Zeig mich so, wie ich bin 

Das Spiegeln hilft, die kommunikative Kompetenz zu verbessern

Erfolgreiche Führungskräfte lassen sich spiegeln. Spiegel
machen ihnen die eigenen Stärken und Schwächen bewusst. Dies
ermöglicht eine gezieltere und schnellere Verbesserung ihrer
Kommunikationsfähigkeit.

Von Marcus Knill, k-k@bluewin.ch, 05.06.1999

Leider meiden auch heute noch viele Vorgesetzte das Lernen mit
Spiegeln.  Weshalb nur? Ist es die Angst vor der Selbsterkenntnis. Oder
befürchten sie, eitel zu werden? Schliesslich sind Aussagen wie
diese allzu gut bekannt: "Nur Affen betrachten sich im Spiegel." Oder:
"Wer viel in den Spiegel schaut, wird eingebildet."  Möglicherweise
basieren die Hemmungen vor Spiegeln auf der Angst, sich mit den eigenen
Mängeln auseinandersetzen zu müssen. Oder ist es denkbar,
dass der obligate Schock vor dem eigenen Abbild oder der eigenen Stimme
eine ablehnende Haltung hervorruft - unter Umständen verstärkt
durch unfachgemässes Coaching in einer Ausbildung? Jedenfalls meiden
unzählige Personen, beispielsweise in Seminaren, die Bespiegelung der
eigenen Tätigkeit durch ein Video. Und relativ wenige mögen sich
regelmässig dem "Tonspiegel", Aufnahmen mit einem Tonbandgerät,
aussetzen.

Der Nutzen der Hofnarren Gute, erfolgreiche Vorgesetzte nutzen
hingegen bewusst die verschiedensten Möglichkeiten des Spiegelns,
angefangen bei der Selbstbespiegelung, die auf eine Selbstbeurteilung
hinausläuft. Sie fragen sich nach jedem Einsatz: Was ist gut
gelungen? Was könnte verbessert werden? Sie halten sich sogar einen
Hofnarren, der nach wichtigen Einsätzen unter vier Augen offen
und unverblümt sagt, was ihn gestört hat. Auch erfolgreiche
Bundesräte haben solche Berater.  Beispielsweise gibt der ehemalige
Handball-Nationaltorhüter Daniel Eckmann bei Bundesrat Villiger den
Hofnarren.  Nur jene, die sich bespiegeln lassen, entdecken die blinden
Flecke beim eigenen Kommunikationsverhalten. Wer mit Menschen zu tun hat,
sollte sich von den Adressaten im Sinne eines Feedbacks regelmässig
bespiegeln lassen. Erstaunlicherweise verlangen nur wenige Ausbildner
permanente Rückmeldungen. All die vielen äusseren Spiegel
- von oben (Vorgesetzte), von einem Experten (Supervisor), von der
Seite (Partner, Hofnarr) oder von der eigenen Arbeitsgruppe (Team) -
erleichtern die Prozesse zur Optimierung im Bereich zwischenmenschlicher
Kommunikation.

Stillstand wird Rückschritt Das gilt auch bei der
Persönlichkeitsentwicklung. So gesehen müssten unzählige
Führungspersönlichkeiten und Ausbildner umdenken lernen
und die vorhandenen Befürchtungen vor Spiegeln unverzüglich
ablegen. In der Fachhochschule Rapperswil werden beispielsweise seit 1997
alle Dozenten und Dozentinnen bewusst durch die bei ihnen Studierenden
beurteilt. Die Beurteilungsblätter - das Feedback von unten -
bleiben beim Dozenten, die Beurteilungsblätter müssen also
nicht an die Vorgesetzten weitergeleitet werden. Der Erfolg wirkte
sich eindeutig positiv aus. Denn durch den "Spiegel von unten" wuchs
plötzlich das Interesse an hochschuldidaktischer Weiterbildung.
Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Kritik nicht Selbstzweck sein
darf. Die Spiegel haben nur ein Ziel, nämlich das Verhalten zu
verbessern und die kommunikative Kompetenz zu fördern. Die Angst vor
Spiegeln würde gewiss rascher abgebaut, wenn die Kritik vor allem
unter vier Augen erfolgte. Leider stellen wir im Alltag immer wieder fest,
dass zu oft im Plenum kritisiert wird, obwohl Kritik in der Regel kein
Publikum benötigt. Weshalb haben es dann so viele darauf abgesehen,
die Kritik möglichst vor grossem Publikum anzubringen?

Hilfreicher Lernförderer In einem Schulversuch nahm ein
Sekundarlehrer die Schülerinnen und Schüler während
den Präsentationen im Unterricht mit einem Videogerät auf,
er erstellte einen Bild- und Tonspiegel. Dank seiner fachgerechten
Ausbildung stellte der Lehrer die Kinder nicht vor versammelter Klasse
bloss. Jeder Jugendliche konnte sich später im Nebenraum einzeln
an einem Monitor erleben und sich selbst beurteilen.  Der Erfolg war
nach Monaten erstaunlich gross. Denn allein der Spiegel Video machte
den Jugendlichen ihr Verhalten, ihre Stärken und Schwächen,
bewusst. Jedenfalls lohnte sich diese unübliche Supervision.
Grundlegende Mängel verschwanden vor allem durch das Erkennen des
eigenen Verhaltens. Zum Beispiel: Teilnahms- und spannungsloses Reden,
unruhiges Stehen, fehlende Gestik, mangelnder Blickkontakt, Monotonie
usw. Der Spiegel Video wurde so zum hilfreichen Lernförderer. Und
die Kamera war gleichsam der Supervisor. Dieser Erfolg macht deutlich,
dass eine neutrale Bespiegelung sehr wertvoll sein kann.

Blinde Flecke sichtbar machen Vor ca. 15 Jahren verschwanden
die Videoanalysen in vielen Ausbildungsräumen, weil damals
die Kameraarbeit vielfach falsch eingesetzt wurde. Autodidaktisch
geschulte Ausbildner benutzten die Videoaufnahmen zur Verstärkung
der Schwächen und blockierten damit die Lernprozesse. Vielerorts
verschwanden hierauf die wertvollen Videofeedbacks, weil das negative
Verstärken gleichsam die Hemmungen förderte und der Erfolg
daher ausblieb.  Noch heute treffen wir bei Ausbildungsveranstaltungen
so genannte "Videogeschädigte" an. Es zeigt sich dann meist: Schuld
waren Ausbildner, die nicht merkten, dass Erwachsene beim Videofeedback
in der Regel selbst die blinden Flecke erkennen. Was stört, ist
ja beim Spiegel Video sicht- und hörbar. Ein gutes Coaching hilft
lediglich dort nach, wo der blinde Fleck trotz Bild- und Tonspiegel
nicht erkannt wird.

Fremd- und Selbstbild Das fachgerechte Verhaltenstraining
verläuft stets in folgenden drei Phasen: 1. Sensibilisierung:
Wahrnehmungsdifferenzierung.  2. Einstellungsveränderung: Einsicht,
dass...  3. Erprobung verbesserter Verhaltensweisen.  Der ganze Prozess
kann jedoch nur eingeleitet werden durch eine Selbstwahrnehmung. Vor
allem in der ersten Phase bedarf es der Konfrontation mit dem Fremd-
und Selbstbild. Hier sind Spiegel notwendig und hilfreich. So gesehen ist
das "Lernen mit Spiegeln" tatsächlich ein wichtiger Schlüssel
zum Erfolg.

Marcus Knill ist als selbständiger Kommunikationsberater in Uhwiesen
tätig.