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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Dez, 2011)

Umgang mit Ghadhafi Bildern in den Medien

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Der Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich behandelt auf Qualitaet der Medien den Umgang mit Ghadhafi Bildern in den Medien.



GHADHAFI-BILDER IN SCHWEIZER MEDIEN . WIE VIEL IST ZU VIEL?

fög / Universität Zürich

Autoren: Mark Eisenegger / Sibylle Oetiker / Mario Schranz

ZÜRICH, 8. DEZEMBER 2011

Die Veröffentlichung der Todesbilder des ehe maligen
libyschen Machthabers Muammar Ghadhafi hat auch in der Schweiz zu
einer medienethischen Kontroverse geführt. Was dürfen und
müssen Medien zeigen? Wo werden die Grenzen des ethisch Vertretbaren
überschritten?  Eine Analyse zu dieser Problematik zeigt, dass
es Vertreter der Boulevardpresse und die überwiegende Zahl von
Online-Newssites sind, welche sich nicht an ethische Richtlinien
hielten. Im Gegensatz dazu war die Berichterstattung der meisten
Abonnements- und Sonntagszeitungen an ethischen Kriterien orientiert.
Die Nachrichtensendungen des TV liegen zwischen diesen Polen.

Die Berichterstattung über den Tod von Muammar Ghadhafi bzw. die
Bilder, die in diesem Zusammenhang in die Medien gelangten, haben weltweit
eine Debatte darüber ausgelöst, was aus einem medienethischen
Standpunkt noch zulässig ist und wann die Grenzen des Zumutbaren
überschritten werden.  Insbesondere die Bild- und Videosequenzen
seiner tumultartigen Festnahme in Sirte und die kurz darauf gezeigten
Bilder des toten Diktators haben kritische Fragen aufgeworfen:
Dürfen Bilder des getöteten Machthabers prominent gezeigt
werden? Und dürfen die mit Handykameras gedrehten Amateurvideos
der Widerstandskämpfer, welche das Sterben des ehemaligen libyschen
Machthabers festhalten, gesendet bzw. zur Verfügung gestellt werden?

Die Antworten zum aktuellen Fall sind durchaus kontrovers
ausgefallen. Insbesondere in Deutschland haben sich Pressetitel wie
die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit
Verweis auf die Menschenwürde gegen den Abdruck solcher Darstellungen
entschieden. In der Schweiz hat die medienethische Reflexion dieser
Problematik insbesondere in spezialisierten, medienkritischen Foren (u.a
Medienspiegel.ch) stattgefunden. Eine redaktionelle Auseinandersetzung
mit der Thematik in etablierten Leitmedien fand dagegen nur punktuell
und verspätet statt. Dabei gingen die Positionen zur Thematik
weit auseinander. Während beispielsweise Rainer Stadler in
der Medienbeilage der NZZ die Veröffentlichung geisselte
(.Barbareien bleiben Barbareien., NZZ 25.10.11), liessen sich auch
Stimmen finden, welche die Veröffentlichung der Bilder mit dem
Verweis auf die Notwendigkeit der Dokumentation eines .historischen
Ereignisses. rechtfertigten.



Wiederkehrende medienethische Debatten

Diese Kontroverse um die Veröffentlichung von Bildern eines Toten
steht in der Tradition analoger medienethischer Auseinandersetzungen:
Die Bilder der Hinrichtung des rumänischen Staatschefs Ceaucescu
(1989), die Aufnahmen des gelynchten Stadthalters Nadschibullah von
Kabul (1996) sowie die Bilder der Hinrichtung Saddam Husseins sind nur
die berühmtesten davon. Insbesondere aber die öffentlich
festgehaltene Enthauptung des US Bürgers Nicholas Berg durch
die irakische Al-Kaida im Jahr 2004 sowie die Hinrichtung des Wall
Street-Journalisten Daniel Pearl in Pakistan haben die Frage eines ethisch
vertretbaren Umgangs mit solchem Bild- und Filmmaterial auf eine neue
Stufe gestellt. Im digitalen Zeitalter hat sich die Problematik insofern
verschärft, als mit den technischen Möglichkeiten des Internets
im Vergleich zu früher ethisch bedenkliches Bildmaterial rascher
und unkontrollierter zirkulieren kann. Aufgeworfen ist die Frage, ob im
digitalen Zeitalter die ethischen Hemmschwellen der Informationsmedien zur
Veröffentlichung von ethisch bedenklichen Bildern abgenommen haben.

