcus Knill

Notlügen, Höflichkeit, Beschönigungen, Übertreibungen

Nur die Hälfte von dem, was wir sagen ist wahr.
Diese Behauptung gilt es von einem kommunikativen Ansatz aus zu beleuchten. Wenn wir davon ausgehen, dass lediglich 40% all unserer Alltagsäusserungen wahr sind und demnach 60% gelogen wird, gilt es zu berücksichtigen:


Bei alltäglichen Lügenverhalten geht es nicht ausschliesslich um einen böswilligen, vorsätzlichen Verstoss gegen Regeln. Oft wird gelogen aus Höflichkeit, Bescheidenheit, Angst oder nur deshalb, um sich besser darzustellen. Niemand spricht von Regelverstössen, wenn ein Arzt einen folgenschweren Befund bewusst verschweigt, wenn jemand sein Alter beschönigt oder bei einem unangenehmen Termin sich mit einer Notlüge behilft. Selbst bei der Alltagsfrage "Wie geht es?" wird unablässig gelogen. Bei all den vielen Lügen hat kaum jemand ein schlechtes Gewissen. Viele Händler täuschen Interesse oder Desinteresse vor.
Jede Übertreibung oder Untertreibung ist auch ein Abweichen von der Wahrheit. Beispielsweise wird ein Autoverkäufer anstatt offen zu lügen, einfach gewisse relevante Aussagen verschweigen d.h. er wird sich im Verkaufs-Gespräch hüten, einflussreiche negative Informationen zu erwähnen. Nur wenn jemand hinter der Unwahrheit Vorsätzlichkeit und Hinterlist steckt, sprechen wir von Lügerei.

Der britische Wissenschaftler Albert Vrij von der Uni Portsmouth stellte in einer Untersuchung fest, dass ein Mensch durchschnittlich zwei mal pro Tag lügt. 80 Prozent der Lügen sind jedoch von der unschuldigen Art:
Die häufigsten Lügen im Beruf:
  • "Ich bin im Stau".
  • "Ich arbeite morgen zu Hause".
  • "Er ist in einer Sitzung".
  • "Ich habe Ihnen eine Mail geschickt."
  • "Interessant, dass Sie anrufen, ich beschäftige mich gerade mit dieser Sache."
  • "Wir haben ein Computerproblem".
  • "Ich habe die Papiere gestern auf die Post gebracht."
Die häufigsten Lügen im Privatleben:
  • "Ich komme in letzter Zeit zu nichts mehr."
  • "Du warst ständig besetzt."
  • "Wie schade, wir haben genau an diesem Abend Theaterkarten".
  • "Was für ein aufmerksames Geschenk".
  • "Wenn ich wollte, könnte ich sofort mit dem Rauchen aufhören".
  • "Natürlich liebe ich Dich".
  • "Ich lüge nie."
  • "Entschuldige, ich habe es wahnsinnig eilig".


Fragen

Folgende zentrale Frage beschäftigt viele Kommunikationsspezialisten aber auch Ehepartner:
  • Können wir nun aus dem Lügenmeer in der alltäglichen Kommunikationslandschaft die Wahrheit oder anderseits die Lüge erkennen?
  • Wenn wir uns mit subtilen, intelligenteren Formen der Lüge auseinandersetzen, ist es möglich die feinen Facetten der Wahrheitsabweichung allmählich zu erkennen?
  • Gibt es eindeutige Lügensignale?
Wer seine Wahrnehmungsfähigkeit laufend verfeinert, registriert an sich und bei Teammitarbeitern, welche Verhaltensweisen beim Verschweigen von Wahrheiten oder bei krassen Falschaussagen ändern oder neu eintreten.


Erkenntnisse

Bei Kommunikationsseminarien sammelten wir bei der Übung mit drei Aussagen (eine davon musste gelogen werden) im Laufe der Jahre folgende Erkenntnisse:
Die unwahre Aussage war in der Regel weniger farbig, weniger konkret; die Körpersprache weniger entspannt und die Lidschlagzahl erhöhte sich. Das Sprechtempo beschleunigte sich ebenfalls. Sprechpausen wurden kürzer. Aussagen waren weniger strukturiert oder oft, viel zu langfädig.


