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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Jul, 2016)

Coupversuch in der Tuerkei

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
In der Tükei ist ein Umsturzversuch von Freitag geplatzt. Kommunikation scheint eine grosse Rolle gespielt zu haben. Der Coup war schlecht organisiert. Im Zeitalter von Handis ist das Geheimhalten von Plänen schwierig geworden. Auch konnte Erdogan mit seinem Händi an die Medien gelangen.


Spiegel:
Akin Öztürk wären nur noch sechs Wochen geblieben. Am 30. August sollte der türkische Vier-Sterne-General in Rente gehen. Öztürk hätte auf eine beachtliche Karriere innerhalb der Streitkräfte zurückgeblickt: Militär-Attaché in Tel Aviv, Kommandant der türkischen Luftwaffe mit engen Kontakten zur Nato, zuletzt Mitglied des Militärrats. Er gehörte zur Elite des Landes, galt als unantastbar. Nun aber kursieren Bilder in den türkischen Medien, die zeigen, wie Öztürk von Polizisten abgeführt wird. Der General soll für den Putschversuch gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan mitverantwortlich sein. Eine Gruppe innerhalb der Streitkräfte hatte in der Nacht von Freitag auf Samstag vorübergehend Teile Istanbuls und Ankaras besetzt gehalten, Panzer rollten durch die Strassen, Bomben detonierten, mindestens 265 Menschen kamen bei der Operation ums Leben, mehr als tausend wurden verletzt. Am Samstagvormittag erlangte die Regierung die Kontrolle über das Geschehen zurück. Mehr als 3000 Angehörige der Streitkräfte wurden verhaftet - darunter Öztürk. Ein ranghoher Regierungsbeamter bezeichnete den General als "Mastermind" hinter dem Putschversuch. Er soll eine vergleichsweise kleine "Verschwörergruppe" innerhalb des Militärs angeführt haben, der neben weiteren Führungskräften, wie etwa dem General der zweiten Armee, Adem Huduti, vor allem rangniedrige Soldaten angehörten. Nach Berichten türkischer Medien sind etliche von ihnen offenbar zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei dem Einsatz lediglich um eine Übung handle. Ein Mitarbeiter des Senders CNN Türk, der vorübergehend von den Putschisten besetzt wurde, berichtet, bei den Soldaten habe es sich überwiegend um junge Männer gehandelt. "Sie zitterten. Sie sagten, sie befolgten lediglich Befehle." Präsident Erdogan bezichtigte in einer Rede am Samstagabend in Istanbul erneut den islamistischen Prediger Fethullah Gülen, den Putsch orchestriert zu haben. Gülen, der seit den Neunzigerjahren im selbst gewählten Exil in Pennsylvania lebt, bestreitet die Vorwürfe, und auch deutsche Geheimdienstmitarbeiter halten eine Beteiligung des Predigers an dem Coup für eher unwahrscheinlich. Erdogan fordert von den USA trotzdem Gülens Auslieferung. Weltweit haben Politiker auf die aktuelle Lage in der Türkei reagiert die meisten unterstützen die Regierung Erdogans. Von Obama über Lawrow bis zur deutschen Bundesregierung: die Reaktionen in Zitaten. Nach Aussagen eines türkischen Offiziellen haben die Putschisten bereits detailliert festgelegt, wer von ihnen im Falle einer Machtübernahme Ämter in Regierung und Verwaltung übernehmen würde. Ermittler fanden angeblich eine Liste mit über hundert Namen von Personen, die als Gouverneure und Behördenchefs vorgesehen waren. Die Offiziere hätten für jeden Bezirk in der Türkei einen Militärkommandanten festgelegt. Die zivile Führung hätte komplett ausgetauscht werden sollen. Ziel der Putschisten sei es gewesen, zunächst strategisch wichtige Orte wie die Bosporus-Brücke und den Taksim-Platz in Istanbul zu besetzen und den Regierungssitz, den Präsidentenpalast und das Parlament in Ankara zu stürmen, sagt der Beamte. Sie hätten versucht, das Telefonnetz unter ihre Kontrolle zu bringen und die Medien abzuschalten. Jets sollten tief über Wohnhäusern fliegen, um die Menschen einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, auf die Strasse zu gehen. Ein Berater Erdogans sieht einen Zusammenhang zwischen dem Coup und der geplanten Umstrukturierung der Militärführung im August. Die Offiziere hätten gewusst, dass sie ihre Ämter verlieren und seien deshalb dazu gezwungen gewesen, schnell zu handeln. Der Putschversuch wirkte überhastet, schlecht geplant, geradezu dilettantisch. "Das war kein Coup. Das war die Kamikaze-Aktion einer skrupellosen Gruppe, die eher aus Frustration denn aus Kalkül gehandelt hat", sagt der Istanbuler Politikwissenschaftler Akin Ünver. Präsident Erdogan nützt den Vorfall trotzdem, um nun noch härter gegen Kritiker vorzugehen. Fast dreitausend Richter wurden abgesetzt, zwei Verfassungsrichter sollen verhaftet worden sein - wie zuvor schon zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte. Türkische Medien berichten, dass gegen 140 Richter und Staatsanwälte in der Türkei Festnahmebefehle ergangen sind. Erdogan will das Parlament zudem über die Wiedereinführung der Todesstrafe beraten lassen. Der Putsch durch das Militär wurde abgewendet. Die Demokratie in der Türkei wurde dadurch noch lange nicht gerettet.

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