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www.rhetorik.ch aktuell: (12. Okt. 2002)


Worte und Taten


Rhetorik spielt bekanntlich eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Wir haben den Wahlkampf in diesem Herbst mitverfolgt. Die Geschichte geht aber auch nach den Wahlen weiter. Politiker stehen vor der Frage, ob es sich lohnt, Wahlversprechen zu machen, die später nicht eingehalten werden müssen oder können. Sie stehen vor einem Dilemma. Entweder schenken sie vor der Wahl klaren Wein ein und riskieren, im Wahlkampf zu unterliegen, oder aber sie versprechen zu viel, um dann nachher bei Gesinnungsänderungen und Abweichungen von Wahlversprechen an Gaubwürdigkeit zu verlieren. Das letzteres das kleinere Übel ist, gilt als Binsenwahrheit. Umfragen zeigen tatsächlich, dass das Vertrauen der Wähler in Politiker in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Es ist für Politologen schwierig, zu sehen, welche Strategie mehr Erfolg hat. Umfrageergebnisse sind da nur schwache Indikatoren. Die politischen Entscheidungen der Bundesregierung nach der vergangenen Wahlen in Deutschland liefern im Moment Beobachtungsmaterial.


Nachdem in Deutschland die Würfel gefallen sind und Rot-Grün weiter am Ruder sitzt, wird nicht nur die Opposition auf Diskrepanzen zwischen Wahlkampf und Politik achten, auch die Wähler während der kommenden Monate die Regierung an ihrer Wahlrhetorik messen. Im Zeitalter von Online Datenbanken können heute einzelne Aussagen der Wahlrhetoriker auch vom Publikum nachgeschlagen und mit der aktuellen Politik verglichen werden. Die Online Version von Spiegel hatte zum Beispiel während diesem Wahlkampf die Wahlversprechen der Wahl von 1998 unter dem Titel "Die Wahlversprechungen Schröders" immer online abrufbar. Dank solchem Protokollieren kriegen heute Diskrepanzen von Wort und aktueller Politik mehr Gewicht. Schröders Wahlversprechen von 1998, die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, war ein schweres Handikap im herbstlichen Wahlkampf.
Es ist symptomatisch, dass vor der Bundeskanzlerwahl zum Beispiel von keiner Seite klarer Wein eingeschenkt wurde, wie das Milliardenloch im Haushalts-Etat gestopft werden solle. Dies bestätigt eine alte These von Anthony Downs:

"Ungenauigkeit in der Aussage von Politikern einer Partei erhöht die Anzahl der Wähler, die für diese Partei wählt. Diese Tatsache ermutigt Parteien in einem Zweiparteiensystem, so ähnlich wie möglich über kontroverse Positionen zu sprechen. Und weil es für beide Parteien von Vorteil ist, ungenau zu sein, ist auch niemand von der Gegenseite gezwungen, eindeutig Stellung zu beziehen."

    - Anthony Downs: "Ökonomische Theorie der Demokratie". 1957


In Deutschland, wo sowohl Regierung als auch Opposition von zwei Parteien gebildet wird, ist die Sache noch etwas komplizierter, denn bei Wahlversprechen oder Wahlprogrammen müssen zusätzlich auch noch innerhalb der Partei ein Konsens gefunden werden.
Wir werden hier zwei Punkte betrachten, wo die Wahlrhetorik in der Politik Deutschlands heute mit der Realität verglichen werden wird: Da ist einerseits die Steuerpolitik und andererseits die Haltung der Regierung in der Irakfrage. Während bei der Steuerpolitik die Ankündigungen im Wahlkampf eher vage waren, hatte Schröder durch eine klare Haltung im Wahlkampf überrascht. Stoibers differenziertere Sichtweise überzeugte nicht und führte dazu, dass Stoiber in einer Talkshow zu ähnlichen Aussagen getrieben wurde.

