Spiegel Guten Abend, wir begrüssen die geballte Krisenkompetenz
aus diversen Hochschulen zu einem Gipfeltreffen. Zuletzt war an dieser
Stelle viel von Wirtschaft die Rede, deshalb fangen wir ausnahmsweise
einmal mit dem Klima an. Wie ist es um den Zustand der Welt bestellt,
Herr Rahmstorf?
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Rahmstorf: Wahrscheinlich wird auch bei zwei Grad Erwärmung der
Meeresspiegel in den nächsten 200 Jahren so weit steigen, dass wir
einige Inselstaaten und Küstenstädte aufgeben müssen.
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Spiegel Dazu könnte auch Hamburg gehören, hier, dieses
Studio. Wird es wirklich so schlimm?
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Rahmstorf: Der Mensch heizt mit seinen Treibhausgasen das Klima immer
weiter auf, daher schmilzt das Landeis immer rascher und der Meeresspiegel
steigt immer schneller.
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Spiegel Wenn das so weitergeht, dann heisst es ja wohl bald: Pack
die Badehose ein! Sie widersprechen, Herr Latif?
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Latif: Was in Zeiträumen von 300 bis 400 Jahren passiert, ist
höchst umstritten. Derzeit hat die Erwärmung eine Pause
eingelegt.
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Spiegel Wir können uns also entspannen, weil der Untergang ins
Wasser fällt?
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Latif: Wir haben in der Vergangenheit vielleicht zu stark suggeriert,
dass die Entwicklung in einer einfachen, geraden Linie immer weiter nach
oben führt. Tatsächlich sind Phasen der Stagnation oder gar
Abkühlung ganz normal.
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Spiegel Stichwort Abkühlung, die erleben wir ja auch gerade in
der Weltwirtschaft. Was lässt sich gegen die Schuldenkrise tun?
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Sinn: Wir müssen jetzt den Geldhahn zudrehen. Sonst ist das der
Weg in den Untergang Europas.
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Spiegel Hilft das Prinzip schwäbische Hausfrau auch Griechenland?
Dort beging man...
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Sinn: ...eine grosse Party am Mittelmeerstrand. Erst einmal waren die
Zinsen, die die Griechen zahlen mussten, wesentlich geringer als vor der
Euro-Ära. Sodann haben sie sich hemmungslos verschuldet. Beides half,
ein Schlaraffenland aufzubauen.
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Bofinger: Höhere Defizite können sich lohnen. Wenn alle sparen
wollen, schaffen sie es nicht. Denn wer sparen will, der braucht immer
jemand anderen, der Schulden machen will.
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Spiegel Hey, Big Spender... Immerhin lehren Sie und Herr Sinn dasselbe
Fach. Warum sind die Wirtschaftswissenschaftler so uneins?
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Baring: Ich glaube, dass unser Land tief gestört ist, weil die
Traumatisierung durch das "Dritte Reich" nie verarbeitet werden konnte.
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Spiegel Der Nationalsozialismus verunsichert uns noch immer?
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Baring: Es war eine Folge von 68, dass man die gesamte deutsche
Geschichte so interpretierte, als habe sie zwangsläufig zum Holocaust
geführt. Das wurde irgendwann Allgemeingut.
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Spiegel Also verunsichern uns die 68er? Was haben sie denn noch
alles angerichtet?
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Lauterbach: Grillen nach Urinstinkt, mit dem Grill von der Tanke, ist
eine extrem ungesunde Art, ungesundes Fleisch zuzubereiten.
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Spiegel Sie scheinen Ihre Rolle als Spassbremse zu geniessen,
Herr Lauterbach. Warum predigen Sie ohne Unterlass, gesund zu leben?
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Lauterbach: Wichtigstes Ziel ist die gerechte Kostenverteilung. Wir
wollen, dass die Arbeitgeber wieder denselben Anteil an den
Gesundheitskosten tragen wie die Arbeitnehmer.
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Safranski: Das aus freiem Entschluss intendierte Böse ist der
finstere Zwillingsbruder des aus freiem Entschluss intendierten Guten.
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Spiegel Danke für den leicht verständlichen Tiefgang,
Herr Safranski. Doch wie lassen sich solche Weisheiten auf aktuelle
Probleme übertragen?
