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www.rhetorik.ch aktuell: (27. Juni 2002)


"Bild" ein Kind des optischen Zeitalters jubiliert


Die Boulevardzeitung Bild feiert dieses Jahr den 50. Geburtstag. Gegründet wurde das Blatt aus Elementen des Fernsehens: (Axel Springer sah in "Bild" einen revolutionären neuen Zeitungstyp und eine "gedruckte Antwort auf das Fernsehen").
  • Bilder und grossbuchstabige, fette Lettern dominierten.
  • Die Sprache wurde strassengängig d.h. einfach und für alle verständlich.
  • Nachteile wie reduzierter Wortschatz, oberflächliche Hintergrundinformationen oder zu starke Simplifizierung werden in Kauf genommen.
  • Die Boulevardzeitung gab sich immer als Sprachrohr des einfachen Mannes.
  • Bild basiert auf dem Emotions- und Kampagnenjournalismus.
  • Die Geschichten werden geplant, konzipiert und richten sich nach dem Interesse des Massenpublikums. Ein Beispiel ist die Teuro Thematik.
Das Konzept mit Themenbereichen Sport, Crime und Sex ("Tränen, Blut und Sperma") zahlte sich bislang aus. Die Redaktion merkte bald: Es kommt letztlich auf Gefühle an. Der Bauch ist wichtiger als der Kopf! Es müssen beim Leser Emotionen geweckt werden. Stimmungen lassen sich einfach produzieren.
Die Scham, sich als Boulevard Zeitungsleser zu outen war früher noch grösser: In der Schweiz gab es lange heimliche Blickzeitungsleser. Wenige erinnern sich noch an den Geheimspruch am Kiosk in Zürich: "NZZ mit", der für "Geben Sie mir eine NZZ und verstecken Sie mir darin einen BLICK" stand. Bild ist wie Blick heute von der Presselandschaft nicht mehr wegzudenken.
Auch höchste Politiker müssen sich mit der Boulevardpresse auseinandersetzen. Bild wird heute überall als Faktor ernst genommen. Respekt bringt allein schon die enorm grosse Auflage. Bild ist mit 4.4 Milionen verkauften Exemplaren die grösste Tageszeitung Europas. Nach Bild eigenen Angaben werden fast 12 Millionen Leser pro Tag erreicht.
Die Möglichkeit, Themen auswählen und gewichten zu können, ist allein schon ein Machtfaktor. Missliebige Gegner können dadurch hart getroffen werden. Kein Spitzenpolitiker kann heute die Wirkung von "Bild" ignorieren. Immer wieder musste sich die Redaktion mit verschiedenen Medienopfern auseinandersetzen.
Guenter Wallraff Antibildkampagne Leute, die von "Bild" angeprangert worden waren, blieben gebrandmarkt. Günter Wallraff als Bild-Gegner spricht sogar von Rufmordkampagnen. Der Zürcher Psychologe Mario Gmür bezeichnete die Postmoderne als "Isovalenz", der Nivellierung aller Werte. Hand in Hand gehe in diesem Zusammenhang eine geistige Nivellierung der Zeitungsschreiber einher. Gmür meint: Journalisten drohen heute selbst Täter zu werden. Ihr Delikt heisst: Vorverurteilung.
Ein Umstand, den man im Rechtsstaat für überwunden geglaubt habe. Recherchen bis tief in die Privatsphäre hinein gehören zum normalen Handwerk eines Journalisten, der von der Schlagzeile leben muss. Oft findet deshalb eine gnadenlose Jagd nach skandalträchtigen Geschichten statt. Borer Skandal. Der Vorwurf, dass bei "Bild", Kommentar und Information oft zu wenig sauber getrennt wurde, ist nachweisbar. In Krisenzeiten war der Einfluss des Blattes auf die Volksmeinung besonders gross.
Zeitungen wie Bild sagen jeden Tag, welche Meinung gebildet werden soll. Auch Bildmanipulationen waren bei der Bild-Redaktion ab und zu ein Thema. Es gab z.B. mal ein Absperrseil das bei einer Aufnahme als Schlagstock bezeichnet wurde. Nachdem während der letzten Monate die Auflagen und die Anzeigen deutlich zurückgegangen sind, sucht sich Bild heute neue Mehrheiten. Es gibt bei der Redaktion nicht mehr das übliche Links-Rechts Schema. Neue Lager, neue Gruppen werden angesprochen. In den 68-er Jahren positionierte sich das Bild jahrelang eindeutig gegen die aufmüpfigen linken Studenten. Wir erinnern an die Stimmungsmache gegen Rudi Dutschke.
Bild legte jedoch nach der Spendenaffaire der CDU auch Kohl flach. (die Fotografie von Helmut Kohl wurde umgelegt). Bundeskanzler Schröder wird dafür recht wohlwollend behandelt. Bild veranschaulicht uns, welche Tendenzen des Journalismus bei Bild deutlich verstärkt wurden:

1.Kommerzialisierung
  • Auflage zählt (Akzeptanz beim Massenpublikum wird laufend überprüft).
  • Es wird bewusst um die Gunst des Publikums gebuhlt.
2.Vereinheitlichung
  • Dem Wunsch des Publikums nach schnellerer, kürzerer, würzigerer Information wird laufend Rechnung getragen.
  • Generell gilt: Wenige Worte über Wichtiges! Bilder und Originalaussagen haben erste Priorität.
3.Thesenjournalismus
    • Lange galt eine ausgewogene Berichterstattung als professioneller Journalismus. Die Boulevardpresse "pusht" jedoch Thesen und Themen. Die Thesen werden hernach mit Recherchen belegt.
    • Gefragt sind brisante, sensationelle News.
    • Inhalt tritt zurück.
4.Emotionalisierung
  • Nähe ist erwünscht.
  • Das Publikum wird mit einbezogen.
  • Augenzeugen, Betroffene kommen zu Wort.
5.Personalisierung
  • Prominente Köpfe sind als Blickfang erwünscht.
  • Personen veranschaulichen komplexe Sachverhalte.
  • Wer sich mediengerecht verhält, wird dadurch eine vielgefragte Persönlichkeit. Konsequenz: Privates wird auch öffentlich. Es kommt zum Personenkult.


Es ist erstaunlich, wie die Tendenz nach mehr Bildern in der Boulevardpresse auch andere Printmedien beeinflussen konnte: Selbst die NZZ hat heute viel mehr Photos als vor Jahren.

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