Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Allen Mitgliedern der Bundesversammlung, die mich
gewählt haben, danke ich für ihr Vertrauen. Und
diejenigen, die mir ihre Stimme nicht gegeben haben, will
ich durch meine Arbeit überzeugen. Ich möchte
Bundespräsident aller Deutschen sein und ein
Präsident für alle Menschen, die hier leben.
Aus gutem Grund ist das höchste Amt in einem demokratischen
Staat niemandem in die Wiege gelegt. Für mich persönlich ist
die Entscheidung der Bundesversammlung ein wirklich sehr bewegender
Augenblick. Nach sechs Jahren im Ausland kehre ich mit einem Gefühl
von Freude und Dankbarkeit in meine Heimat zurück. Deutschland hat
mir viel gegeben. Davon möchte ich etwas zurückgeben. Ich
liebe unser Land.
Wahrscheinlich erwarten jetzt alle von mir, dass ich von Reformen
spreche. Tatsächlich halte ich eine grundlegende Erneuerung unseres
Landes für notwendig und überfällig. Als gelernter
Ökonom - das werde ich auch weiterhin nicht verstecken - kann
ich Ihnen die Feststellung nicht ersparen, dass ich mir Sorgen um
den Zustand der deutschen Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die
soziale Sicherheit in unserem Lande mache. Ich sehe neue, inakzeptable
Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft.
Viele von Ihnen erwarten vermutlich auch, dass ich etwas zur
Globalisierung sage. Globalisierung bestimmt mehr und mehr unser Leben.
Sie bedarf - das ist meine feste Überzeugung, hierin stimme ich
mit Johannes Rau überein - der politischen Gestaltung. Wenn wir
es richtig anpacken, kann Deutschland aus der Globalisierung weiterhin
großen Nutzen ziehen. Aber wir müssen auch besonders dafür
arbeiten, dass die Globalisierung den Armen dieser Welt zugute kommt.
Dies wird nur gelingen, wenn sich die Industrieländer, also
auch Deutschland, in ihrem Verhalten ändern und vor allem ihre
Märkte für die Entwicklungsländer öffnen. Doch das
heißt dann eben auch, dass wir Wettbewerb und Strukturwandel
annehmen müssen. Herr Präsident, meine Damen und Herren,
tatsächlich befindet sich die Welt in einem tiefen Umbruch. Wir
müssen uns der Wirklichkeit stellen. Deutschland muss um seinen
Platz in der Welt des 21. Jahrhunderts kämpfen.
Ich denke, wir alle werden deshalb auch mit meiner Mitbewerberin,
Frau Professor Gesine Schwan, darin übereinstimmen, dass es
gerade in Umbruchphasen auf Vertrauen als Sozialkapital ankommt. Und
der Begriff Sozialkapital wird sowohl in der Politikwissenschaft als
auch in der Wirtschaftswissenschaft benützt. Sehr zu Recht hat
Bundespräsident Johannes Rau das Thema Vertrauen und Verantwortung
in den Mittelpunkt seiner letzten Berliner Rede gestellt. In diesem
Zusammenhang möchte ich Ihnen, sehr verehrte Frau Schwan, für
Ihr Engagement um das höchste Amt im Staate danken. Der Wettbewerb
von uns beiden Seiteneinsteigern hat dem Land insgesamt sicher nicht
geschadet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ja, ich werde in meinem Amt
zu mehr Entschlossenheit, Tatkraft und auch Stetigkeit bei wirtschafts-
und sozialpolitischen Reformen drängen. Doch ich hoffe, ich
enttäusche heute niemanden, wenn ich eine ganz andere Frage
voranstelle, nämlich: Was will Deutschland im 21. Jahrhundert sein,
was kann es sein und wo will dieses Land hin?
