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www.rhetorik.ch aktuell: (1. Juli, 2004)

"Bild" spielt Ghostwriter



Koehler Der gemeinsame Kandidat von CDU,CSU und FDP, Horst Köhler wurde am 1. Juli 2004 als neunter deutscher Bundespräsident vereidigt. Als Finanz und Wirtschaftsspezialist ist er ist der erste Bundespräsident ohne Erfahrung in einem politischen Amt. Köhler ist am 22. Februrar 1943 in Skierbieszow in Polen geboren. 1943 floh die aus Rumänien stammende Bauernfamilie zunächst in den Osten Deutschlands, zehn Jahre später nach Westdeutschland. Der heute 61 jährige gilt als sachorientiert und bescheiden. Obgleich der Volkswirt seit 1981 CDU-Mitglied ist und als einer der engsten wirtschaftspolitischen Berater des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl gilt, wird ihm ein hohes Mass an politischer Unabhängigkeit bescheinigt. Köhler hat an der Universität Tübingen Ökonomie studiert, und im Jahre 1977 promoviert und hat seither Erfahrung im Deutschen Finanzministerium, verschiedenen Banken (Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes) und ist seit 2000 Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds IWF in Washington. Die Universität von Tübingen ernannte Köhler 2003 zum Honorar-Professoren. Am 4. Mai benannten CDU, CSU und FDP Köhler zum gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten.

Quelle 1 Quelle 2


Hier ist die Ansprache von Horst Köhler vor der Bundesversammlung nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten: Quelle: www.bundespraesident.de


Herr Präsident!  Meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Allen Mitgliedern der Bundesversammlung, die mich
gewählt haben, danke ich für ihr Vertrauen. Und
diejenigen, die mir ihre Stimme nicht gegeben haben, will
ich durch meine Arbeit überzeugen. Ich möchte
Bundespräsident aller Deutschen sein und ein
Präsident für alle Menschen, die hier leben.

Aus gutem Grund ist das höchste Amt in einem demokratischen
Staat niemandem in die Wiege gelegt. Für mich persönlich ist
die Entscheidung der Bundesversammlung ein wirklich sehr bewegender
Augenblick. Nach sechs Jahren im Ausland kehre ich mit einem Gefühl
von Freude und Dankbarkeit in meine Heimat zurück. Deutschland hat
mir viel gegeben.  Davon möchte ich etwas zurückgeben. Ich
liebe unser Land.

Wahrscheinlich erwarten jetzt alle von mir, dass ich von Reformen
spreche. Tatsächlich halte ich eine grundlegende Erneuerung unseres
Landes für notwendig und überfällig. Als gelernter
Ökonom - das werde ich auch weiterhin nicht verstecken - kann
ich Ihnen die Feststellung nicht ersparen, dass ich mir Sorgen um
den Zustand der deutschen Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die
soziale Sicherheit in unserem Lande mache. Ich sehe neue, inakzeptable
Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft.

Viele von Ihnen erwarten vermutlich auch, dass ich etwas zur
Globalisierung sage. Globalisierung bestimmt mehr und mehr unser Leben.
Sie bedarf - das ist meine feste Überzeugung, hierin stimme ich
mit Johannes Rau überein - der politischen Gestaltung. Wenn wir
es richtig anpacken, kann Deutschland aus der Globalisierung weiterhin
großen Nutzen ziehen. Aber wir müssen auch besonders dafür
arbeiten, dass die Globalisierung den Armen dieser Welt zugute kommt.

Dies wird nur gelingen, wenn sich die Industrieländer, also
auch Deutschland, in ihrem Verhalten ändern und vor allem ihre
Märkte für die Entwicklungsländer öffnen. Doch das
heißt dann eben auch, dass wir Wettbewerb und Strukturwandel
annehmen müssen. Herr Präsident, meine Damen und Herren,
tatsächlich befindet sich die Welt in einem tiefen Umbruch. Wir
müssen uns der Wirklichkeit stellen. Deutschland muss um seinen
Platz in der Welt des 21. Jahrhunderts kämpfen.

Ich denke, wir alle werden deshalb auch mit meiner Mitbewerberin,
Frau Professor Gesine Schwan, darin übereinstimmen, dass es
gerade in Umbruchphasen auf Vertrauen als Sozialkapital ankommt. Und
der Begriff Sozialkapital wird sowohl in der Politikwissenschaft als
auch in der Wirtschaftswissenschaft benützt. Sehr zu Recht hat
Bundespräsident Johannes Rau das Thema Vertrauen und Verantwortung
in den Mittelpunkt seiner letzten Berliner Rede gestellt. In diesem
Zusammenhang möchte ich Ihnen, sehr verehrte Frau Schwan, für
Ihr Engagement um das höchste Amt im Staate danken. Der Wettbewerb
von uns beiden Seiteneinsteigern hat dem Land insgesamt sicher nicht
geschadet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ja, ich werde in meinem Amt
zu mehr Entschlossenheit, Tatkraft und auch Stetigkeit bei wirtschafts-
und sozialpolitischen Reformen drängen. Doch ich hoffe, ich
enttäusche heute niemanden, wenn ich eine ganz andere Frage
voranstelle, nämlich: Was will Deutschland im 21. Jahrhundert sein,
was kann es sein und wo will dieses Land hin?

