NZZ:
Trauen Sie Ihren Augen noch, wenn es um Pressefotografie geht? Zu oft
war in jüngster Zeit von Irreführung des Publikums die Rede,
wenn statt schlichter Berichterstattung die Verwendung manipulierter
Bilder oder die Inszenierung einer Situation in den Medien aufflog.
Ein harmloses Beispiel lieferte kürzlich eine Fotoserie des 1990 in
Lausanne geborenen Fotografen Roshan Adhihetty. Von 2014 bis 2016 hatte
er die zu einiger Berühmtheit gelangten Nacktwanderer aufgenommen,
diese Arbeit im Zürcher Verlag Sturm & Drang als Buch herausgebracht
und sie beim Wettbewerb "Swiss Photo Award" in der Kategorie "Reportage"
eingereicht.
Am Tag vor der Verleihung des ihm zugedachten ersten Preises
stellte sich heraus, dass Adhihetty unter anderem eine Person aus
einem Bild retuschiert und die bis auf Schuhe und Rucksack vollkommen
Ent-blätterten in Feld und Wald inszeniert hatte. Ein Stürmchen
im Blätterwald war die Folge, denn diese Manipulation ist im
Journalismus natürlich nicht statthaft; Adhihetty wurde der Preis
aberkannt.
Der Fall mag wegen des Themas amüsant sein. In Zeiten wachsenden
Misstrauens gegenüber dem Journalismus wirft er aber ein
Schlaglicht auf einen Grundkonflikt in der Pressefotografie. Wo hört
Dokumen-tation auf, wo beginnt die Lüge - oder die Kunst?
Wäre die Serie nämlich als künstlerische Arbeit deklariert
gewesen, hätte kein Hahn nach dem sogenannt redlichen Abbild der
Wirklichkeit gekräht. Inszenierung und Bildbearbeitung würden
im Gegenteil als Mittel gesehen, um die Wahrheit auf den Punkt bringen
zu können.
Fotografien zeigen Wirklichkeiten, die vergangen sind. Was vor der
Linse für einen Augenblick sichtbar war, verwandelt sich in ein
Bildzeichen, das ein "Es ist so gewesen" vermittelt. So umschreibt es
der französische Philosoph Roland Barthes in "Die helle Kammer"
(1980): "Das, was ich sehe, befand sich dort, an dem Ort, der zwischen
der Unendlichkeit und dem wahrnehmenden Subjekt liegt."
Wir schliessen aus der "Wahrheit des Bilds" blitzschnell "auf die
Realität seines Ursprungs", ein Bild sagt schliesslich mehr als
tausend Worte. Geschönte Gesichter
Doch beginnt die Bildmanipulation nicht bereits mit der Wahl des Standorts
und des Ausschnitts? Müsste Blitzlicht nicht verboten werden,
da es die naturgegebene Lichtstimmung verändert? Und ab wann sind
kleine Retuschen wie das Ausflecken der Bilder nicht mehr zulässig,
weil die Flecken im Gesicht eines bestimmten Politikers eigentlich zur
Wahrheit gehören?
Mit der Digitalisierung der Fotografie wurden Retu-sche-tech-ni-ken -
das Löschen einer Person etwa - lediglich perfekter. Die Presse
und Wettbewerbe wie der "World Press Photo Award" verlangen zwar, dass
Bilder nicht grundsätzlich verändert, aber in Kontrast oder
Helligkeit moderat bearbeitet sein dürfen.
Das Pressebild des Jahres 2012, das der schwedische Fotograf Paul Hansen
von einem Trauerzug in Gaza aufgenommen hatte, löste dennoch grosse
Diskussionen aus: Wie war es möglich, dass sowohl von vorne wie
von der Seite her Licht auf die Gesichter fiel? Waren die Farben nicht
dramatisiert? Hatte der Fotograf gar mehrere Bilder zu einem einzigen
verschmolzen?
Digitale Forensiker untersuchten die Authentizität des Bilds,
man begutachtete die Rohdaten des Fotografen, der einräumte, die
Gesichter aufgehellt zu haben. Das war zwar legal, doch war es nicht
bereits eine irreführende, die Dramatik der Szene unzulässig
steigernde Manipulation?
Die Grenze zwischen Legalität und Betrug ist fliessend, aber die
menschlich fürchterliche Situation der Weltöffentlichkeit in
einem Bild mit geradezu rembrandtscher Schatten-Licht-Dramaturgie vor
Augen zu führen, noch nicht verwerflich.
Der blinde Glaube ans Bild wird schamlos ausgenutzt, das Publikum in
die Irre geführt. Es geht immer um Macht.
Bildmanipulation gehört zur Fotografie seit den Anfängen, ja
sie macht einen grossen Teil ihres Reizes aus. Kurz nach ihrer Lancierung
ging der französische Finanz- und Rechtsberater Hippolyte Bayard
(1801-1887) als erster "Fälscher" in die Foto-geschichte ein.
Leidenschaftlich hatte er sich in den 1830er Jahren mit Licht und
lichtempfindlichen Salzen beschäftigt und unabhängig von den
berühmten Urvätern der Fotografie Joseph Nicéphore
Niépce und Louis Daguerre ein Verfahren erfunden, mit dem
Foto-Unikate hergestellt werden konnten. Im Wettlauf um die Patentierung
seines Direktpositiv-Bilds verlor er jedoch gegen Louis Daguerre - eine
für ihn schmerzliche Erfahrung, auf die er mit dem "Autoportrait
en noyé" (1840) antwortete.
Auf der Rückseite ist zu lesen: "Die Leiche des Mannes, die
Sie umseitig sehen, ist diejenige des Herrn Bayard. Die Akademie,
der König und alle diejenigen, die diese Bilder gesehen haben,
waren von Bewunderung erfüllt (.#.#.). Das hat ihm viel Ehre, aber
keinen Pfennig eingebracht. (.#.#.) Da hat der Unglückliche sich
ertränkt. H.#B., 18.#Oktober 1840."
Das Selbstporträt, eines der ersten überhaupt, ist aus heutiger
Sicht natürlich kein Betrug, sondern die satirische Verarbeitung
eines Scheiterns, also Kunst.
Inszenierung, gutes Licht und Schön-heits-re-tu-schen waren in
Porträts (vor allem von Politikern) immer üblich: Angela
Merkels Haut wird trotz Puder bearbeitet, Silvio Berlusconi und
Donald Trump sind ohnehin wandelnde Retuschen. Wie jedoch Diktatoren
durch manipulierte Bilder dreist ihre Individualinteressen gegen den
Widerstand einer Gemeinschaft durchsetzen, wie sie Geschichtsklitterung
und die Kontrolle über die kollektive Erinnerung betreiben, ist in
zahllosen Beispielen belegt.
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