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www.rhetorik.ch aktuell: (23. August, 2003)

Der Erlebnisrhetoriker



Guenther Zienterra Im TV Magazin "MDR um Zwölf" vom 8. August war Günter Zienterra, Leiter des Institutes für Rhetorik und Kommunikation zu Gast. Das Interview gab auch einen Einblick in die Arbeit eines Rhetoriktrainers, der die Bausteine Psychologie und Erkenntnisse der Schauspielausbildung gebraucht. Diese Rhetorikschule wird von Zienterra als Erlebnisrhetorik bezeichnet. Sie unterscheidet sich von der uns bekannten Medienrhetorik, die darauf ausgerichtet ist, kurz, konkret und adressatengerecht zu reden und wo es im Mediensimulator nie um schauspielartige Ausbildung geht. Wir haben den Dialog zwischen Journalist und Zienterra nach Kriterien der Medienrhetorik beleuchtet. Für uns war der Dialog zwischen Journalist und Zienterra auch aussergewöhnlich, weil das Interview zeigte, wie ein Erlebnisrhetoriker selbst vor Mikrofon und Kamera spricht.

1. Sequenz

Guenther Zienterra Zienterra wurde vor dem Interview kurz vorgestellt. Zienterra ist einer der erfolgreichsten Rhetoriktrainer in Deutschland und hatte gerade sein 30 jähriges Berufsjubiläum gefeiert. Bei der Einführung in die Thematik war unter anderem zu erfahren, dass er Managern und Spitzenpolitikern beibringt, wie man auch mit "Ja" "Nein" sagen kann. In der folgenden Transcript wurde der Stil nicht korrigiert und Bindestriche symbolisieren Pausen.


Journalist: "Wie sagt man denn eigentlich mit Ja - Nein?"
Zienterra: "Wenn ein Problem da ist - wie jetzt - (man hat einen Auftritt), - dann neigt man natürlich dazu - aufgeregt zu sein. Und man sagt dann viel viel lieber "Nein", damit bin ich nicht richtig einverstanden, nein das geht nicht. Aber man könnte viel eher sagen: Ja es ginge. Ja es wäre möglich. Ja - unter den Umständen. Man kann es also positiver sagen, um die Mitmachbereitschaft - des andern zu erhalten Dass das Ja und das Nein - ganz wichtig im Leben sind, das wissen wir vom Entscheidungsprozess. Hätten sie damals Ja gesagt, oder hätten sie damals Nein gesagt, dann wären wir schon ein Stück weiter. Im Entscheidungsprozess ist das nicht wegzudiskutieren. Aber in der Kommunikation - ist es - eine Regel, dass man sagt: Niemals sagen: Nein, das geht nicht, weil ... sondern immer: Ja, es ginge, oder: Ja es wäre möglich, Punkt, Punkt, Punkt."
Journalist: Hochinteressant. Wenn auch etwas kompliziert. Darüber wollen wir heute reden. Als Zahnarzt schaut man ja dem Gegenüber zuerst auf die Zähne. Als Schuhverkäufer vielleicht auf die Schuhe. Als Rhetoriktrainer- wenn Sie einen Menschen kennenlernen - worauf achten Sie zuerst?
Zienterra: Auf die Nasenwurzel. Sie können nicht verhindern, dass Sie das gesamte Gesicht mitbekommen. Aber die Kaffer in Afrika sagten: Ich sehe Dich. Und die Begegnung ist - wenn man auch "Guten Morgen" sagt - oder: "Guten Tag" sagt, dass man also wirklich den andern wahrnimmt.... Und deshalb: Ich sehe Dich - Ich nehme Dich wahr. Und das ist also der Du- Standpunkt auch von Martin Buber, der da sagte: Die Existenz eines Menschen beginnt dann, wenn er wahrhaft Anteil nehmen kann. Wenn er wirklich reflektieren kann. Wenn er an den Problemen des Andern auch wirklich Anteil nehmen kann.

