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Drohende Milliardenstrafe, wütende VW-Kunden, Kurssturz der Aktie,
das war gestern. Heute sind es elf Millionen Autos, die betroffen
sein könnten - alle mit einem bestimmten Motortyp, bei dem
laut Konzernmitteilung eine "auffällige Abweichung zwischen
Prüfungswerten und realem Fahrbetrieb" festgestellt wurde. 6,5
Milliarden Euro hat Finanzchef Hans Dieter Pötsch reserviert, um
die Kosten dieses Desasters abzudecken - allein für das aktuelle
Geschäftsjahr. Erstmal. Vorläufig. (...)
Mit starrem Entsetzen verfolgen Öffentlichkeit und Mitarbeiter
den Crash von Volkswagen Chart zeigen. Sie sehen, wie der Mythos
eines weltumspannenden Konzerns zerbröselt. Eines Konzerns,
der zuletzt auf der Automesse IAA noch den Bau von umweltschonenden
Qualitätsautos und die nachhaltige Produktion zu Kernbotschaften
erkoren hatte. Und mittendrin Martin Winterkorn, den sie intern immer
mit seinem Professorentitel ansprechen, so gross ist der Respekt, den
sie ihm zollen.
Die Stimmung schlägt um. Denn niemand - nicht die Beobachter von
aussen, nicht die wenigen innerhalb des Konzerns, die sich derzeit zu
dem Thema äussern - hat ein Argument parat, das zumindest im Ansatz
die Verantwortung relativiert, die Winterkorn in der Abgas-Affäre
hat. Die Frage lautet eigentlich schon nicht mehr, ob er gehen muss,
sondern allenfalls wann.
(...)
Laut einem Bericht des "Tagesspiegel" ist die Ablösung Winterkorns
sogar bereits beschlossene Sache. Das sei "Schwachsinn", teilte der
Konzern umgehend mit - und kurz darauf wandte sich der VW-Chef selbst
in einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit: Er werde nicht
zurücktreten, es wäre falsch, "wenn wegen der schlimmen Fehler
einiger weniger die harte und ehrliche Arbeit von 600.000 Menschen
unter Generalverdacht gerät", sagte Winterkorn. "Das hat unsere
Mannschaft nicht verdient. Auch deshalb bitten wir, bitte ich, um Ihr
Vertrauen auf unserem weiteren Weg", sagte er an Kunden, Behörden
und Öffentlichkeit gewandt. "Wir klären das auf", betonte
der 68-Jährige.
Ob das reicht, ist derzeit alles andere als gewiss. Noch vor wenigen
Monaten hatte der Aufsichtsrat geschlossen hinter dem Vorstandschef
gestanden, als es darum ging, ihn gegen Konzernpatriarchen Ferdinand
Piëch zu verteidigen - nun bröckelt die Unterstützung.
Denn jetzt steht mehr auf dem Spiel als Kontinuität an der
Spitze. Jetzt geht es um den Vertrauensverlust bei den Kunden,
wegbrechende Märkte, Kurseinbrüche an den Börsen und
die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Deshalb sind nun auch
die ersten Absetzbewegungen zu erkennen. Aufsichtsrat Lies etwa, mit
seiner Ankündigung von Konsequenzen, oder - etwas verklausulierter
- Betriebsratschef Bernd Osterloh, der sich überzeugt gab,
dass Winterkorn freiwillig zurücktreten würde, wenn sich
herausstellte, dass er selbst an dem mutmasslichen Betrug beteiligt war.
(...)
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