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Couchepin interview von der NZZ vom 3. Oktober

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3. Oktober 2004, NZZ am Sonntag

"Christoph Blochers Haltung ist gefährlich für unsere
Demokratie"

Interview mit Bundesrat Pascal Couchepin

NZZ am Sonntag: Wir nehmen an, dass am Freitag im Bundesrat wieder einmal
das Klima in der Regierung zur Sprache gekommen ist. Pascal Couchepin:
Nein, das ist es nicht. Diese Art von Predigt bringt nichts. Das
überrascht uns. Aussprachen über diese Themen sind ja
gewissermassen schon zum Dauertraktandum geworden.  Ich pflege an diesem
Ritual nicht teilzunehmen. Das Schweizervolk hat gewählt, und es
hat die politischen Pole gestärkt. Das Parlament hat entschieden,
von dieser Realität Kenntnis zu nehmen und einen zweiten SVPVertreter
zu wählen. Gemäss unserer Verfassung ist ein Bundesrat für
vier Jahre gewählt.  Man kann das beklagen, aber es hilft nichts:
Wir müssen zusammenarbeiten. Dennoch ist die Amtsführung von
Christoph Blocher das beherrschende Thema im Bundeshaus. Man kann von Zeit
zu Zeit sagen, man sei mit der Haltung eines Bundesrates nicht zufrieden,
aber man kann ihn nicht zwingen, etwas zu tun, das er nicht will. Auch
Blocher nicht. Blocher beruft sich auf das Volk. Am Sonntag sagte er: Wenn
das Volk entschieden hat, muss die Regierung schweigen. Natürlich
hat das Volk das letzte Wort. Aber das Volk in seiner Weisheit und unter
Führung der Freisinnigen hat auch entschieden, dass die Macht in
diesem Land geteilt werden muss. Es gibt nicht nur die Volksmehrheit. Das
Volk hat entschieden, dass in gewissen Fällen die Mehrheit der
Kantone die Volksmehrheit umstossen kann. Es hat seine Macht sogar so
weit beschränkt, dass es das Parlament nicht auflösen kann. Und
das Volk hat - in seiner Weisheit - entschieden, dass nicht es, sondern
das Parlament die Bundesräte wählen soll. Das Volk bleibt aber
der Souverän. Aber nicht im Sinne eines absoluten Königs. Es
war sehr weise, dass das Volk seine Macht beschränkt hat. Denn das
Volk weiss, dass die reine Regentschaft der Mehrheit gefährlich
sein kann. Insbesondere in einem Land mit Minderheiten, die es zu
schützen gilt. Das sieht Blocher anders? Er sagt immer, das Volk
sei der Souverän.  Das ist falsch: Das Volk ist der Ursprung, die
Quelle der Macht.  Es hat das letzte Wort. Zwischen Wahlen stehen aber
auch die anderen Staatsgewalten in der Verantwortung. Manchmal habe ich
den Eindruck, gewisse SVP-Leute glauben, die Regierung müsse mit dem
Volk paktieren. Dann könne man das Parlament, das ihnen lästig
erscheint, ausschalten. Solche Ideen sind in der Geschichte nicht neu -
und sehr gefährlich. Blocher sagt, die Regierung dürfe für
ihre Projekte nicht werben.  Bundesräte sind keine politischen
Eunuchen. Der Bundesrat ist für vier Jahre gewählt und soll
in dieser Zeit seine Politik umsetzen. Das geht nur, wenn er seine
Projekte auch verteidigen kann. Indirekt hat Blocher Ihnen und Ihrem
Kollegen Leuenberger vorgeworfen, Sie missachteten das Volk, wenn
Sie das Abstimmungsresultat kommentieren. Nie hat ein Vertreter der
Freisinnigen das Volk missachtet. Wir haben den Respekt vor dem Volk
in unseren Genen. Aber unsere Verfassung sieht eine Teilung der Macht
zwischen dem Volk und den Institutionen vor.  Wir sind überzeugt
