Schwerhörigkeit und Sozialkontakt
von O. R. Meseck*
Sprache und Sprechen, sowie das Hören und Verstehen des gesprochenen
Wortes sind einmal die wesentlichen Voraussetzungen zwischenmenschlicher
Kommunikation. Einschränkung oder völliges Versagen dieser
Fähigkeit führt mehr als andere, viel augenfälligere
Behinderungen, zu einer depressiv gestimmten seelisch-geistigen Innenwelt
des so Geschädigten, lässt ihn seine zunehmende subjektive
Isoliertheit deutlicher erleben - steigend mit dem Grade der Abnahme
des Hörvermögens. Die psychischen Auswirkungen und die
Tragweite der Beeinträchtigung des Hörens können sich
Nichtbetroffene kaum annähernd vorstellen. Das Akzeptieren und
Erdulden des schicksalshaft Gegebenen - ohne Leidensgefühl ist wohl
nur sehr wenigen möglich. Die Suche nach Hilfe ist somit die normale
Konsequenz; und es gibt ja auch solche in technischer Art in vielfacher
Instrumentalisierung. Dennoch bleibt sogar heute noch eine Grenze
es elektronisch-kompensativ Machbaren zumindest dann als schreckende
Bedrohung, wenn es sich um einen fortschreitenden Prozess handelt, der
nur mit schwindender Erfolgsmöglichkeit ausgeglichen werden kann.
Der Ursachen dafür gibt es einige; solche zu erörtern wäre
Angelegenheit des Facharztes und kann und soll hier nicht Gegenstand
der Betrachtung sein. Bleiben wir beim psychologisch Faktischen.
Das "auditive Dunkel"
Die Welt des Normal-Hörenden ist ein Umfeld, das nur in sehr
seltenen Ausnahmefällen - zufallsgegebener oder absichtlich
herbeigeführter Umstände - "stumm" ist. Ob bemerkt
oder unregistriert, sind Geräusch, Ton und Klang akustisch
unterschiedlichsten Ursprungs das Vertraute, seien sie gewollt oder
gezielt an den Empfänger gerichtet oder nur reiner Hintergrund einer
Situation. Deren Veränderung, Abnahme oder gar Erlöschen
wird anfänglich mit Befremden erlebt, mit dem Gefühl der
Verunsicherung und letztlich mit Angst. Völlige Stille ist auf Dauer
unerträglich. Das "auditive Dunkel" ist genau so unheimlich wie das
optisch-visuelle Nichts. Soviel nur als Randbemerkung, die wenigstens
annäherungsweise Verständnis für die Befindlichkeit eines
in gravierendem Masse hörgeschädigten Menschen vermitteln
sollte.
Die Alltagsrealität
Was ist nun die Alltagsrealität in der Beziehung
Hörgeschädigter und den Personen seines Lebenskreises? Das
immer angestrengtere Bemühen, Gesprächen folgen zu können,
ist eine Belastung, die zunächst der Hörgeschädigte
allein tragen muss. Sie wird in dem Masse grösser, je mehr das
akustische Umfeld an Stimmen- und/oder Geräuschvielfalt zunimmt. Das
"Herausfiltern" der Sätze des eigentlichen Gesprächspartners
ist von mehreren Faktoren abhängig. In erster Linie von der
Lautsärke, danach aber auch von der dominierenden Frequenz des
Stimmklangs (höhere oder tiefere Stimmlage), sowie besonders
auch von der Akzentuiertheit der Wortformung und - nicht zuletzt -
vom Sprechtempo. Selbst gute Hörhilfen haben oftmals nicht
genügend Selektivität, um jede Störmomente auszuschalten.
Der Normal-Hörende, dem die Behinderung seines Partners bekannt
ist, oder der sie nach und nach bemerkt, wird versuchen, sich darauf
einzustellen. Doch bei aller Geneigtheit und mitfühlender
Freundlichkeit -, auch für ihn wird ein solches Gespräch
zur Belastung. Beide Seiten fühlen sich unbehaglich. Die Folge:
Die verbale Kontaktnahme schrumpft, wird geringer nach Dauer und
Häufigkeit.
"Schneckenhaus-Reaktion" des Hörgeschädigten?
Allein mit der Behinderung fertig werden und sich zurückziehen
oder doch lieber Hilfe suchen, dort wo sie in kompetenter,
also fachlich-durchdachter Form und Verfahrensweise sowie
menschlich-qualifizierter Art angeboten werden? Vertrauen in die
Technik ist erlaubt und keineswegs in Zweifel zu ziehen. Die Grenzen
des medizinischen und elektronischen Fortschritts sind auf diesem Gebiet
nicht voraussehbar. Es wurde schon viel erreicht. Trotzdem bleibt selbst
bei deren maximaler Ausweitung das Faktum der Abhängigkeit vom
Funktionieren eines wie immer gearteten Gerätes. Es mag banal und
abgedroschen klingen, aber das alte Sprüchlein, dass geteiltes Leid
nur halbes Leid sei, könnte allein schon ein Argument sein, sich
einem Schwerhörigen-Verein (heute "Pro Audito") anzuschliessen.
Dies, um die Last der schicksalhaften Betroffenheit nicht in der
Vereinzelung zu er- und durchleben, sondern sie im mitmenschlichen
Kreise zumindest als Lebenszäsur zu erfahren, die auch andere
hinnehmen mussten. Die positiven Auswirkungen auf die Teilnehmer
in so einer Gruppe sind hinsichtlich ihrer sozial-psychologischen wie
zugleich intrapsychischen Agenzien und Wechselwirkungen so umfänglich
verwoben, dass sie einer gesonderten Abhandlung bedürften. Jedenfalls
sind die positiven Auswirkungen bei Betroffenen und Bezugspersonen
spürbar. Dieser Vorteil wird durch die quasi-technischen Hilfen
erweitert, die der Verein und nur als solcher - bieten kann.
* Der Deutsche Diplom Psychologe Oskar R. Meseck arbeitete unter anderem auch in der
Reha. Schmieder-Klinik in Gailingen, BRD
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