Eduard Schwyn ist Kunstpädagoge / Bildnerische Gestaltung. Zusammen
mit dem Germanisten Paul Weber hat er das Fach Medienkunde - heute
Kommunikation und Medien - an der Kantonsschule Schaffhausen etabliert
und unterrichtet. Bildnachweis:
René Magritte, Portrait of Edward James,
1937
Im sehr interessanten Beitrag von Herrn Marcus Knill, Medienberater,
unter dem Titel "Natürlichkeit versus Inszenierung" wirft der Autor
ein Licht auf eine zentrale Frage im weiten Feld der menschlichen
Kommunikation: Was wird im Ausdrucksverhalten eines Menschen
als natürlich, authentisch und echt erlebt? Was inszeniert,
aufgesetzt und gespielt wirkt, ist dagegen wenig glaubwürdig und
kaum überzeugend. Der angesprochene Artikel hat Fragen aufgeworfen
und mich zu erweiternden Gedanken angeregt. Um sich den schwierigen,
weil kaum fassbaren Begriffen vertiefend zu nähern, werde ich die
Thematik aus einer anderen Perspektive betrachten.
Aufnahmebereich
Unsere Lebenszeit verbringen wir im "Gehäuse"
unseres Inneren. In uns herrscht aber keine Dunkelheit, wir erleben
es täglich, es besteht Hoffnung. Dank unserer Sinnesorgane,
die gleichsam Fenster zur Aussenwelt sind, wird es uns möglich,
Eindrücke und Erfahrungen der Aussenwelt in uns aufzunehmen,
z.B. Phänomene der Erscheinungen der sichtbaren Aussenwelt, taktile
und akustische Eindrücke usw. Durch unendlich vielfältige
Verknüpfungen leben wir in einer lebendigen, sich stets
verändernden Innenwelt.
Zu unserem Wesen gehört die überlebensnotwendige Sehnsucht,
uns Anderen mitzuteilen, zu einem Du im Aussenraum in Beziehung zu
treten. Die Voraussetzungen dafür, dass dies gelingen kann,
sind Formen des Ausdrucks, mittels derer wir uns nach aussen wenden
können. Ohne Ausdrucksmittel blieben wir stumm und alleine. Die
Frage stellt sich: Wie müsste eine Botschaft beschaffen sein, um
vom Gegenüber wirklich so wahrgenommen und verstanden zu werden,
wie es der Sender wünscht? Der folgende Slogan bringt es auf den
Punkt: "Wer eine Botschaft sendet, will, dass sie ankommt." Alles klar,
wo ein Wille ist, ist auch ein Weg? Die entscheidende Frage: Wie muss
eine Botschaft beschaffen sein, um beim Empfänger anzukommen, wird
nicht erwähnt. In der Theorie wird vom gemeinsamen Zeichenvorrat
von Sender und Empfänger gesprochen, der dafür die unabdingbare
Basis bildet.
Ausdrucksträger Körper
Obwohl uns dies im Alltagsverhalten
selten bewusst wird, erweist sich die zwischenmenschliche Kommunikation
als ein äusserst situatives, komplexes und wechselwirkendes
Geschehen. Die besondere, zutiefst individuelle Art, in der wir
uns ausdrücken, ist eingebettet in ein Wirkungsgefüge mit
unterschiedlichen Komponenten. Einerseits mittels körpersprachlicher
Ausdrucksformen wie Mimik, Gestik, Körpersprache, Stimmlage,
Sprechrhythmus usw. Diese Ausdruckskanäle sind so alt wie die
Menschheit, über sie fliessen emotionale Regungen von innen nach
aussen, sie erzeugen beim Gegenüber Wirkungen und werden vor dem
Hintergrund seiner Erfahrungen gedeutet. Diese körpermedialen,
spontanen Ausdrucksformen könnte man am ehesten, weil meist
weniger bewusst, als authentisch, in Bezug auf den Ausgangstext, als
"natürlich" bezeichnen.
