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www.rhetorik.ch aktuell: (15. Februar, 2002)


Worte, die Gold wert sind

(Warum Goldjunge Ammann die Herzen eroberte)

"Weshalb Spitzensportler für Medienauftritte coachen?" Diese Frage wird immer wieder gestellt. "Sportler sollen vor allem gut abschneiden und Medaillen holen. Reden lernen ist bestimmt nicht so wichtig!"
Link zum Thema: Medientraining für Spitzensportler.
Tatsächlich hat die sportliche Leistung immer erste Priorität.
Medientraining ist trotzdem für Spitzensportler keine Nebensache. Weshalb? Wir dürfen die Auswirkungen persönlicher Auftritte vor Medien nicht unterschätzen: Der Sportler "verkauft" vor den Medien nicht nur sich selbst; er "verkauft" auch seine Sportart, seinen Sportverband und er ist gewiss auch den Sponsoren verpflichtet.
Es wäre aber völlig falsch, einen Sportler beim Mediencoaching zu verfremden und ihm eine unpassende Sprache aufzwingen zu wollen. Alle Spitzensportler, die vor den Olympischen Spielen bei "swiss olympic" im Mediensimulator Gelegenheit hatten, sich vor Mikrofon und Kamera kennen zu lernen, wissen, dass es bei den Interview-Training nicht darum geht, eine Rolle zu spielen oder künstlich "gut wirken zu wollen". Ziel jedes professionellen Medientrainings war stets der Schlüsselgedanke:

"Sei Du selbst!"

Dieser Satz ist einer der zentralen Leitsätze des internen Medientages in Magglingen.
Bei Coaching geht es ebenfalls darum, sich mit den unterschiedlichsten Mediensituation auseinanderzusetzen und konkrete, bildhafte, verständliche Aussagen zu machen (auch in Stresssituationen!). Im Umgang mit Medien gibt es viele wichtige Gesetzmässigkeiten. Umgang mit Medien. Auch Spitzenportler müssen beispielsweise wissen, wie Journalisten arbeiten und wie die Medien arbeiten. An der Olympiade sorgt dann der Informationschef Daniel Steiner schon dafür, dass die konkrete Medienarbeit koordiniert wird. Eine Sportlerin muss 40 Mal eine Aussage als "Erstgeburt" erzählen können. Dies kann erlernt werden. Auch das einfache Reden ist leider für viele nicht einfach.
Warum kam Simon Ammanns ungewöhnliche Rhetorik so gut an?
Gold Simi eroberte die Herzen der Bevölkerung im Nu, weil er genau das gemacht hat, was viele Sportler im Medienalltag vergessen: Er ist sich treu geblieben und hat niemenden imitiert. Er hat so gesprochen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Unkompliziert und glaubwürdig.
Eben: Er blieb sich selbst!
Doppel-Olympiasieger Simi braucht gewiss keine teuren Medienseminare, denn die "strassengängige Sprache" musste er nicht zusätzlich erwerben.
"Ich fliege aufs Podest!"
"Es ist doch cool, wenn ich dem Hannawald ein bisschen einheizen kann."
"Es ist der reine Wahnsinn, einfach tierisch, voll geil!"
Und beisst vor der Kamera unbeschwert in die Goldmedaille. Derartige spontane Äusserungen sind auch für die Medien Gold wert. Nicht nur die Boulevardpresse kann solche spontanen Äusserungen gut verkaufen. Amman war sowohl für die Jay Leno und die David Letterman shows in den USA vorgesehen, war dann auch bei der Letterman show eingeladen.
Die spontanen, ungeschminkten Gedanken; auch die Fähigkeit, offen und überschwänglich eigene Gefühle zeigen zu können, machten aus dem spitzbübischlächelnden, zwanzigjährigen Spitzensportler einen Sympathieträger sondergleichen.
Die unbekümmerten Aussagen verstanden alle und sie passten zum blutjungen, bescheidenen Sportler. Vielleicht ist der Medienerfolg auch deshalb so gross, weil Simon Ammann sich so echt, so unkompliziert vor Mikrofon und Kamera verhielt, wie im Alltag. Genau das macht Simon Ammann glaubwürdig. Gekünstelte Originalität wird vom Publikum immer erkannt.
Seine Auftritte waren bis jetzt nie peinlich, denn seine Faxen und Clownereien kamen aus dem Herzen. Der neue Superstar glich einem lustigen Kobold. (Die Kleidung, die einem versilberten Kartoffelsack gleicht, sah aus wie ein zu weit geschnittenes Überkleid). Die Bevölkerung schätzt das "Nichtperfekte"; auch beim Reden. Simi kann auch Gefühle zeigen. Das nonverbale Verhalten war nicht künstlich originell. Er verhielt sich immer natürlich. Er reckte die Fäuste gen Himmel und bleckte die niedlichen Schneidezähne ins Flutlicht. Mit 21 Jahren sieht er aus wie 14.
Die Amerikaner sprachen sofort vom "Flying Harry Potter"- "Hatty Potter is real!" Aus rhetorischer Sicht ist folgende Erkenntnis wichtig: Verbales und Noverbales waren stets synchron! Die Sprachebene stimmte mit der Person des jungen Sportlers überrein, so wie damals die Aussagen von Anita Weyermann zu ihrer Person gepasst hatten: "Grind abe und seckle!"
Es wäre wirklich falsch, im Medientraining Sportlern eine verstaubte, künstliche Rhetorik beibringen zu wollen!
Viele Leute wissen leider immer noch nicht, was heute unter "Angewandter Rhetorik" verstanden wird.
Wenn ein 20 jähriger Sportler vor Mikrofon und Kamera so spricht, wie er es zu Hause oder unter Freunden tut, so beherrscht er genau das, was sonst im Mediensimulator mühsam erlernt werden muss: Ohne Angst oder Hemmungen verständlich und konkret zu sprechen.
Beim Training erleben wir immer wieder, dass Spitzensportler überrascht werden und sich im Stress blockiert verhalten; zu kompliziert reden oder zu wenig sagen. (Sie reden vor der Kamera nicht mehr natürlich) Auch viele Spitzensportler wissen nicht, dass die meisten Situationen oder Fragen antizipiert werden können. In der Regel liegen jedoch die Fragen oder Vorwürfe in der Luft. Viele Antworten oder Aussagen lassen sich gedanklich vorbereiten.