davon, dass das Volk kein Diktator sein darf.  Deshalb braucht man auch
nicht zu schweigen, wenn es gesprochen hat.  Wo liegt denn das Problem,
wenn man dem Volk eine Bedeutung gibt, wie Blocher es tut? Die Massen
sind verführbar, wenn man an ihre Emotionen appelliert. Wenn es
dann keine Gegengewichte gibt, kann es gefährlich werden. Die
stärkste Partei könnte den Staat führen, indem sie das
Volk bei den Emotionen packt. Das ist ein Risiko. Sie fürchten
die direkte Demokratie?  Die direkte Demokratie ist das beste System
überhaupt, aber es braucht Bremsen. Wir Liberalen hatten immer
Angst vor einer Politik, die mit Emotionen spielt. Man muss verhindern,
dass zufällige, aus Gefühlswallungen entstehende Entscheide
zu einschneidende Konsequenzen haben. Das Bündnis zwischen einem
charismatischen Herrscher und dem von ihm manipulierten Volk ist nicht
unsere Sache; es ist Sache der Diktaturen.  Sie sprechen von Diktatur? Ich
lese derzeit ein Buch, das den Nationalsozialismus und den Kommunismus
vergleicht. Es zeigt, dass die beiden totalitären Parteien nicht
unpopulär waren. Sie waren sogar sehr populär. Zur Katastrophe
kam es, weil in diesen Systemen Bremsen fehlten. Die Führer konnten
mit den Emotionen der Massen nach Belieben spielen. Wollen Sie damit
sagen, dass Blocher - indem er das Volk emporstilisiert... mythisiert.
die Demokratie gefährdet? Ja, ich glaube, dass Christoph Blochers
Haltung gefährlich für unsere Demokratie ist.  Natürlich
hoffe ich, dass Äusserungen wie jene vom Abstimmungssonntag nur eine
vorübergehende Erscheinung sind. Wenn aber eine grosse Partei diese
Haltung vertritt, dann muss man dagegen kämpfen. Diese Tendenz, die
Sie für gefährlich ha/ten: Verstärkt sie sich? Ja. Die
SVP spielt immer stärker mit den Emotionen des Volkes. Sie
betrachtet das Volk als Masse, die man verführen kann. Sie betreibt
Manipulation. Vor kurzem hat einer der SVPSpitzenleute gesagt, die SVP
sei nicht eine Partei, sondern eine Bewegung. Das ist typisch. In der
Geschichte gab es schon andere Bewegungen. Eine Partei ist eine rationale
Organisation. Sie hat eine Meinung und setzt sich mit anderen Meinungen
auseinander. Eine Bewegung hingegen will ihre Ziele erreichen, indem
sie die Massen emotionalisiert.  Bewegungen neigen, historisch gesehen,
zum Totalitären.  Sie sind sicherlich weiter von der Demokratie
entfernt, als eine Partei das ist. Das ist ein beunruhigender Befund. Was
ist denn zu tun? Zunächst einmal bin ich überzeugt davon,
dass viele Mitglieder der SVP meine Meinung teilen. Mit ihnen sollte man
den demokratischen Dialog weiterführen.  Die Frage ist doch die:
Respektiert diese Partei nicht nur die Volkssouveränität,
sondern akzeptiert sie auch die Grenzen dieser Souveränität
in unserem System? Jene, die ihr durch den Schutz der Minderheiten
gesetzt sind. Durch die Macht des Nationalrates. Durch die Macht des
Ständerates. Durch die Checks und Balances zwischen diesen beiden
Kammern. Durch die Macht der Regierung und durch die Unabhängigkeit
der Gerichte. Ja, auch durch die Unabhängigkeit der Gerichte, das
ist ja sehr aktuell.  Wir müssen die Leute wieder für diese
Limitierung der Macht des Volkes gewinnen. Sie müssen verstehen,
dass Demokratie nicht die Herrschaft der emotionalisierten Massen
ist. Fakt ist, dass die SVP mit ihrer Politik gewinnt. Sie gewinnt seit
