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www.rhetorik.ch aktuell: (25. Okt, 2013)

Das Becker Syndrom

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Eine Szene aus der Show. "Finale im Käfig": Becker wird im Käfig vorgeführt und muss sich noch schwitzend wie ein Hamster in der Kiste herummühen, während Sieger Pocher sich im Publikum suhlt und schon ein Interview gibt.
Boris Becker müsste lernen, dass Mediengeilheit sich rächt. Früher wollten alle Leute in den Himmel, heute wollen sie ins Fernsehen, hatte schon Kurt Felix gewusst. Nach einer Autobiographie und peinlichen Fernsehauftritten von Boris Becker hat die "Welt" den Begriff "Das Becker Syndrom" geschaffen. Es ist das Bedürftnis von ehemaligen Stars oder Prominenten, immer und immer wieder in die Medien zu gelangen. Boris Becker ist ein Beispiel, bei dem ein Sportidol beim Altern die Kurve nicht gut hinkriegt.

Spiegel: Selbstdemontage von Boris Becker:

Stille ist für alte Helden schwer auszuhalten. Genauso wie die Wahrheit, dass man eigentlich noch jung ist, aber das Grösste im Leben bereits erreicht hat. Die Vergangenheit wird die Gegenwart und die Zukunft immer überragen. Die Show ist vorbei, aber wie lebt man ohne die Show? Maradona war der grösste Fussballspieler aller Zeiten. Nach der Karriere wurde er unglaublich fett, versagte als Nationaltrainer, oft wirkte er vollkommen irre, und einmal erklärte man ihn schon für tot, krepiert an Drogen und Exzess. Aber immerhin: Maradona scheitert wie ein Rockstar. Wie jemand, der in einem Slum von Buenos Aires gross wurde und langsam an seinem Genie, seinem Aufstieg und seinem Wahnsinn ersticken könnte. Es wäre nachvollziehbar. Zwangsläufig. Boris Becker aber scheitert wie ein Architektensohn aus Leimen. Selbstgefällig, inszeniert und grundlos. Falls es einen Tennisgott gibt, dann soll er Boris Becker bitte einen weisen, väterlichen Mann schicken. Einen guten Berater. Jemanden, der zu Becker immer wieder sagt: Quiet, please. Oder meinetwegen auch: Shut the fuck up, Boris! Dazu empfehle ich eine Kindersicherung für das Handy. Und Twitter-Verbot. Und Fernsehstudioverbot. Und Schreibverbot. Ich möchte in ein paar Jahren nicht die dritte Autobiografie lesen. Bitte, Boris!

