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www.rhetorik.ch aktuell: (23. Januar, 2004)

Der angeklagte Sonnyboy





Im Mannesmann-Prozess werden sechs Manager und Gewerkschaftler zu Vorwürfen der Untreue und Beihilfe zur Untreue Stellung nehmen müssen. Es geht um die umstritten Zahlung von Prämien und Pensionen im Zusammenhang mit der Übernahme des Konzerns durch Vodafone im Jahre 2000. Der Mannesmann-Prozess gilt als der spektakulärste Prozess der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Angeklagt sind der ehemalige Mannesmann-Chef Klaus Esser und der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann, der frühere IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel, der Mannesmann Arbeitnehmervertreter Jürgen Ladberg, Assistent der Geschäftsleitung Dietmar Droste, sowie der ehemalige Mannesmann-Aufsichtsratschef Joachim Funk. Die Tatsache, dass Top-Manager auf der Anklagebank sitzen, bringt Brisanz in den Prozess. Mit Josef Ackermann steht ein Wirtschafts-Schwergewicht im Scheinwerferlicht.

Der Schweizer Ackermann wird vom Staranwalt Eberhard Kempf verteidigt, Klaus Esser von Sven Thomas, die Richterin Brigitte Koppenhöfer leitet das Verfahren.


Im Beitrag Doppeldeutigkeiten wiesen wir schon einmal darauf hin, dass paradoxe Kommunikation irritiert. Der Kabarettist Emil demonstrierte vor Jahren in einer unvergesslichen Szene, wie ein Parteipräsident trotz einer Wahlschlappe -von Stärke und Zukunftsglauben seiner Partei spricht, gleichzeitig nonverbal (mit Stimme, Augen Gesicht) dem Weinen nahe ist. Mit diesem künstlichen Auseinanderscheren von Freude (Worte) und Trauer (Körpersprache) veranschaulichte uns der Kabarettist, wie lächerlich paradoxes Kommunikationsverhalten wirkt.

Wer beim jüngsten Mannesmannprozess die Fotos des Angeklagten Joe Ackermann gesehen hat, stellt etwas Ähnliches fest:

Ein Angeklagter (bei einer gravierend ernsthaften Anschuldigung) lächelt ständig wie ein Sonnyboy. Das macht stutzig. Wenngleich die Schuld noch nicht bewiesen ist, geht es doch um eine traurige und ernsthafte Anschuldigung. Das nonverbale Verhalten passt nicht zur gegebenen Situation.
Joe Ackermann erweist sich einen Bärendienst, wenn er sich vor den Medien ständig lächelnd ablichten lässt. Der Manager ist sich nicht bewusst, dass er sich letztlich mit seinem permanenten Lächeln schadet. Mag sein, dass er früher stets Erfolg hatte mit seiner Darstellung als gutgelaunter, erfolgreicher Strahlemann. Sein Verhalten heute ist nicht stimmig und stört. Aus unserer Sicht macht sich Ackermann durch sein paradoxes Verhalten unglaubwürdig. Der Spiegel titelt: "Joe Ackermanns Lächel-Offensive" und zitiert den Ackermann'schen Soundbite:

"Hier stehen Menschen angeklagt, die Werte geschaffen haben."


Josef Ackermann wurde am 7. Februar 1948 in Mels im Kanton St. Gallen geboren, studierte bis 1973 an der Hochschule St. Gallen, promovierte 1977 zum Dr. Oec. und ist Oberst der Schweizer Armee. Ackermann begann seine Berufskarriere bei der Schweizerischen Kreditanstalt. Bereits 1990 rückte er in die Generaldirektion dieser Bank vor. Er verliess im Juli 1996 abrupt den Konzern, als dieser zur Credit Suiss Group umgebaut wurde. Im Herbst 1996 kam er zur Deutschen Bank, wo er sich auch schnell an die Spitze vorarbeitete. Quelle.


