Boris Becker müsste lernen, dass
Mediengeilheit sich rächt. Früher wollten alle Leute in den Himmel, heute wollen
sie ins Fernsehen, hatte schon Kurt Felix gewusst. Nach einer Autobiographie und
peinlichen Fernsehauftritten von Boris Becker hat die "Welt" den Begriff
"Das Becker Syndrom" geschaffen. Es ist das Bedürftnis von ehemaligen
Stars oder Prominenten, immer und immer wieder in die Medien zu gelangen. Boris Becker
ist ein Beispiel, bei dem ein Sportidol beim Altern die Kurve nicht gut hinkriegt.
Spiegel: Selbstdemontage von Boris Becker:
Stille ist für alte Helden schwer auszuhalten. Genauso wie die
Wahrheit, dass man eigentlich noch jung ist, aber das Grösste im
Leben bereits erreicht hat. Die Vergangenheit wird die Gegenwart und
die Zukunft immer überragen. Die Show ist vorbei, aber wie lebt
man ohne die Show?
Maradona war der grösste Fussballspieler aller Zeiten. Nach der
Karriere wurde er unglaublich fett, versagte als Nationaltrainer,
oft wirkte er vollkommen irre, und einmal erklärte man ihn schon
für tot, krepiert an Drogen und Exzess.
Aber immerhin: Maradona scheitert wie ein Rockstar. Wie jemand, der in
einem Slum von Buenos Aires gross wurde und langsam an seinem Genie,
seinem Aufstieg und seinem Wahnsinn ersticken könnte. Es wäre
nachvollziehbar. Zwangsläufig. Boris Becker aber scheitert wie ein
Architektensohn aus Leimen. Selbstgefällig, inszeniert und grundlos.
Falls es einen Tennisgott gibt, dann soll er Boris Becker bitte einen
weisen, väterlichen Mann schicken. Einen guten Berater. Jemanden,
der zu Becker immer wieder sagt: Quiet, please. Oder meinetwegen auch:
Shut the fuck up, Boris!
Dazu empfehle ich eine Kindersicherung für das Handy. Und
Twitter-Verbot. Und Fernsehstudioverbot. Und Schreibverbot. Ich
möchte in ein paar Jahren nicht die dritte Autobiografie
lesen. Bitte, Boris!
Welt::
Boris Beckers Selbstinszenierung in dem zweiten Teil seiner Autobiografie
ist peinlich - aber kein Einzelphänomen. Viele unserer Helden
leiden am Karriere-Ende und lechzen nach Aufmerksamkeit. Von Pia Frey
Boris Becker hat sich nicht gerade beliebt gemacht mit seinem neuen
Buch. Darin lästert er über seine Ex-Partnerinnen.
"Er ist alles, was ein Champion sein muss: freundlich, respektvoll,
beherrscht." Kann man sich heute noch vorstellen, dass es hier, in einem
Artikel aus dem Jahr 1986, um Boris Becker geht?
Der blasse 17-Jährige hatte gerade zum ersten Mal Wimbledon
gewonnen - und Sportgeschichte geschrieben. In frühen Interviews
aus den 80er-Jahren wirkt er schüchtern und irritiert vom
"Bum-Bum-Boris"-Hype. Der Junge mit den Sommersprossen und der harten
Vorhand war Volksheld Nummer eins.
Jetzt, 28 Jahre später, ist er wieder in den Schlagzeilen: Auf
dem Cover der "Gala" blinzelt ein aufgedunsener, älterer Herr mit
dünnem Haar ins Licht, der vergessen hat, wofür er eigentlich
berühmt sein will. Diese Woche erscheint der zweite Teil seiner
Autobiografie. In "Das Leben ist kein Spiel" möchte er nach eigener
Aussage "die Dinge ins rechte Licht rücken".
(...)