"Was würde ich sagen, wenn.... "
Wenn eine Sportlerin nach einem Rennen trotz Nachfragen immer wieder meint:
"Ich habe das Beste gegeben!"

"Ich han em ebe eine gschteckt!"

Und auf die Frage, wie sie sich gefühlt habe, dürftig mit "Gut" antwortet, so hat die Sportlerin die Chance ihres Medienauftrittes bestimmt nicht genutzt!
Piloten können auch fliegen - doch simulieren sie trotzdem schwierige Situationen regelmässig im Simulator. (vgl. dazu Piloten und Teamkommunikation.) Spitzensportler können zwar auch reden, aber es lohnt auch bei ihnen, heikle Situationen im Mediensimulator vorgängig zu trainieren.
In der Praxis hat es sich mehrfach bestätigt: Die Arbeit im Mediensimulator zahlt sich langfristig im Alltag aus.

Link zum Thema:
Natürliche Kommunikation.
Wirbel um die "Simi Hymne".


Nachtrag 24. März:
Nachtrag vom 24.3.02
Simon Ammann musste sich nach dem plötzlichen Ruhm an der Olympiade und dem jüngsten Schweizerrekord im Skifliegen (218 Meter) viele mit den Medien auseinandersetzten. In einem Interview nahm der Sportler und Gymnasiast auch zu seinem beliebten Ausdruck "Geil" Stellung. Nach Ammann ist "Geil" ein uralter Begriff. Er habe mit seinem Rektor das Wörterbuch konsultiert. Der Begriff wurde schon im 16. Jahrhundert verwendet und heisst so viel, wie "fröhlich","ausgelassen","aufgeweckt". Somit könne man das Wort durchaus gebrauchen.


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