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www.rhetorik.ch aktuell: (10. Jan, 2020)

Trolljaegerin

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Jolanda Spiess-Hegglin ist heute Journalistin. Sie war von 2014-2016 Kantonsrätin von Zug. Im Jahre 2014 wurde Spiess-Hegglin an der Zuger Landammannfeier Opfer eines Sexualdeliks, über das viel in den Medien geschrieben worden war. Gegen einen Bericht von Blick hat sie eine Presseratsbeschwerde eingelegt. Die wurde gutgeheissen. Auch eine Anzeige gegen Philipp Gut, Chefredaktor der Weltwoche wurde im Jahre 2017 gutgeheissen. Gut wurde wegen übler Nachrede verurteilt, denn dieser hatte behauptet, dass Spiess Hegglin die Schändung bloss erfunden habe. Der Vorfall aus dem Jahre 2014 und die darauffolgenden medialer Hetzjagt hat Jolanda Spiess Hegglin zur Netzaktivistin gemacht. Obwohl sie gerichtlich immer Recht bekommen hat, muss dieser Vorfall hart gewesen sein. Man sagt, über 2000 Artikel seien über sie geschrieben worden.
TagesWoche:
Heute ist klar, dass Spiess-Hegglin etwas erreicht hat. Sie hat gezeigt, dass man sich gegen Hasskommentare wehren kann. Sie hat 160 Hasskommentare innert eineinhalb, zwei Jahren eingeklagt. Sie noch nie verloren, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kam. Allerdings ist die Sache teuer. Im spricht, dass es total um sechsstellige Beiträge handelt
Aus dem Interview mit der Tageswoche:
Das Internet ist also nicht nur ein Pranger, sondern etwas, das Ihnen auch Kraft gibt: Extrem. Nachdem ich mich entschieden habe, vom Pranger herunterzusteigen und gegen Hasskommentare juristisch vorzugehen, erhielt ich viel Unterstützung. Wohl auch darum, weil das noch niemand gemacht hat. Ich habe mich auch mit Mächtigen angelegt, etwa dem "Blick" oder der "Weltwoche". Sie haben sich dadurch auch ein Stück weit die Kontrolle zurückgeholt. Genau. Aber mir ging es nie darum, in der Öffentlichkeit zu stehen. Wirklich? Sie waren Politikerin, da findet man Öffentlichkeit doch toll. (lacht) Das war früher. Wenn ich mich dagegen wehre, in einer Medienkampagne durch die Gassen geschleift zu werden, heisst das nicht, dass ich mediengeil bin. Ich wehre mich einfach gegen Unterstellungen und Verleumdungen. Im Jahr 2015 war ich die meistgegoogelte Frau der Schweiz. Nach Sepp Blatter und Stan Wawrinka kam ich. Die Leute haben mich im hintersten Chrachen erkannt. Überall. Das war mir so unangenehm. Ich brauche das nie mehr. Am liebsten wäre ich total unbekannt, aber ... ... aber? Ich merke, dass es wichtig ist, was ich mache. Mir haben schon über 100 Frauen ihre Geschichten von Missbrauch und Vergewaltigungen erzählt. Es gibt auch eine ganze Reihe von Frauen, die aufgrund meiner Geschichte ihre Vergewaltiger angezeigt haben. (...) Sind soziale Medien besonders praktisch für Schweizer, weil wir die Konfrontation in der Öffentlichkeit scheuen? Das kann gut sein. Die Schweizer haben gemerkt, dass der Stammtisch heute im Internet steht. Man geht in die virtuelle Hassgruppe und kotzt sich da aus.
Aber es waren nicht nur die Journalisten, die Hegglin Geschichte ohne Nachdenken über Folgen auschlachteten, es gab auch viele Hasskommentare. Hegglin hatte dies gesammelt und Daten für eine Studie zu Hasskommentaren weitergegeben. Dagegen wurde Strafanzeige eingelegt. Nun hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug die acht Anzeigen eingestellt.
20 Min:
