Auf das Zeitproblem des Journalismus, der "Künstliche Intelligenz"
(KI) gehe ich in diesem Beitrag nicht ein. Darüber wird zurzeit
sehr viel geschrieben.
Es geht mir um andere Herausforderungen vor allem mit dem Problem:
Der Journalismus steckt in einer Vertrauens- und Sinnkrise.
Viele Menschen misstrauen den Nachrichten. Sie fühlen sich von den
Reportern nicht verstanden. Journalisten bleiben oft in einer Blase,
sprechen mit Eliten und Experten und verlieren so
den Bezug zum "Otto Normalverbraucher" und seinen Problemen. Dies
schürt den Ärger auf die "Medienklasse" und öffnet
Lügen und sonderbaren Theorien Tür und Tor.
Das Internet und soziale Medien verschärfen diese Lage
zusätzlich. Während früher wenige grosse Zeitungen
und TV-Sender den Grossteil der Menschen erreichte, verteilt sich das Publikum
auf unzählige Websites, Blogs und Feeds. Alte Methoden der
Berichterstattung sterben immer mehr aus. Man spricht von "veralteten Medien".
Trumps Wahlsieg 2016 und das Brexit-Votum überraschten die meisten
Journalisten. Im Moment will man nicht wahrhaben, wie realistische eine zweite
Trump-Präsidentschaft ist. Viele merkten nicht, wie sehr die Bevölkerung des
Systems überdrüssig war. Reporter schienen überrascht
über die Enttäuschung und Wut der Bevölkerung.
Die Wurzeln dieser Krise reichen tiefer. Eher vordergründig ist, dass
viele Nachrichtenmedien Sensationen statt Substanz verbreiten. Das ist
aber nichts neues. Wesentlicher ist aber, dass sie in immer mehr Aktivisten
Gesprächsthemen wählten. Es gabt grosse Veränderungen. Die
Menschen sind selbstbewusster geworden und sehen auch in Kriegs oder Krisen
zeiten schnell, ob ein Artikel einfach beeinflussen will.
Kein Wunder, dass das Vertrauen bröckelte.
Soziale Medien sind oft als Sündeböcke hingestellt worden.
Wir dürfen aber für die Medienkrise nicht nur Facebook oder Twitter
die Schuld zuschieben. Die neuen Kanäle wie Youtube haben sicher auch
dem Nachrichtengeschäft Konkurrenz gemacht. Trends kommen von dort,
während die alten Medien mit kuschelte mit Regierungen oder Firmen.
Dass immer mehr Fabriken schlossen und Familien finanizell zurückfallen
wird kaum bemerkt.
Wie kann der Journalismus das Vertrauen wieder aufbauen?
Die Journalisten dürfen nicht mehr von oben herab auf die
Öffentlichkeit blicken. Reporter müssen wieder vermehrt
auf die Strasse gehen und zuhören. Journalismus wurde immer
mehr akademisiert. Im Jahre 2022 waren
40 Prozent aus der
Oberklasse, Es ist ein
job für die Reichen und Vernetzten geworden.
Vielleicht ist das durch Technologie zu versehen: Schriftsetzer war einmal ein Handwerk.
Wir errinnern uns an Besuchstagen bei der Schaffhauser Nachrichten, als
Schriftsetzer die Texte noch mit Bleibuchstaben in Schablonen setzten.
Natürlich kann man diese Zeiten nicht zurückbringen. Man kann
sich aber als Journalist schon fragen: wo leiden die Menschen? Was erhoffen sie sich? Wie
können sie diese sich schnell verändernde Welt verstehen?
Dies ist nicht einfach.
Journalisten müssen ihre Arbeitsweise ändern, um im digitalen
Zeitalter zu bestehen. Im Netz gelten neue Regeln. Nachrichten können
nicht nur lange Berichte in Zeitungen oder im Fernsehen sein. Reporter
müssen dorthin gehen, wo die Menschen sind. Lokale Neuigkeiten zum
Beispiel sind sehr gefragt.
Weniger ist mehr.
Es geht aber nicht darum, Inhalte zu "verdummen", sondern darum,
Geschichten verständlich zu erzählen und zu lehren. Betrachten
wir einen Kanal wie "Kurzgesagt". Wir finden Cartoons, die grosse Ideen
der Wissenschaft erklären. Die Videos sind kurz - 10, vielleicht
15 Minuten. Aber sie reden nicht von oben herab. Die Grafik ist schick
und der Text ist klug und machen Schwieriges leicht verständlich.
Neue Videoformate wie Youtube Shorts sind im Moment ein grosser Hit.
Davon könnten Journalisten lernen. Kurz und pointiert bleiben. Eine
prägnante Kurznachricht (Tweet) kann so hart zuschlagen, wie eine
einprägsame Schlagzeile. Ein einminütiges Video (Short) vermag ein
schnelles, scharfes Licht auf ein undurchsichtiges Thema werfen. Das
ist eine Kunst, keine Trixerei. Es braucht Geschick, Nachrichten zu
destillieren und zu erklären, warum sie wichtig sind.
