Im Jahre 2008 erhielt Pascal Couchepin bereits zum zweiten Mal das Amt
des Bundespräsidenten. Er ist wie Christoph Blocher ein
Vollblutpolitiker und unbestritten das Alphatier im Bundesrat. Dass es
zwischen ihm und Blocher, sowie der Bundesratskollegin Micheline Calmy-Rey
verschiedentlich zu Spannungen kam, war offensichtlich. Obschon Couchepin
recht fragwürdige und zu Teil so gar beleidigend formuliert, gelingt
es dem allzu selbstsicherem, stark von sich eingenommenem Walliser
stets, sich durchzusetzen. In die Enge getrieben, relativiert er meist
seine Aussagen. Nachfolgend sind einige typischen Antworten aus verschiedenen
Interviews, die um den Jahreswechsel herum gemacht worden sind.
1. Sequenz:
In einem Interview mit dem zukünftigen Bundespräsidenten im
Tagesanzeiger. Pascal Couchepin befragten Daniel Foppa und Philipp Mäder in Bern.
Tagi: Wie halten Sie es mit der Religion?
Couchepin: Ich bin gläubig.
Tagi: Sie sind also praktizierender Katholik?
Couchepin: Das ist meine Angelegenheit.
Tagi: Der Vatikan will die Schweizer Katholiken wieder auf Kurs bringen:
So bei der Beichte oder der Laienpredigt. Macht das Sinn?
Couchepin: Ich bin tief davon überzeugt, dass die Kirche zwar die
Gemeinschaft der Gläubigen ist, diese aber eine gewisse Freiheit
haben sollten. Ich respektiere, was die Kirche sagt. Aber ich behalte
meine Freiheit.
Tagi: Das tönt eher kritisch gegenüber Rom.
Couchepin: Als ich noch im Gymnasium war, hat mir ein Domherr gesagt: Der
grösste Beweis dafür, dass das Christentum richtig ist, liegt
darin, dass die Kirche es auch in zweitausend Jahren nicht töten
konnte.
Tagi: Was ist mit dem Gleichstellungsgesetz? Sollte das für die
Kirche auch gelten?
Couchepin: Das ist etwas Anderes. Man kann nicht verlangen, dass Männer
Kinder gebären. Es gibt nun mal Unterschiede zwischen den
Geschlechtern.
Tagi: Frankreich trennt Kirche und Staat konsequent. Wäre das in
der Schweiz sinnvoll?
Couchepin: Das kann jeder Kanton machen wie er will. In Genf und Neuenburg gibt es
diese Trennung. Der Bundesstaat soll Respekt für die Kirchen haben,
diese aber nicht aktiv unterstützen. Die streng laizistische Haltung
wie in Frankreich ist aber eine Illusion. Und zudem falsch.
Tagi: Sie stören sich nicht an Kreuzen in Schulzimmern?
Couchepin: Nein.
Tagi: Und an Kopftüchern bei Lehrerinnen?
Couchepin: Auch nicht. Aber ich finde es schade. Denn das Kopftuch ist ein
Zeichen dafür, dass sich jemand selbst ausschliesst.
Tagi: Gibt es auch Grenzen der Toleranz - etwa wenn ein muslimisches
Mädchen nicht zum Schwimmunterricht darf?
Couchepin: Als ich in Martigny mit einem solchen Fall konfrontiert war, sagte
ich: Das arme Mädchen hat sicher einen Schnupfen. Damit war sie
vom Schwimmen dispensiert.
Tagi: Ist das nicht falsch verstandene Toleranz?
Couchepin: Ist diese Frage wirklich so entscheidend, dass man ein Mädchen
zum Schwimmen zwingen soll? Man muss eine pragmatische Lösung finden.
Tagi: Seit der Abwahl von Bundesrat Blocher ist mit der SVP die
grösste Partei der Schweiz in der Opposition. Wie gehen Sie als
Bundespräsident damit um?
Couchepin: Im Moment stelle ich fest, dass diese selbsternannte Oppositionspartei
als erste politische Tat ihre Gesundheitsinitiative zu Gunsten eines
im Parlament beschlossenen Kompromisses zurückzieht. Das nenne ich
eine ziemlich konstruktive Opposition.
Tagi: Sind Sie der richtige Mann, um die Gräben zwischen
den Anhängern der SVP und den übrigen Schweizern
zuzuschütten? Immerhin haben Sie mit Ihrem Vergleich zwischen Herrn
Blocher und dem Duce selbst Position bezogen.
