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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Okt, 2014)

Natuerlichkeit versus Inszenierung

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Wer spricht, tritt aus sich heraus

Eduard Schwyn

Eduard Schwyn ist Kunstpädagoge / Bildnerische Gestaltung. Zusammen mit dem Germanisten Paul Weber hat er das Fach Medienkunde - heute Kommunikation und Medien - an der Kantonsschule Schaffhausen etabliert und unterrichtet. Bildnachweis: René Magritte, Portrait of Edward James, 1937


Im sehr interessanten Beitrag von Herrn Marcus Knill, Medienberater, unter dem Titel "Natürlichkeit versus Inszenierung" wirft der Autor ein Licht auf eine zentrale Frage im weiten Feld der menschlichen Kommunikation: Was wird im Ausdrucksverhalten eines Menschen als natürlich, authentisch und echt erlebt? Was inszeniert, aufgesetzt und gespielt wirkt, ist dagegen wenig glaubwürdig und kaum überzeugend. Der angesprochene Artikel hat Fragen aufgeworfen und mich zu erweiternden Gedanken angeregt. Um sich den schwierigen, weil kaum fassbaren Begriffen vertiefend zu nähern, werde ich die Thematik aus einer anderen Perspektive betrachten.

Aufnahmebereich

Unsere Lebenszeit verbringen wir im "Gehäuse" unseres Inneren. In uns herrscht aber keine Dunkelheit, wir erleben es täglich, es besteht Hoffnung. Dank unserer Sinnesorgane, die gleichsam Fenster zur Aussenwelt sind, wird es uns möglich, Eindrücke und Erfahrungen der Aussenwelt in uns aufzunehmen, z.B. Phänomene der Erscheinungen der sichtbaren Aussenwelt, taktile und akustische Eindrücke usw. Durch unendlich vielfältige Verknüpfungen leben wir in einer lebendigen, sich stets verändernden Innenwelt.

Zu unserem Wesen gehört die überlebensnotwendige Sehnsucht, uns Anderen mitzuteilen, zu einem Du im Aussenraum in Beziehung zu treten. Die Voraussetzungen dafür, dass dies gelingen kann, sind Formen des Ausdrucks, mittels derer wir uns nach aussen wenden können. Ohne Ausdrucksmittel blieben wir stumm und alleine. Die Frage stellt sich: Wie müsste eine Botschaft beschaffen sein, um vom Gegenüber wirklich so wahrgenommen und verstanden zu werden, wie es der Sender wünscht? Der folgende Slogan bringt es auf den Punkt: "Wer eine Botschaft sendet, will, dass sie ankommt." Alles klar, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg? Die entscheidende Frage: Wie muss eine Botschaft beschaffen sein, um beim Empfänger anzukommen, wird nicht erwähnt. In der Theorie wird vom gemeinsamen Zeichenvorrat von Sender und Empfänger gesprochen, der dafür die unabdingbare Basis bildet.

Ausdrucksträger Körper

Obwohl uns dies im Alltagsverhalten selten bewusst wird, erweist sich die zwischenmenschliche Kommunikation als ein äusserst situatives, komplexes und wechselwirkendes Geschehen. Die besondere, zutiefst individuelle Art, in der wir uns ausdrücken, ist eingebettet in ein Wirkungsgefüge mit unterschiedlichen Komponenten. Einerseits mittels körpersprachlicher Ausdrucksformen wie Mimik, Gestik, Körpersprache, Stimmlage, Sprechrhythmus usw. Diese Ausdruckskanäle sind so alt wie die Menschheit, über sie fliessen emotionale Regungen von innen nach aussen, sie erzeugen beim Gegenüber Wirkungen und werden vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen gedeutet. Diese körpermedialen, spontanen Ausdrucksformen könnte man am ehesten, weil meist weniger bewusst, als authentisch, in Bezug auf den Ausgangstext, als "natürlich" bezeichnen.