Nachtrag vom 26. Januar, 2004 Die Sonntagspresse, das "Bild am Sonntag" und Sonntagblick, kritisierten ebenfalls Ackermanns Verhalten. Es geht den Journalisten um das Victory Zeichen mit der rechten Hand. Sie stören sich an dieser Geste und interpretieren es als Nachahmung von vor dem Gericht).
Verschiedene Gerichtsverfahren, ähnliche Körpersprache.


Diese Geste wurde von der Öffentlichkeit als "Arroganz der Geldmacht" gewertet. Der Anwalt Ackermanns beschwichtigt: Das Zeichen sei nur scherzhaft gemeint.
Die Empörung des Publikums muss ernst genommen werden. So wie das spitzbübische Lächeln fragen wir uns auch: Was gibt es bei dieser gravierenden Sache zu scherzen und zu lächeln? Das anmassende, hochmütige Verhalten wird als Verachtung der Bürger interpretiert. Wer eine Gerichtsverhandlung als lächerliche Veranstaltung belächelt, qualifiziert sich selbst.
Für die "Süddeutsche Zeitung" drückt Ackermanns Verhalten ebenfalls Verachtung und Arroganz aus.
Aus unserer Sicht ist dies eine der grössten Entgleisungen, die auch der internationalen Manager-Zunft schadet. Es ist auch ein Lehrstück für alle, die sich mit Medienrhetorik beschäftigen.
Erkenntnis: Verbale und nonverbale Aussagen müssen übereinstimmen. Paradoxes Kommunikationsverhalten stört Kommunikationsprozesse und kann zu Missverständnissen führen.


Nachtrag vom 6.Februar: Ackermann rechtfertigt sein Verhalten
Der Deutsche-Bank-Chef genoss es sichtlich, einmal nicht Richtern, sondern Journalisten Rede und Antwort stehen zu dürfen. So erklärte Ackermann locker, was er wirklich mit dem Victory-Zeichen meinte und was er von Aktienoptionen hält. Wiederum gibt er sich bestens gelaunt:

"Hat Sie die öffentliche Diskussion um Ihr Victory-Zeichen überrascht?"


Auf diese Frage eines Journalisten bei der Jahres-Pressekonferenz hatte Josef Ackermann geradezu gewartet und sagte:

"Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass da so ein Sturm der Entrüstung los geht".


Er erzählt, wie es "wirklich war": Er und der Mitangeklagte Klaus Esser seien mitsamt den Anwälten frühzeitig vor dem Beginn des Mannesmann-Prozesses im Düsseldorfer Landgericht eingetroffen und hätten dann eine halbe Stunde vor dem Gerichtssaal warten müssen. Die ganze Zeit seien beide dann von Fotografen umringt gewesen.

"Wenn man das zum ersten Mal erlebt, ist das nicht sehr angenehm".


Kommentare:
  • Wenn ein Topmanager so naiv ist und nicht merkt, dass Medienauftritte vor dem Gericht heikel und unangenehm sein können, so ist dem angeklagten Bank Chef nicht mehr zu helfen. Die Begründung überzeugt nicht.
  • Wie zu erfahren war, hat der Verteidiger Ackermann von nervösen Gesten abgeraten, die eventuell auf ein schlechtes Gewissen hingedeutet hätten - wie zum Beispiel das Blättern in Dokumenten. Deshalb habe er versucht, sich so locker wie möglich zu geben.
  • Wer sich bei heiklen Situationen vor Medien künstlich locker gibt, Freude vorgaukelt und Theater spielt, kennt die Grundprinzipien der Medienrhetorik nicht. Ein Verteidiger sollte vielleicht auch nicht Kommunikationsberater spielen. Ein echter Berater hätte Ackermann dazu gebracht, sich so vorzubereiten, dass er innerlich locker ist und sich konzentrieren kann. Zudem hätte Ackermann die Situation antizipieren können.
Ackermann rechtfertige sich, indem er die Situation begründete:

"Ich sagte scherzhaft zu Esser: 'In den USA kommt der Angeklagte zu spät, hier kommen die Richter zu spät.'"