Eine 10'000-Wörter-Reportage über einen Krieg oder eine Serie
über das Rathaus kann Leser züuckgewinnen.
Im Moment explodiert das Phenomen "Substack" mit qualitativ hochwertigen
langen Textformaten. Diese längern Formate (Longreads) werden dann
oft mit Hilfe von Twitter angeköder. Aber Journalisten müssen auch
die kurzen, schnellen Formen beherrschen. Milliarden scrollen auf ihren
Handys durch Feeds, um sich die Zeit zu vertreiben oder schnelle Antworten
zu finden. Die Nachrichten müssen angepasst werden. Journalismus
darf in kleinen Häppchen kommen. Wir sind uns aber bewusst, dass diese
Arbeit auch irgendwie bezahlt werden muss. Wie sich das einpendelt ist
noch nicht klar.
Dieser Wandel ist für viele schwierig. Soll man wie an Journalisten
Schulen gelernt lange Erzählungen mit kunstvoller Prosa produzieren,
die Substanz haben? In der heutigen Zeit müssen sich solche Artikel
mit viel Konkurenz herumschlagen.
Um relevant zu bleiben, müssen Journalisten Ausreden über Bord
werfen und die neuen Werkzeuge und Tools lernen.
Wie kann man Aufsehen erregende Posts produzieren, die auch
informieren. Die Besten werden es schaffen.
Seriöse und verlässliche Nachrichten werden immer gefragt sein.
Es gibt auch Raum zum erzählen und auf neue Art
bewährten Fragen "Wer, was, wann, wo und warum" in einen kurzen
Arikel zu packen.
Die Öffentlichkeit ist nicht dumm.
Die Konsumenten sind beschäftigt und vernetzt. Sie suchen
nach Fakten und Bedeutung. Vor allem auch wollen sie Wahrheit.
Journalisten müssen diesen Bedarf nachkommen.
Letztlich muss der Journalismus zurück zu seiner Kernaufgabe:
der Suche nach Wahrheit. Weder neue Technologie noch die mangelnde Zeit
sind Sündenböcke. Reporter müssen alle neuen Werkzeuge
und Fähigkeiten beherrschen, um Vertrauen zu gewinnen und ihren
Wert zu beweisen.
Gefordert sind solide Fakten und scharfe Fragen, faire Einschätzungen.
Alles geliefert mit Schlagkraft und Leidenschaft in der Art, wie die
Leute heute Nachrichten konsumieren. Geschliffene Prosa reicht nicht.
Klicks von Parteiischen zu bekommen auch nicht. Die Arbeit selbst muss
überzeugen und verbinden.
"Klar, konkret" sind Schlüsselwörter. Guter Journalismus soll
die Bequemen piesacken und harte Wahrheiten ungeschminkt aussprechen. Auch
bei Freunden und Verbündeten. Mumm zeigen, baut Vertrauen auf.
Schlagseite halten, höhlt es aus. Redaktionen, die in einer
Sichtweise verharren, versagen in ihrer Pflicht.
Die Autoren der freiberuflichen Journalismus-Plattform Substack
wiederholen nicht die üblichen Plattitüden, sondern denken
eigenständig. Sie graben, wo andere sich nicht hintrauen. Und Leser
belohnen sie mit Treue. Die Erkenntnis ist eindeutig: Intellektueller Mut
verkauft sich nach wie vor. Gewagte Ideen, gut argumentiert, können
Kulte um sich scharen.
Gefragt sind Vielfalt und unorthodoxe Ansichten.
Echte Vielfalt heisst nicht, die Hautfarbe bei Mitarbeiterfotos zu
zählen. Sie bedeutet, Ansichten aus allen Ecken zu Wort kommen
lassen. Von links und rechts, arm und reich, jung und alt, Stadt
und Land. Wenn sich Schlüsselgruppen ausgeschlossen fühlen,
schalten sie ab. Wenn Grüppchen sich schonen, herrscht Gruppendenken
(Groupthink). Dagegen muss der Journalismus kämpfen.
Zu lange waren Redaktionen allergisch gegen unorthodoxe Ansichten. Sie
setzen intellektuelle Vielfalt damit gleich, Spinner schwafeln zu
lassen. Das ist falsch und faul. "Substacks" Einzelgänger beweisen,
dass abweichende Ideen lebenswichtig sein können. Der Journalismus
muss lernen, diesen Unterschied zu erkennen. Die klügsten
Andersdenkenden mit den spitzesten Federn sind gefragt. Ihnen Raum zu
geben, zu wirbeln und zu grollen. Die Zukunft gehört den Neugierigen,
den Mutigen.