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www.rhetorik.ch aktuell: (22. Sep. 2002)


Stolperworte auf der Zielgeraden
Auswirkung einzelner Worte im Wahlkampf


Bei einem "Kopf an Kopf Rennen" können kleine Details wahlentscheidend sein. Kurz vor Torschluss gab es noch Versprecher auf beiden Seiten. In beiden Fällen ging es um die Diskussion eines allfälligen US-Angriffs Iraks.

Ministerin Daeubler-Gmelin sagte in einer kleinen Gruppe von Gewerkschafter:
"Bush will von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Das ist eine beliebte Methode. Das hat auch Hitler schon gemacht."
Kanzlerkandidat Stoiber antwortete auf die Frage "Würden Sie bei einem Angriff der USA auf Irak Deutschland als strategischen Stützpunkt zur Verfügung stellen?" in einer RTL Sendung mit "Mit Sicherheit niemals bei einem Alleingang der Amerikaner."


Beide Aussagen fürten zu Schlagzeilen und einigem Wirbel in den USA. Auf welche Weise die Ausrutscher noch Wähler beeinflussen konnten ist nicht klar. Trotzdem illustrieren die Ausrutscher, dass jedes Wort wichtig sein kann. Wir konzentrieren uns hier vor allem auf die Daeubler-Gmelin Geschichte.
Herta Daeubler-Gmelin Es war Gerhard Schröder, der immer wieder betont hatte, es sei beim Wahlkampf letztlich nur entscheidend, wer auf der Zielgerade als Erster durchs Ziel laufe. Vor dem Schlussspurt prognostizierten die bekanntesten Meinungsinstitute ein "Kopf an Kopf"- Rennen mit dem Kanzler in etwas favorisierten Position. Stolpersteine kurz vor dem Ziel könnten bei einer Patt-Situation über Sieg oder Niederlage entscheiden. Im Endspurt Schröder gegen Stoiber lag vor dem Zieleinlauf plötzlich ein "Stolperwort" auf Schröders Bahn. Wie kam es dazu?
Die Äusserungen der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin vor Gewerkschaften über US-Präsident Bush waren der Auslöser. Die Ministerin die Irak Politik Bushs mit den Methoden Hitlers verglichen haben.
Das Zitat wurde vorerst von der Ministerin bestritten. Später gab sie zu den Namen Hitlers erwähnt zu haben. Sie habe jedoch deutlich gemacht, dass dabei kein Zusammenhang zwischen Bush und Hitler hergestellt werden könne. Sie lehne deshalb jede Rücktrittsforderungen ab.
Wahlbeobachter rätselten: Kann der Kanzler den Stein ohne zu Stolpern überspringen? Kann diese Affaire die Wahl entscheiden? Die Situation war jedenfalls brisant.

Reaktion Schröders: Verhalten der Ministerin bei der Medienkonferenz.
Der Kanzler sandte noch am Freitag abend ein Schreiben an Bush, in dem er bedauerte, dass "ein Eindruck entstanden sei, die Gefühle von Bush verletzt zu haben". An seinem Kabinettstisch habe niemand Platz, der den amerikanischen Präsidenten mit einem Verbrecher in Verbindung bringt." Der Kanzler musste handeln, zumal sein Verhältnis zu den USA durch die harte Haltung bei der Irak Frage bereits etwas angeschlagen war und sich Schröder in dieser Situation als Aussenpolitiker bewähren musste. Die amerikanische Presse akzeptierte die Nennung Hitlers Namen im gleichen Satz über Bushs Politik nicht. Das Stolperwort wurde zu einem dankbarer Aufhänger, um sich bei Schröder nach der Irak Positionierung zu "rächen".
Auch innenpolitisch handelte Schröder geschickt. Er ging auf die Geschichte gar nicht ein, sondern holte sich - wie bei der eindeutigen Irak Positionierung - wiederum Punkte, indem er betonte: "Wir Deutschen lösen unsere Problem selbst". Damit meinte er indirekt: Wir lassen uns auch nicht von den USA dreinreden. Auch kritisierte er die Geschwindigkeit und Art, mit der diese Meldung in den Medien verbeitet wurde.
Als sich die Ministerin den unangenehmen Fragen stellen musste, interessierte uns, wie sie diese Krisensituation meistern wird. Vor den Medien redetet sie sich um Kopf und Kragen. Sie musste sich entscheiden: Soll sie sich rechtfertigen und verteidigen oder soll sie in die Offensive gehen?
Es ging in dieser Situation nicht nur um ihre eigene Person sondern auch um die Schadenbegrenzung, denn es gab bis anhin zu viele Minister, die abgesetzt wurden oder das Feld räumen mussten.
In der Argumentation entschied sich die Ministerin für zwei Kernbotschaften::
  • Bei der Mediengeschichte geht es um eine Verleumdung (Worte werden verdreht)
  • Die Sache ist ein Wahlkampfmanöver
Däubler-Gmelin quittierte konkrete Fragen mit wolkigen Ausflüchten (Siehe Airbagrhetorik). Sie kanzelte jene Zeitungen ab, die das "falsche " Zitat abgedruckt hatten. Sie wollte mit keinem Satz einsehen, dass sie sich im Vokabular vergriffen hatte.


