Diese Kunst soll weg", schreibt die Wochenzeitung Die Zeit. Gemeint
ist ein Gedicht von Eugen Gomringer, das von der Fassade der Berliner
Alice-Salomon-Hochschule entfernt werden soll. Das beschloss der
Akademische Senat. Seit 2011 war es an der Fassade des Gebäudes
zu lesen. Bei Sanierungsarbeiten soll das Werk übermalt werden,
stattdessen soll ein Gedicht der Lyrikerin Barbara Köhler an die
Wand kommen. Alle fünf Jahre soll ein neues Gedicht an die Hauswand
kommen.
Das Gedicht, das eine Debatte ausgelöst hat, heisst "avenidas"
und erschien 1953 in einer Schweizer Zeitschrift. Aus dem Spanischen
übersetzt lautet das Gedicht:
"Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und
Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer".
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Darin sehen Studenten der Hochschule sexistische Inhalte. Die
Studentenvertretung will, dass das Gedicht durch das Werk einer weiblichen
Autorin oder eines Autors mit Migrationshintergrund ersetzt wird.
In der Tat erweckt der Text den Eindruck, hier würden Frauen nur
auf eines reduziert: nämlich auf Schönheit. Das bedient alte
Geschlechterrollen, gegen die gerade heute immer mehr Menschen angehen
wollen - Frau = schön, Mann = stark. Es ist richtig, diese, die
Welt auf Stereotypen reduzierende, Sicht kritisch zu hinterfragen. Der
Protest und die Entfernung des Textes von der Hauswand können zum
Anstoss der Debatte beitragen. Gedicht von einem Mann
Schade, dass Gedicht aus der Feder eines Mannes stammt. Wäre
es von einer Frau geschrieben, würden die Studenten trotzdem
protestieren? Wer argumentiert, dass die Betonung der Unterschiede
zwischen Männern und Frauen eigentlich immer mehr verschwinden
sollten, ja, sogar noch mehr Geschlechter als nur Mann und Frau anerkannt
werden sollten, der hat Schwierigkeiten, hier zu argumentieren, dass ein
Gedicht über "schöne" Frauen nur von Frauen geschrieben werden
sollte. Auch eine Frau kann Alleen, Blumen und Frauen schön finden.
Tatsache ist jedoch, dass die Entscheidung, das Gedicht von der Hauswand
zu entfernen, mehrheitlich beschlossen wurde. Und demokratische Prinzipien
spiegeln die Wünsche und Meinungen der Mehrheit wider. Das Gedicht
sei in keinem Fall frauenfeindlich, kommentiert die Zeitung Die Zeit,
sondern "hochgradig interpretationsoffen". Das Gedicht ist aber,
gemessen daran, dass es auf die Fassade einer Hochschule gemalt wurde,
überraschend schlicht. Alleen, Blumen und Frauen einerseits, und
ein Bewunderer, der sie betrachtet - vielleicht wollte der Autor ja
gerade dadurch signalisieren, wie schlicht es eigentlich ist, Frauen
wie Bäume zu verdinglichen.
Das Gedicht soll übrigens auch nach der Übermalung
neben der Fassade auf einer Tafel in Spanisch, Deutsch und Englisch
erhalten bleiben. Dadurch erfüllt es vielleicht erst recht seinen
ursprünglich angedachten Zweck: den Austausch unterschiedlicher
Interpretationen.