Jolanda Spiess-Hegglin stellte dem Soziologischen Institut der Universität Zürich Daten von Personen zur Verfügung, die sie auf Social Media mit Hasskommentaren eingedeckt hatten und dafür verurteilt wurden. Rund 30 Personen erhielten darauf einen Brief mit der Einladung, an einer Studie zum Thema "Kommentieren im Internet" teilzunehmen. Die Daten würden gelöscht, wenn man Bescheid gebe, hiess es weiter im Brief. Einige Betroffene reichten darauf Strafanzeige ein, weil die Daten ohne Einwilligung weitergegeben worden seien und es sich bei Strafurteilen um besonders schützenswerte Daten handle. Sie empörten sich: "Das ist eine Frechheit." Vom Soziologischen Institut der Uni Zürich erhielt Spiess-Hegglins Verein Netzcourage ein Beratungshonorar über 1000 Franken, das als Spende verbucht wurde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug hat rund acht Anzeigen in diesem Fall nun eingestellt. Sie hält fest, dass Jolanda Spiess-Hegglin die Daten weitergeben durfte und für die korrekte Information darüber das Soziologische Institut der Universität Zürich zuständig gewesen sei. Dieses untersteht dem kantonalen Datenschutzgesetz. Das Institut sei mit dem Brief an die Betroffenen seiner Informationspflicht nachgekommen. Netzcourage könne in diesem Punkt gar nicht belangt werden, weshalb die Einstellung verfügt werde. Auch dass durch die Bearbeitung durch die Uni Zürich "besonders schützenswerte Daten" betroffen gewesen seien, sah die Staatsanwaltschaft nicht als Problem: Es könne ein überwiegendes Interesse geltend gemacht werden. "Es wird zudem erklärt, dass die Daten nicht zu personenbezogenen Zwecken verwendet werden, sondern sich der Zweck auf statistische Auswertungen beschränkt." Ein Rückschluss auf die Person solle nicht mehr möglich sein. Da auf diesem Punkt aber keine Sanktion stehe, bleibe offen, ob das Gesetz eingehalten worden sei. Die Behörde lehnte auch den Punkt der üblen Nachrede und der Ehrverletzung ab. Für Jolanda Spiess-Hegglin ist der Entscheid der Staatsanwaltschaft keine Überraschung. Gegenüber "Zentralplus" sagt sie: "Ich habe damit gerechnet, dass die Verfahren eingestellt werden, weil ich die rechtliche Situation vorgängig mit Anwälten abgeklärt habe", sagt sie. Ihr sei bewusst gewesen, dass die Weitergabe der Daten heikel sein könnte. "Ich habe das Risiko von Strafanzeigen in Kauf genommen, war mir aber sicher, dass die Gefahr einer Verurteilung gering ist. Allerdings gibt es bislang nur wenig Rechtsprechung in diesem Bereich. Aber man geht immer ein gewisses Risiko ein, wenn man Pionierarbeit leistet." Das nun eingestellte Strafverfahren sei für sie mit grossem Aufwand verbunden gewesen, mehrfach sei sie polizeilich befragt worden, auch wenn die Untersuchung sie nicht emotional belastet habe. "Als ich das erste Mal angezeigt worden bin, hat mich das aus der Bahn geworfen. Aber inzwischen habe ich realisiert, dass es die Absicht der Anzeigesteller ist, mich einzuschüchtern und zum Rückzug zu drängen - mit Strafanzeigen und Hasskommentaren." Sie lasse sich davon nicht mehr beeindrucken. "Hass im Netz ist ein gesellschaftliches Phänomen, über das wir noch viel zu wenig wissen. Wir brauchen eine wissenschaftliche Grundlage, um politisch dagegen vorgehen und sinnvolle Prävention machen zu können." "Die Sachlage ist sehr enttäuschend und nicht nachvollziehbar", sagt einer der Kläger. Für ihn ist die "Glaubwürdigkeit der Schweizer Justiz verloren gegangen". Ihm sei die Angelegenheit nun aber "zu blöd geworden", weshalb er sie nun ruhen lasse.

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