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www.rhetorik.ch aktuell: (03. Mar, 2023)

Schwerhörigkeit und Sozialkontakt

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Zum Welttag des Hörens (am 3. März 2023) veröffentlichen wir hier einen Beitrag von Oskar Mesek, der vor 30 Jahren, im Januar 1993 im BSSV-Monatsblatt erschienen ist. Wie man aus dem Wikipedia Artikel des Welttags sehen kann, sind 5 Prozent der Weltbevölkerung (fast eine halbe Milliarde Menschen) hochgradig hörgemindert.

Schwerhörigkeit und Sozialkontakt

von O. R. Meseck*

Sprache und Sprechen, sowie das Hören und Verstehen des gesprochenen Wortes sind einmal die wesentlichen Voraussetzungen zwischenmenschlicher Kommunikation. Einschränkung oder völliges Versagen dieser Fähigkeit führt mehr als andere, viel augenfälligere Behinderungen, zu einer depressiv gestimmten seelisch-geistigen Innenwelt des so Geschädigten, lässt ihn seine zunehmende subjektive Isoliertheit deutlicher erleben - steigend mit dem Grade der Abnahme des Hörvermögens. Die psychischen Auswirkungen und die Tragweite der Beeinträchtigung des Hörens können sich Nichtbetroffene kaum annähernd vorstellen. Das Akzeptieren und Erdulden des schicksalshaft Gegebenen - ohne Leidensgefühl ist wohl nur sehr wenigen möglich. Die Suche nach Hilfe ist somit die normale Konsequenz; und es gibt ja auch solche in technischer Art in vielfacher Instrumentalisierung. Dennoch bleibt sogar heute noch eine Grenze es elektronisch-kompensativ Machbaren zumindest dann als schreckende Bedrohung, wenn es sich um einen fortschreitenden Prozess handelt, der nur mit schwindender Erfolgsmöglichkeit ausgeglichen werden kann. Der Ursachen dafür gibt es einige; solche zu erörtern wäre Angelegenheit des Facharztes und kann und soll hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Bleiben wir beim psychologisch Faktischen.

Das "auditive Dunkel"

Die Welt des Normal-Hörenden ist ein Umfeld, das nur in sehr seltenen Ausnahmefällen - zufallsgegebener oder absichtlich herbeigeführter Umstände - "stumm" ist. Ob bemerkt oder unregistriert, sind Geräusch, Ton und Klang akustisch unterschiedlichsten Ursprungs das Vertraute, seien sie gewollt oder gezielt an den Empfänger gerichtet oder nur reiner Hintergrund einer Situation. Deren Veränderung, Abnahme oder gar Erlöschen wird anfänglich mit Befremden erlebt, mit dem Gefühl der Verunsicherung und letztlich mit Angst. Völlige Stille ist auf Dauer unerträglich. Das "auditive Dunkel" ist genau so unheimlich wie das optisch-visuelle Nichts. Soviel nur als Randbemerkung, die wenigstens annäherungsweise Verständnis für die Befindlichkeit eines in gravierendem Masse hörgeschädigten Menschen vermitteln sollte.

Die Alltagsrealität

Was ist nun die Alltagsrealität in der Beziehung Hörgeschädigter und den Personen seines Lebenskreises? Das immer angestrengtere Bemühen, Gesprächen folgen zu können, ist eine Belastung, die zunächst der Hörgeschädigte allein tragen muss. Sie wird in dem Masse grösser, je mehr das akustische Umfeld an Stimmen- und/oder Geräuschvielfalt zunimmt. Das "Herausfiltern" der Sätze des eigentlichen Gesprächspartners ist von mehreren Faktoren abhängig. In erster Linie von der Lautsärke, danach aber auch von der dominierenden Frequenz des Stimmklangs (höhere oder tiefere Stimmlage), sowie besonders auch von der Akzentuiertheit der Wortformung und - nicht zuletzt - vom Sprechtempo. Selbst gute Hörhilfen haben oftmals nicht genügend Selektivität, um jede Störmomente auszuschalten. Der Normal-Hörende, dem die Behinderung seines Partners bekannt ist, oder der sie nach und nach bemerkt, wird versuchen, sich darauf einzustellen. Doch bei aller Geneigtheit und mitfühlender Freundlichkeit -, auch für ihn wird ein solches Gespräch zur Belastung. Beide Seiten fühlen sich unbehaglich. Die Folge: Die verbale Kontaktnahme schrumpft, wird geringer nach Dauer und Häufigkeit.

"Schneckenhaus-Reaktion" des Hörgeschädigten?

Allein mit der Behinderung fertig werden und sich zurückziehen oder doch lieber Hilfe suchen, dort wo sie in kompetenter, also fachlich-durchdachter Form und Verfahrensweise sowie menschlich-qualifizierter Art angeboten werden? Vertrauen in die Technik ist erlaubt und keineswegs in Zweifel zu ziehen. Die Grenzen des medizinischen und elektronischen Fortschritts sind auf diesem Gebiet nicht voraussehbar. Es wurde schon viel erreicht. Trotzdem bleibt selbst bei deren maximaler Ausweitung das Faktum der Abhängigkeit vom Funktionieren eines wie immer gearteten Gerätes. Es mag banal und abgedroschen klingen, aber das alte Sprüchlein, dass geteiltes Leid nur halbes Leid sei, könnte allein schon ein Argument sein, sich einem Schwerhörigen-Verein (heute "Pro Audito") anzuschliessen. Dies, um die Last der schicksalhaften Betroffenheit nicht in der Vereinzelung zu er- und durchleben, sondern sie im mitmenschlichen Kreise zumindest als Lebenszäsur zu erfahren, die auch andere hinnehmen mussten. Die positiven Auswirkungen auf die Teilnehmer in so einer Gruppe sind hinsichtlich ihrer sozial-psychologischen wie zugleich intrapsychischen Agenzien und Wechselwirkungen so umfänglich verwoben, dass sie einer gesonderten Abhandlung bedürften. Jedenfalls sind die positiven Auswirkungen bei Betroffenen und Bezugspersonen spürbar. Dieser Vorteil wird durch die quasi-technischen Hilfen erweitert, die der Verein und nur als solcher - bieten kann.

* Der Deutsche Diplom Psychologe Oskar R. Meseck arbeitete unter anderem auch in der Reha. Schmieder-Klinik in Gailingen, BRD



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