Mit Recht betonen viele in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit,
vor allem Bildung und Innovation zu stärken. Deutschland ist
mir zu langsam auf seinem Weg in die Wissensgesellschaft. Mein
Traum geht aber noch weiter. Deutschland soll ein Land der Ideen
werden. Im 21. Jahrhundert bedeutet das mehr als das Land der Dichter
und Denker, mehr als Made in Germany, mehr als typisch deutsche
Tugenden. Das ist ganz sicher etwas anderes als Großmannssucht
und Selbstüberschätzung.

Deutschland - ein Land der Ideen: Das ist nach meiner Vorstellung
Neugier und Experimentieren. Das ist in allen Lebensbereichen
Mut, Kreativität und Lust auf Neues, ohne Altes und Alte
auszugrenzen. Das sind neue Gründerjahre. Das ist die Kraft, auch
mit Rückschlägen umzugehen und wieder neu anzufangen. Das
sind Ideen auch für Europa.  Deutschland - ein Land der Ideen:
Das ist für mich zuerst und vor allem ein Land für Kinder.

Wie kommt es, dass wir in Deutschland immer weniger Kinder haben?
Glauben wir nicht mehr an unsere Zukunft? Kinder bedeuten Neugier,
Kreativität und Zuversicht. Kinder sind Brücken in die Welt
von morgen.  Wir müssen uns alle anstrengen, eine familien- und
kinderfreundliche Gesellschaft zu werden.

Dazu brauchen wir konkrete Antworten auf bestimmte Fragen, zum Beispiel:
Wie schaffen wir es, Elternarbeit anzuerkennen? Wie kann es gelingen,
Familie und Beruf besser zu vereinbaren? Was sind uns Kinder wert? Wir
müssen auf diese Fragen konkrete Antworten finden.

Aber genauso müssen wir auch eine konkrete Antwort auf die Frage
finden, was uns ältere Menschen wert sind. Um die Zukunft zu
gewinnen, brauchen wir auch deren Erfahrung und Weisheit. Wir müssen
an der Freundschaft zwischen den Generationen schon jetzt arbeiten.

Deutschland muss sich verändern, das ist wahr. Aber wir sollten
uns dabei auch unserer kulturellen und religiösen Wurzeln bewusst
sein. Wie schaffen wir es, das abstrakte Wort "Werte" aus Politikerreden
in Alltagsgespräche und Alltagsverhalten zu bringen und so lebendig
zu machen? Wie schaffen wir es, uns im größer werdenden Europa
unserer nationalen Identität zu vergewissern - und zugleich eine
europäische Identität zu gewinnen? Ich habe, meine Damen
und Herren, übrigens die Erfahrung gemacht: Patriotismus und
Weltoffenheit sind keine Gegensätze.

Sie bedingen einander. Nur wer sich selbst achtet, achtet auch andere.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der heutige 55. Jahrestag
der Verkündung des Grundgesetzes ist ein guter Tag, uns wieder
auf unsere Stärken zu besinnen. Deutschland hat die Kraft, sich zu
verändern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Diese Kraft liegt
in den Menschen. Ihre Ideen sind der Reichtum unseres Landes. Damit sich
diese Kraft entfalten kann, müssen wir Angst überwinden und
Selbstvertrauen zurückgewinnen.

Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Aber dazu
müssen erst einmal wir uns selbst mehr zutrauen. Und: Wir müssen
wieder mehr auf die Kraft der Freiheit vertrauen. Es war diese Kraft,
mit der vor 15 Jahren die Menschen im Osten unseres Vaterlandes die
scheinbar unüberwindliche Mauer zum Einsturz gebracht haben -
einer der großartigsten Momente unserer Geschichte und auch eine
stetige Verpflichtung für uns, die innere Einheit zu verwirklichen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kraft der Freiheit
stärken, darauf achten, dass es gerecht zugeht in Deutschland,
und dazu beitragen, dass wir ein Land der Ideen werden - dafür will
ich eintreten und dazu bitte ich um das Mitmachen aller.

Ich grüße alle Landsleute nah und fern, unsere Nachbarn in
Europa und unsere Freunde in der Welt. Gott segne unser Land!

Vielen Dank.  
"Bild online" schrieb für Horst Köhler - dem neuen Staatsoberhaupt folgende Rede:


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Ich stehe als neues Staatsoberhaupt nicht vor Ihnen, um Zustände
schönzureden. Ich will Probleme offen ansprechen und Lösungen
zeigen.

