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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Mai, 2023)

Auf dem Holzweg der Inklusion

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Lehrkräfte fliehen ins Teilpensum oder verlassen das Schulzimmer, auch weil die Bildungspolitik nicht zugeben will, dass die Inklusion mit der "Integration ganz unterschiedlicher Kinder" versagt hat. Es gibt zwei Sichtweisen: die eine will Inklusion mit integrierten Strukturen, die andere Separation in kleinere Leistungsklassen. Vor 30 Jahren noch trennte man Niveaugruppen Sekundarschule, Realschule und Oberstufenschule. Dann kan es zur Auflösung der starren Trennsysteme, um die Chancengleichheit zu fördern. Im Zuge der Inklusion wurden Kleinklassen und Sonderschulung abgeschafft. Beides hat vor und Nachteile.

Man muss sich aber fragen, ob die Theorie in der Praxis auch funktioniert. Wenn ein Drittel einer Oberstufenklasse kurz vor Schulabschluss nicht mehr richtig lesen und schreiben kann, dann ist man auf dem Holzweg. Lehrkräfte berichten, dass heute richtig zu lernen kaum noch möglich ist. Problemschüler machen ihnen das Leben schwer. Das Ziel der Reformer war gut gemeint: Möglichst keine Ausgrenzung. Alle Kinder sollen in der Regelklasse integriert werden. Beim Dogma der Chancengleichheit wurde übersehen, was das in der Praxis heisst, vor allem was es an Nerven kostet. Verhaltensauffällige oder Schüler mit Sprachdefizeten nehmen den lernwilligen Schülern die Chance zu Lernen. Lehrkräfte werden unnötig überlastet. Es wächst zunehmend der Widerstand. Gefordert werden wieder Förderklassen für schwierige Kinder. Leider wagen es nur wenige Experten, Klartext zu reden oder zu schreiben.

Carl Bossard, ehemaliger Direktor der Kantonsschule Luzern und Gründungsdirektor der Pädagogischen Hochschule PH Zug ist einer der wenigen Experten, der es wagt, die Problematik in verschiedenen Publikationen auf den Punkt zu bringen. Ende April 23 verweist er in einer lesenswerten Analyse im Tagblatt St.Gallen auf die Tatsache hin, dass gemischte Lerngemeinschaften zu Unruhe im Klassenraum führen und den Unterricht erschweren. Für ihn leidet durch die Fülle von Kompetenzen und die Ausdehnung der Fachinhalte vor allem die Uebungszeit. Lehrkräfte hetzten von Thema zu Thema und beklagen, nicht die nötige Zeit zum Vertiefen und Ueben zu haben, oder genügenden Freiräume für Erlebnis und Musisches. Doch darüber reden, dürfen sie nicht. Internationale Verträge sind unterzeichnet und die Entscheide scheinen zementiert. Eine Rückkehr scheint es nicht mehr geben zu können. Es zeigt der jüngste Medienspiegel, dass die Kritik an der Integration allmählich immer deutlicher artikuliert wird. Die Sonntagszeitung vom 7. Mai 2023 gibt beispielsweise der Thematik mit einer Doppelseite prominenten Raum: Der grosse Beitrag von Nadja Pastega schildert konkret, wie frech, respektlos und lernresistent verhaltensauffällige Kinder sein können und so den Unterricht unnötig belasten. Dann folgt noch ein Beitrag über Vierjährige, die bereits in diesem Alter die Betreuungspersonen belasten. In diesem Artikel wird eine Schulleiterin in der Stadt Zürich zitiert: "Es gibt auf jeder Stufe Kinder, mit denen kein störungsfreier Unterricht mehr möglich ist. Sie arbeiten nicht ohne persönliche Betreuung, lenken andere ab oder sind frech."

"Null Lust auf Lernen: Renitente Schüler legen den Unterricht lahm. Es war ein grosses Versprechen, das die Bildungspolitik vor bald zwanzig Jahren unter dem Stichwort "Inklusion" abgab: Alle Kinder, egal, wie verschieden sie sind, sollen einen Platz im normalen Unterricht haben - unabhängig von Lernschwierigkeiten, schulischer Begabung, psychischen Problemen oder Verhaltensstörungen. Auslöser war das Behindertengleichstellungsgesetz, das damals in der Schweiz in Kraft trat. Was gut gemeint ist, bringt das Schulsystem an seine Grenzen. Es gibt Klassen, in denen eine Handvoll Störenfriede im Schulzimmer sitzen, die für ständige Unruhe sorgen. Lernen ist so fast nicht mehr möglich."
Und ein älterer Artikel im Tagi vom 14. April, 2023:
Es sind ausschliesslich die starken, von zu Hause geförderten Schülerinnen und Schüler, die damit gut zurechtkommen. Mittelmässige Lernende, erst recht schwache, sind auf ihr geringes Selbstwirksamkeitsgefühl zurückgeworfen und resignieren schnell. Die in den Kinderarztpraxen chronische Zunahme an psychosomatischen Problemen und psychiatrischen Diagnosen unter der heutigen Schülerschaft erstaunt demnach nicht.
Die Forderung zur Rückkehr von Kleinklassen müsste ernst genommen werden. Es ist eigentlich verwunderlich, dass beim Lehrplan 21 die Architekten der neuen Bildungslandschaft nicht schon vor der Inkraftsetzung des Lehrplanes erkannt hatten, dass die Inklusion in eine Sackgasse führt. Es war vorhersehbar, dass es zu Konflikten kommen muss, wenn Lehrpersonen in einem Freiraum einerseits kreativ sein sollten, aber anderseits von oben standardisiert, reglementiert und durch Inklusion beeinträchtigt werden. Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer ohne Unterstützung nicht mehr allein unterrichten kann, stimmt etwas nicht mehr. Gute Schüler sind unterfordert und die schwachen überfordert. Lehrkräfte können dem Kernauftrag nicht mehr gerecht werden.

Die Verantwortlichen der integrativen Schule haben kein grosses Verständnis für die Kritik. Sie glauben daran, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die eine Regelschule besuchen, deutlich bessere Leistungen zeigen. Anstatt die Situation zu verbessern, sprechen sie von einer ``grosser Herausforderung". Handlungsbedarf sehen sie bei der besseren Zusammenarbeit der Regelklassenlehrpersonen und den sonderpädagogischen Fachpersonen. Man stehe erst auf halbem Weg. Es brauche Zeit, bis man am Ziel sei. Der Wechsel sein noch nicht abgeschlossen. Auch wenn nicht alles rund laufe, so sei man auf dem richtigen Weg. Man benötige lediglich mehr Ressourcen, finanziell und personell.

Wer sich auf einen Holzweg begibt, ist gut beraten, umzukehren. Lieber früher als später. Wenn in der Pädagogischen Landschaft künftig wieder bewährte Erfolgswege beschritten würden, so wäre dies ein Fortschritt. Veränderungen ja, aber nur, wenn sie zu Verbesserungen führen. Ein Schritt zurück kann auch zu einem Schritt zu einer erfolgreichen Zukunft werden. Gut ist immerhin, dass die Medien erkannt haben, dass unliebsame Themen nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen. Dies ist erfreulich. Mögen die Bildungspolitiker nun den Mut und die Grösse haben, auf dem Holzweg den Rückwärtsgang einzuschalten.

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