Dabei habe er vor Esser das Siegeszeichen von Popstar Michael Jackson nachgemacht, das zu dessen Prozessbeginn um die Welt gegangen war. "Ich sagte ihm: Guck mal, so hat er's gemacht." Breites Gelächter vor dem Gerichtssaal - aber das Publikum draußen fand das alles bekanntlich gar nicht so lustig.

Der Deutsche-Bank-Chef konnte es nach eigener Darstellung nicht fassen, dass die Medien eine aus dem Zusammenhang gerissene Geste zu einer "Kampagne" genutzt hätten. "Ich habe daraufhin Politiker angerufen, die mir sagten: "Das passiert uns täglich!" und lachten." Zur Klärung habe er umgehend der vorsitzenden Richterin einen Brief geschrieben. Ackermann: "Die hat das verstanden, das ist erledigt." Auch seine Kommunikationsberater gingen sofort mit ihrer Version der Geschichte in die Presse.

Die Kritik an Ackermann hatte sich nämlich nicht nur an der unpassenden Geste entzündet, sondern auch an seinem verbal geäußerten Unverständnis für den Prozess:



"Wenn jemand glaubt, ich respektiere die deutsche Gerichtsbarkeit nicht, tut es mir leid."


Dies ist für uns kein glaubwürdiges "Mea culpa". Der Manager glaubt zwar, mit dieser Entschuldigung sei alles wieder im Butter. Die Begründung der Geste, die angeblich missverstanden worden ist, überzeugt damit auch nicht ganz. Ausser dem nonverbalen Ausrutscher gibt es die viel gravierendere verbale Panne. Abgesprochen auf das fragwürdige nonverbale Verhalten sagte Ackermann:

"Das ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Wert schaffen, deswegen vor Gericht stehen."


Mit dieser deplatzierte Äusserung, für die Ackermann keinen Anwalt mehr verantwortlich machen kann, genügt auch ein "Es tut mir leid" nicht mehr.
Nachtrag vom 9.Februar: Auch der Vatikan äussert sich:
Uns erstaunte es, dass nun auch der Vatikan den Chef der Deutschen Bank aufs Korn nimmt. "Wenn einer solche Abfindungen bekommt, ist dies Betrug und ein Verbrechen auf Kosten der Mehrheit der Menschen", heisst es in einer von Radio Vatikan ausgestrahlten Erklärung vom 7. Februar.


Nachtrag vom 11. März, 2004: Mehr Gehalt für Ackermann:
Der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann gönnt sich angesichts der besseren Unternehmenszahlen eine kräftige Gehaltserhöhung. Seine Bezüge sei von 2002 bis 2003 um mehr als die Hälfte gestiegen, so ein Zeitungsbericht. Im vergangenen Jahr habe Ackermann rund 11 Millionen Euro verdient, berichtet die "Financial Times Deutschland" unter Berufung auf eine Pflichtmeldung an die US-Börsenaufsicht SEC. Ein Jahr zuvor hatte er noch 6,9 Millionen Euro für seine Dienste bekommen, was auf der Hauptversammlung für Unmut sorgte. Ackermann kann tatsächlich auf Erfolge verweisen. Die Eigenkapitalrendite, also die Verzinsung des eingesetzten Kapitals, stieg 2003 auf 13 Prozent und war damit etwa zweieinhalb mal so hoch wie im Jahr davor. Die Dividende für Aktionäre konnte deshalb um rund 15 Prozent erhöht werden.




Nachtrag vom 24. Juli, 2004: Freispruch für Ackermann.

Joe Ackermann hatte mit seinem "Victory"-Zeichen den Sieg schon im Januar vorweg genommen.

