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In der Tükei ist ein Umsturzversuch von Freitag geplatzt.
Kommunikation scheint eine grosse Rolle gespielt zu haben.
Der Coup war schlecht organisiert. Im Zeitalter von Handis ist
das Geheimhalten von Plänen schwierig geworden. Auch konnte
Erdogan mit seinem Händi an die Medien gelangen.
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Spiegel:
Akin Öztürk wären nur noch sechs Wochen geblieben. Am
30. August sollte der türkische Vier-Sterne-General in Rente
gehen. Öztürk hätte auf eine beachtliche Karriere innerhalb
der Streitkräfte zurückgeblickt: Militär-Attaché
in Tel Aviv, Kommandant der türkischen Luftwaffe mit engen Kontakten
zur Nato, zuletzt Mitglied des Militärrats. Er gehörte zur
Elite des Landes, galt als unantastbar. Nun aber kursieren Bilder
in den türkischen Medien, die zeigen, wie Öztürk
von Polizisten abgeführt wird. Der General soll für den
Putschversuch gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan
mitverantwortlich sein. Eine Gruppe innerhalb der Streitkräfte hatte
in der Nacht von Freitag auf Samstag vorübergehend Teile Istanbuls
und Ankaras besetzt gehalten, Panzer rollten durch die Strassen, Bomben
detonierten, mindestens 265 Menschen kamen bei der Operation ums Leben,
mehr als tausend wurden verletzt. Am Samstagvormittag erlangte die
Regierung die Kontrolle über das Geschehen zurück. Mehr als
3000 Angehörige der Streitkräfte wurden verhaftet - darunter
Öztürk. Ein ranghoher Regierungsbeamter bezeichnete den General
als "Mastermind" hinter dem Putschversuch. Er soll eine vergleichsweise
kleine "Verschwörergruppe" innerhalb des Militärs angeführt
haben, der neben weiteren Führungskräften, wie etwa dem
General der zweiten Armee, Adem Huduti, vor allem rangniedrige Soldaten
angehörten. Nach Berichten türkischer Medien sind etliche
von ihnen offenbar zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei
dem Einsatz lediglich um eine Übung handle. Ein Mitarbeiter des
Senders CNN Türk, der vorübergehend von den Putschisten besetzt
wurde, berichtet, bei den Soldaten habe es sich überwiegend um
junge Männer gehandelt. "Sie zitterten. Sie sagten, sie befolgten
lediglich Befehle." Präsident Erdogan bezichtigte in einer
Rede am Samstagabend in Istanbul erneut den islamistischen Prediger
Fethullah Gülen, den Putsch orchestriert zu haben. Gülen,
der seit den Neunzigerjahren im selbst gewählten Exil in
Pennsylvania lebt, bestreitet die Vorwürfe, und auch deutsche
Geheimdienstmitarbeiter halten eine Beteiligung des Predigers an
dem Coup für eher unwahrscheinlich. Erdogan fordert von den USA
trotzdem Gülens Auslieferung. Weltweit haben Politiker auf die
aktuelle Lage in der Türkei reagiert die meisten unterstützen
die Regierung Erdogans. Von Obama über Lawrow bis zur deutschen
Bundesregierung: die Reaktionen in Zitaten. Nach Aussagen eines
türkischen Offiziellen haben die Putschisten bereits detailliert
festgelegt, wer von ihnen im Falle einer Machtübernahme Ämter
in Regierung und Verwaltung übernehmen würde. Ermittler
fanden angeblich eine Liste mit über hundert Namen von Personen,
die als Gouverneure und Behördenchefs vorgesehen waren. Die
Offiziere hätten für jeden Bezirk in der Türkei einen
Militärkommandanten festgelegt. Die zivile Führung hätte
komplett ausgetauscht werden sollen. Ziel der Putschisten sei es gewesen,
zunächst strategisch wichtige Orte wie die Bosporus-Brücke
und den Taksim-Platz in Istanbul zu besetzen und den Regierungssitz,
den Präsidentenpalast und das Parlament in Ankara zu stürmen,
sagt der Beamte. Sie hätten versucht, das Telefonnetz unter ihre
Kontrolle zu bringen und die Medien abzuschalten. Jets sollten tief
über Wohnhäusern fliegen, um die Menschen einzuschüchtern
und sie davon abzuhalten, auf die Strasse zu gehen. Ein Berater
Erdogans sieht einen Zusammenhang zwischen dem Coup und der geplanten
Umstrukturierung der Militärführung im August. Die Offiziere
hätten gewusst, dass sie ihre Ämter verlieren und seien
deshalb dazu gezwungen gewesen, schnell zu handeln. Der Putschversuch
wirkte überhastet, schlecht geplant, geradezu dilettantisch. "Das
war kein Coup. Das war die Kamikaze-Aktion einer skrupellosen Gruppe,
die eher aus Frustration denn aus Kalkül gehandelt hat", sagt
der Istanbuler Politikwissenschaftler Akin Ünver. Präsident
Erdogan nützt den Vorfall trotzdem, um nun noch härter gegen
Kritiker vorzugehen. Fast dreitausend Richter wurden abgesetzt, zwei
Verfassungsrichter sollen verhaftet worden sein - wie zuvor schon zehn
Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder
des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte. Türkische
Medien berichten, dass gegen 140 Richter und Staatsanwälte in der
Türkei Festnahmebefehle ergangen sind. Erdogan will das Parlament
zudem über die Wiedereinführung der Todesstrafe beraten lassen.
Der Putsch durch das Militär wurde abgewendet. Die Demokratie in
der Türkei wurde dadurch noch lange nicht gerettet.