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www.rhetorik.ch aktuell: (13. Mar, 2024)

Aktuelle Herausforderung für Journalisten

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Auf das Zeitproblem des Journalismus, der "Künstliche Intelligenz" (KI) gehe ich in diesem Beitrag nicht ein. Darüber wird zurzeit sehr viel geschrieben. Es geht mir um andere Herausforderungen vor allem mit dem Problem:

Der Journalismus steckt in einer Vertrauens- und Sinnkrise.

Viele Menschen misstrauen den Nachrichten. Sie fühlen sich von den Reportern nicht verstanden. Journalisten bleiben oft in einer Blase, sprechen mit Eliten und Experten und verlieren so den Bezug zum "Otto Normalverbraucher" und seinen Problemen. Dies schürt den Ärger auf die "Medienklasse" und öffnet Lügen und sonderbaren Theorien Tür und Tor.

Das Internet und soziale Medien verschärfen diese Lage zusätzlich. Während früher wenige grosse Zeitungen und TV-Sender den Grossteil der Menschen erreichte, verteilt sich das Publikum auf unzählige Websites, Blogs und Feeds. Alte Methoden der Berichterstattung sterben immer mehr aus. Man spricht von "veralteten Medien".

Trumps Wahlsieg 2016 und das Brexit-Votum überraschten die meisten Journalisten. Im Moment will man nicht wahrhaben, wie realistische eine zweite Trump-Präsidentschaft ist. Viele merkten nicht, wie sehr die Bevölkerung des Systems überdrüssig war. Reporter schienen überrascht über die Enttäuschung und Wut der Bevölkerung.

Die Wurzeln dieser Krise reichen tiefer. Eher vordergründig ist, dass viele Nachrichtenmedien Sensationen statt Substanz verbreiten. Das ist aber nichts neues. Wesentlicher ist aber, dass sie in immer mehr Aktivisten Gesprächsthemen wählten. Es gabt grosse Veränderungen. Die Menschen sind selbstbewusster geworden und sehen auch in Kriegs oder Krisen zeiten schnell, ob ein Artikel einfach beeinflussen will. Kein Wunder, dass das Vertrauen bröckelte.

Soziale Medien sind oft als Sündeböcke hingestellt worden. Wir dürfen aber für die Medienkrise nicht nur Facebook oder Twitter die Schuld zuschieben. Die neuen Kanäle wie Youtube haben sicher auch dem Nachrichtengeschäft Konkurrenz gemacht. Trends kommen von dort, während die alten Medien mit kuschelte mit Regierungen oder Firmen. Dass immer mehr Fabriken schlossen und Familien finanizell zurückfallen wird kaum bemerkt. Wie kann der Journalismus das Vertrauen wieder aufbauen? Die Journalisten dürfen nicht mehr von oben herab auf die Öffentlichkeit blicken. Reporter müssen wieder vermehrt auf die Strasse gehen und zuhören. Journalismus wurde immer mehr akademisiert. Im Jahre 2022 waren 40 Prozent aus der Oberklasse, Es ist ein job für die Reichen und Vernetzten geworden.

Vielleicht ist das durch Technologie zu versehen: Schriftsetzer war einmal ein Handwerk. Wir errinnern uns an Besuchstagen bei der Schaffhauser Nachrichten, als Schriftsetzer die Texte noch mit Bleibuchstaben in Schablonen setzten. Natürlich kann man diese Zeiten nicht zurückbringen. Man kann sich aber als Journalist schon fragen: wo leiden die Menschen? Was erhoffen sie sich? Wie können sie diese sich schnell verändernde Welt verstehen? Dies ist nicht einfach.

Journalisten müssen ihre Arbeitsweise ändern, um im digitalen Zeitalter zu bestehen. Im Netz gelten neue Regeln. Nachrichten können nicht nur lange Berichte in Zeitungen oder im Fernsehen sein. Reporter müssen dorthin gehen, wo die Menschen sind. Lokale Neuigkeiten zum Beispiel sind sehr gefragt.

Weniger ist mehr.

Es geht aber nicht darum, Inhalte zu "verdummen", sondern darum, Geschichten verständlich zu erzählen und zu lehren. Betrachten wir einen Kanal wie "Kurzgesagt". Wir finden Cartoons, die grosse Ideen der Wissenschaft erklären. Die Videos sind kurz - 10, vielleicht 15 Minuten. Aber sie reden nicht von oben herab. Die Grafik ist schick und der Text ist klug und machen Schwieriges leicht verständlich. Neue Videoformate wie Youtube Shorts sind im Moment ein grosser Hit.

