- Alle europäischen Dossiers sind immer auch politischer und nicht nur
finanzieller und juristischer Natur. Der Zusammenhang zwischen Schengen
(Freizügigkeitsabkommen) und Personenfreizügigkeit ist inhaltlich
selbstverständlich gegeben. Man kann nicht auf der einen Seite den
Personenverkehr freisetzen, den Grenzverkehr öffnen, die gemeinsame
Sicherheit organisieren und dann in einem zweiten Schritt, den freien
Personenverkehr sofort wieder einschränken, den Grenzverkehr partiell
schliessen. Eigentlich logisch.
- Dass sowohl in Bern als auch in Brüssel in europapolitisch
sensiblen Fragen kommunikativ nicht geschickt agiert wird, hängt
damit zusammen, dass sowohl in Bern als auch in Brüssel die Nerven
blank liegen. Über Brüssel schwebt die Niederlage der
europäischen Verfassung und über Bern das doch knapper
als erwartet und erhoffte ausgefallene "Ja" zu Schengen und die Angst vor
einem Nein zur Personenfreizügigkeit. Statt sich nun klassisch und
kommunikativ geschickt aus dem heftigen Diskurs rauszuhalten, giessen
Brüssel und Bern Öl ins Feuer. Bundesrätin Calmy-Rey indem sie
nach klassischer Live-Manier auf einen Bericht des Journalisten vor den
Kamera reagiert (ohne vielleicht vorher mit Ferrero-Waldner gesprochen
oder vielleicht auch den Beitrag gesehen zu haben) und Bundesrat Blocher,
der sich auch wieder sofort und live vor der Kamera äussert, er erinnere
sich an nichts. Beide hätten besser getan, nichts zu sagen. Ebenso wie
Ferrero-Waldner, welche ihrer Diplomatenkarriere etwas mehr Ehre angetan
hätte, wenn sie ihre inhaltlich stimmigen Aussagen abgeschwächt
hätte. Zudem hätte es ihr und Brüssel nicht geschadet,
noch eine Weile das europapolitische Ja des alpinen Kleinstaates als
Pflaster für die grossen europäischen Wunden der letzten Woche zu
geniessen. Doch auch hier spielte wohl die eigene Befindlichkeit stark
mit. Denn obwohl die Wirtschafts- und Währungsunion eine eigentlich
Erfolgsgeschichte ist, muss sich Brüssel nun viel gefallen lassen. Die
Elite-Öffentlichkeit hat im Falle der europäischen Verfassung nicht
mehr mitgespielt und so ist der Ärger gegenüber allen kritischen
europapolitischen Fragen (Fragen, die insbesondere die Osterweiterung,
die Personenfreizügigkeit betreffen) momentan in Brüssel gross.
- Zur Abstimmungstaktik: Ein Gramm Information wiegt mehr als ein
Kilo Meinung. Es ist klar, dass der Bundesrat mit den Abstimmungen
taktiert hat. Dies ist schon 2003 im Mai bei gleichzeitig neun
Volksabstimmungen der Fall gewesen. Da war übrigens die SVP ganz froh
darüber. Urs Rellstab von der Economiesuisse hat einmal erwähnt, das
sei die einfachste Kampagne gewesen: 7 mal Nein genügte, nicht einmal
hätte man auf die so unterschiedlichen Initiativen (Lehrwerkstätten,
Behindertengleichstellung, Gesundheit etc. inhaltlich eingehen
müssen. Taktieren gehört mittlerweile zum Handwerk politischer Arbeit
und Kommunikation.
Da wir nicht zuletzt auch dank Ihnen, Herr Knill,
wissen, wie schnell "Wahrheiten" konstruiert werden können, obwohl sie
"unwahr" sind, muss immer mehr und mehr auch darauf geachtet werden,
dass für Bundesrat und Parlament wichtige politische Entscheide nicht
an naiver Terminierung, an schlechten Informationen und plappernden
Bundesbeamten scheitern. Das mag zwar nicht spontan, offen und im
eigentlichen Sinne redlich sein, aber sonst wird das Feld nur noch
den Leuten überlassen, die mit Professionalität das Feld einseitig
beherrschen.
- Alles in allem ist zwar der Unmut der Ärger und
Bürgerinnen über die Scheininformationen und Abstimmungstaktiken
verständlich, andererseits ist es auch Zeit, dass die Stimmbürger
über gewisse Kommunikationszusammenhänge aufgeklärt werden. Es
gibt wichtige politische Herausforderungen, die müssen mit Sorgfalt
beurteilt werden. Und da schadet es nicht, wenn man als Stimmbürger
auch kritisch gegenüber allen Kampagnen wird und versucht, sich selber
ein Bild von der Vorlage zu machen. In dem Sinne sind nach Schengen wohl
auch ganz viele Menschen kommunikativ auch etwas erwachsener geworden.
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Regula Stämpfli während der Arena Sendung
vom 10. Juni, 2005
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