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www.rhetorik.ch aktuell: (24. Oktober, 2003)

Wowereit muss Rechenschaft ablegen



Eine Mexiko Dienstreise des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit wurde zu einem PR-Desaster. Die Opposition und Lokalpresse erregten sich über den "Sombrero Klaus. Die Blätter fragten sich unter Titeln wie "Opposition stinkt Wowereits Fiesta" (Tageszeitung), "Fiesta Sunset" (Tagesspiegel) oder "Fiesta, Fiesta Mexicana" (Bild) ob die einwöchige Reise mit Kultursenator Thomas Flierl sinnvoll oder sinnlos gewesen und ob Berlin mit solchen Auslandsreisen denn gedient sei. Ein Tagebuch für die Bildzeitschrift, sowie ungeschickte Bilder im Ferienlook lieferten Nährstoff für die Kritiker. Denn ganz nebenbei bezeichnete Wowereit zum Beispiel die Dienstreise als "Urlaub" und gestand ein, dass er leider auch hier telefonisch erreichbar sein müsse. Mehr als einen Anruf mache er allerdings nicht im Roten Rathaus, schließlich habe er ja einen Stellvertreter.


"Nicht erst seit den Mallorca-Trips in Militärmaschinen seines Genossen Rudolf Scharping sind Politiker-Dienstreisen in beliebte Urlaubsländer ein gefundenes Fressen für öffentliche Anprangerungen." --- "Spiegel"


Dem Medienprofi Wowereit machte schlimme PR-Fehler. Für die "Bild" Zeitschrift führte Wowereit ein Tagebuch. Die Idee war, die 10jährigen Partnerschaft der Städte auch für die daheim gebliebenen Bürger miterlebbar zu machen und sich gleich gegen Vorwürfe des Nichtstuns zu wehren. Das Reiseprotokoll war kontraproduktiv. Obwohl Wowereits kaum der Vorwurf einer reinen Vergnügungsreise gemacht werden kann - Wowereit hetzte von Vorträgen mit Umweltexperten, Diskussionen mit Studenten und Wirtschaftsführern sowie Besuchen bei hochrangig Politiker - beschäftige sich die Presse genüsslich mit der Sinndiskussion über die Reise.


Wowereit schrieb Sätze, deren Gefährlichkeit erkennbar gewesen wären: Ganz schlicht Belangloses wurde in der Zeitung abgedruckt: wie Wowereit seinem Freund Jörn SMS-Nachrichten sende, wie gut ihm das "Corona"-Bier schmecke oder wie wichtig ihm ein Hotelfenster mit einer Aussicht sei.

Die Wirkung der Worte sind massgebend!


Kritiker:
  • Die grüne Politikerin Sibyll Klotz erregte sich, die Ergüsse des Bürgermeisters "völlig überzogen und peinlich" seien.
  • CDU-Mann Frank Henkel meinte, dass die Wohlfühl-Botschaften aus der Ferne "jeden Arbeitnehmer die Hand in der Tasche zur Faust ballen lassen" würden.
  • In der "Berliner Morgenpost" unkten leserbriefschreibende Berliner, dass sie auf die "Grüße aus Mexiko" gut und gern verzichten könnten.


Spätestens gegen Mitte des Mexiko-Trips hätte dem Bürgermeister und seinen PR-Beratern klar geworden sein sollen, dass etwas schief gelaufen ist. Zitat "Spiegel":
"Gerade ein Mann wie Wowereit, der in Berlin keinen Fototermin mit Prominenten auslässt und zu seinem 50. Geburtstag eine höhere VIP-Dichte organisierte als bei jeder Filmpremiere, sollte sich der Angreifbarkeit seiner Person normalerweise mehr als bewusst sein."
In Mexiko allerdings war Wowereits Politkerinstinkt ausgeschaltet. Auch Journalisten wunderten sich, dass sich der Bürgermeister "für jedes Foto" hergab. Wowi mit Sombrero, vor Kaktus, mit Esel, neben Clown, mit Bier in Kneipe. Darf's noch ein bisschen mehr sein? Selbst als gegen Mitte der Woche die ersten Negativ-Meldungen erschienen, posierte er weiter. Bei solchen Fotos kann Wowereit noch so lang berichten, wie viele Termine er hatte - die Macht der Bilder war natürlich stärker.


Am 30. Oktober soll im Berliner Parlament über Sinn und Unsinn der Dienstreise in der Partnerstadt besprochen werden. Der FDP Fraktionschef Martin Lindner verlangte gar einen Rechenschaftsbericht des Regierungschefs.

Erkenntnis: Im Umgang mit Medien ist Naivität ein schlechter Ratgeber. Ein paar starke Bilder und falsche Worte sind schwierig mit Argumenten und Rechtfertigungen zu kompensieren.


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