Vor dem Gericht protestierten zwar Demonstranten gegen die ausbezahlten Abfindungsgelder, doch das Gericht fand, dass 60 Millionen Euro Abfindungen nichts Unrechtes seien. Der Schweizer Top-Banker in Deutschland hat damit vom Gericht eine weisse Weste bekommen.

Es ging um 60 Millionen Euro und die Frage, ob diese Summe als Ablöse zu hoch ist. So viel Geld haben Joe Ackermann und seine Mitstreiter bei der Übernahme von Mannesmann durch den Mobilfunkriesen Vodafone in die Abfindungen für die Manager investiert.


Während des 6 Monate langen Prozesses fiel Ackermann nicht immer positive auf. Sein "Victory"-Zeichen zu Beginn der Verhandlungen stiess vielen sauer auf. Doch Ackermann hat mit seinem Sieges-Zeichen offenbar recht behalten. Er, Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser, der ehemalige Aufsichtsratschef Joachim Funk, Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und zwei weitere Mannesmann-Mitarbeiter sind vom Vorwurf der Untreue freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Männer bis zu drei Jahren Haftstrafe beantragt. Sie dürfte gegen das Urteil Revision einlegen. Dann würde die Angelegenheit nochmals aufgerollt.

Nach der Urteilsverkündung gab die Richterin Brigitte Koppenhöfer noch eine persönliche Erklärung ab. Seit 23 Jahren sei sie im Dienst - aber noch nie sei auf diese Weise versucht worden, auf das Urteil Einfluss zu nehmen. Koppenhöfer:



Das Gericht sei aber nur für die strafrechtliche Relevanz zuständig:

"Es hat keine Moral- und Werturteile zu fällen."


Trotz des Freispruchs kam Ackermanns überhebliche Rhetorik schlecht an. In Interviews gab er sich wiederum "zu" selbstsicher. Kein selbstkritischer Gedanke zu den ungewöhnlichen Abfindungssummen, die kein Normalsterblicher begreifen nachvollziehen kann.

"Freispruch ist Freispruch!"


fand der Bankboss. Ethik und Moral waren für ihn bei den gehörten Interviews kein Thema. Die immensen Geldsummen sind für ihn nichts Aussergewöhnliches:

"Wer gut arbeitet, der darf auch viel mehr verdienen!"


Seine Begründung:

"Spitzensportler verdienen auch überdurchschnittlich viel.¨


In den Medien wird damit der Sieger Ackermann für viele zum Verlierer. Der Tagesanzeiger vom 23. Juli schreibt von einem "Freispruch zweiter Klasse". Auch der "Blick" titelte mit diesen Worten. Die Freude Ackermanns über den Freispruch habe sich in Grenzen gehalten. Ein schaler Geschmack bleibt nach dem Urteil doch noch zurück. Die Proteste machten deutlich, dass man den Spruch bestätigt sieht:

Ackermann hat eindeutig gegen das Aktienrecht verstossen. Aber dies ist nicht strafbar. Somit ist es nur ein Freispruch zweiter Klasse.


Revision gegen Freisprüche im Mannesmann-Prozess? Ackermann kann sich noch nicht ganz zurücklehnen: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft will gegen die Freisprüche im Mannesmann-Prozess vorgehen und legt Revision gegen das Urteil ein. Damit wird sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit dem Fall befassen müssen. Das Düsseldorfer Landgericht hatte am Donnerstag alle sechs Angeklagten, darunter Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser und Deutsche-Bank-Vorstandschef Josef Ackermann, vom Verdacht der Untreue oder der Beihilfe dazu im Zusammenhang mit Millionen- zahlungen nach der Mannesmann-Übernahme durch Vodafone freigesprochen. - Die Staatsanwälte hatten zum Teil mehrjährige Haft- und Bewährungsstrafen gefordert.




Nachtrag vom 16. April, 2005: Bild des Jahres:

Ackermanns Bild mit dem Victory Zeichen gilt als eines der 5 besten Bilder des letzten Jahres.


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