Ausdrucksträger Sprache
Beim sprachlichen Ausdruck muss dies
anders gesehen werden. In der zwischenmenschlichen Kommunikation ist
es uns meistens nicht mehr vergönnt, einfach nur natürlich
zu zwitschern wie die Vögel. Mit dieser Aussage möchte
ich unseren gefiederten Freunden ja nicht zu nahe treten, sie werden
sich - natürlich zwitschernd - wunderbar austauschen! Der zwar
alltägliche, aber eigentlich ungeheuerliche Akt der Umwandlung
von inneren Regungen, Erlebnissen, Gedanken, Ideen, Vorstellungen
und Überzeugungen ins digitale Zeichensystem der Sprache,
in möglichst adäquate Wörter und Sätze, ist
menschheitsgeschichtlich eine der bedeutendsten Erfindungen. Digital? Das
folgende uns allen bekannte Wort aus fünf Buchstaben in einer
bestimmten Reihenfolge "K-A-T-Z-E" haben wir gelernt zu verstehen,
es hat aber optisch überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem
geschmeidigen und pelzigen Tier, auf das es verweist. Die Entwicklung
der Sprache ist ein gewaltiger Akt des menschlichen Geistes. In ihrer
Anwendung, der Transformation von Ideen und Gefühlen ins Medium
der Sprache sind wir eigentlich "Übersetzer". Wir transportieren
gedankliches Gut von einem zum anderen Ufer, von unserer Innenwelt in
die Aussenwelt. Vor diesem Hintergrund ist die Sprache nicht der Natur,
sondern der Kultur des Menschen zuzuordnen.
Diese beiden angesprochenen Bereiche wirken im Gesprächsgeschehen
gleichzeitig, sie sind uns jeweils mehr oder weniger bewusst,
erzeugen als Wirkungseinheit die unverwechselbare Ausstrahlung
unserer Persönlichkeit. Vor allem der biografisch erworbene
sprachliche Ausdruck hat aufgrund der unabdingbaren Umsetzungsleistungen
unweigerlich auch mit mehr oder weniger Selbstinszenierung zu tun. Wer
sich äussert, tritt nach aussen, offenbart sich. Masken hingegen,
auch in Form von Inszenierungen, sind Hüllen, werden von aussen
aufgesetzt, sind nicht von innen nach aussen gewachsen. Wer sich maskiert,
verhüllt etwas und täuscht etwas anderes vor. Authentisches
Handeln und Sprechen sind nicht maskiert.
Beispielsweise ein Weinliebhaber, der bisher noch nie jemals eine
Affinität zur poetischen Sprache gezeigt hat, tut dies - zum
Erstaunen aller - vor den Weinflaschen in seinem Keller. In üppigen,
blumigen Worten, unterstützt von einer ihm fremd anstehenden Mimik
und in überschwänglicher Gestik schildert er die sinnlichen
Gaumengefühle der verschiedenen Weinabgänge. Keiner glaubt ihm,
weder eine "Blume", noch eine "Traube", selbst die Flaschenböden
starren die Zuhörer verzweifelt an. Er, so glaubt und erlebt er
vielleicht, hat einen Zugang zur Poesie gefunden. Wir dürfen uns
aufgrund der Wirkung seines Auftritts eigentlich nicht anmassen, sein
inneres Erleben wirklich nachzuempfinden.
Die Frage, wie eine Aussage "beschaffen" sein muss, um glaubwürdig,
eventuell überzeugend anzukommen, ist rezepthaft nur schlecht zu
beantworten. In Ausdrucks-, Übermittlungs- und Aufnahmeprozessen
wirken äusserst viele bewusste und unbewusste Momente. Auf bestimmte
Themen kann man sich durch Übungen in Selbst- und Fremdwahrnehmung
sicher sensibilisieren und es entsprechend anwenden. Inwieweit
solch erworbenes Ausdrucksverhalten bei Empfängern wirklich
überzeugend ankommt, wird von spezifischen Fähigkeiten des
Senders abhängig sein. Die möglichst stimmige Verschränkung
des Inhalts (Was) mit der Form (Wie) stellt in der Kommunikation eine
zentrale Schwierigkeit dar. Die Übereinstimmung dieses "Gespanns"
ist für die Übermittlung von tragender Bedeutung.
Eine Botschaft, die glaubwürdig ankommt, wird einerseits im
Innern des Sprechenden von Überzeugung getragen, andererseits im
sprachlichen Ausdruck überzeugend formuliert sein. Ich glaube
nicht daran, dass das eine ohne das andere eine positive Resonanz
entfalten kann.