Gibt es ein Recht auf Vergessen?
Ein Europäisches Gericht in Spanien hat beschlossen, dass
Suchmaschinen unter Umständen Links zu personenbezogenen Daten
löschen muss. Das heisst nicht, dass das Material verschwinden muss.
Es heisst nur, dass es schwieriger zu finden ist.
Funktioniert das? Es ist zu bezweifeln:
- Die Information kann auf anderen Suchmaschinen oder in anderen Ländern
immmer noch gefunden werden.
- Zensierte Information wird wahrscheinlich noch stärkere Aufmerksamkeit
erlangen. Die Information über Mario Costeja Gonzlez zum Beispiel wurde
nun in allen Medien bekannt. Jederman weiss nun, dass er wegen Steuerschulden
sein Haus verloren hatte. Und der Link
auf der Zeitung ist nun erst recht zu finden. [PDF des Artikels]
Diese Information ist jetzt erst recht verewigt. Es ist der Streisand Effekt.
- Die Option, Links von sich zum Veschwinden zu bringen, wird nur für Leute
mit erheblichen Kapital erschwinglich sein. Es braucht Anwälte und deshalb
Geld und Zeit. Die Option ist nur was für Leute mit Vermögen, die sich
den Aufwand leisten können.
|
|
Was tatsächlich passieren könnte ist, dass Vorstösse, Information zum
Verschwinden zu bringen, die Information erst recht ins Rampenlicht stellt.
Der
Spiegel
meint: Auf den ersten Blick sinnvoll, auf den zweiten Kosmetik.:
Google ist unser Fenster ins Web. Mit einem Marktanteil von über 90
Prozent bestimmt die Suchmaschine, welche Informationen wir finden. Was
nicht in den Google-Treffern auftaucht, hat in der Wahrnehmung vieler
zunächst nicht stattgefunden.
Künftig sollen Nutzer mitreden können, was dort
über sie selbst auftaucht. Unter Umständen, hat der
Europäische Gerichtshof entschieden, muss Google Einträge
löschen.
Die grossen Fragen lauten: Wie reagiert der Konzern, wenn Zehntausende
Menschen unliebsame Treffer entfernt haben wollen, weil diese nicht mehr
relevant sind, nicht mehr aktuell, oder schlicht unangenehm? Lässt
es Google dann jeweils auf ein Gerichtsverfahren ankommen? Oder wird
das Unternehmen fragliche Einträge nach eigener Prüfung lieber
löschen?
Für Google sind das keine grundsätzlich neuen Fragen. Schon
jetzt darf der Quasi-Monopolist nicht einfach abbilden, was seine Roboter
im Netz alles finden. Schon jetzt beseitigt Google regelmässig
Treffer.
Finden Rechteinhaber illegale Kopien, zum Beispiel von Filmen
oder Musikalben, können sie Google den Link zur Entfernung
übermitteln. Ganz so, wie es das US-Copyright vorsieht. Google
lässt solche Links nach einer Prüfung verschwinden.
Was für illegale Kopien gilt, soll nun auch für Personen
gelten: Sie sollen ihr in der Europäischen Union verbrieftes Recht
durchsetzen können. Um es klar zu sagen: Die Inhalte fehlen in der
Ergebnisliste der Suchmaschine, sie sind viel schwerer zu finden. Doch
gelöscht sind sie nicht.
Auf den ersten Blick ist das Google-Urteil eine ebenso
überfällige wie sinnvolle Entscheidung. Entsprechend
gross ist der Jubel. Grünen-Politiker und selbst die
Piratenfraktion in Schleswig-Holstein freuen sich über das Recht
auf Informationssperren. Es sind Vertreter jener Parteien, die einst
"Löschen statt Sperren" gefordert haben.
Pressestimmen zitiert die Times:
Webnutzern wird der Zugang zu öffentlich verfügbaren
Informationen verweigert. Personen können dunkle Kapitel ihrer
Vergangenheit einfach verschwinden lassen. Der Gerichtshof hat mit diesem
Urteil unser wichtigstes Recht auf Meinungsfreiheit beschädigt."
Aus der
Netzwoche:
Eine Frage, die das Urteil nicht klärt, ist, wann ein Suchergebnis sensibel genug ist um gelöscht zu werden. Der EuGH schreibt
hierzu in seinem Urteil, dass dieser Zeitpunkt gegeben ist, wenn "die Informationen in Anbetracht aller Umstände des
Einzelfalls den Zwecken der in Rede stehenden Verarbeitung durch den Suchmaschinenbetreiber nicht entsprechen,
dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen."
Mehrere Kommentatoren, wie zum Beispiel die deutsche Website Golem, kritisieren diesen Satz
als "schwammig". Sie zitiert den deutschen Rechtsanwalt Christian Solmecke, der eine Flut
von Prominenten-Klagen kommen sieht, die versuchen werden, ihnen unangenehme Links entfernen
zu lassen. Die Arbeit von Journalisten könnte so drastisch eingeschränkt werden, da für
diese das Internet heute zum wichtigsten Recherchetool geworden ist. Ein Problem entstehe
vor allem dann, wenn Personen Suchmaschinenergebnisse nach eigenem Belieben manipulieren
könnten. Noch sei es aber alles andere als klar, dass es soweit kommt.
Aus der
NZZ:
Erstens betrifft das Urteil zwar alle Suchmaschinenbetreiber, nicht
aber soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, die ihrerseits
personenbezogene Daten archivieren. Zweitens ist das nun gefällte
Urteil insofern bedingt, als dass nur "unter bestimmten Voraussetzungen"
Links zu heiklen Inhalten gelöscht werden müssen. Ob diese
Bedingungen erfüllt sind, ist im Einzelfall zu prüfen;
Informationen zu Personen des öffentlichen Lebens etwa könnten
ausgenommen sein. Drittens bewirkt das EuGH-Verdikt nicht, dass die
Inhalte selbst gelöscht werden - sie werden nur nicht mehr durch
Suchmaschinen indexiert.
Das Urteil PDF: