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Alpha-Tiere im Rosenkrieg

Warum prominente Ehe-Krisen beliebte Geschichten sind

von Günter Klein im Münchner Merkur. 4. März, 2003




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Scheidungen waren schon immer ein Erfolg. Ein Vierteljahrhundert, bevor das Privatfernsehen Doku-Drama und Reality-Show erfand, zeigte das ZDF "Ehen vor Gericht". Beginnend mit der Erstausstrahlung vom 10. Juni 1970 schlich sich dreimal jährlich Beklemmung in deutsche Wohnstuben. Und 1978 herzschmerzelte die 10-jährige Andrea Jürgens über alle Radiosender von den Leiden eines Scheidungskindes: " ... und dabei liebe ich euch beide" hielt sich 28 Wochen lang in der Hitparade. Ehekrisen, Affären, Scheidung - im dritten Jahrtausend ist das tägliche Gefühlskino angesagter denn je. Doch vorgespielt wird das grosse Trennungstheater nicht mehr von Durchschnittspaaren _ daraus ist eine Promi-Inszenierung geworden. Der aktuelle Schlagzeilenknüller ist: Fussballtorwart Oliver Kahn, seine Münchner Disco-Bekanntschaft Verena, und Ehefrau Simone hochschwanger allein zu Haus. Das einzig Gute für Kahn: Vor Wochen noch kursierende Gerüchte um eine Liaison mit Schlagersängerin Michelle sind somit widerlegt - damit hatte er seine erste Nennung in "Bild", dem Fachorgan für Rosenkriege. Kahn spielt nun in einer Liga mit: Thomas Borer, Sabine Christiansen, Dieter Bohlen, Hera Lind, Uschi Glas, Klausjürgen Wussow, Heiner Lauterbach, Franz Beckenbauer, Ottmar Hitzfeld, Stefan Effenberg, Boris Becker, Michael Stich, Thomas Hässler - Personen, deren Beziehungen sich öffentlich abspielen. Ehen auf Seite 1. "Bei Kahn ist es ideal", sieht Marcus Knill eine Serienverwertung auf den Fussballer zukommen. Der Schweizer Knill ist Berater für Medienkommunikation, er betreibt Mediencoaching für Schweizer Spitzensportler und gibt die Internet-Postille "www.rhetorik.ch" heraus, in der er auch über "Die Droge Klatsch" schreibt. Knill sagt:

"Klatsch ist nichts Neues, den gab es schon bei den Höhlenmenschen, wo man über Geschehnisse in der Nebenhöhle sprach." Wenn einem nun Klatsch als vermehrt auftretendes Phänomen erscheine, liege das an der netzwerkartigen Verbreitung über die neuen Medien. Oliver Kahn war leicht "zu skandalieren", so der Fachbegriff. Knill: "Er ist ein Alpha-Tier, der ist schon in der Stube drin, mit dem ist man vertraut. Für einen Medienmenschen ist es schön, wenn man zeigen kann: So eine Galionsfigur ist auch mit Fehlern behaftet."


Einer Spontan-Entdeckung entspringen die prominenten Krisen und Neu-Liebeleien so gut wie nie. Knill zitiert den ehemaligen Bild-Chefredakteur Gustav Jandek:

"Wer mir seine Hochzeit teuer verkaufen will, bei dem hole ich mir die Scheidung umsonst."


Dem Schweizer Kommunikationsexperten Knill ist klar:

"Redaktionen hüten sorgsam ihre Giftschränke mit Geschichten und Fotos. Irgendwann ist die Zeit immer reif, und der Klatsch kann dann gut verkauft werden."


Oder die Prominenz lanciert die Neuigkeiten über sich selbst. Michael Meier, einst bei "Bild" der Lieblingsjournalist von Verona Feldbusch, bezifferte den Anteil abgesprochener Enthüllungsgeschichten "auf 80 Prozent". Auch "Der Spiegel" nahm sich des Publikumserfolgs der Scheidungsgeschichten an und kam zum Schluss:

"Die Prominenten spielen in ihren Rosenkriegen das vor, was Millionen ihrer Verehrer in ihren kleinen Ehen erleben, und darum lieben die Leser diese schönen Geschichten und treiben die Auflage der Rosenkriegspresse in die Höhe, wenn man wieder ein zerstrittenes Traumpaar durchs Dorf getrieben wird. Jeder öffentliche Rosenkrieg ist eine Inszenierung vor einem Millionenpublikum, das gleichermassen angeekelt wie dankbar ist."


Paul Sahner, nahezu schon kultiger Gesellschaftsreporter der "Bunte", hält die deutsche Prominenz für die zeigefreudigste - gut für sein Gewerbe:



"In den USA geht sie zum Psychiater - in Deutschland zu den Medien."


Als Folge der Entblössungswut konstatierte der "Spiegel": "Die meisten Deutschen wissen von den Wussows mehr als vom Liebesleben ihrer Kinder." Die neuen Hauptdarsteller auf der Bühne der Fremd-Liebelei sind Sportgrössen. Sie sind berühmt, reich, körperbetont - und es ergeben sich reichlich Gelegenheiten für sie. Über Franz Beckenbauer hat, so schreibt dessen früherer Mitspieler Sepp Maier in seiner Anekdotensammlung "... und wer küsst mich?", ein Trainer mal gesagt: "Einer wie der Franz schiesst doch wie ein Korken an die Oberfläche, wenn er mal eine Stunde Zeit für sich hat." Mit dem "Kaiser" an der Spitze besetzte die Sportfraktion die gesellschaftliche Position, die früher der Hochadel inne hatte.

"Ein Michael Schumacher", sagt Marcus Knill, "hat den Status eines Halbgottes". Noch ist Schumi nicht skandaliert - doch wehe wenn ... Die Geschichte wäre ein Renner.


Die TV-Serie "Ehen vor Gericht" wurde vor drei Jahren eingestellt, im Fernsehen wurde das Thema Scheidungen dem Zeitgeist entsprechend auf die Unterhaltungsschiene geschoben. "Wie oft haben der Kanzler und der Aussenminister zusammen genommen geheiratet?", fragte jüngst Günther Jauch in seinem Millionärsquiz. Die richtige Antwort lautete "acht Mal". Es war nur die 2000-Euro-Frage.


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