1) Die Steuerpolitik:

Kurt Beck Die CDU/CSU prognostizierte sofort nach der Wahl, dass die Rechnung für den Wähler mit der neuen Regierung teuer werden würde und Steuererhöhungen zu erwarten seien. Dass die Opposition Steuererhöhung als Wahlbetrug bezeichnen würde, war absehbar. Die starke Position der Grünen führte tatsächlich wenige Tage nach der Wahlschlacht zu Meinungsverschiedenheiten in Finanzfragen. Kurt Beck und Heide Simonis liessen kurz nach dem Wahlresultat vorschnell den Steuerhammer schwingen. Heide Simonis


Die Worte Schröders vor der Wahl lauteten:
"Wir haben nicht die Absicht, die Steuern zu erhöhen, unabhängig von dem, was einer lieber hätte oder nicht lieber hätte."


Diese Aussage ist vage formuliert, eine Meinungsänderung ist kein Wortbruch. Sie könnte aber zu einer Zerreissprobe zwischen den erstarkten Grünen und ihren roten Partnern führen. Schon am 29. September stand das Thema "Nach der Wahl die Qual" bei Christiansen im Zentrum. Wie sollen die Finanzen ins Lot gebracht werden? Dies obschon die Koalitionsverhandlungen erst bevorstanden. Die SPD möchte nach Eichel und Müntefering vor allem sparen. Die Grünen sehen eine Chance für gezielte neue Belastungen.
Verschiedenste Aussagen der selbstbewussten Joschka Fischer Anhänger signalisierten trotz nachtäglicher Abschwächung einen bevorstehenden Steuer-Schock: Dass es an Geld mangelt, ist bei allen unumstritten. Im Haushalt fehlen 10 Millliarden Euro. Dass etwas getan werden muss, anerkennen alle Politiker, wenn Deutschland den blauen Brief aus Brüssel vermeiden will (3% Hürde).
Vor der Wahl hatten alle Parteien noch unterschiedlichste Rezepte angeboten: Sparen - Wirtschaft ankurbeln - Umverteilen - Schulden machen usw. Der Streit um neue Steuern und Belastungen brach erst nach der Wahl aus. Sozialleistungen, Bildung, Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, aber auch der Umweltschutz erheischen zusätzliche finanzielle Mittel. Die Steuerschraube könnte gewiss weiter angezogen werden.

In den Medien kursieren sofort die verschiedensten Mutmassungen:

  • Die Vermögnssteuer, die 1996/97 abgeschafft wurde, soll wieder eingeführt werden eventuell sls Reichtumssteuer getarnt.
  • Die Erbschaftssteuer sei ebenfalls in der Pipeline. Der Kanzler wolle bei diesen Steuern nur mitmachen, wenn der Bundesrat zustimmt.
  • Bei der Oeko-Steuer möchten die Grünen das Flugbenzin sofort erhöhen. Preiserhöhungen bei Sprit und Strom wollte die SPD vor der Wahl auf keinen Fall über 2003 hinaus. Da die Grünen erhöhen möchten, die SPD eher nicht, ist Streit vorprogrammiert. Auch der Zeitpunkt gibt zu Diskussionen anlass. Ein Kompromiss liegt in der Luft. Unternehmen, die viel Energie verbrauchen,, sollen ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Die waren bisher von der Oekosteuer befreit.
  • Gesundheitsabgaben Geplant sind bereits 5 Cent auf jede Zigarette. Der Vorstoss der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ist jedoch nicht mit dem Kanzler abgestimmt. Auch Finanzminister Eichel (SPD) ist dagegen.
  • Die Unternehmenssteuer für Grosskonzerne soll wieder eingeführt werden. Denkbar ist, dass Selbständige, wie Aerzte und Anwälte, vermehrt zahlen müssen. Jedenfalls soll der Verlustvortrag eingeschränkt werden. Bisher konnten Unternehmen Verluste der Vergangenheit mit aktuellen Gewinnen verrechnen.
  • Bei der Mehrwertssteuer ist sich Grün-Rot einig, dass eine generelle Anhebung nicht in Frage kommt. Bei der Mehrwertssteuer sollen Karussellgeschäfte beim denen der Staat jährlich 10 Milliarden Euro verliert, unterbunden werden. Diskutiert wird auch, die Landwirtschaft von der Mehrwertsteuer zu streichen. Laut "Spiegel" soll die Mehrwertsteuer für Katze und Hundefutter von 7% auf 16% angehoben werden.
  • Den Wasserpfennig will die SPD lediglich um 1 Cent pro m3 erhöhen. Die Grünen verlangen jedoch 3 Cent. Mit diesem Geld sollen die Umweltschäden gemindert werden.
Nach der Medienkampagne zu den Steuererhöhungen sprach der Kanzler erst nach den Koalitionsgesprächen deutliche Worte:
Fritz Kuhn Die SPD wolle keine Steuererhöhungen denn die Vermögens- und Erbschaftstuer sei im Bundesrat nicht durchsetzbar. Man könnte hingegen Steuervorteile und Steuersubventionen kürzen. Von Grüner Seite schliesst Fritz Kuhn hingegen eine Änderung der Erbschaftssteuer nicht aus.