Zur Beantwortung dieser Fragen hat der fög .  Forschungsbereich
Öffentlichkeit und Gesellschaft/Universität Zürich
die Verwendung von Bildmaterial in Schweizer Medien im Zusammenhang
des Todes von Ghadhafi analysiert. In rund 40 wichtigen Medientiteln
der deutschen, französischen und italienischen Schweiz wurde
untersucht, welche Darstellungstechniken zur Visualisierung des Todes
von Ghadhafi zum Einsatz kamen. In 365 Beiträgen der Gattungen
Presse, Online und TV im Zeitraum vom 20. . 24.  Oktober 2011 wurde
überprüft, wie im Rahmen der Ghadhafi-Berichterstattung
mit Bild- und Videomaterial umgegangen wurde und inwieweit dabei
medienethische Grenzen überschritten wurden.

Bilder von Toten und Sterbenden. Medienethische Grenzen

Sowohl der Presserat (www.presserat.ch) wie auch der Berufsverband
der Schweizer Journalistinnen und Journalisten (www.im-pressum.ch)
haben ethischen Richtlinien für den Umgang mit Todesdarstellungen
ausgearbeitet. Peter Studer, der ehemalige Vorsteher des Presserates,
hat jüngst in einem Beitrag auf Medienspiegel.ch die entsprechenden
Richtlinien nochmals in Erinnerung gerufen und den Spannungsbogen
für eine verantwortliche Berichterstattung abgesteckt
(http://www.medienspiegel.ch/archives/002955.html)

Auf den kürzesten Nenner gebracht lautet die Regel wie folgt: Der
Journalismus steht vor der Quadratur des Kreises, .historische Momente.  .
wie jene des Todes einer wichtigen öffentlichen Person . bildlich zu
dokumentieren, ohne aber dabei gegen die Menschenwürde zu verstossen.

Die zwei Prinzipien - Dokumentationspflicht versus Bewahrung der
Menschenwürde - waren in dieser Analyse leitend, um die Qualität
der Berichterstattung der untersuchten Medien einzustufen. Jeder Beitrag
über Ghadhafis Tod wurde analysiert und mit Bewertungspunkten
versehen. Je mehr Negativpunkte ein Beitrag erhalten hat, desto
stärker hat das jeweilige Medium gegen die ethischen Richtlinien
verstossen. Die Punkte für die einzelnen Beiträge wurden wie
folgt vergeben:

Ethisch unproblematische Berichterstattung (Keine Negativpunkte):
Als ethisch unproblematisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn
die Todesbilder von den Medien nicht verwendet wurden oder wenn aus
Gründen der Dokumentation eines .historischen Ereignisses. der
Tod des ehemaligen libyschen Machthabers einmalig nur am ersten Tag
bildlich festgehalten wurde.  Keine Negativpunkte wurden aber nur
unter der Bedingung vergeben, dass die Bilder nicht auf der Frontseite
bzw. als Aufmacher für die TVNachrichtensendung verwendet wurden.
Bei Online-Newssites musste darüber hinaus die Bedingung erfüllt
sein, dass kein zusätzliches Videomaterial verwendet wurde.



Ethisch problematische Berichterstattung (Ein Negativpunkt): Als ethisch
problematisch wurde eine Berichterstattung bewertet, wenn diese nicht
nur am ersten Tag (Online: Todestag; Presse: Tag darauf) Bilder des
toten Ghadhafi verwendete, sondern auch an den Folgetagen.

Ethisch stark problematische Berichterstattung (Zwei Negativpunkte): Als
stark unethisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Bilder auf der
Frontseite bzw. als Aufmacher der TVNachrichtensend-ung gezeigt wurden
oder wenn bei Onlinemedien Bildstrecken mit mehreren Bildern des Toten
und/oder Videobeiträge der Gewaltdarstellungen gezeigt wurden.