Deutschland kann mehr. Aber es fehlt der Wille, die notwendigen Neuerungen
durchzusetzen - ohne dabei auf die Werte zu verzichten, die uns so weit
gebracht haben.

Für zehn Punkte will ich in meiner Amtszeit werben und kämpfen -
damit Deutschland wieder spitze wird!

1. Reform des Staates

Ich wünsche mir weniger Bundesländer und kleinere Parlamente auf
nationaler und europäischer Ebene. Die gewählten Abgeordneten
müssen effizienter arbeiten, Probleme rascher anpacken. Wir
dürfen Ideen nicht ewig im Parteienstreit zerreden. Politik muss
handeln - auch über Parteigrenzen hinweg.

2. Reform der Wirtschaft

Nur Wachstum schafft Arbeitsplätze, sichert Renten und soziale
Leistungen.  Und Wachstum gedeiht nur, wenn Mut und Optimismus über
Kleinmut und Bedenken siegen.

3. Ja zur Globalisierung

Ich habe eine große internationale Organisation
geleitet. Ich weiß, dass wir unseren Markt auch für die
Entwicklungsländer öffnen müssen, auch wenn dies anfangs
schmerzt. Aber nur wenn wir die Armen dieser Welt zu Wohlstand bringen,
kann auch unser Wohlstand gesteigert werden.

4. Die Deutschen müssen länger arbeiten

Unser Wissen, Forschung und Entwicklung sind international
Mittelmaß.  Erst wenn wir wieder an der Spitze liegen, können
wir den Erfolg genießen - und vielleicht weniger arbeiten.

5. Umlernen statt umverteilen 

Wer Tüchtige und besser Verdienende schröpft, macht auch die
sozial Schwachen nur schwächer. Wir können nur verteilen,
was wir zuvor erwirtschaftet haben. Das müssen wir jetzt wieder
lernen. Wie wir es vor 50 Jahren beim Wirtschaftswunder schon gelernt
haben. Dieses Wunder kann wiederholt werden!

6. Zurück zur Familie 

Deutschland muss wieder ein Land der Kinder werden - statt der Greise.
Kinder bedeuten Neugier, Zuversicht und Kreativität. Dazu müssen
wir neue Wege wagen, Familie und Beruf besser miteinander zu verbinden.

7. Schluss mit der Anti-Alten-Hetze 

Wir brauchen Erfahrung und Weisheit der Älteren. Sie als
Kostgänger der Jüngeren auszugrenzen ist dumm und undankbar.
Jede nachwachsende Generation hat genau das als Startkapital, was die
ältere ihr vererbt hat.

8. Mehr Mut zum eigenen Ich 

Auch im größer gewordenen Europa bleiben wir als Deutsche
unverwechselbar. Wir müssen unsere Identität mit der
europäischen verbinden, ohne uns selbst aufzugeben oder gar
zu kuschen.  Patriotismus und Weltoffenheit sind zwei Seiten einer
Medaille. Wir brauchen beide Seiten.

9. Ja zur Toleranz 

Ein Kreuz abzuhängen, weil es andere nicht sehen wollen, ist keine
Toleranz, sondern Selbstaufgabe. So lernen die hier lebenden Kulturen
nie, einander zu verstehen und zu achten. Nur wer auf eigener, fester
Wertebasis steht, kann anderen gegenüber tolerant sein.

10. Besinnung auf die Wurzeln 

Wir leben in einem seit Jahrhunderten christlich geprägten Land.
Das dürfen wir nicht verdrängen. Familie und Gleichberechtigung
der Frauen müssen verteidigt werden - auch gegenüber dem
Islam. Das Christentum ist und bleibt die Basis der deutschen und der
europäischen Identität. Deutschlands Lage ist kritisch,
viele Landsleute sind verunsichert. Gegen diese Lähmung
hilft nur Aufbruchstimmung. Wir müssen Eigenverantwortung und
Risikobereitschaft stärken. Mit neuer Zuversicht meistern wir jede
Herausforderung.

Daran will ich mit ganzer Kraft arbeiten.
Helfen Sie mir dabei!  


Die vorgefertigte Rede hat nach unserem Dafürhalten eine gute Struktur (10 Punkteprogramm) und beinhaltet auch einige konkrete Aussagen. z.B. Länger arbeiten usw. Anderseits gibt es einmal mehr schönklingenden "Floskeln" und "Allgemeinplätze" wie: - Reform der Wirtschaft: Wachstum, Optimismus, Mut. Es fehlen aber konkrete Massnahmen: Wie wird das Wachstum gefördert?










Versuchen Sie, die von Köhler gehaltene Rede selbst zu analysieren:
  • Welche Aussagen sind konkret?
  • Welche Elemente der Airbagrhetorik sind feststellbar?
  • Wo wird die Bevölkerung persönlich angesprochen?
  • Welche Gedanken sind klar und nachvollziehbar?
  • Welche Kernaussage wird wiederholt, betont oder herausgehoben?


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