Rhetorik.ch

Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com
Aktuell Artikel Artikel Inhaltsverzeichnis Suche in Rhetorik.ch:

www.rhetorik.ch aktuell: (12. Jul, 2021)

Flitzer Ausblendung, Ueberlebenskampf bleibt

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Beim England gegen Italien Finale, das Italien gewann kam es in der 87. Minute zu einer Unterbrechung. Ein Flitzer war auf den Rasen gestürmt. Es handelte sich um einen relativ bekannten Musiker und Influencer aus Grossbritannien mit dem Namen Adam Harison. Die Szene ist auf youtube weit verbreitet: Beispiel 1 Beispiel 2.
20 Min:
Dramatische Schlussphase im EM-Final zwischen Italien und England. Es stand 1:1, als in der 87. Minute das Spiel plötzlich unterbrochen wird. Die Zuschauer vor dem TV kennen den Grund zunächst nicht, doch SRF-Kommentator Sascha Ruefer und die Fans im Stadion sind völlig aus dem Häuschen. Der Grund: Ein Flitzer. "Der spielt mit zwei Ordnern Katz und Maus, rennt an der Seitenlinie auf und ab. Jetzt sind es drei Ordner, die ihn verfolgen, aber sie kommen ihm nicht hinterher", kommentiert Ruefer das Geschehen. Dann wird der SRF-Kommentator richtig euphorisch: "Jetzt reisst er sich wieder los. Dieser Flitzer ist Weltklasse! Zwei Ordner rennen sich gegenseitig über den Haufen - das ist der Wahnsinn!"
Die Szene lebt von Ruefers Kommentar. TV-Zuschauer sehen nur Spieler in der Nahaufnahme, die dem Flitzer-Spektakel zuschauen. In England gibts dafür heftige Kritik an der Übertragung - besonders im Vergleich zum Drama rund um Dänemark-Star Christian Eriksen. "Einen Mann, der um sein Leben kämpft und seine weinende Ehefrau = volle Berichterstattung mit Zoom auf die Wiederbelebung. Ein Flitzer im Final = wird rausgeschnitten. Euer Ernst?", lautet etwa ein Vorwurf an die TV-Sender. Eine Vielzahl von ähnlichen Tweets und Posts sind am Montag in den sozialen Medien zu finden.
Die TV-Sender können aber wenig dafür, dass der Flitzer im Final nicht gezeigt wurde. Das weltweite Signal für die Stationen kommt von der Uefa - und die will Flitzern keinerlei Plattform geben. Ein Hauptgrund: Keine Negativ-Vorbilder. "Den Spielleitern wird empfohlen, die Übertragung solcher Vorfälle zu vermeiden, um ein solches Verhalten nicht zu fördern und diesem eine Plattform zu bieten", heisst es am Montag bei der Uefa.
"Das ist ein billiges Argument der Uefa, das mittlerweile in vielen Bereichen missbraucht wird. Dieses, wir wollen keine Nachahmer, produziert eben am Ende genau das", kritisiert der Medien- und Kommunikationsexperte Marcus Knill. Zuschauerinnen und Zuschauer könne man in der aktuellen Zeit sowieso nicht mehr zensieren, da sie alle Smartphones besitzen und die Aufnahmen selbst machen können. "Das bedeutet, dass die Zuschauer ja dennoch alles herausbekommen und es macht hier keinen Sinn von der Uefa, solche Szenen zu zensieren."
"Uefa beschneidet Medien mit Zensur in ihrer Pflicht" Auch für Knill ist es unverständlich, dass man die Eriksen-Szenen minutenlang zeigte, den Final-Flitzer aber nicht. "Die Uefa zeigt nur das, was sie zeigen möchte. Das heisst, sie betreibt in dem Moment Maulkorb-Politik. Das geht einfach nicht." Die Uefa verhindere zudem nicht nur die Ausstrahlung der Flitzer-Szenen, sondern würde den berichtenden Medien so auch eine Zensur direkt auferlegen, so Marcus Knill: "Die Uefa beschneidet durch das Mittel Zensur, die Medien in ihrer Pflicht. Denn die Medien haben das Recht - und sie müssen, Fakten und Informationen richtig und ungefiltert darlegen. Und auch darlegen können." Die Grenze etwas nicht zu zeigen müsse hoch sein. "Ansonsten kommt man irgendwann zu einer völligen Zensur oder Willkür", so Knill.
Guido Keel, Leiter des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, sieht es anders: "Die Argumentation der Uefa bezüglich der Nachahmung ist für mich plausibel. Denn wenn ein Flitzer weiss, dass er durch seine Aktionen Millionen von Menschen erreicht, würden sicherlich noch mehr Menschen als Flitzer fungieren und diese Plattform für politische oder gesellschaftliche Anliegen missbrauchen." Das Argument, dass die Bilder aufgrund von Smartphone-Videos sowieso verbreitet werden, hält Keel für nicht korrekt. "Es macht schon einen Unterschied, ob es ein Smartphone-Video ist oder ob es die HD-Auflösung der TV-Kamera einfängt und in die Welt hinaussendet." Als Veranstalterin könne die Uefa entscheiden, was sie thematisieren möchte und was nicht - doch das bringe auch ethische Verpflichtungen mit sich. "Etwa die Szenen von Christian Eriksen zu zeigen, nur weil sie möglicherweise die Quote hochtreiben, ist nicht korrekt." Wo sich sowohl Guido Keel wie auch Marcus Knill einig sind: SRF-Kommentator Sascha Ruefer habe mit seinem Flitzer-Beitrag alles richtig gemacht. "Es ist gut, wenn die Kommentatoren ihrem journalistischen Anspruch und ihrer Mediensorgfalt nachkommen und beschreibend berichten", sagt Knill. Das findet man auch bei SRF Sport, wie Mediensprecher Lino Bugmann sagt. "Genau das ist Ruefers Aufgabe: Er kommentiert das, was er sieht." Ruefer konnte über den sogenannten Tactical Feed mitansehen, was sich rund um den Flitzer genau abspielte. Der TV-Kommentator bekommt darüber, was er sagt, keinerlei Auflagen. "Die Kommentatoren können jederzeit verbal und frei von Veranstaltervorgaben über die Situation in den Stadien berichten", so Bugmann. Das SRF selbst konnte hingegen den TV-Zuschauern keine eigenen Bilder zeigen, da die SRG an diesem Turnier keine eigene Kamera live im Stadion hatte,
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Es ist gefährlich, wenn missliebige Vorkommnisse unter den Tisch gewischt werden. In diktatorischen Staaten sehen wir, wohin es führt, wenn von oben bestimmt wird, was gesendet und was zensuriert wird. Die Grenzen sind bei uns durch rechtliche oder ethische Grenzen gegeben (Persönlichkeitsschutz, wenn zu Gewalt aufgefordert wird oder wenn der journalistische Codex verletzt wird). Das genügt. Wenn jedoch Fakten nicht erwähnt werden dürfen oder unliebsame Meinungen zensuriert werden, müssten wir uns wehren. Wir haben in Deutschland gesehen, was geschicht, wenn die AfD ignoriert und bewusst ausgeklammert wird oder bei Verbrechen die Nationalität der Täter nicht mehr genannt werden darf. Solche angeblich gut gemeinten Zensuren sind kontraproduktiv. Sie spielten den Parteien in der rechten Ecke in die Hände.

Rhetorik.ch 1998-2021 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com