Mit Recht betonen viele in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit,
vor allem Bildung und Innovation zu stärken. Deutschland ist
mir zu langsam auf seinem Weg in die Wissensgesellschaft. Mein
Traum geht aber noch weiter. Deutschland soll ein Land der Ideen
werden. Im 21. Jahrhundert bedeutet das mehr als das Land der Dichter
und Denker, mehr als Made in Germany, mehr als typisch deutsche
Tugenden. Das ist ganz sicher etwas anderes als Großmannssucht
und Selbstüberschätzung.
Deutschland - ein Land der Ideen: Das ist nach meiner Vorstellung
Neugier und Experimentieren. Das ist in allen Lebensbereichen
Mut, Kreativität und Lust auf Neues, ohne Altes und Alte
auszugrenzen. Das sind neue Gründerjahre. Das ist die Kraft, auch
mit Rückschlägen umzugehen und wieder neu anzufangen. Das
sind Ideen auch für Europa. Deutschland - ein Land der Ideen:
Das ist für mich zuerst und vor allem ein Land für Kinder.
Wie kommt es, dass wir in Deutschland immer weniger Kinder haben?
Glauben wir nicht mehr an unsere Zukunft? Kinder bedeuten Neugier,
Kreativität und Zuversicht. Kinder sind Brücken in die Welt
von morgen. Wir müssen uns alle anstrengen, eine familien- und
kinderfreundliche Gesellschaft zu werden.
Dazu brauchen wir konkrete Antworten auf bestimmte Fragen, zum Beispiel:
Wie schaffen wir es, Elternarbeit anzuerkennen? Wie kann es gelingen,
Familie und Beruf besser zu vereinbaren? Was sind uns Kinder wert? Wir
müssen auf diese Fragen konkrete Antworten finden.
Aber genauso müssen wir auch eine konkrete Antwort auf die Frage
finden, was uns ältere Menschen wert sind. Um die Zukunft zu
gewinnen, brauchen wir auch deren Erfahrung und Weisheit. Wir müssen
an der Freundschaft zwischen den Generationen schon jetzt arbeiten.
Deutschland muss sich verändern, das ist wahr. Aber wir sollten
uns dabei auch unserer kulturellen und religiösen Wurzeln bewusst
sein. Wie schaffen wir es, das abstrakte Wort "Werte" aus Politikerreden
in Alltagsgespräche und Alltagsverhalten zu bringen und so lebendig
zu machen? Wie schaffen wir es, uns im größer werdenden Europa
unserer nationalen Identität zu vergewissern - und zugleich eine
europäische Identität zu gewinnen? Ich habe, meine Damen
und Herren, übrigens die Erfahrung gemacht: Patriotismus und
Weltoffenheit sind keine Gegensätze.
Sie bedingen einander. Nur wer sich selbst achtet, achtet auch andere.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der heutige 55. Jahrestag
der Verkündung des Grundgesetzes ist ein guter Tag, uns wieder
auf unsere Stärken zu besinnen. Deutschland hat die Kraft, sich zu
verändern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Diese Kraft liegt
in den Menschen. Ihre Ideen sind der Reichtum unseres Landes. Damit sich
diese Kraft entfalten kann, müssen wir Angst überwinden und
Selbstvertrauen zurückgewinnen.
Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Aber dazu
müssen erst einmal wir uns selbst mehr zutrauen. Und: Wir müssen
wieder mehr auf die Kraft der Freiheit vertrauen. Es war diese Kraft,
mit der vor 15 Jahren die Menschen im Osten unseres Vaterlandes die
scheinbar unüberwindliche Mauer zum Einsturz gebracht haben -
einer der großartigsten Momente unserer Geschichte und auch eine
stetige Verpflichtung für uns, die innere Einheit zu verwirklichen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kraft der Freiheit
stärken, darauf achten, dass es gerecht zugeht in Deutschland,
und dazu beitragen, dass wir ein Land der Ideen werden - dafür will
ich eintreten und dazu bitte ich um das Mitmachen aller.
Ich grüße alle Landsleute nah und fern, unsere Nachbarn in
Europa und unsere Freunde in der Welt. Gott segne unser Land!
Vielen Dank.
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