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www.rhetorik.ch aktuell: (19. Dez, 2018)

Der dreiste Reporter

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Es ist eine dreiste Geschichte. Und sie wird vom gefoppten Verlag selbst offen gelegt. Es ist die beste Reaktion, mit dieser internen Krise umzugehen. Spiegel::
Ein Reporter des SPIEGEL hat in grossem Umfang eigene Geschichten manipuliert. Durch interne Hinweise und Recherchen erhärtete sich in den vergangenen Tagen der Verdacht gegen Claas Relotius - der inzwischen Fälschungen zugegeben und das Haus verlassen hat. Auch andere Medien könnten betroffen sein.
und ein anderer Ausschnitt:
So lässt sich sagen, dass Claas Relotius, 33 Jahre alt, einer der auffälligsten Schreiber des SPIEGEL, ein bereits vielfach preisgekrönter Autor, ein journalistisches Idol seiner Generation, kein Reporter ist, sondern dass er schön gemachte Märchen erzählt, wann immer es ihm gefällt. Wahrheit und Lüge gehen in seinen Texten durcheinander, denn manche Geschichten sind nach seinen eigenen Angaben sauber recherchiert und Fake-frei, andere aber komplett erfunden, und wieder andere wenigstens aufgehübscht mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie. Während seines Geständnisses am Donnerstag sagte Relotius wörtlich: "Es ging nicht um das nächste grosse Ding. Es war die Angst vor dem Scheitern." Und "mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer grösser, je erfolgreicher ich wurde." Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-"Journalist of the Year" gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der "30 under 30 - Europe: Media" - und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen. Diese Enthüllung, die einer Selbstanzeige gleichkommt, ist für den SPIEGEL, für seine Redaktion, seine Dokumentationsabteilung, seinen Verlag, sie ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Schock. Die Kolleginnen und Kollegen sind tief erschüttert. Auf dem Flur im neunten Stock des SPIEGEL-Hauses, auf dem Relotius' Zimmer 09-161 lag, sind Belegschaft und Leitung des Gesellschaftsressorts, in dem er arbeitete, fassungslos und traurig. Ein Kollege, der viel mit Relotius' Texten zu tun hatte, sagte Anfang dieser Woche, die Affäre fühle sich an "wie ein Trauerfall in der Familie".

20 Min:
Vor wenigen Wochen wurde er noch mit dem Deutschen Reporterpreis 2018 ausgezeichnet, nun wird klar: Claas Relotius dürfte für den grössten Betrugsfall in der deutschen Medienlandschaft verantwortlich sein seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern von 1983. Der in Hamburg lebende Journalist soll, wie am Mittwoch bekannt wurde, Geschichten manipuliert und Zitate, Quellen und Personen frei erfunden haben. Das genaue Ausmass des Falles Relotius, der freiberuflich unter anderem auch für die "NZZ", die "Weltwoche", die "Frankfurter Allgemeine" und nach nicht belegten Eigenangaben für den "Guardian" geschrieben hat, ist noch nicht bekannt. Der "Spiegel", bei dem der Journalist sieben Jahre lang fester Mitarbeiter war, hat zumindest die ihn betreffenden Fakten in einer medialen Gegenoffensive am Mittwoch öffentlich gemacht. Aufgeflogen ist Relotius mit einer Reportage über eine Bürgerwehr in Arizona. "Jaegers Grenze" heisst der Text, der aktuell noch auf "Spiegel online" zu lesen ist - jedoch neu mit dem Warnhinweis: "Die Berichterstattung von Claas Relotius steht nach #Spiegel#-Recherchen unter dem Verdacht weitgehender Fälschungen und Manipulationen durch den Autor. Der #Spiegel# geht allen Hinweisen nach und lässt die Artikel bis zu einer weitgehenden Klärung der Vorwürfe unverändert im Archiv, auch um transparente Nachforschungen zu ermöglichen." Die Pressesprecherin der im Text ausführlich zitierten Einheit war stutzig geworden, weil Relotius im Laufe seiner angeblichen Recherchen nie an sie herangetreten war. Verdacht hatte zuvor schon dessen Redaktionskollege Juan Moreno geschöpft, der als Co-Autor der genannten Story wirkte. Er hatte dem Betrüger nachrecherchiert und diesen mit seinen Erkenntnissen bei Kollegen und Vorgesetzten gemeldet. Weil Claas Relotius auf der Redaktion allseits als fleissiger und bescheidener Kollege geschätzt war, schenkte man den Anschuldigungen Morenos anfänglich keinen Glauben. Noch Anfang Dezember hätten viele nicht Relotius, sondern Moreno, der mit seinem Streben den Job riskierte, für den "eigentlichen Halunken" gehalten. Auch das gibt der "Spiegel" in seiner sehr transparenten Darlegung der Ereignisse ungeschönt zu.

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