Lehrkräfte fliehen ins Teilpensum oder verlassen das Schulzimmer,
auch weil die Bildungspolitik nicht zugeben will, dass die Inklusion
mit der "Integration ganz unterschiedlicher Kinder" versagt hat.
Es gibt zwei Sichtweisen: die eine will Inklusion mit integrierten Strukturen,
die andere Separation in kleinere Leistungsklassen. Vor 30 Jahren noch
trennte man Niveaugruppen Sekundarschule, Realschule und Oberstufenschule.
Dann kan es zur Auflösung der starren Trennsysteme, um die Chancengleichheit
zu fördern. Im Zuge der Inklusion wurden Kleinklassen und Sonderschulung abgeschafft.
Beides hat vor und Nachteile.
Man muss sich aber fragen, ob die Theorie in der Praxis auch funktioniert.
Wenn ein Drittel einer Oberstufenklasse kurz vor Schulabschluss nicht
mehr richtig lesen und schreiben kann, dann ist man auf dem Holzweg.
Lehrkräfte berichten, dass heute richtig zu
lernen kaum noch möglich ist. Problemschüler machen ihnen das
Leben schwer. Das Ziel der Reformer war gut gemeint: Möglichst
keine Ausgrenzung. Alle Kinder sollen in der Regelklasse integriert
werden. Beim Dogma der Chancengleichheit wurde übersehen, was das
in der Praxis heisst, vor allem was es an Nerven kostet.
Verhaltensauffällige oder Schüler mit Sprachdefizeten nehmen
den lernwilligen Schülern die Chance zu Lernen. Lehrkräfte
werden unnötig überlastet.
Es wächst zunehmend der Widerstand. Gefordert werden wieder Förderklassen
für schwierige Kinder. Leider wagen es nur wenige Experten,
Klartext zu reden oder zu schreiben.
Carl Bossard, ehemaliger Direktor der Kantonsschule
Luzern und Gründungsdirektor der Pädagogischen Hochschule PH
Zug ist einer der wenigen Experten, der es wagt, die Problematik in
verschiedenen Publikationen auf den Punkt zu bringen.
Ende April 23 verweist er in einer lesenswerten Analyse im Tagblatt St.Gallen
auf die Tatsache hin, dass gemischte Lerngemeinschaften zu Unruhe im Klassenraum
führen und den Unterricht erschweren. Für ihn leidet durch
die Fülle von Kompetenzen und die Ausdehnung der Fachinhalte vor
allem die Uebungszeit. Lehrkräfte hetzten von Thema zu Thema und
beklagen, nicht die nötige Zeit zum Vertiefen und Ueben zu haben,
oder genügenden Freiräume für Erlebnis und Musisches. Doch
darüber reden, dürfen sie nicht. Internationale Verträge
sind unterzeichnet und die Entscheide scheinen zementiert. Eine
Rückkehr scheint es nicht mehr geben zu können.
- Carl Bossard, C. Von pädagogischen Heiligtümern. Analyse zur Kernproblematik des Lehrermangels. In: CH Media, 01.05.2023,
- Carl Bossard: Condorcet: Wenn die Kernproblematik ausgeblendet wird
Ausgebildet werden genügend Lehrerinnen und Lehrer. Das weiss
man. Doch viele fliehen in Teilpensen oder verlassen das Schulzimmer bald
einmal. Die Gründe sind längst bekannt, die Belastungsfaktoren
vielfach genannt: Der Beruf an sich bereitet Freude; die Arbeit mit
den Kindern erfüllt mit Sinn. Doch verhaltensauffällige
Schüler belasten den Alltag enorm. Der Wegfall der Kleinklassen
als Folge der Integration ganz unterschiedlicher Kinder in die gleiche
Lerngemeinschaft verstärkt die Unruhe im Klassenraum. Das erschwert
den Unterricht und erhöht den Zeitbedarf fürs einzelne Kind. Die
Koordinationsabsprachen mit all den Betreuungspersonen sind anspruchsvoll;
der administrative Aufwand steigt. Die Arbeitszeit reicht vielfach nicht
aus. Das geht auf Kosten des Kernauftrags Unterricht. Und diese Aufgabe
hat sich über die Fächerfülle massiv erweitert.
- Urs Kalberer: Inklusion schwächt das Selbstkonzept von schwachen Schülern,
Es zeigt der jüngste Medienspiegel, dass die Kritik
an der Integration allmählich immer deutlicher artikuliert wird.