Couchepin: Ich habe den Duce und Herrn Blocher nicht direkt
verglichen. Ich habe gesagt: Wenn alles von einer Person
abhängen würde, wären wir im System des Duce.
Tagi: Man macht Ihnen den Vorwurf, Sie würden Westschweizer
fördern, indem Sie ihnen wichtige Posten Ihres Departements geben.
Couchepin: Was ist falsch daran?
Tagi: Das sieht nach Kumpanei aus.
Couchepin: Ich bevorzuge die Westschweizer nicht. Aber ich vernachlässige
sie auch nicht. Denn die Minderheiten sind in der Bundesverwaltung
untervertreten.
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Analyse erster Teil
Couchepin bestätigt, seine Gläubigkeit, doch beantwortet er die
Frage nicht, ob er praktizierender Katholik sei. Ich finde es richtig,
solche persönliche Fragen nicht zu beantworten. So, wie Intimes
nicht offen gelegt werden muss, sollte man alle persönlichen Fragen
einfach stehen lassen. Weil Pascal Couchepin dem Kirchenvolk gewisse
Freiheiten zugesteht, schliesst der Journalist, der Politiker habe eine
kritische Haltung der katholischen Kirche gegenüber. Couchepin
relativiert seine Meinung spontan mit dem Zitat eines Domherrn.
Der Gleichstellungsfrage begegnet Couchepin mit dem Spruch, man könne
nicht verlangen, dass Männer Kinder gebären. Eindeutige
Positionen versteht Couchepin zu umschiffen, indem er die liberale
Karte zieht. Jeder kann machen, was er will: Bei der Trennung
von Kirche und Staat wie auch beim Tolerieren von Kreuzen oder
Kopftüchern. Erstaunlich, wie es Couchepin gelingt, mit einer
sonderbaren Argumentation das Fernbleiben vom Schwimmunterricht zu
entschuldigen. Seine allwettertaugliche Antwort - man müsse
pragmatische Lösungen finden - wird von den Journalisten
akzeptiert. In einem Kommentar (Sonntagsblick 6. Jan.08) geht Frank
A Meyer auch auf zwei Sätze Couchepins in einem Interview ein:
#Ist diese Frage wirklich so entscheidend, dass man ein Mädchen zum
Schwimmen zwingen soll?" und der Satz: #Das Kopftuch ist ein Zeichen, dass
sich jemand selbst ausschliesst". Frank A Meyer begründet, weshalb
diese Sätze auf dem Kopf stehen und umgedreht werden müssen.
Denn: Nicht die Schule zwingt die Mädchen zum Schwimmunterricht,
sondern die muslemischen Väter zwingen die Töchter zum
Verzicht. Auch nicht die Frauen schliessen sich durch das Kopftuch
von der Gesellschaft aus. Es sind die muslemischen Männer, die
ihre Frauen von der Gesellschaft ausschliessen. Dieser Hinweis macht
deutlich: Couchepins Versuch, Sachverhalte zu relativieren können
Sachverhalte verzerren.
Couchepin behauptet, er habe Blocher nur indirekt mit dem Duce verglichen.
Recherchen zeigen jedoch: Im September 07 sagte Couchepin laut 10
vor 10: "Wenn die Wiederwahl nicht stattfindet (Aussage bezieht sich
unmissverständlich auf die SVP und die Wahl Blochers), dann gäbe
es eine Reihe von Katastrophen. Dies erinnert an den Faschismus. Wenn der
Duce fehlt, geht alles unter." Damit hat Couchepin nicht nur indirekt
sondern eindeutig Blocher gemeint! Heute relativiert Couchepin auch
bei dieser Behauptung seine alte Aussage.
Bereits im Interview vom 3. Oktober 2004 in der "NZZ am Sonntag"
wurde Couchepin gefragt: "Wollen Sie sagen, dass Blocher -
indem er das Volk emporstilisiert und mythisiert - die Demokratie
gefährdet?" Couchepin: "Ja, ich glaube, dass Christoph Blochers
Haltung gefährlich ist für unsere Demokratie." In diesem Fall
hatte Couchepin die Frage eindeutig beantwortet. Nachträglich
versuchte er dennoch, solch klare Aussagen zu relativieren und
abzuschwächen.