Die Grünen zeigen sich nach einigen Tagen etwas solidarischer mit dem Kanzler. Kuhn findet nur: "Wir werden beim Sparen auf die soziale Gerechtigkeit achten."
Harald Schartau Dass die Grünen den Bogen nicht überspannen dürfen, macht der SPD Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, mit folgender Aussage deutlich: Er sagte:
"Jede Steuererhöhung wäre Gift für die Konjunktur."
Schröders Ärger richtete sich gegen die veritablen Ministerpräsidenten Beck, Clement und Gabriel, die verlangt hatten, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und die Vermögenssteuer einzuführen. Die von Ulla Schmidt (SPD) ins Spiel gebrachte Rauchersteuer fegte Schröder von Tisch. Er betonte: "Das machen mir nicht mit."
Uns erstaunte, dass Franz Müntefering am 1. Oktober hinsichtlich Steuererhöhung doch noch eine Türe öffnete. Wir sollen keine Steuererhöhung, sagte er, aber wenn die Länder eine Steuererhöhung einführen, dann werden wir natürlich nichts dagegen haben. Damit lasst die SPD den Ländern freie Hand. Man könnte damit später der SPD nicht Wortbruch vorwerfen.
Trotz dem eindeutigen Machtworte des Kanzlers wollen Sigmar Gabriel (Rheinland-Pfalz), Heide Simonis (Schleswig Holstein) bei der Steuererhöhung nicht klein beigeben. Clemens will sogar im Bundesrat eine Erbschaft- und Vermögenssteuer vorbringen. Amtskollege Beck will auch, dass die Vermögenden einen grösseren Beitrag leisten müssen. Kanzler Schröder kanzelt die widerspenstigen Landesfürsten rhetorisch ab:

"Sie reden schneller als sie denken!"


Obwohl Schröder nach aussen Konsequenz signalisiert, soll er intern nichts gegen eine Erhöhung haben, falls es doch noch im Bundesrat zu einer Mehrheit kommt. Die Grünen wollen den Kanzler beim Wort nehmen.

2) Die Irak Frage

Obwohl die meisten Parteien und Regierungen nach der Wahl ihre Versprechungen nicht mehr so ernst nehmen - der jeweilige Gesinnungswandel wird nachträglich meist mit einer neuen Situation gerechtfertigt -, nehmen die Grünen, als Koalitionspartner, Schröders Beschwörung hinsichtlich des Einsatzes der deutschen Soldaten im Irakkonflikt beim Wort. Spannend würde es, wenn die rigorosen Aussagen des Kanzlers hinsichtlich Einsätze der deutschen Truppen bei der Irak-Frage doch noch geändert würden. Schröder garantierte als "Friedenskanzler" vor der Wahl, dass in keinem Fall- auch bei einem Beschluss der UNO oder des Sicherheitsrates - unter seiner Führung deutsche Soldaten zum Einsatz kommen werden. Vielleicht erhielt Schröder - dank dieser Aussage - viele Stimmen. In Fernsehdiskussionen (z.B. "Berlin Mitte') wurde diese Formulierung nach der Wahl nicht mehr in der früheren absoluten Form wiederholt. Es wäre deshalb nicht verwunderlich, wenn sie bei einer "neuen Situation" nicht mehr wortwörtlich genommen und plötzlich um - interpretiert würde. Angenommen, der Sicherheitsrat erwartet auch von Deutschland Unterstützung, müsste die Regierung wieder über die Bücher gehen und für die Hilfsaktionen neue Worte suchen. Mit rhetorischen Tricks könnte der Einsatz von deutschen Piloten oder Sanitätern gewiss leicht zurechtgerückt werden. Jedenfalls kann sich Deutschland bei einer internationalen Vereinbarung kaum eine Isolation leisten.