In einer Krisensituation darf keinesfall ausgewichen werden oder Journalisten beschimpft werden.

Die Ministerin machte die Sache falsch. Herta Däubler-Gmelin sagte an der Medienkonferenz: "Ich habe von Hitler gesprochen, aber...."
Damit signalisiert die erfolgreiche Ministerin einen Verzweiflungskampf. Viele Journalisten fanden die Antworten der SPD Politikerin unklar und verwirrend. Ein Fernsehreporter formulierte es so: "Wie kann es sein, dass 100 Journalisten nach einer Stunde nicht wissen, was wirklich gesagt wurde?"

Bei Gerüchten, Wortverdrehungen gilt immer das Prinzip: Ruhe bewahren - denken - klären - konkret antworten - wiederholen. Das was tatsächlich gesagt worden ist und wie es gemeint war. Evt. Sich entschuldigen oder einen Fehler, Patzer oder Ausrutscher zugeben.

In der Presse dominiert die Meinung, dass der Fall der Justizministerin nach der Wahl noch verarbeitet werden müsse. Streit gab es um die exakte Formulierung. Chefredaktor Christoph Müller und der Reporter Michael Halm vom Schwäbisches Tagblatt, hatten die Aussage in die Medien gebracht hatten. Angeblich hat die Ministerin dem Journalisten vor der Veröffentlichung angerufen und gesagt, falls er in der Presse schreibe, dass sie Bush mit Hitler verglichen habe, so müsste sie dies nachher dementieren. Däbler-Gmelin sagte zuerst, dass sie den Nachnamen Hitlers nicht verwwendet hatte, sondern das Wort "Adolf Nazi" benutzt habe.
Die Ministerin auch dem Chef des Tagblattes noch angerufen und ihn um ein Treffen gebeten. Im Beisein von zwei Redakteuren habe sie dort gesagt, sie bedaure ihre Äusserung und sie wäre froh, wenn sie von Hitler nichts gesagt hätte.
Die Geschichte erinnert an andere Beispiele, wo einzelne Stichworte Wirbel auslösten:
  • 1996 sprach Bundespräsident Delamuraz in einem Interview über die Geldforderungen der Naziopfer von "Lösegelderpresung". Es kam zu weltweiten Reaktionen.
  • Studer sprach 1997 als Bankchef in einer Arenasendung vom "Aktenvernichtungsverhinderer Meili" Der Bankangestellte habe aus unredlichen Gründen die Akten nicht vernichtet. Diese Aussage hatte damals ein grosses Nachspiel. In den Staaten wurde der gefeuerte Meili als Held gefeiert und Studer scheiterte letztlich an seiner Medien - Aussage
  • Es lohnt sich in diesem Zusammenhang andere "Unworte" zu betrachten. 1996 wurde z.B. das Unwort "Rentnerschwemme" bewusst gemacht. Unworte sind Worte, die zwar nicht sofort einen Protest auslösen. Sie wirken trotzdem, jedoch langsamer. Einerseits können Unworte unser Denken beeinflussen. Anderseits machen sie uns bewusst, dass dies Worte unsere Wertvorstellung wiedergeben.

Links zum Thema:


Fazit: Wir können leider nicht wissen, ob und wie in diesen Fällen der Wahlausgang beeinflusst worden ist. Doch eines ist gewiss: Ein einziges unbedachtes Wort - wenn auch nur so beiläufig hingeworfen - kann enorme Folgen haben. K+K hilft Ihnen, in Krisenkommunikationsseminaren trotz Zeitdruck, trotz Stresssituation bedachtsam zu reden. So wie Piloten im Simulator lernen, trotz Hektik, Ruhe zu bewahren, so können Sie bei uns im Mediensimulator schwierige Situationen meistern lernen.


Nachtrag vom 10. Oktober, 2002 Die diletantische Medienarbeit der zurückgetretenen Politikerin Däubler-Gmelin veranschaulicht im Nachhinein die Tatsache, dass die ehemalige Justizministerin eine faire Chance hatte, die Aussage zurückzunehmen.
Der Journalist, der die Aussage protokolliert hatte, ging auf Nummer sicher und liess die Formulierung von Gewerkschaftern bestätigen. Dann vereinbarte er mit der Politikerin den Text, den er veröffentlichen wollte. Herta Däubler-Gmelin hätte Gelegenheit gehabt, ihre Aussage so zu formulieren, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Erst nach dem empörten Aufschrei der US-Regierung änderte sie Ihre Meinung und behauptete plötzlich, das Zitat sei absurd und an den Haaren herbeigezogen und eine Wahlkampfkampagne. Damit stand auch für den Chefredaktor der eher links stehenden Zeitung fest, dass die Justizministerin gelogen hatte. Der ungeschickte Hitler-Vergleich kosteten sie den Ministerposten. Ein Kommentator schrieb:

"Das kommt davon, wenn Politiker das sagen, was sie denken!"


Däbler-Gmelin hatte nicht vorausgesehen, dass Ihr Vergleich einer Methode von Bush mit einer Methode von Hitler überall (in den Medien, vor allem aber in persönlichen Gesprächen) als Vergleich der Person Bush mit der Person Hitler kolportiert würde.
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