Analyse:

Die erste Antwort der Trainers war für den Journalisten zu kompliziert. Auch für uns. Weshalb? Bei Medienauftritten geht es darum, eine kurze, fassbare, konkrete, nachvollziehbare Antwort zu geben. Der Gedanke muss greifbar - begreifbar - sein. Deshalb: Nur einen Gedanken, aber diesen mit einer Erläuterung oder einem Beispiel verbinden. Zienterra packte aus der Sicht der Medienrhetorik zu viele Gedanken in seine erste Antwort. Dies alles haben wir darin gehört:
  • Bei Problemen ist man aufgeregt
  • Man ist geneigt Nein zu sagen
  • Man könnte auch Ja sagen. (Ja, aber)
  • Mit dem Ja wird die Mitmachbereitschaft erhalten
  • Entscheidungsprozessen brauchen ein klares Ja oder Nein
  • Bei Kommunikationsprozessen lohnt es sich mit Ja zu beginnen (Ja es geht, falls....).
Der Hinweis in Zienterras zweiter Antwort: "Ich schaue zuerst auf die Nasenwurzel" finden wir fragwürdig. Wer sich als Erstes auf die Nasenwurzel konzentriert, macht einen gravierenden Fehler: Statt des Gegenübers, steht plötzlich seine Nasenwurzel im Zentrum der Wahrnehmung. Wer Probleme hat mit dem Blickkontakt, sollte höchstens vor dem Auftritt den Partner bewusster anschauen. Beim Sprechen dürfen wir keinenfalls mehr daran denken, das Gegenüber anschauen zu müssen. Die Konzentration auf das Denken und das Gegenüber benötigt unsere ganze Energie. Vor allem im Fernsehstudio dürfen wir uns deshalb nie mit zusätzlichen Gedanken wie: Schau bei jener Stelle in die Kamera! Schau auf die Nasenwurzel usw. belasten. Wer sich für das Gegenüber wirklich interessiert, schaut automatisch genau hin. Der Blick auf die Nasenwurzel verunsichert. Die Augen sind die Fenster der Seele. Weshalb nicht direkt in diese Fenster schauen?


2. Sequenz

Journalist: Bevor Sie Rhetoriktrainer geworden sind, haben Sie ganz spektakuläre Tätigkeiten ausgeübt. Sie waren Boxer. Wie kam es denn dazu?
Zienterra: Ja. Nach dem Psychologiestudium und nach der Schauspielausbildung in Essen hab ich versucht - mich freizuboxen und Cicero sagte ja auch: In der Jugend war auch mir die Zunge schwer und rasch zur Tat der Arm. Auf der Schule des Lebens lernte ich - dass nicht der Arm, sondern das Wort - die Welt regiert. Und ich halte sehr viel von Gesprächskultur.
Journalist: Aber Boxen und Rhetorik ist doch gleich. Also: Bei einem schlägt man und beim andern redet man.
Zienterra: Es gibt bei der Gesprächsführung die aktive Gesprächsführung und die passive Gesprächsführung. Es gibt den aktiven Boxer und es gibt den passiven Boxer, der aus Distanz heraus - äh- seinen Gegner beobachtet und im richtigen Moment dann sagt: Auch ich bin noch da! Ich bin zu respektieren! Und- mein Trainer sagte mir einmal: "Günter, boxe nicht mit den Armen, sondern boxe - mit dem Auge! Beobachte deinen Gegner! Beeindrucke ihn! Denn: Heute wissen wir, dass- Charisma- Charisma vom Auge ausgeht. Nicht von der Nase, nicht vom Mund, nicht von den Ohren, sondern vom intensiven, festen auf den Partner ausgerichteten - Blick. Überzeugungs-kraft - ist damit verbunden.


Analyse:

Diese Antwort überzeugte uns. Jeder Aussenstehende sah klar den Zusammenhang zwischen dem Boxer und dem Rhetoriklehrer Zienterra. Wir erfuhren zudem, dass Zienterra Psychologie studiert hatte und eine Schauspielausbildung absolviert. Der Einschub mit Cicero erfolgte etwas zu rasch. Es fehlten die Pausen. Pausen erhöhen die Verständlichkeit. Die Abfolge: Studium- freiboxen - Cicero - Zunge schwer - zur Tat der Arm - Wort regiert die Welt - Gesprächskultur war zu nahtlos und wirkte atemlos. Bei dieser Sequenz müsste der rote Faden besser geknüpft und sequentiert werden. Die Knöpfe am roten Faden waren zu wenig erkennbar.
Guenther Zienterra Die zweite Antwort war medienrhetorisch gut. Der zentrale Gedanke vertiefte die Analogie: Aktive Gesprächsführung/passive Gesprächsführung, Aktiver Boxer/passiver Boxer.

Dann folgte die Kernaussage: Bedeutung und Stellenwert der Augen, des Blickes. Zienterra baute damit eine Brücke zu seiner Nasenwurzelthese und begründete, weshalb das Auge für ihn einen so grossen Stellenwert hat. Das Auge hat mit Charisma und Überzeugungskraft zu tun. Aus unserer Sicht war dies eine medientaugliche Antwort. Die Pausen war bei dieser Sequenz viel besser. Das Beispiel mit dem Boxer leuchtete ein. Die direkte Rede - was der Trainer gesagt hat, belebte als narratives Element. Die Länge der gesamten Antwort fanden wir gut, denn kurze Antworten wirken dialogischer. Dank der kürzeren Gedankenbogen war der rhythmische Akzent sinnvoll und die Antwort verständlicher.

