Weisser Rauch. Ein neuer Papst ist gewählt. Für viele ein
historischer Moment. Die Spannung wächst. Ein Komiker tweetet:
"Bin gerade noch bei der Anprobe! Komme aber gleich zum Winken
auf den Balkon... #NeuerPapst"
Liveticker und Livestreams überall, wie auf
Spiegel. Wer wird es sein?
Kardinalprotodiakon Tauran kommt auf den Balkon und spricht das "Habemus Papam".
Der Name ist
Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien. Er wird
Papst Franziskus I heissen.
Zum ersten Eindruck des neuen Papstes Franziskus:
Bei der Begegnung einer Person urteilen alle Leute sehr schnell, ob
jemand sympathisch ist oder nicht. Dieser Entscheid wird innerhalb
weniger Sekunden gefällt. Erstaunlicherweise muss man kein Experte
sein, um die Wirkung einer ersten Begegnung zu beurteilen. Auch Laien
erkennen sofort, ob eine Person authentisch auftritt oder ob sie
uns etwas vorgaukelt. Mein Vorgehen: Ich beschreibe jeweils zuerst
immer genau das, was ich sehe und achte darauf, wie diese Person auf
mich wirkt. Meine Beobachtungen beim Erscheinen des neuen Papstes
vor dem Publikum: Franziskus tritt ruhig, sicher und bedacht auf dem
Balkon vor der Menschenmasse auf. Aufrecht - in weiss - steht er gut
geerdet da und blickt wohlwollend zum Publikum. Eine Hand streicht er -
das Volk gleichsam segnend - vor sich waagrecht hin und her. Stabil,
mit offenem Blick. Die niedere Lidzahlfrequenz, welche Menschen nicht
steuern können, signalisiert trotz verständlicher Spannung
innere Lockerheit. Die ungewohnte Begrüssung "guten Abend" wirkt
wie ein Eisbrecher. Die Brücke zum Publikum ist errichtet.
Die überlange Pause strahlt für mich Sicherheit aus.
Franziskus steht sehr lange ruhig da. Die Hände hängen vorerst
seitlich am Körper. Kein Schwanken, kein Zittern, keine Signale von
Nervosität. Wer sich so präsentiert vor einem Millionenpublikum
(den 3800 Journalisten und unzähligen Radio und TV Sendern, die
alle auf den neuen Pontifex fokussiert sind), der muss innerlich im Lot
sein. Beim "Unser Vater" und während des Ave Marias stelle ich fest:
Die Gestik ist natürlich und aussagekräftig, die Stimme auf
einer ausgeglichenen Resonanzlage, die Mimik wohlwollend - ab und zu mit
einem bescheidenen, sanften Lächeln. Das lange Schweigen, die Demut,
die angenehme Zurückhaltung - aber ebenso die stattliche, sichere
Haltung, die wohlwollende, natürliche Ausstrahlung, dies alles
überzeugt mich. Es stimmt als Ganzes überein. Gesamtwirkung:
So eine Person muss sympathisch wirken. Wir haben einen Menschen vor
uns, der Bescheidenheit, Intelligenz und Menschennähe in sich
vereint. Dieser erste Eindruck von einer schlichten Person, die auf
Menschen zugehen kann, ist während den ersten Minuten noch nicht
beeinflusst von den zahlreichen nachträglichen Zusatzinformationen
aus der Presse, die positive oder negative Vorurteile auslösen
könnten. Beispielsweise das Wissen um Herkunft, Vorlieben,
Lebensgeschichte usw.
Es nimmt mich wunder, ob das Verhalten des neuen Papstes diesen
geschilderten ersten Eindruck bestätigt oder ob diese Wahrnehmung
später revidiert werden muss. Fazit: Der erste Eindruck ist immer
aufschlussreich. Er prägt jedenfalls die Einstellung gegenüber
einer Person