Die
Sonntagszeitung vom 7. Mai 2023 gibt beispielsweise der Thematik mit
einer Doppelseite prominenten Raum: Der grosse Beitrag von Nadja Pastega
schildert konkret, wie frech, respektlos und lernresistent verhaltensauffällige Kinder
sein können und so den Unterricht unnötig belasten. Dann folgt
noch ein Beitrag über Vierjährige, die bereits in diesem Alter
die Betreuungspersonen belasten. In diesem Artikel wird eine Schulleiterin
in der Stadt Zürich zitiert: "Es gibt auf jeder Stufe Kinder, mit
denen kein störungsfreier Unterricht mehr möglich ist. Sie
arbeiten nicht ohne persönliche Betreuung, lenken andere ab oder
sind frech."
"Null Lust auf Lernen: Renitente Schüler legen den Unterricht lahm.
Es war ein grosses Versprechen, das die Bildungspolitik vor bald zwanzig
Jahren unter dem Stichwort "Inklusion" abgab: Alle Kinder, egal,
wie verschieden sie sind, sollen einen Platz im normalen Unterricht
haben - unabhängig von Lernschwierigkeiten, schulischer Begabung,
psychischen Problemen oder Verhaltensstörungen. Auslöser war
das Behindertengleichstellungsgesetz, das damals in der Schweiz in Kraft
trat. Was gut gemeint ist, bringt das Schulsystem an seine Grenzen. Es
gibt Klassen, in denen eine Handvoll Störenfriede im Schulzimmer
sitzen, die für ständige Unruhe sorgen. Lernen ist so fast
nicht mehr möglich."
Und ein älterer Artikel
im Tagi vom 14. April, 2023:
Es sind ausschliesslich die starken, von zu Hause
geförderten Schülerinnen und Schüler, die damit gut
zurechtkommen. Mittelmässige Lernende, erst recht schwache, sind
auf ihr geringes Selbstwirksamkeitsgefühl zurückgeworfen und
resignieren schnell. Die in den Kinderarztpraxen chronische Zunahme
an psychosomatischen Problemen und psychiatrischen Diagnosen unter der
heutigen Schülerschaft erstaunt demnach nicht.
Die Forderung zur Rückkehr von Kleinklassen müsste ernst
genommen werden. Es ist eigentlich verwunderlich, dass beim Lehrplan
21 die Architekten der neuen Bildungslandschaft nicht schon vor der
Inkraftsetzung des Lehrplanes erkannt hatten, dass die Inklusion in
eine Sackgasse führt. Es war vorhersehbar, dass es zu Konflikten
kommen muss, wenn Lehrpersonen in einem Freiraum einerseits kreativ
sein sollten, aber anderseits von oben standardisiert, reglementiert
und durch Inklusion beeinträchtigt werden. Wenn eine Lehrerin oder
ein Lehrer ohne Unterstützung nicht mehr allein unterrichten kann,
stimmt etwas nicht mehr. Gute Schüler sind unterfordert und die
schwachen überfordert. Lehrkräfte können dem Kernauftrag
nicht mehr gerecht werden.
Die Verantwortlichen der integrativen Schule haben kein grosses
Verständnis für die Kritik. Sie glauben daran, dass Kinder
mit besonderen Bedürfnissen, die eine Regelschule besuchen,
deutlich bessere Leistungen zeigen. Anstatt die Situation zu verbessern,
sprechen sie von einer ``grosser Herausforderung". Handlungsbedarf sehen sie
bei der besseren Zusammenarbeit der Regelklassenlehrpersonen und den
sonderpädagogischen Fachpersonen. Man stehe erst auf halbem
Weg. Es brauche Zeit, bis man am Ziel sei. Der Wechsel sein noch nicht
abgeschlossen. Auch wenn nicht alles rund laufe, so sei man auf dem
richtigen Weg. Man benötige lediglich mehr Ressourcen, finanziell
und personell.
Wer sich auf einen Holzweg begibt, ist gut beraten, umzukehren. Lieber
früher als später. Wenn in der Pädagogischen Landschaft
künftig wieder bewährte Erfolgswege beschritten würden,
so wäre dies ein Fortschritt. Veränderungen ja, aber nur,
wenn sie zu Verbesserungen führen. Ein Schritt zurück kann
auch zu einem Schritt zu einer erfolgreichen Zukunft werden. Gut ist
immerhin, dass die Medien erkannt haben, dass unliebsame Themen nicht
unter den Teppich gekehrt werden dürfen. Dies ist erfreulich.
Mögen die Bildungspolitiker nun den Mut und die Grösse haben,
auf dem Holzweg den Rückwärtsgang einzuschalten.