Auf den Vorwurf, als Bundesrat habe er bei Stellenausschreibungen die
Westschweizer bevorzugt, bezeichnet er die einseitige Auswahl nicht
als Bevorzugung, sondern als selbstverständlichen Ausgleich,
hervorgerufen durch die #Untervertretung" der Welschen. Quotendenken
hat somit für ihn nichts mit Bevorzugung zu tun, obschon es ein
willkürlicher Auswahlakt (eine Bevorzugung) ist. Wiederum punktet
Couchepin mit seiner Relativierungstaktik.
2. Sequenz
Die folgenden Antworten stammen aus der "Samstagrundschau" vom 29.12.2007 im DRS1.
Pascal Couchepin wird von Urs Siegrist befragt.
Journalist: Haben Sie nach der Abwahl von Blocher Angst vor Blockaden
- beispielsweise im Blick auf die Personenfreizügigkeit? Oder..
(Journalist wird von Couchepin unterbrochen)
Couchepin: Es wird wahrscheinlich eine Konfrontation geben -äh - beim
Personenverkehr. Aber, ich bin überzeugt: wir werden in der Lage
sein, die Leute zu überzeugen, dass unser Wohlstand der letzten Jahre
ist das Resultat dieses freien Personenverkehrs. Es ist nicht - wie man
oft gesagt hat - wegen des Scheiterns des EWR- dass wir so einen grossen
Wohlstand gehabt haben. Es ist wegen der bilateralen Verträge. Es
ist wegen etwas Positivem, dass wir mit dem Europa gestimmt haben und
nicht weil wir eine Absage gegeben haben. Es ist wegen eines positiven
Entscheides des Volkes.
Journalist: Würden Sie auch sagen. Als Sie letztes Mal Bundespräsident
wurden, ging es der Schweiz viel schlechter. Das Wachstum war
gedämpfter. Ist es der Personenfreizügigkeit zu verdanken,
dass es der Schweiz wirtschaftlich wieder viel besser geht?
Couchepin: Teilweise natürlich. Die Öffnung der Grenzen hat etwas
gebracht- auch einige Probleme gebracht. Aber, warum haben wir weniger
Spannungen auf dem Arbeitsmarkt? Warum waren wir in der Lage mehr
zu produzieren? Warum waren wir in der Lage unsere Wirtschaftzweige
zu verbessern? Es gab Wettbewerb, Öffnung der Grenzen und es
gab die Möglichkeit im Ausland Arbeitkräfte zu finden,
die man vielleicht in der Schweiz nicht finden könnte. Es bringt
uns auch einige Probleme, das werde ich nicht vergessen. Auch grosse
Probleme. Insgesamt ist die Bilanz sehr positiv und niemand wird dies
ernst bestreiten.
Journalist: Herr Couchepin, Sie sind ein markanter Politiker...
Als habe es der Befragte geahnt, dass nun einige heiklen Punkte
zur Sprache kommen könnten, fährt der Bundesrat sofort dem
Journalisten über den Mund. Einige Sekunden reden beide gleichzeitig,
dann setzt sich der Bundesrates durch:
Couchepin: Ich weiss nicht, ob dies
ist eine Beerdigungsrede, weil,... (Dann wehrt sich der Journalist
und beide reden beide wild durcheinander - Unverständlicher
Wortsalat)...
Couchepin: Bosheit? (ist zu hören) Journalist: Nein,
nein - nicht Bosheit.... Sie fallen als Politiker immer wieder auf
- mit Ihren Vorschlägen. Ich nenne Rentenalter 67. Ich nenne
Frühpensionierung- oder höhere Krankenkassenprämien
für Senioren...
Couchepin: (Interveniert hartnäckig) Nein, das habe
ich nicht vorgeschlagen
Journalist: O.k.
Couchepin: Ich bin dagegen.
Journalist:
Streichen wir das- Beide reden gleichzeitig (Aussagen wiederum völlig
unverständlich) ...
Couchepin: Ich habe gesagt, in den nächsten 10
Jahren werden wir ein Finanzierungsproblem für die AHV haben. Unter
den Möglichkeiten gibt es die Möglichkeit, das Rentenalter um
ein Jahr im Jahre 2015 zu erhöhen und um zusätzlich ein Jahr
im Jahre 2025. Das ist rational.
Journalist: Was ich eigentlich fragen wollte, ob die Schweiz ein Land ist,
wo es schwierig ist solche Ideen zu platzieren?