Der Grüne Hans-Christian Ströbele kündigte in einer Diskussionsrunde am 29. September im N-TV bereits an:
"Wenn auf Deutschland bei der IRAK- Haltung von aussen Druck ausgeübt würde, müssten wir Schröder an seine Schwüre und Versprechen ermahnen. Das Volk nahm nämlich die eindeutige Aussage ernst."



Damit steht bei der IRAK-Frage fest: Die Grünen würden einen allfälligen Gesinnungswandel nicht akzeptieren.
Die Erkenntnis, dass Politiker nach der Wahl ihre wohlfeilen Versprechungen nicht einhalten müssen, ist und bleibt vielleicht trotz der einzelnen Wächter eine Binsenweisheit. Politiker haben das Glück, dass Wähler allzu schnell alte Formulierungen vergessen.
Die neue Regierung in Deutschland mag trotz aller Bemühung um Einigkeit früher oder später einer Zerreissprobe unterworfen werden. Die geschilderten internen Differenzen zwischen den erstarkten Grünen und der SPD sind offensichtlich. Es wird nicht einfach, geeint zu politisieren. Die SPD kann es sich nicht leisten, in der heutigen Situation eine Mehrfrontenauseinandersetzung zu führen. Es gibt auch heisse Eisen im Feuer, bei denen sich die Partei die Finger verbrennen kann, z.B beim Ehegatten-Splitting, das bei der SPD und Grün als Goldgrube gilt. Es wird auch zu einem harten Ringen um Einfluss und Jobs gehen. An Spannungsfeldern wird es dadurch nicht mangeln.


Nachtrag vom 14. Oktober. Spannungen zwischen Rot und Grün. Vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen häuften sich die Probleme zwischen Rot-Grün. Ein neuer Streit um Kompetenzen und Sparzwänge verschärfen den Ton der Verhandlungen. Die Grünen fühlen sich vor den Kopf gestossen. Spekulationen über Posten sorgen ebenfalls für Turbulenzen. Jürgen Trittin erhoffte sich weitere Kompetenzen. Es ging auch um die konkreten Positionen der Sparmöglichkeiten - Sparen bei den Eigenheimzulagen oder bei den Zuschüssen der Riesterrente? Stundenlang wurde hinter verschlossenen Türen diskutiert. Der neue Minister Wolfgang Clemens soll sich hartnäckig gegen eine forcierte Förderung der Solar- und Windkraftwerke gestemmt haben.
Nachtrag vom 15. Oktober. Nach den harten Koalitionsverhandlungen sind sich nun Rot-Gruen jetzt einig. Das Haushaltloch muss durch Sparen, Schulden machen, Subventionsstreichungen, Steuern, höheren Rentenbeiträgen und dem Streichen von Vergünstigungen gestopft werden. Das alleinige Primat der Sparens wird zugunsten einer staatlichen Interventionspolitik aufgegeben. Bei den TV- Debatten kam es für Schröder damals nicht in Frage, die Schulden zu erhöhen. Die Wahlen sind vorbei, nun muss gehandelt werden. Erstaunlicherweise soll nun die Neuverschuldung im kommenden Jahr von 2,6 Milliarden höher als geplant ausfallen. Sie wird sich neu auf 8 Milliarden Euro beziffern. Ob Eichels Sparkurs verlassen wird, ist noch nicht abzusehen. Doch distanziert sich heute die Regierung Schröder unverblümt von den Maastrichern Stabilitätskriterien, die den EU-Mitgliedern eine Sparpolitik vorschreiben. Damit foutiert sich Schröder um den Stabilitätspakt. (Auch andere EU Staaten wie Frankreich und Italien haben Probleme mit den Kriterien: der frühere italienische Premierminister Romano Prodi sagte am 17. Oktober in der Zeitung "Le Monde": "Ich weiss sehr wohl, dass der Stabilitätspackt dumm ist, wie jede Bestimmung, die zu strikt ist", eine Soundbitefähiger Satz, der Schlagzeilen machte. )
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