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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Juni, 2005)

Wirbel um Ferrero-Waldner's Aussage.



Benita Ferrero-Waldner
Benita Ferrero-Waldner (Bildquelle).
Kaum war der Pulverdampf zur Schengenabstimmung verflogen ( vgl. Aktuell vom 1. Juni, 2005), hat schon der Auftakt zur Septemberabstimmung über die Personenfreizügigkeit begonnen.

Im Hinblick auf die Septemberabstimmung wollten die Sieger den Schwung nutzen, um auch weitere Ja unter Dach und Fach zu bringen. Indes wertete die SVP das Ja als gefährlicher weiterer Schritt in die Richtung EU Beitritt und möchte das Ja zu Schengen als Nein zu einem EU Beitritt zementieren.

Doch dann gab es ein unerwarteter Wirbel wegen einer Aussage der EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, die meinte, die Schweiz könne nur dann in der passfreien Schengenzone sein, wenn die Schweizer im September Ja zur Regelung des Personenverkehrs sagen. Damit wurde vielen erst bewusst, dass die zweite Abstimmung zur Nagelprobe wird.

Ein kleinerer Sturm der Empörung brach los. Es hagelte Leserbriefe. Die SVP sprach von "Erpressung aus Brüssel".

"Die EU hat genügend eigene Probleme und sollte sich nicht in unsere Geschäfte einmischen", so Fulvio Pelli von der FDP.

Überrascht zeigte sich SP-Präsident Hansjürg Fehr. Ihm war die Verknüpfung zwischen Schengen/Dublin und der Personenfreizügigkeit bisher nicht bekannt.

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey reagierte auf die Worte von Benita Ferrero-Waldner ungehalten: Es sei überraschend, dass sich Brüssel darüber im Voraus ärgere, fand Micheline Camy-Rey. Es bestehe kein rechtlicher Zusammenhang zwischen Schengen und der Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens. Die Schweiz werde darüber frei und demokratisch entscheiden.

Juistizminister Christoph Blocher sagte, er würde noch untersuchen lassen, ob die zwei Themen legal verbunden seien.




In der "Arena Sendung" vom Fernsehen DRS vom 10. Juni 2005 wurde unter der Moderation von Urs Leuthard über die Frage debattiert, ob das Schengen-Dublin-Abkommen ohne ein Ja der Schweiz zur erweiterten Personenfreizügigkeit vom 25. September in Kraft treten kann.

Fahren Sie mit der Maus über die Teilnehmer, um die Fotos grösser zu sehen. Hier ist ein Link zur Arena Sendung (realplayer).
Doris Leuthard, Präsidentin der CVP Regula Stämpfli, Politologin Hans-Jürg Fehr, Präsident der SP
Ueli Maurer, Präsident der SVP Fulvio Pelli, Präsident FDP Roger Köppel, Chefredaktor "Die Welt"
Die Arenadiskussion war lebhaft. Es war schon fast eine Debatte um die Abstimmung vom 25. September. Hier ein paar bemerkenswerte Zitate:

  • Regula Stämpfli:
    "Ein Gramm Information wiegt mehr als ein Kilo Meinung".
  • Roger Köppel
    "Ich fand das Votum von Ferrera-Waldner ungeschickt. Es ist nicht die Aufgabe der EU, den Schweizern mit Drohgebärden zu kommen."
  • Ueli Maurer:
    "Der Bundesrat hat ein Glaubwürdigkeitsproblem".
  • Fulvio Pelli:
    Frankreich und Niederlande haben gezeigt, dass die EU Kommissare vielleicht etwas mehr schweigen sollten, wenn sie Erfolg haben wollen.
Die Schweizer Politologin Dr. Regula Stämpfli (wir hatten sie schon im Aktuellbeitrag vom 22. Januar 2005 angetroffen), welche in der Arena vom 10. Juni bei der Ferrera-Waldner Thematik mitdiskutiert hatte, verband für uns kurz vor dem Arena Auftritt die politischen Verwirrungen mit der Wirklichkeit:




  1. Alle europäischen Dossiers sind immer auch politischer und nicht nur finanzieller und juristischer Natur. Der Zusammenhang zwischen Schengen (Freizügigkeitsabkommen) und Personenfreizügigkeit ist inhaltlich selbstverständlich gegeben. Man kann nicht auf der einen Seite den Personenverkehr freisetzen, den Grenzverkehr öffnen, die gemeinsame Sicherheit organisieren und dann in einem zweiten Schritt, den freien Personenverkehr sofort wieder einschränken, den Grenzverkehr partiell schliessen. Eigentlich logisch.
  2. Dass sowohl in Bern als auch in Brüssel in europapolitisch sensiblen Fragen kommunikativ nicht geschickt agiert wird, hängt damit zusammen, dass sowohl in Bern als auch in Brüssel die Nerven blank liegen. Über Brüssel schwebt die Niederlage der europäischen Verfassung und über Bern das doch knapper als erwartet und erhoffte ausgefallene "Ja" zu Schengen und die Angst vor einem Nein zur Personenfreizügigkeit. Statt sich nun klassisch und kommunikativ geschickt aus dem heftigen Diskurs rauszuhalten, giessen Brüssel und Bern Öl ins Feuer. Bundesrätin Calmy-Rey indem sie nach klassischer Live-Manier auf einen Bericht des Journalisten vor den Kamera reagiert (ohne vielleicht vorher mit Ferrero-Waldner gesprochen oder vielleicht auch den Beitrag gesehen zu haben) und Bundesrat Blocher, der sich auch wieder sofort und live vor der Kamera äussert, er erinnere sich an nichts. Beide hätten besser getan, nichts zu sagen. Ebenso wie Ferrero-Waldner, welche ihrer Diplomatenkarriere etwas mehr Ehre angetan hätte, wenn sie ihre inhaltlich stimmigen Aussagen abgeschwächt hätte. Zudem hätte es ihr und Brüssel nicht geschadet, noch eine Weile das europapolitische Ja des alpinen Kleinstaates als Pflaster für die grossen europäischen Wunden der letzten Woche zu geniessen. Doch auch hier spielte wohl die eigene Befindlichkeit stark mit. Denn obwohl die Wirtschafts- und Währungsunion eine eigentlich Erfolgsgeschichte ist, muss sich Brüssel nun viel gefallen lassen. Die Elite-Öffentlichkeit hat im Falle der europäischen Verfassung nicht mehr mitgespielt und so ist der Ärger gegenüber allen kritischen europapolitischen Fragen (Fragen, die insbesondere die Osterweiterung, die Personenfreizügigkeit betreffen) momentan in Brüssel gross.
  3. Zur Abstimmungstaktik: Ein Gramm Information wiegt mehr als ein Kilo Meinung. Es ist klar, dass der Bundesrat mit den Abstimmungen taktiert hat. Dies ist schon 2003 im Mai bei gleichzeitig neun Volksabstimmungen der Fall gewesen. Da war übrigens die SVP ganz froh darüber. Urs Rellstab von der Economiesuisse hat einmal erwähnt, das sei die einfachste Kampagne gewesen: 7 mal Nein genügte, nicht einmal hätte man auf die so unterschiedlichen Initiativen (Lehrwerkstätten, Behindertengleichstellung, Gesundheit etc. inhaltlich eingehen müssen. Taktieren gehört mittlerweile zum Handwerk politischer Arbeit und Kommunikation. Da wir nicht zuletzt auch dank Ihnen, Herr Knill, wissen, wie schnell "Wahrheiten" konstruiert werden können, obwohl sie "unwahr" sind, muss immer mehr und mehr auch darauf geachtet werden, dass für Bundesrat und Parlament wichtige politische Entscheide nicht an naiver Terminierung, an schlechten Informationen und plappernden Bundesbeamten scheitern. Das mag zwar nicht spontan, offen und im eigentlichen Sinne redlich sein, aber sonst wird das Feld nur noch den Leuten überlassen, die mit Professionalität das Feld einseitig beherrschen.
  4. Alles in allem ist zwar der Unmut der Ärger und Bürgerinnen über die Scheininformationen und Abstimmungstaktiken verständlich, andererseits ist es auch Zeit, dass die Stimmbürger über gewisse Kommunikationszusammenhänge aufgeklärt werden. Es gibt wichtige politische Herausforderungen, die müssen mit Sorgfalt beurteilt werden. Und da schadet es nicht, wenn man als Stimmbürger auch kritisch gegenüber allen Kampagnen wird und versucht, sich selber ein Bild von der Vorlage zu machen. In dem Sinne sind nach Schengen wohl auch ganz viele Menschen kommunikativ auch etwas erwachsener geworden.
Regula Staempfli
Regula Stämpfli während der Arena Sendung vom 10. Juni, 2005




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