Welt::
Boris Beckers Selbstinszenierung in dem zweiten Teil seiner Autobiografie ist peinlich - aber kein Einzelphänomen. Viele unserer Helden leiden am Karriere-Ende und lechzen nach Aufmerksamkeit. Von Pia Frey Boris Becker hat sich nicht gerade beliebt gemacht mit seinem neuen Buch. Darin lästert er über seine Ex-Partnerinnen. "Er ist alles, was ein Champion sein muss: freundlich, respektvoll, beherrscht." Kann man sich heute noch vorstellen, dass es hier, in einem Artikel aus dem Jahr 1986, um Boris Becker geht? Der blasse 17-Jährige hatte gerade zum ersten Mal Wimbledon gewonnen - und Sportgeschichte geschrieben. In frühen Interviews aus den 80er-Jahren wirkt er schüchtern und irritiert vom "Bum-Bum-Boris"-Hype. Der Junge mit den Sommersprossen und der harten Vorhand war Volksheld Nummer eins. Jetzt, 28 Jahre später, ist er wieder in den Schlagzeilen: Auf dem Cover der "Gala" blinzelt ein aufgedunsener, älterer Herr mit dünnem Haar ins Licht, der vergessen hat, wofür er eigentlich berühmt sein will. Diese Woche erscheint der zweite Teil seiner Autobiografie. In "Das Leben ist kein Spiel" möchte er nach eigener Aussage "die Dinge ins rechte Licht rücken".
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Möglicherweise prädestiniert sie die Erfahrung, schon zu Karrierezeiten eine Legende geworden zu sein, zu ihrem tiefen Fall. Egal ob Tennis- oder Fussball-Legende - es ist gewesen und vorbei. Sport-Legenden haben es offenbar mit dieser Erkenntnis besonders schwer. Wenn der Sportlerkörper rostet, die Wampe wächst und die Muskeln erschlaffen, müssen die Althelden anerkennen, für die Leistung und nicht als Mensch gefeiert worden zu sein. Comeback ausgeschlossen. Gänsehaut-Momente auf dem Siegertreppchen sind perdu, ein historischer Sieg ist Geschichte.
Sicher trägt auch die "Yes you can"-Mentalität von Topsportlern zur Tragik bei: "Niemals aufgeben! Wenn du hart genug kämpfst, schaffst Du es." Also kämpfen sie - "Bobbele" auf Twitter, "Loddar" mit Beziehungswechseln und "Effe" knutschend im Wiesnzelt - um Aufmerksamkeit.
Auffällig ausserdem, dass vor allem Männer unter dem Becker-Syndrom leiden. Oder kennt jemand derartig verhaltensauffällige Ex-Topsportlerinnen? Offenbar gibt es hier eine Verwandtschaft zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS. Von dem sind ja auch meistens Jungs betroffen.
Trotz allem gibt es genug Sportler, die sich erfolgreich damit arrangierten, ihren Zenit überschritten zu haben. Tennis-Star Michael Stich zog sich nach seinem letzten Finale zurück und engagiert sich heute in Stiftungen, Zehnkampf-Weltrekordler Kurt Bendlin wurde gefragter Vortragsredner bei Manager-Seminaren und auch Olli Kahn hat die Kurve gekriegt, kehrt zur Uni zurück und schreibt jenseits des Rampenlichts an seiner Promotion.
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Vielleicht sollten hyperaktive Altsportler einmal Beckers ehemalige Doppel-Partnerin Steffi Graf um ein Beratungsgespräch bitten. Graf zog sich nach ihrem letzten Finale diskret zurück, ist immer noch mit ihrem ersten Mann Andre Agassi zusammen, meidet Kameras und Home-Stories. Und trotzdem hat sie das geschafft, was all die Lothars, Effes und Beckers so dringend wollten: Sie ist Siegerin geblieben.

WAZ" Warum macht sich Boris Becker zum Affen?.

Graf oder Michael Stich liessen ihre Tenniskarrieren elegant ausklingen, lassen sich auch heute nur sporadisch dort blicken, wo Kameras zu erwarten sind. Es gehört Kraft dazu, Klasse, sich im richtigen Augenblick zurückzuziehen. Vielleicht auch nur ein guter Berater. Die Welt lacht über Boris Becker, und er hört nicht hin. Manche aber wollen berühmt bleiben, indem sie die tägliche Bestätigung ihres Status' erzwingen. Um jeden Preis. Boris Becker wollte oder konnte sich von der vermeintlichen Liebe einer unterhaltungssüchtigen Öffentlichkeit nicht verabschieden. Einer Öffentlichkeit, die ihre Idole manchmal ganz schnell abserviert. Ein weiterer Tiefpunkt für Becker Auch Schauspielern fällt das würdige Altern oft schwer. Sportler allerdings müssen ihre neue Rolle erst einmal suchen. Vielen, aber nicht allen gelingt das. Das Drehbuch, das Boris Becker für sich schrieb, reihte zwischen kuriosen Frauengeschichten, Baupleiten und Steuerhinterziehung Peinlichkeiten aneinander. Am Freitagabend steuert er beim Fernsehclown Oliver Pocher auf einen Tiefpunkt zu. Ein Boulevardblatt behauptet, er und seine Frau kassierten 250.000 Euro für den Auftritt, vielleicht braucht er das Geld sogar. Die Welt lacht über Boris Becker, und er hört nicht hin. Das kann man verurteilen. Man kann es auch einfach nur traurig finden.

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