Markus Lanz hat sich wie ein wildgewordener Kleinbürger benommen, er
war unhöflich, aufdringlich und laut, er war grenzüberschreitend
und dabei von einem vorgetäuschten Willen zur politischen Härte
und Aufklärung getrieben. Er beleidigte nicht nur seinen Gast Sahra
Wagenknecht, er desavouierte gleich auch noch sein Studiopublikum, er
unterbrach Wagenknecht mit kindischer Penetranz und nannte sie dafür
am Ende "frech", was im geschmacksverstärkten Gebührenfernsehen
ja ein Moment der tragischen Schönheit und der Wahrheit hätte
sein können; alle Masken unten, alle Menschen nackt - wenn dieser
Auftritt nicht viel zu armselig und damit auf unangenehme Weise erhellend
gewesen wäre. Eine Art rhetorischer Zangenübergriff von Lanz
gemeinsam mit Hans-Ulrich Jörges, der das Wort "Stuss" so heftig
hervorstiess, dass es wie eine Form der Schnappatmung wirkte.
So weit also nichts Neues aus der Vorhölle des
deutschen Fernsehens. Und es wäre auch das ganz normale
ZDF-Donnerstagabend-Fiasko geblieben, ein bisschen Verwunderung über
die Farce, die einem dort geboten wird, ein bisschen Verärgerung
über das Geld, dass sie dafür bekommen, ein bisschen
vorgespielte Zerknirschung aus dem Apparat heraus, wenn es nur um
Markus Lanz gegangen wäre. Aber die Wut, die sich an diesem einen
symptomatisch missglückten Interview entlud, ist ja eben mehr als
die Wut auf einen Moderator, der verlässlich versagt. Es ist die
Wut auf einen Sender und auf ein System, das einen wesentlichen Teil
seiner Zuschauer seit Jahren mit Verachtung straft und diese Verachtung
nun in Form einer zornigen Online-Petition zurück bekommt.
Denn das war der Kern, das Motiv, das eigentlich Verstörende an dem
Auftritt von Markus Lanz - die Art und Weise, wie er sein Denken als das
Denken der Mehrheit und als das einzig vernünftige und mögliche
und wahre Denken präsentierte, alles auf die Spitze getrieben in
der bekenntnishaften und zwanghaft wiederholten Quatschfrage an Sarah
Wagenknecht: Für Europa oder gegen Europa, sind Sie für oder
gegen Europa, sagen Sie schon, im Ernst, ernsthaft, kommen Sie schon,
für oder gegen Europa!? Was sich anhörte wie: Sind Sie für
uns oder gegen uns? Machst du mit oder bist du ein Verräter?
Schwer vorstellbar, dass Markus Lanz am Samstag in "Wetten, dass..?"
seinen Gästen - der Sängerin Yvonne Catterfeld, dem
Komiker Atze Schröder und dem "Bergdoktor" Hans Sigl mit
unbequemen Fragen auf den Leib rücken wird. Sein Pensum an
kritischem Journalismus hat er in der nach ihm benannten Talkshow am
16. Januar bereits übererfüllt, als er Sahra Wagenknecht
nach charmanter Anmoderation ("die schönste Linke aller Zeiten")
einmal so richtig zeigte, dass er nicht nur nette Seiten hat. Er
deckte die Linken-Politikerin mit dümmlichen Unterstellungen
und inquisitorischen Fragen ein und fuhr ihr bei jedem Antwortversuch
lächelnd über den Mund. (...)
Markus Lanz, die Allzweckwaffe des ZDF, hat es derzeit nicht
leicht. Die Quoten von "Wetten, dass..?" rauschen in den
Keller; selbst Hollywood lacht angeblich schon über die
Schokoladenduschen, Sackhüpfspiele und Schleimereien des
Gottschalk-Nachfolgers. Lanz-Bashing ist in: Auf dem Twitter-Hashtag
#Lanz wird nach Herzenslust gepöbelt, der Facebook-Daumen senkt
sich bedrohlich über dem Gladiator in der Arena. Web-Sites wie
Hat-markus-lanz-etwas-aufgedeckt.de und Medienkritiker wie Stefan
Niggemeier bezweifeln die journalistische Kompetenz des 44-jährigen
Südtirolers. (...)
"Wenn der Shitstorm kommt", sagte Lanz einmal, "müssen Sie
in der Lage sein, gedanklich einfach mal die Spültaste zu
drücken." Jetzt steht er knietief im Shitsturm und kann sich mit
jedem Wort nur noch tiefer hineinreiten. Sein Schweigen könnte da die
Rettung sein. Der Wirbel um das Gabriel-Interview der ZDF-Moderatorin
Marietta Slomka kürzlich zeigte, wie gereizt das Klima in der
Mediendemokratie inzwischen ist.