BAZ
online vom 21. Januar, 2017 titelt:
Ist sein Rücktritt vergangenen Frühling eine Fata
Morgana? Ist der Aargauer Ständerat Philipp Müller noch immer
Präsident der Freisinnig Demokratischen Partei Schweiz, trotz
selbstbeweihräucherndem Abgang vor grossem Publikum am 16. April
2016? Zweifelsfrei mit Ja antwortet, wer nichts ahnend Müllers
offizielle Internetseite konsultiert (http://philipp-mueller.ch/politik/
politischer-weg). Dort steht, unter dem Titel "Politischer Weg" ganz oben
die Angabe "seit April 2012: Präsident der FDP.Die Liberalen". Von
Präsidiumsabgabe keine Rede. Veraltet erscheint der Internetauftritt
Müllers ansonsten nicht. Nur bezüglich Rücktritt als
Parteipräsident. Alles andere ist aktuell. Besonders umfangreich
fällt die Aufzählung eigener, offenbar als besonders gelungen
eingeschätzter Medienauftritte aus.
Der mutmassliche, sicher aber peinliche Lapsus in Müllers
unvollständiger Polit-Biografie passt in die Wahrnehmung der
Beobachter, nämlich, dass Müller präsenter sei denn je,
dass es ihm um sich und sein Ego gehe. Müller ist aus Publikumssicht
Parteipräsident geblieben, er kehrt weiterhin die Nummer eins nach
aussen, reisst sich das Hemd auf, um die Brusthaare herzuzeigen, greift
nach jedem Mikrofon, posiert vor jeder Kamera. Er kann es offensichtlich
nicht lassen.
Der Eindruck täuscht nicht. 1139 Mal erwähnten
ihn deutschsprachige Zeitungen zwischen Rücktritt als
Parteipräsident auf der grossen Bühne im Berner Hotel National
und gestern. 229 Mal französischsprachige, in Nachrichtenspalten
sowie grösseren und kleineren Artikeln. Die grösseren
Fernsehauftritte erfolgten zuletzt - beschränkt auf die Zeit ab
Herbst 2016 - im Abstand von zehn bis 14 Tagen: SRF-"Arena" zum Thema
Terror (17.10.), Tele Züri zum Thema Massen-einwanderung (30.10),
SRF- "Arena" zum Thema Zuwanderung (2. 12., nach Auftritt im Aargauer
Lokalfernsehen am selben Tag), SRF-"Arena" zum Thema Populisten
(9. Dezember), und per 19. Dezember gelang es ihm, sich in "Talk
Täglich", erneut auf Tele Züri, in die Brust zu werfen.
Müllers ichbezogenes Medienverhalten kontrastiert umso stärker,
vergleicht man dieses mit den beiden anderen Parteipräsidenten,
die zum selben Zeitpunkt wie Müller gegangen sind. Vom ehemaligen
CVP-Parteipräsidenten Christophe Darbellay hört und sieht
man rein gar nichts mehr. Und dies, obwohl sich der 46-jährige
Ex-Nationalrat derzeit im hitzigen Wahlkampf um einen Sitz in
der Walliser Kantonsregierung befindet. Obwohl der eine oder
andere nationale Medienauftritt dabei ziemlich sicher helfen
würde: Darbellay verzichtet, er dient sich keinen Journalisten
an. CVP-Generalsekretärin Béa-trice Wertli sagt, solche
Ablösungen an der Spitze der CVP seien die Regel. Sie habe als
Parteifunktionärin soeben den fünften Präsidentenwechsel
erlebt. "Jene, die gingen, haben den Stab an den Nachfolger
übergeben. Sie konzentrierten sich auf ihre neuen Aufgaben."
Bezeichnend auch, was sich bei der SVP gestern abspielte. Der Versuch,
Ex-Parteipräsident Toni Brunner zu erreichen, blieb erfolglos,
im Gegensatz zu dessen Zeit als Parteipräsident. Das Mobiltelefon
läutete ins Leere.
Beim neuen SVP-Parteipräsidenten Albert Rösti kommt alsbald
der Anrufbeantworter und das Versprechen, er werde zurückrufen. Bald
darauf meldet sich der amtierende SVP-Präsident. Er bestätigt,
Toni Brunner habe sich als Präsident in den Dienst der Partei
gestellt, was auch nach dessen Rücktritt so sei. Bewusst habe
Brunner die letzten drei Delegiertenversammlungen nicht besucht,
um den Neuen das Feld zu überlassen. Auch in den Medien habe
sich Brunner zurückgehalten. Brunner habe ihm den Einstieg
als Parteipräsident damit eindeutig erleichtert, sagt
Rösti. Dafür sei er Brunner dankbar.
Anders also bei der FDP und bei Müller. Kommunikationsberater und
Coach Marcus Knill zählt Müller zu den "Dauerempörten". Sie
laufen Gefahr, nicht mehr wahrgenommen zu werden, weil man nicht
mehr zuhört. "Man kann einem Organisten, der sämtliche
Register zieht und immer auf Tutti spielt, auf Dauer auch nicht
zuhören." Knill vermutet, dass Müller nicht anders kann. Ohne
häufige Medienpräsenz fühlt sich jemand mit seiner
Persönlichkeitsstruktur minderwertig. Ins Bild passe auch, dass
Müller in Diskussionssendungen anderen Gesprächsteilnehmern
sehr häufig ins Wort falle, was ziemlich unangenehm auffalle. Dies
sei schade, denn sonst gelinge es Müller immer wieder, frei, einfach,
verständlich und schnörkellos zu kommunizieren. Müller habe
nach seinem Rücktritt als Parteipräsident rasch gemerkt, dass
er sich mit dem Thema Umsetzung der SVP-Masseneinwanderungs-Initiative
neu positionieren und profilieren könne.
"Hier hat er Oberwasser gewonnen", beobachtet Knill. Diese
Plattform werde aber nun zunehmend gefährlich, weil eine gewisse
Profilierungssucht sichtbar werde. "Müller fehlt beim Debattieren
und bei Medienauftritten generell die Bremse, ein Makel, den er schon
als Parteipräsident hatte." Seiner Nachfolgerin, Petra Gössi,
die einen zurückhaltenderen, sachbezogeneren Stil pflegt, vereinfacht
Müller damit die Arbeit sicher nicht, findet Knill.