Detektoren

Seit Jahrzehnten versuchen Spezialisten gleichsam mit Ersatz-Lügendetektoren unwahre Aussagen aufzuspüren. (durch Stimmanalysen, Beobachtungen des Blickverhaltens, durch das Registrieren der Pupillenvergrösserungen oder der Veränderung des Hautwiderstandes, wie auch der Atemfrequenz, der Muskelspannung oder sogar durch Messungen der Hirnströmen usw.) In der Praxis hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass gewiefte Gangster, die das Leben auf Lügen aufbauen, genau wissen, wie Lügendetektoren hinters Licht geführt werden können (In Deutschland gilt die polygraphische Strafuntersuchung nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnissen als ungeeignetes Beweismittel).

Auch die Reaktionen über das vegetative Nervensystem lässt sich nach Klaus Fiedler (Heidelberg) noch nicht umfassend deuten. Bei Befragungen kann es mitunter zu Reaktionen kommen, wie wenn tatsächlich gelogen worden ist, nur deshalb, weil ein Wort einen grossen Reiz auslöste (Tabu-Bereich). Geübte Tester versuchen zwar mit Kontrollfragen, die ebenfalls analoge Tabubereiche ansprechen, herauszufinden, ob tatsächlich gelogen wurde. Nach heutigen Erkenntnissen kann ein geschickter Befrager mit einem Detektor auf eine Erfolgsquote von lediglich 65% kommen. Die ist jedoch durch Intuition ebenso so gut möglich.
Janet Rothwell von der Manchester Metropolitan University entwickelte einen neuartigen Lügendetektor, der kleinste Zuckungen des Gesichtes registriert, die vom blossem Auge kaum wahrnehmbar sind. Das Gerät beurteilt 24 Gesichtsvariablen. Damit lässt sich angeblich die Glaubwürdigkeit von Aussagen erstaunlich gut beurteilen. In Tests mit uneingeweihten Menschen bewertete das System etwa 80% der Verhöre korrekt. Bei den herkömmlichen Lügendetektoren lag die Trefferquote unter 70%! Der Vorteil der Mimikanalysen ist, dass das Gerät nicht mit wahren Antworten der Probanten geeicht werden muss. Man denkt bereits an den Einsatz bei Flughafenkontrollen: Falls der Detektor unwahre Äusserungen registriert, könnten Fahnder das Gepäck gründlicher kontrollieren.


Bei Kommunikationsprozessen

Wer bei Kommunikationsprozessen lügen muss, (Beispielsanalyse) weiss, dass das Lügen gar nicht einfach zu lernen ist. Über Wochen wurde der amerikanische Präsident von mehrern Coachern stundenlang trainiert. Und der Kameramann durfte während dem Verhör keine Nahaufnahmen machen.
Erstaunlich ist das Phänomen des Selbst-Belügens. Die Polizei und bei Gerichtsverhandlungen zeigt sich immer wieder:
Das Gedächtnis von Augenzeugen ist sehr schlecht und Betroffene sehen Farben der Verkehrsampel plötzlich durch Imagination neu. Betroffene glauben letzlich an ihre Falschaussage. Die selbsterzeugte Information kann sich deshalb allmählich als Wahrheit einprägen. Traurige Aktualität hat dieser Sachverhalt bei sexuellen Übergriffen. So wie Autosuggestion ein hilfreiches Instrument sein kann, so kann es bei der Suche nach der Wahrheit letzlich auch folgenschwer sein. Die Unwahrheit, Einbildung (als Bild) wird zementiert.




Fazit: Es lohnt sich bei der Alltagkommunikation den Umgang mit der Unwahrheit zu beachten, weil wir damit der Wahrheit näherkommen.




Links zum Thema:
Ehrlich gesagt... (auf diesen Webseiten)
10 Regeln zum Lügen (auf diesen Webseiten)
Artikel im Zürich Express vom 20. Februar 2003.


Nachtrag: Interview im Radio 24

Interview, November 2007 im Radio 24.






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