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Sloterdijk: Da wir nun in einer Kultur der immer weiter gehenden
Eintauchverhältnisse uns bewegen, ist es unausweichlich, dass die
3-D-Zivilisation in dieser Richtung auch die Menschen weiter erfassen
wird.
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Spiegel Sie sprechen in Rätseln. Was ist Ihre Diagnose?
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Sloterdijk: Als Zeitdiagnostiker ist es mein Beruf, in den Eingeweiden
des Zeitgeistes zu lesen. Man weiss nie wirklich, woran man mit dem
deutschen Feuilleton ist.
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Meckel: Wer einmal im Hamsterrad ist, der kommt kaum wieder da raus.
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Spiegel Sie haben ein Buch geschrieben, das wir wie vereinbart in
die Kamera halten, es heisst "Brief an mein Leben - Erfahrungen mit
einem Burnout". Wie kam es zu Ihrer persönlichen Krise?
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Meckel: Mein Grundproblem war, dass ich zwischen Arbeit und Ausspannen
nie wirklich eine Grenze gezogen habe, weil die Übergänge
fliessend waren.
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Langguth: Ein Spitzenpolitiker muss Schrammen haben, muss durch
Stahlgewitter gegangen sein. Das erdet ihn, das macht ihn menschlicher.
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Spiegel Über die Politik hatten wir in der Tat noch nicht
gesprochen. Was zeichnet einen guten Politiker aus?
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Falter: Steinbrück kommt in den Medien besonders gut an, weil er
auch gern mal einige Attacken ohne Rücksicht auf Verluste reitet.
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Spiegel So wie Sie selbst?
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Falter: Man muss für den Deutschlandfunk sechs bis acht Minuten
reden können, aber auch in der Lage sein, für RTL in 40 Sekunden
etwas zu sagen.
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Spiegel Welchen Anteil haben die Medien an der allgegenwärtigen
Krisenstimmung?
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Bolz: Wenn es dem ZDF ernst wäre mit seinem Bildungsauftrag,
müsste es völlig auf Shows wie "Wetten, dass...?" verzichten.
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Spiegel Eine bessere Welt ohne Fernsehshows?
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Pfeiffer: Jugendgewalt ist ein Eisberg. Man sieht nur die Spitze.
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Spiegel Was also tun?
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Pfeiffer: Computer müssen raus aus den Kinderzimmern.
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Kemfert: Die deutsche Wirtschaft kann wie keine andere vom Boom der
grünen Branchen profitieren.
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Raffelhüschen: Würden die Deutschen auch nur halb so viel Zeit
für ihre Altersvorsorge aufbringen wie fürs Fussballschauen,
wäre viel gewonnen.
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Spiegel Meine Damen und Herren, wir danken Ihnen für dieses
Gespräch.
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Moderation: Jan Friedmann. In der Reihenfolge ihres Auftretens:
Stefan Rahmstorf , 51, Professor für Physik der Ozeanean der
Universität Potsdam; Mojib Latif, 57, Professor am Leibniz-Institut
für Meereswissenschaften an der Universität Kiel
Hans-Werner Sinn , 63, Professor für Nationalökonomie und
Finanzwissenschaft an der LMU München und Präsident des
Ifo-Instituts
Peter Bofinger , 57, Professor für Volkswirtschaftslehre an der
Universität Würzburg und Mitglied im Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Arnulf Baring , 79, emeritierter Professor für Zeitgeschichte an
der FU Berlin
Karl Lauterbach , 48, Professor für Gesundheitsökonomie an
der Universität Köln und SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag
Rüdiger Safranski , 66, ehemals wissenschaftlicher Assistent in
Germanistik an der FU Berlin
Peter Sloterdijk , 64, Professor für Philosophie und Medientheorie,
Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe
Miriam Meckel,
44, Professorin für Unternehmenskommunikation an der Universität St. Gallen
Gerd Langguth , 65, Honorarprofessor für Politische Wissenschaft an
der Universität Bonn und Autor mehrerer grosser Politiker-Biografien
Jürgen Falter, 67, Professor für Politikwissenschaft an der
Universität Mainz
Norbert Bolz, 58, Professor für Sprache und Kommunikationan der
TU Berlin
Christian Pfeiffer , 67, emeritierter Professor für Kriminologie,
Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Hannover und
Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
Claudia Kemfert, 43, Professorin für Energieökonomie und
Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin
Bernd Raffelhüschen, 54, Professor für Finanzwirtschaftan der
Universität Freiburg.
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