3. Sequenz

Journalist: Es gibt in Deutschland viele Rhetoriklehrer. Zumindest die einen, die halten sich für solche - und zwar für gute. Was braucht es, um ein guter Rhetoriktrainer zu sein?
Zienterra: Empathie - Einfühlungsvermögen - in- den Teilnehmer. Denn - es ist wichtig - dass man die Erwartungen abklopft des Seminarteilnehmers und dass man an den Erwartungen orientiert - dann auch die Seminarmodule, - die zur Verfügung stehen - dann anpasst. Oft noch mit Sonderübungen: Wenn jemand - etwas zurückhaltender Natur ist, dem gibt man also - Aufgaben - die - wie zum Beispiel:
  • Ich fühle mich wohl
  • Ich bin zufrieden
  • Ich bin glücklich [Stimme wird lauter]
Dass er so aus dem Schneckenhäuschendasein - aus diesem Dunkelkämmerchen mal herauskommt und plötzlich bemerkt, - dass er - gar nicht so passiv -- am Gespräch teilnehmen - muss. Wir wissen es, weshalb wir Hühnereier essen und keine Enteneier. Eine Ente liegt still in die Ecke und watschelt ab. Und ein Huhn ist seit je und je in der Legebatterie und schreit: Herr! Mein Gericht! Herr! Mein Gericht! Herr! Mein Gericht! Sind wir dieser Werbung nicht erlegen? [Motivierend:] Tue Gutes und erzähle darüber!!!!


Es folgten Filmsequenzen mit Sonderübungen, Leute mussten dem Rhetoriklehrer in einem öffentlichen Park dem Rhetoriktrainer Sätze nachsprechen, immer lauter, bis zum Schreien. Alle ahmten dabei die Armbewegungen des Trainers nach:
  • Aber die Grossen! [Arme weiten sich]
  • Die Rasanten! [Armbewegungen nach oben] Steigen!
  • Kreisen in der Luft [Kreisbewegungen]
  • Und stürzen im Sturzflug zu Boden und zerschellen. [Hände sinken zu Boden - Kauerstellung]

Analyse

Die Antwort war nachvollziehbar und der Fachbegriff "Empathie" wurde für das Publikum übersetzt. Dann folgte eine Kernaussage, die eine der zentralen Anliegen der Medienrhetorik ist: Das adressatengerechte (kundenorientierte) Verhalten: "Wir müssen die Erwartungen der Seminarteilnehmer kennen und die Übungen den individuellen Defiziten anpassen!" Die Bemerkungen mit den Aufgaben und den Merksätzen konnten hingegen schlecht eingeordnet werden. Die Analogien mit dem Schneckenhäuschen und der Dunkelkammer zählen zu der in der Medienrhetorik geschätzten Bildrhetorik. Die Übungen mit den Teilnehmenden machten bewusst, dass der Trainer der Erlebnisrhetorik mit Elementen der Schauspielerei arbeitet. In der Medienrhetorik wird auf alles theatralische - auch in den Übungen - verzichtet. Im Mediensimulator werden nur Situationen aus der Praxis in Stegreifübungen simuliert. Auf schauspielerische Elemente mit Vorsprechen und Nachsprechen verzichten wir völlig.
Übrigens: Zienterra sass während des ganzen Interviews aufmerksam da. Vom Nasenwurzelblick war erfreulicherweise bei ihm nichts zu sehen, doch war das Bemühen um bewussten Augenkontakt, theatralisches Gestikulieren und bewusster Stimmführung unüberseh - respektive unüberhörbar. Es muss uns bewusst bleiben, dass die elektronischen Medien Begleitmedien sind. Radio hören wir beispielsweise während des Autofahrens. Der Fernsehapparat läuft, und es wird geschrieben, Zeitung gelesen, gegessen, geplaudert usw. Wenn dann Aussagen nicht hör - und adressatengerecht formuliert werden, zappen die Konsumenten weg. Sind Aussagen unverständlich, kompliziert oder langweilig, wird ebenfalls der Kanal gewechselt. Wer in Medien sprechen kann, der hat das gleiche Interesse wie der Journalist: Beide freuen sich, wenn der Beitrag gehört und gesehen wird. Gute Einschaltquoten sind für beide erstrebenswert.


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