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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Apr. 2004)

Kopftuchrhetorik



Monika-Nur Sammur Im "Zischtig-Club" des Schweizer Fernsehens vom März 2004 dominierte die Muslima Monika-Nur Sammur. Rhetorisch gekonnt setzte sie sich während der ganzen Gesprächsrunde mit Nationalrat Boris Banga, Amira Hafner-Al-Jabaji, Yvonne-Denise Köchli, Oskar Freysinger und Nationalrat Daniel Vischer durch. Ihre einfachen Argumente und Thesen wiederholte sie unablässig. So behauptete sie:

Die Kopftuchpflicht steht klar im Koran.


Obwohl die anderen Musliminnen dies zu widerlegten versuchten, setzte sich die dominate Rednerin gegen alle andern durch.


Wenn jemand argumentieren wollte, unterbrach sie und brachte es fertig, ständig zu Wort zu kommen. Versuchte jemand Monika-Nur Sammur zu widersprechen, pochte sie sofort auf ihr Recht, den eigenen Gedanken zu Ende führen zu dürfen.

Wir wunderten uns, dass keine der Gesprächsteilnehmerinnen diese Taktik erkannte und dieses Gebaren entlarvte. Die konsequente Durchsetzungstrategie machte sich für Monika-Nur Sammur bezahlt.

Nicht einmal der Moderator Ueli Heiniger brachte es fertig, die harte Debattiererin zu bändigen.

Sammur sprach ein perfektes Zürichdeutsch und formulierte sehr verständlich. Ihre Begründungen waren einfach:

  1. Sie baute die Argumentation auf der These auf, dass eigentlich niemand mitdiskutieren könne, der nicht selbst Muslim ist. Mit dieser konstruierten These gelang es der Dialektikerin, Gesprächsteilnehmermundtot zu machen.
  2. Ferner argumentierte sie mit der These: Musliminnen sind emanzipiert und lassen sich nichts vorschreiben. Niemand könne behaupten, die Frauen würden unterdrückt und das Kopftuch sei ein Zeichen der Erniedrigung. Wollte jemand diese Sicht einbringen, stoppte Monika-Nur Sammur das sofort. Dies gelang ihr hervorragend.
  3. Die Rhetorikerin ging davon aus, dass das Kopftuch nichts - aber auch gar nichts - mit einer politischen Kundgebung zu tun hat. Es gelang ihr bei diesem Argument erneut, die eigenen Thesen zu wiederholen. (Niemand kann mitreden, wenn nicht Muslim. Die Frauen sind emanzipiert und haben selbst entschieden, dass sie das Kopftuch tragen wollen, deshalb darf niemand Vorschriften machen.)
  4. Als eine Diskutantin einmal anhand einer Analogie zeigen wollte, dass bei vielen Leuten das Kopftuch durch die Anschläge negative Assoziationen hervorruft und als Vergleich die Wirkung des Hakenkreuzes erwähnte, das den ursprünglichen positiven Sinn durch den Missbrauch der Nazis verlor, geriet die Durchsetzungsrhetorikerin in Rage und griff die Sprechende massiv an. "Es ist eine Frechheit, uns mit den Nazis zu vergleichen!" Niemand wagte es, die Analogie ins richtige Licht zu rücken: Der Vergleich bezog sich lediglich auf die Wirkung eines missbrauchten Zeichens.


War dieser Auftritt eine rhetorische Meisterleistung? Zum Teil:

Sammur verschaffte sich überdurchschnittlich viel Sprechzeit, setzte sich durch, wiederholte ihre Kernargumente und brachte es fertig, andere zum Schweigen bringen. Nach den Leitsätzen der "Kampfrhetorik" punktete Monika-Nur Sammur eindeutig. Trotz der rhetorischen Elemente mangelte es der Kopftuchrhetorikerin aber an Fähigkeit zum Dialog. Es fehlte vor allem am Zuhörvermögen und an der Verhandlungskompetenz. Sie war nie bereit, eine andere Meinung zu verstehen, ohne selbst einverstanden zu sein. Ferner fehlte es der militanten wirkenden Muslimin an Empathie.


Die penetrante Rhetorik Sammurs weckte sogar Ressentiments. Wir stellten fest, dass Vorurteile gegenüber "Kopftuch-tragenden-Frauen" (wie Azzoziationen mit Terroristinnen) eher verstärkt als abgebaut wurden. Schade.

Für uns wirkte die "Kopftuchrhetorik" kontraproduktiv. Der Zoff um den Stoff brachte trotz der rhetorischen Taktiken letztlich keine Sympathien für die Anliegen der Rhetorikerin.




Nachtrag vom 19. April, 2004: In einem Beitrag "Koran schreibt kein Kopftuch vor" der NZZ am Sonntag vom 18. April erläutert Jésus Riosalide, weshalb Fundamentalisen versuchen, dem Okzident weiszumachen, es sei eine zwingende islamische Regel, sich den Kopf zu bedecken. Riosalinde doktorierte in islamischem Recht und publizierte ein Anzahl von Bücher über islamisches Recht und die arabische Sprache. Er rückte das Schleiergebot in ein anderes Licht, indem er den Koran wortwörtlich zitiert. Er belegt mit vier Zitaten, dass der Koran toleranter ist als die Bibel.

Vers Zitat Kommentar
- Vers 31 der 24. Sure, "Das Licht": "Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen den Blick züchtig senken, sie sollen sittsam sein, nicht mehr Reiz zeigen als den offensichtlichen, ihren Halsausschnitt mit dem Ende des Kleides bedecken, ihre Reiz nur ihren Gatten, ihren Eltern, ihren Schwiegereltern... zeigen" Hier gibt es nicht den geringsten Hinweis auf den Schleier.
- Vers 60 der 24. Sure, "Das Licht": "Wenn eine Frau die Wechseljahre erreicht hat und die Hoffnung auf eine Heirat verliert, kann sie die Kleider ausziehen, auch wenn sie damit ihre Reize zeigt; wenn sie sich aber aus Bescheidenheit kleiden will, tut sie gut daran. Gott hört und weiss alles." Hier besteht offensichtlich keine Pflicht, den Kopf zu bedecken.
- Vers 51, 33. Sure, "Die Parteien": "Gläubige tretet nicht in die Gemächer des Propheten ein, wenn man euch nicht dazu berechtigt, um eine Mahlzeit einzunehmen.... Wenn ihr seine Frauen um einen Gegenstand bittet, tut dies hinter einem Schleier. Dies ist für euch und diese schicklicher." Dies ist die einzige Stelle, an welcher der Koran das Wort "hidjab" oder Schleier verwendet. Der Schleier könnt aber auch von der Decke hängen. Der Text spricht von Propheten und seinen Frauen und nicht von der Gesamtheit der Musliminnen.
- Vers 59 der 33. Sure, "Die Parteien": "Prophet, sag deinen Frauen und deinen Töchtern und allen Frauen der Gläubigen, dass sie die Dschellaba trage sollen. Dies ist besser so, damit die Leute wissen, dass es sich um ehrbare Personen handelt und sie nicht belästigt werden." Die Fundamentalisten zitieren diesen Vers, um das Tragen des Schleiers zu rechtfertigen. Es gibt radikale muslimische Uebersetzer, die diese Passage absichtlich verfälschen. Sie schreiben bewusst von "Schleier" nicht von "Dschellaba". Tatsächlich ist die Dschellaba ein Kleidungsstück, das von den Schultern bis zu den Füssen reicht und den Kopf frei lässt.


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