Felix Müngers Buch "Reden die Geschichte schrieben. Stimmen zur Schweiz"
das im Verlag "Hier und Jetzt" gerade erschienen ist, wurde im
Tagi besprochen.
Auf SRF sind Tonquellen und
Zusammenfassungen.
Felix Münger hat 10 Beispiele ausgesucht, die vom Jahre 1914 bis 1992 reichen:
"I have a dream", "Ich bin ein Berliner", "Wollt ihr den totalen
Krieg?" - Einzelne Sätze historischer Reden haben sich ins
kollektive Gedächtnis eingebrannt. In beschränktem Mass
gilt das auch für die Schweiz: Auch hier wurden Ansprachen
gehalten, von denen Schlüsselsätze zum zitierfähigen
Allgemeingut wurden. So Friedrich Dürrenmatts Rede von 1990
über die "Schweiz als Gefängnis" oder die Ansprache von 1942,
in der Bundesrat Eduard von Steiger das Bild der Schweiz als "kleines
Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen" prägte.
Im -Kollektivgedächtnis ist diese Rede zur Parole geschrumpft, die
immer dann -zitiert wird, wenn die Schweiz von Überfremdungsangst
geplagt wird: Aus dem "kleinen Rettungsboot mit beschränktem
Fassungsvermögen" wird dann "das Boot ist voll".
Angesichts solcher Verkürzungen ist es verdienstvoll, dass der
Historiker und Radiojournalist Felix Münger in seinem Buch
zehn Reden aus dem 20.#Jahrhundert versammelt hat, die bedeutend
sind für das Verständnis der Schweizer Historie. Neben den
Ansprachen von Dürrenmatt und von Steiger findet sich darin auch
das Statement, mit dem Elisabeth Kopp 1988 ihren Rücktritt als
Bundesrätin erklärte. Emilie Lieberherrs Ansprache an einer
Kundgebung für die Gleichberechtigung, mit der sie 1969 in Bern
dem Frauenstimmrecht zum Durchbruch verhalf, ist ebenso nachgedruckt
wie die Albisgüetli-Rede, mit der Blocher 1992 seine Getreuen auf
die bevorstehende EWR-Abstimmung einschwor. Weniger gegenwärtig
sind die Rede des SP-Nationalrats und Arbeiterführers Robert Grimm
anlässlich des Landesstreiks von 1918 oder jene Carl Spittelers,
mit dem der Schweizer Literatur-nobelpreisträger 1914 den nationalen
Zusammenhalt und die Neutralität des Landes forderte.
Münger geht es bei seiner Auswahl nicht um die rhetorische
Qualität der Reden. Sondern darum, Schlaglichter auf die Schweizer
Geschichte zu werfen. Deshalb gibt es zu jeder Rede eine umfangreiche
Einleitung, in dem der Kontext skizziert wird. Zudem ist Münger
darum bemüht, die Redesituationen atmos-phärisch dicht zu
beschreiben, damit man sie beim Lesen sozusagen "live" nacherleben
kann. Zur Rede Eduard von Steigers gibt es also nicht nur eine kompakte
Darstellung der schweizerischen Flüchtlingspolitik während
des Zweiten Weltkriegs. Vielmehr vermittelt Münger auch, warum das
Bild vom Rettungsboot bei von Steigers Zuhörern keine Wellen warf:
Die jungen Protestanten, die sich im August 1942 im Hallenstadion zu
einer Landsgemeinde einer kirchlichen Organisation versammelt hatten,
waren nicht mehr aufnahmefähig, da sie schon zu viele Ansprachen
und Predigten -hören mussten.
Münger wählte auch Ansprachen, die fast vergessene Ereignisse
vergegenwärtigen, so etwa die Katastrophe, die sich 1965 beim
Bau des Mattmark-Staudamms im Wallis ereignete. Bei dem Bergsturz kamen
88#Arbeiter ums Leben, weil man ihre Unterkünfte in der Falllinie des
Gletschers gebaut hatte. Die Rede, die Bundesrat Hans Peter Tschudi nach
der Tragödie hielt, gehört zu den Unsternstunden der Schweizer
Geschichte: Tschudi war nämlich der felsenfesten Überzeugung,
das Schweizervolk habe den "biblischen Auftrag", den "ihm zustehenden
Teil der Erde untertan zu machen". Damit macht er die toten Arbeiter, die
vornehmlich italienische Gastarbeiter waren, zu Opfern einer helvetischen
Landnahme im Auftrag Gottes.