Davon könnten Journalisten lernen. Kurz und pointiert bleiben. Eine prägnante Kurznachricht (Tweet) kann so hart zuschlagen, wie eine einprägsame Schlagzeile. Ein einminütiges Video (Short) vermag ein schnelles, scharfes Licht auf ein undurchsichtiges Thema werfen. Das ist eine Kunst, keine Trixerei. Es braucht Geschick, Nachrichten zu destillieren und zu erklären, warum sie wichtig sind.

Eine 10'000-Wörter-Reportage über einen Krieg oder eine Serie über das Rathaus kann Leser züuckgewinnen. Im Moment explodiert das Phenomen "Substack" mit qualitativ hochwertigen langen Textformaten. Diese längern Formate (Longreads) werden dann oft mit Hilfe von Twitter angeköder. Aber Journalisten müssen auch die kurzen, schnellen Formen beherrschen. Milliarden scrollen auf ihren Handys durch Feeds, um sich die Zeit zu vertreiben oder schnelle Antworten zu finden. Die Nachrichten müssen angepasst werden. Journalismus darf in kleinen Häppchen kommen. Wir sind uns aber bewusst, dass diese Arbeit auch irgendwie bezahlt werden muss. Wie sich das einpendelt ist noch nicht klar.

Dieser Wandel ist für viele schwierig. Soll man wie an Journalisten Schulen gelernt lange Erzählungen mit kunstvoller Prosa produzieren, die Substanz haben? In der heutigen Zeit müssen sich solche Artikel mit viel Konkurenz herumschlagen. Um relevant zu bleiben, müssen Journalisten Ausreden über Bord werfen und die neuen Werkzeuge und Tools lernen. Wie kann man Aufsehen erregende Posts produzieren, die auch informieren. Die Besten werden es schaffen.

Seriöse und verlässliche Nachrichten werden immer gefragt sein. Es gibt auch Raum zum erzählen und auf neue Art bewährten Fragen "Wer, was, wann, wo und warum" in einen kurzen Arikel zu packen.

Die Öffentlichkeit ist nicht dumm.

Die Konsumenten sind beschäftigt und vernetzt. Sie suchen nach Fakten und Bedeutung. Vor allem auch wollen sie Wahrheit. Journalisten müssen diesen Bedarf nachkommen. Letztlich muss der Journalismus zurück zu seiner Kernaufgabe: der Suche nach Wahrheit. Weder neue Technologie noch die mangelnde Zeit sind Sündenböcke. Reporter müssen alle neuen Werkzeuge und Fähigkeiten beherrschen, um Vertrauen zu gewinnen und ihren Wert zu beweisen.

Gefordert sind solide Fakten und scharfe Fragen, faire Einschätzungen. Alles geliefert mit Schlagkraft und Leidenschaft in der Art, wie die Leute heute Nachrichten konsumieren. Geschliffene Prosa reicht nicht. Klicks von Parteiischen zu bekommen auch nicht. Die Arbeit selbst muss überzeugen und verbinden.

"Klar, konkret" sind Schlüsselwörter. Guter Journalismus soll die Bequemen piesacken und harte Wahrheiten ungeschminkt aussprechen. Auch bei Freunden und Verbündeten. Mumm zeigen, baut Vertrauen auf. Schlagseite halten, höhlt es aus. Redaktionen, die in einer Sichtweise verharren, versagen in ihrer Pflicht.

Die Autoren der freiberuflichen Journalismus-Plattform Substack wiederholen nicht die üblichen Plattitüden, sondern denken eigenständig. Sie graben, wo andere sich nicht hintrauen. Und Leser belohnen sie mit Treue. Die Erkenntnis ist eindeutig: Intellektueller Mut verkauft sich nach wie vor. Gewagte Ideen, gut argumentiert, können Kulte um sich scharen.

Gefragt sind Vielfalt und unorthodoxe Ansichten.

Echte Vielfalt heisst nicht, die Hautfarbe bei Mitarbeiterfotos zu zählen. Sie bedeutet, Ansichten aus allen Ecken zu Wort kommen lassen. Von links und rechts, arm und reich, jung und alt, Stadt und Land. Wenn sich Schlüsselgruppen ausgeschlossen fühlen, schalten sie ab. Wenn Grüppchen sich schonen, herrscht Gruppendenken (Groupthink). Dagegen muss der Journalismus kämpfen.

Zu lange waren Redaktionen allergisch gegen unorthodoxe Ansichten. Sie setzen intellektuelle Vielfalt damit gleich, Spinner schwafeln zu lassen. Das ist falsch und faul. "Substacks" Einzelgänger beweisen, dass abweichende Ideen lebenswichtig sein können. Der Journalismus muss lernen, diesen Unterschied zu erkennen. Die klügsten Andersdenkenden mit den spitzesten Federn sind gefragt. Ihnen Raum zu geben, zu wirbeln und zu grollen. Die Zukunft gehört den Neugierigen, den Mutigen.
Illustrationen auf dieser Seite sind KI generiert

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