Couchepin:
Ja natürlich. Ich kann das verstehen. Wenn man den Leuten sagt,
dass sie früher die gleiche Rente haben, dann würden sie
ja sagen. Doch die schweizerischen Bürger wissen, dass es etwas
kostet und sie wollen wissen, wie man das bezahlt. Es ist ganz einfach:
Während der letzten Jahre hat man 1% mehr Mehrwertsteuer für
ie AHV gehabt. Man hat andere Erhöhungen gehabt. Man hat Geld von
der Nationalbank in die AHV gebracht. Und schlussendlich gibt es eine
gesunde AHV Situation - wegen dieser Massnahmen. Das Verhältnis der
Rentner und Aktiven wird sich verschlechtern, wegen der Demographie. Dann
wird es noch schwieriger, um die AHV zu finanzieren. Dann müssen
wir neue Lösungen finden.
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Analyse 2. Teil:
Erst verdankt die Schweiz nach Couchepin ihren Wohlstand den bilateralen
Verhandlungen und vor allem dem freien Personenverkehr. Auf die
Nachfrage des Journalisten relativiert der Interviewte seine These,
der Erfolg sei nur teilweise diesem Umstand zu verdanken. Der Vorwurf,
Couchepin sei auf einem Auge blind, wird entkräftet. Als der
Journalist die unpopulären Vorschläge ansprechen will,
irritiert ihn Couchepin. Durch die penetrante Unterbrechungstaktik,
dann durch das Korrigieren einer Aussage, welche der Journalist zu wenig
genau recherchiert hatte. Der wird dadurch in die Defensive gedrängt.
Die Zuhörer beziehen Couchepins #Nein" eher auf die
Krankenkassenprämien. Doch zeigt es sich, ihm geht es um die
AHV. Er relativiert die vorgeschlagene Rentenerhöhung indem er die
Verschiebung des Renteneintrittes aufteilt. Die Zuhörer haben das
Gefühl, Couchepin wolle das Rentenalter gar nicht erhöhen.
Er setzt sich immer wieder mit seinem forschen aggressiven Eingreifen
durch. Erstaunlicherweise führt dieses offensive Verhalten -
verbunden mit einer geschickten Relativierung der früheren Aussagen
- zum Erfolg. In einem Interview in SONNTAG vom 30. Dez. beantwortet
Couchepin den Journalisten Patrick Müller und Florence Vuchard
Frage nach der Erhöhung des Rentenalters eindeutig: "Wegen der
demographischen Entwicklung werden wir nicht darum herum kommen",
und gibt den möglichen Zeithorizont der Erhöhung bekannt:
#Die erste Erhöhung - um ein Jahr- vielleicht 2015 und die
zweite im Jahre 2025. Das werden dann meine Nachfolger entscheiden."
Obschon Pascal Couchepin hart austeilten kann, versteht er es immer
wieder, den Geschlagenen die Hand zur Versöhnung anzubieten,
wie beispielsweise in der jüngsten Neujahrsansprache. Obschon es
Couchepin war, der Blocher und die SVP massiv angegriffen hatte (er schade
der Demokratie/ Ducevergleich) bemühte er in der Neujahrsansprache -
nachdem Blocher geschlagen war - die Metapher der Kappeler Milchsuppe
als Symbol zur Versöhnung. Couchepin fand, nun sollten sich alle
wieder friedlich vereint um den Kessel setzen. Ein gutes mediengerechtes
Bild, das überall zitiert wurde, das Couchepin als Sieger- nicht
hätte vermitteln dürfen. Doch stellen wir fest: Couchepin kann
sich sehr viel leisten. Er übersteht alle Tiefs nahezu unbeschadet.
Erkenntnis
Couchepin ist ein Politiker mit langjähriger Erfahrung, mit allen
Wassern gewaschen und einer rhetorischen Begabung, die sich hören
lassen kann. Sein Amt als Bundespräsident erfordert aber nicht nur
seine politische Schläue, Redekunst und Durchsetzungsvermögen,
sondern darüber hinaus die Fähigkeit, sich über
das politische Gezänk der Parteien zu erheben und, quasi als
Ueber-Mediator, die verschiedenen Interessen seiner Bundesratskollegen
auszugleichen und sie unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte
unter einen Hut zu bringen. Seine Beherrschung des rhetorischen
Relativierens kann ihm dabei gute Dienste leisten. Hervorheben
möchte ich noch, dass Aussagen zu relativieren nur bedeutet, der
wörtlichen Aussage andere Zusammenhänge zu geben, nicht aber
sie in ihrem Kern zu verändern.
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