Kevin Kühnert, ehemaliger Jusochef, übte nach der
Bundestagswahl 2017 noch scharfe Kritik an der eigenen Partei. Mit
dem Hashtag NoGroKo machte er sich vor allem auf Sozial Media einen
Namen - und sorgte für Ärger mit seiner Partei. 2021 wurde er als
Abgeordneter in den Bundestag gewählt und ist seit Ende Dezember
2021 Generalsekretär der SPD. Damit ist bei ihm ein deutlicher
Rollenwechsel festzustellen. Es erfolgte eine Wandlung vom freien
Radikalen zum demütig Lernenden. Kühnert polarisiert nicht
mehr. Er hat die Last der politischen Verantwortung am eigenen Leib
erfahren. Er verzichtet auf extreme Forderungen. Früher wollte
er beispielsweise Autos aus den Städten verbannen. Heute sagt er:
#Ein Bus kann kein Auto ersetzen". In einem Interview im Südkurier
wird Kühnert gefragt, ob es ihm die Umstellung zum SPD Speaker
schwer gefallen sei. Kühnert: #Ich bin nicht Sprecher weder
von der SPD noch von der Regierung. Mein Job ist ein politischer. Er
besteht darin, unsere Programme, unser Konzept weiter zu entwickeln. Den
jetzigen Job hatte ich vor vier Jahren nicht haben wollen. Seither
schafften wir ja einiges und mich hat das Comeback gefreut. Wenn
ich jetzt meine Partei kritisieren würde, dann würde man
mir zu Recht sagen: Du bist der Generalsekretär. Dann mach es
auch anders." Vom Rebell Kühnert ist nichts mehr übrig
geblieben. Früher piesackte er bei jeder Gelegenheit Olaf Scholz,
heute versteht er den Bundeskanzler auf der ganzen Linie. Das Vertrauen zu
ihm sei gewachsen, die Zusammenarbeit belastbar. Mit ihm könne man
über alles offen sprechen. Kevin Kühnert ist in seine Rolle
als SPD Generalsekretär hineingewachsen und hat sich angepasst. Er
fühlt sich offensichtlich auch sehr wohl dabei. 2021 analysierte ich
die Auftrittskompetenz Kühnerts und bezeichnete ihn als politisches
Talent und begnadeten feurigen Redner. Mit Turnschuhen, dunkel gekleidet
war er bei Wahlen immer an Orten des Geschehens. Ich betonte bei ihm
folgende Stärken: Er kann gut zuhören, spricht immer frei,
formuliert stark. Er versteht es, zu begeistern. Dank kurzer Sätze
und vorbildlicher Pausentechnik wird er gut verstanden. Er bringt es
fertig, die Konzentration aufrecht zu halten. Anderseits fiel bei ihm
die gequetschte, gepresste Stimme mit aggressivem Unterton negativ auf.
Journalist Dominique Eigenmann schrieb damals über Kühnert
treffend: # Auf Twitter gibt es wenige, die lustiger, schlagfertiger,
böser ätzen. Macht interessiert ihn, weil ohne sie linke
Ideen nur Ideen bleiben. Der kleine Mann ist ein grosser Stratege, der
stets einige Züge vorausschaut." Tatsächlich hat Kühnert
den Schritt zum Generalsekretär der Partei angepeilt und sitzt
heute in einer Schlüsselposition, die er nicht mit zu kantigen
Aussagen gefährden möchte. Als Politiker ohne akademischen
Abschluss fand Kühnert einen Lift, der ihn noch weiter nach oben
führen könnte. Ein Rebell in der neuen Rolle ist gewiss
nicht mehr gefragt.
Übrigens musste Albert Rösti ebenfalls einen Rollenwechsel
vollziehen. Albert Rösti kämpfte zuvorderst gegen das
Klimaschutzgesetz. Nun musste er als Bundesrat auch eine neue Position
vertreten. Vor wenigen Monaten war dies noch kaum vorstellbar. Er war
als Parlamentarier im Referendumskomitee gegen das "Stromfressergesetz".
"Ich unterstütze im Namen des Bundesrates das Klimaschutzgesetz",
sagt nun Rösti als SVP Bunderat bei seinem ersten Auftritt vor dem
Parlament. Wer bei einem Rollenwechsel Sachverhalte neu betrachten muss,
ist kein Wendehals, weil in jedem neuen Job das Loyalitätsprinzip
gilt. Und dieses hat Priorität.