10 Jahren.  Dieser Staat aber existiert seit über 150 Jahren. Sie
sind also optimistisch, dass die SVP- Welle vorübergeht? Ich
glaube an die Vernunft der Menschen. Wissen Sie, ich mache seit 40
Jahren Politik - und das in einem Kanton, in dem wir Freisinnigen uns
seit 150 Jahren in der Minderheit befinden, und in einem Land, in dem
meine Partei seit 150 Jahren in der Regierung sitzt. Ich vertraue auf
die langfristigen Perspektiven. Sie hoffen darauf, dass die SVP so viele
Wähler verliert, dass Blocher wieder gehen muss? So einfach ist es
nicht. Ich hoffe auch, dass jene Leute in der SVP Boden gewinnen, die
denken wie ich und die mit mir für den Erhalt dieser Demokratie
kämpfen. Teilt Blocher die demokratischen Überzeugungen,
die dieses Land ausmachen? Ich habe eine andere philosophische Haltung
als Herr Blocher. Und ich bin mir sicher, dass meine richtig ist, denn
sie fusst auf der Verfassung unseres Landes und auf dem Gedankengut
der politischen Familie, die diese Verfassung vor 150 Jahren aufgebaut
hat. Blocher hat einen Job in einem System, in dem diese Verfassung
gültig ist. Das ist der Punkt. Kürzlich haben Sie gesagt, es
habe Zeit gebraucht, bis Micheline Calmy-Rey im Bundesrat integriert war,
und dass man das mit Blocher auch schaffen werde. Glauben Sie immer noch
daran? Das werden wir sehen. Die Wähler werden entscheiden, ob
sie Blochers Haltung honorieren. Dieses Verdikt werde ich akzeptieren
- und werde nötigenfalls die nächsten vier Jahre weiter
kämpfen. Soll sich Herr Blocher im Abstimmungskampf um die
Bilateralen 11 zurückhalten? Ich werde da keinen Zwang auf ihn
ausüben. Weil es keinen Zweck hat.  Ja. Der Gesamtbundesrat muss
seine Meinung vertreten. Wer kollegial ist und an unsere Institutionen
glaubt, der macht mit. Eigentlich ist es erstaunlich: Wir interviewen
Pascal Couchepin, sprechen aber nur von Blocher. Ärgert Sie dieser
mediale Tanz um Ihren Amtskollegen? Ja. Aber dass Blocher jetzt wieder
alle Medien dominiert, erklärt vielleicht auch seine Äusserungen
am Sonntag. Auch Sie schenken ihm ja Ihre Aufmerksamkeit. Das hat aber
auch sein Gutes. Ich habe dadurch Gelegenheit, darzulegen, wie ich die
Demokratie sehe und welchen Unterschied es zwischen meiner philosophischen
Haltung und jener von Herrn Blocher und gewissen Mitgliedern seiner Partei
gibt. Die Menschen sollten sich über solche grundsätzlichen
Fragen Gedanken machen, denn das macht man normalerweise nicht. Weil es
selbstverständlich erscheint. Ja. Aber wenn diese Dinge in Frage
gestellt werden, muss man sich mit ihnen beschäftigen. Die Frage ist
die: Wollen die Menschen in diesem Land ein System mit einem liberalen
Gleichgewicht, oder wollen sie eines, in dem das Volk uneingeschränkt
herrscht? Mit allen Gefahren, die das mit sich bringt? Am Sonntag waren
die Konflikte im Bundesrat, über die so viel geschrieben wurde,
erstmals am Fernsehen zu sehen. Eigentlich ist das gar nicht schlecht. Der
Zwischenfall steigert das Interesse an der Diskussion über die
Demokratie in unserem Land. Sie haben Ihre Haltung dargelegt. Ist das
auch eine Aufforderung an Herrn Blocher, seinerseits Farbe zu bekennen?
Natürlich. Ich kann ihn nicht dazu zwingen. Aber ich hoffe, dass
die Leute ihn fragen werden: Blocher, was willst du mit diesem Staat?

Interview: Pascal Hollenstein und Markus Häfliger



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