Ausdrucksträger Sprache

Beim sprachlichen Ausdruck muss dies anders gesehen werden. In der zwischenmenschlichen Kommunikation ist es uns meistens nicht mehr vergönnt, einfach nur natürlich zu zwitschern wie die Vögel. Mit dieser Aussage möchte ich unseren gefiederten Freunden ja nicht zu nahe treten, sie werden sich - natürlich zwitschernd - wunderbar austauschen! Der zwar alltägliche, aber eigentlich ungeheuerliche Akt der Umwandlung von inneren Regungen, Erlebnissen, Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Überzeugungen ins digitale Zeichensystem der Sprache, in möglichst adäquate Wörter und Sätze, ist menschheitsgeschichtlich eine der bedeutendsten Erfindungen. Digital? Das folgende uns allen bekannte Wort aus fünf Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge "K-A-T-Z-E" haben wir gelernt zu verstehen, es hat aber optisch überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem geschmeidigen und pelzigen Tier, auf das es verweist. Die Entwicklung der Sprache ist ein gewaltiger Akt des menschlichen Geistes. In ihrer Anwendung, der Transformation von Ideen und Gefühlen ins Medium der Sprache sind wir eigentlich "Übersetzer". Wir transportieren gedankliches Gut von einem zum anderen Ufer, von unserer Innenwelt in die Aussenwelt. Vor diesem Hintergrund ist die Sprache nicht der Natur, sondern der Kultur des Menschen zuzuordnen.

Diese beiden angesprochenen Bereiche wirken im Gesprächsgeschehen gleichzeitig, sie sind uns jeweils mehr oder weniger bewusst, erzeugen als Wirkungseinheit die unverwechselbare Ausstrahlung unserer Persönlichkeit. Vor allem der biografisch erworbene sprachliche Ausdruck hat aufgrund der unabdingbaren Umsetzungsleistungen unweigerlich auch mit mehr oder weniger Selbstinszenierung zu tun. Wer sich äussert, tritt nach aussen, offenbart sich. Masken hingegen, auch in Form von Inszenierungen, sind Hüllen, werden von aussen aufgesetzt, sind nicht von innen nach aussen gewachsen. Wer sich maskiert, verhüllt etwas und täuscht etwas anderes vor. Authentisches Handeln und Sprechen sind nicht maskiert.

Beispielsweise ein Weinliebhaber, der bisher noch nie jemals eine Affinität zur poetischen Sprache gezeigt hat, tut dies - zum Erstaunen aller - vor den Weinflaschen in seinem Keller. In üppigen, blumigen Worten, unterstützt von einer ihm fremd anstehenden Mimik und in überschwänglicher Gestik schildert er die sinnlichen Gaumengefühle der verschiedenen Weinabgänge. Keiner glaubt ihm, weder eine "Blume", noch eine "Traube", selbst die Flaschenböden starren die Zuhörer verzweifelt an. Er, so glaubt und erlebt er vielleicht, hat einen Zugang zur Poesie gefunden. Wir dürfen uns aufgrund der Wirkung seines Auftritts eigentlich nicht anmassen, sein inneres Erleben wirklich nachzuempfinden.

Die Frage, wie eine Aussage "beschaffen" sein muss, um glaubwürdig, eventuell überzeugend anzukommen, ist rezepthaft nur schlecht zu beantworten. In Ausdrucks-, Übermittlungs- und Aufnahmeprozessen wirken äusserst viele bewusste und unbewusste Momente. Auf bestimmte Themen kann man sich durch Übungen in Selbst- und Fremdwahrnehmung sicher sensibilisieren und es entsprechend anwenden. Inwieweit solch erworbenes Ausdrucksverhalten bei Empfängern wirklich überzeugend ankommt, wird von spezifischen Fähigkeiten des Senders abhängig sein. Die möglichst stimmige Verschränkung des Inhalts (Was) mit der Form (Wie) stellt in der Kommunikation eine zentrale Schwierigkeit dar. Die Übereinstimmung dieses "Gespanns" ist für die Übermittlung von tragender Bedeutung.

Eine Botschaft, die glaubwürdig ankommt, wird einerseits im Innern des Sprechenden von Überzeugung getragen, andererseits im sprachlichen Ausdruck überzeugend formuliert sein. Ich glaube nicht daran, dass das eine ohne das andere eine positive Resonanz entfalten kann.


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