Möglicherweise prädestiniert sie die Erfahrung, schon
zu Karrierezeiten eine Legende geworden zu sein, zu ihrem tiefen
Fall. Egal ob Tennis- oder Fussball-Legende - es ist gewesen und
vorbei. Sport-Legenden haben es offenbar mit dieser Erkenntnis besonders
schwer. Wenn der Sportlerkörper rostet, die Wampe wächst und
die Muskeln erschlaffen, müssen die Althelden anerkennen, für
die Leistung und nicht als Mensch gefeiert worden zu sein. Comeback
ausgeschlossen. Gänsehaut-Momente auf dem Siegertreppchen sind perdu,
ein historischer Sieg ist Geschichte.
Sicher trägt auch die "Yes you can"-Mentalität von Topsportlern
zur Tragik bei: "Niemals aufgeben! Wenn du hart genug kämpfst,
schaffst Du es." Also kämpfen sie - "Bobbele" auf Twitter,
"Loddar" mit Beziehungswechseln und "Effe" knutschend im Wiesnzelt -
um Aufmerksamkeit.
Auffällig ausserdem, dass vor allem Männer
unter dem Becker-Syndrom leiden. Oder kennt jemand derartig
verhaltensauffällige Ex-Topsportlerinnen? Offenbar gibt es hier eine
Verwandtschaft zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS. Von dem sind ja
auch meistens Jungs betroffen.
Trotz allem gibt es genug Sportler, die sich erfolgreich damit
arrangierten, ihren Zenit überschritten zu haben. Tennis-Star Michael
Stich zog sich nach seinem letzten Finale zurück und engagiert
sich heute in Stiftungen, Zehnkampf-Weltrekordler Kurt Bendlin wurde
gefragter Vortragsredner bei Manager-Seminaren und auch Olli Kahn hat
die Kurve gekriegt, kehrt zur Uni zurück und schreibt jenseits des
Rampenlichts an seiner Promotion.
(...)
Vielleicht sollten hyperaktive Altsportler einmal Beckers ehemalige
Doppel-Partnerin Steffi Graf um ein Beratungsgespräch bitten. Graf
zog sich nach ihrem letzten Finale diskret zurück, ist immer
noch mit ihrem ersten Mann Andre Agassi zusammen, meidet Kameras und
Home-Stories. Und trotzdem hat sie das geschafft, was all die Lothars,
Effes und Beckers so dringend wollten: Sie ist Siegerin geblieben.
WAZ" Warum macht sich Boris Becker
zum Affen?.
Graf oder Michael Stich liessen ihre Tenniskarrieren elegant ausklingen,
lassen sich auch heute nur sporadisch dort blicken, wo Kameras zu
erwarten sind. Es gehört Kraft dazu, Klasse, sich im richtigen
Augenblick zurückzuziehen. Vielleicht auch nur ein guter Berater.
Die Welt lacht über Boris Becker, und er hört nicht hin.
Manche aber wollen berühmt bleiben, indem sie die tägliche
Bestätigung ihres Status' erzwingen. Um jeden Preis. Boris
Becker wollte oder konnte sich von der vermeintlichen Liebe einer
unterhaltungssüchtigen Öffentlichkeit nicht verabschieden. Einer
Öffentlichkeit, die ihre Idole manchmal ganz schnell abserviert.
Ein weiterer Tiefpunkt für Becker
Auch Schauspielern fällt das würdige Altern oft schwer. Sportler
allerdings müssen ihre neue Rolle erst einmal suchen. Vielen,
aber nicht allen gelingt das. Das Drehbuch, das Boris Becker für
sich schrieb, reihte zwischen kuriosen Frauengeschichten, Baupleiten
und Steuerhinterziehung Peinlichkeiten aneinander.
Am Freitagabend steuert er beim Fernsehclown Oliver Pocher auf einen
Tiefpunkt zu. Ein Boulevardblatt behauptet, er und seine Frau kassierten
250.000 Euro für den Auftritt, vielleicht braucht er das Geld sogar.
Die Welt lacht über Boris Becker, und er hört nicht hin. Das
kann man verurteilen. Man kann es auch einfach nur traurig finden.