Jeder Kandidat möchte gewählt werden und wünscht
sich, authentisch und glaubwürdig aufzutreten. Antworten oder
Voten sollten verständlich auf den Punkt gebracht werden. Jene
haben mehr Erfolg, die auch bei Auftritten in heiklen Situationen
überzeugen. Das Publikum erwartet, dass eine Politikerin frei
spricht. Die Stimmberechtigten wollen angesprochen werden. Bei meiner
langjährigen Erfahrung hat sich gezeigt, dass es im Grunde genommen
einfach ist, sich selbst erfolgreich zu coachen. Doch ist das Einfache
nicht einfach, weil wichtige Erkenntnisse oft unbeachtet bleiben. Alle -
Akteure und Beobachter - können von Auftritten lernen.
Der Start ist die halbe Miete
Leider gibt es immer noch Coachs, die ihren Teilnehmern sagen, an was
sie während des Sprechens alles denken sollten. Das ist völlig
falsch. Ein guter Coach unterscheidet die Situationen vor und jene
während des Sprechens. Vor dem Reden dürfen wir noch an uns
denken. Check: Bin ich locker (Hände, Kiefer)? Stehe oder sitze
ich mit den Füssen verankert? Kleider und Haare sind jedoch vor
dem Betreten des Raumes zu kontrollieren.
Unmittelbar vor dem Sprechen folgt ein krasser Schnitt. Nun denken wir
nicht mehr an uns. Ab diesem Augenblick gilt es, alle Nebengedanken
auszublenden. Das Denken, das Zuhören und das Publikum oder der
Interviewer erfordert jetzt hundertprozentige Konzentration. Das ist
wie bei Wettkämpfen oder Konzertpianisten. Wenn es ernst gilt,
werden alle Tipps und Nebengedanken ausgeblendet. Volle Präsenz
ist gefragt. Es hat sich gezeigt, dass durch diese saubere Trennung
(Startpause und Sprechen) Körpersprache, Stimme usw. automatisch
mit dem Inhalt und der Person übereinstimmen. Dann ist auch der
Blickkontakt kein Problem mehr. Wer beim Sprechen überlegt,
wie er zu gestikulieren hat oder wohin er blicken muss, macht einen
Kapitalfehler, es wird vom Publikum als gekünstelt wahrgenommen. Die
Person überzeugt nicht.
Ich kenne Berater, die ihre Kunden im Training bitten, während
des Sprechens in die Kamera zu schauen oder die Gestik zu
unterlassen. Dies belastet die Sprechenden unnötig. Mein
Gegenüber ist der Gesprächspartner oder Personen im Publikum,
nicht die Kamera. Bewegung baut bekanntlich Stress ab. Wer die Gestik
unterdrückt, macht meist unpassende Bewegungen, die nichts mit der
Aussage zu tun haben (Wippen mit den Füssen oder den Fingern).
Training heisst Situationen zu antizipieren und durchzuspielen
Medienrhetorik müssen wir - wie Rechnen, Lesen und Schreiben -
zusätzlich lernen. Das Auswendiglernen von Sequenzen können wir
vergessen. Auftritte vor Mikrofon und Kamera sind für alle ungewohnt.
Auch Theologen, Juristen und Ärzte erwerben diese Kompetenz nicht im
Studium. Sie muss nachträglich erworben werden. Oft höre ich:
Entweder man kann es oder kann es nicht. Das stimmt nicht. Höchstens
ein Bergbauer, der vor Mikrofon und Kamera natürlich spricht, weil er
so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, verhält sich auf Anhieb
mediengerecht. Denn er hat nichts zu befürchten. Es geht darum, die
Kandidaten an die ungewohnte Situation zu gewöhnen (Mikrofon, Kamera,
Beleuchtung), sodass bei Interviews, Diskussionen und anderen Auftritten
gesprochen wird, wie in einem privaten, Gespräch in trauter Runde.
Wer öffentlich auftritt, sollte auch wissen, wie Journalisten ticken.
Schwimmen lernen wir nur im Wasser. Auch bei öffentlichen Auftritten
gilt: Prozessorientiert lernen. Theoretisches Wissen und das Zuschauen
allein bringt uns nicht viel weiter. Kommunikationsinteressierte haben
in den nächsten Wochen eine gute Gelegenheit, auch für sich
persönlich die Auftrittskompetenz zu verbessern - aber wie?
Wahrnehmung schärfen
Fragen Sie sich nach dem Auftritt einer Kandidatin oder eines Kandidaten:
Fühlte ich mich angesprochen? Weshalb? Habe ich die Gedanken
verstanden? Könnte ich die Kernbotschaft wiederholen? Was
störte die Verständlichkeit? Wurde konkret oder abstrakt
gesprochen? Wie glaubwürdig ist die Person?
Diese Beobachtungsaufgabe schärft unsere
Wahrnehmungsfähigkeit. Das ist eine wichtige Voraussetzung fürs
Selbstcoaching.
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