Zur Beurteilung der Qualität eines Medientitels waren zwei Kriterien
entscheidend:



1. Gesamtzahl an Negativpunkten in Bezug auf die unethische Verwendung
von Bildmaterial

2. Intensität der Berichterstattung im Zusammenhang der
Berichterstattung über das Ereignis.



Auf der Basis dieser beiden Kriterien lassen sich die untersuchten Medien
in einer Vierfeldertabelle verorten (vgl.  Abbildung 2). Im Quadranten
oben rechts kommen jene Medien zu liegen, die häufig über
den Tod Ghadhafi.s berichteten und dabei stark gegen journalistische
Prinzipien verstiessen. In den beiden unteren Quadranten befinden sich
jene Medientitel, die in ihrer Berichterstattung die ethischen Richtlinien
besser beachteten, und dies mit einer tendenziell wenig intensiven
(unten links) respektive intensiven (unten rechts) Berichterstattung. Im
Quadranten oben links sind die Medientitel angesiedelt, die zwar eine
ethisch bedenkliche Berichterstattung an den Tag legten, aber wenig
intensiv über den Tod Ghadhafi.s berichteten. Die einzelnen
Quadranten wurden jeweils durch die Durchschnittswerte (Resonanz und
Rating-Punkte) voneinander abgegrenzt. Ein solches Verfahren garantiert,
dass Aussagen über die Qualität der Berichterstattung der
einzelnen Titel immer im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Medien
erfolgen.

Resultate . Schweizer Medien im Qualitätsvergleich

Es zeigt sich erstens, dass die Bilder Ghadhafi.s nicht nur am ersten Tag
(20.10.11 für die Onlinemedien und TV, 21.10.11 für die Presse)
gezeigt wurden, sondern dass auch noch in den Folgetagen eine intensive
Verwendung der Todesbilder in den Beiträgen stattgefunden hat.

Die untersuchten Medien haben im Durchschnitt 9 Beiträge
zum Tod Ghadhafi.s publiziert. Dabei haben die Onlinemedien
überdurchschnittlich (13 Beiträge) und die Nachrichtensendungen
des öffentlichen und privaten Fernsehens unterdurchschnittlich viel
(6 Beiträge) über das Ereignis berichtet. Die Presse liegt mit
durchschnittlich 8 Beiträgen dazwischen. Während in Presse-
und vor allem auch in Onlinemedien der Tod Ghadhafi.s noch Tage danach
ein Thema war, beschränkte sich die Berichterstattung im Fernsehen
auf den ersten und den Folgetag.

Abbildung 1.

Die Abbildung zeigt den Berichterstattungsverlauf zum Tod von Muammar
Ghadhafi in den Schweizer Medien (nach Gattungen). Die Beiträge,
welche die Todesbilder gezeigt haben (orange Säulen) werden
differenziert von einer Thematisierung, die keine Todesbilder aufweist
(blaue Säulen).

Ein Vergleich zwischen den einzelnen Mediengattungen zeigt, dass die
Onlinemedien nicht nur am intensivsten berichteten, sondern qualitativ
auch am schlechtesten abschneiden (vgl.  Abbildung 2). Insgesamt
wurden in dieser Mediengattung ethische Richtlinien im Umgang mit dem
Bildmaterial am häufigsten verletzt.  Die Onlinemedien weisen im
Rating durchschnittlich 6.7 Negativpunkte pro Titel auf und sind damit
deutlich schlechter rangiert als das Fernsehen (3.1 Negativpunkte)
und die Presse (1.5 Negativpunkte).


Umgang mit den Todesbildern im Gesamtüberblick

Am stärksten gegen die ethischen Prinzipien verstossen hat Blick.ch
(19 Negativpunkte) mit überdurchschnittlich vielen, problematischen
Bild-Beiträgen. Mit der wiederholten Darstellung der Bilder auch
an den Folgetagen, der prominenten Platzierung von Bildstrecken und der
häufigen Verwendung von AmateurVideos, die das Sterben Ghadhafi.s
zeigten, wurde hier weit jenseits eines öffentlichen Interesses
an der Dokumentation eines historischen Ereignisses gegen das Gebot
der Menschenwürde verstossen. Zudem wurden die Ghadhafi-Bilder
teilweise auch in Berichten verwendet, die nicht mehr unmittelbar mit
dem Tod Ghadhafi.s zu tun haben.


Abbildung 2.



Die Abbildung verortet die Medientitel und die einzelnen Gattungen unter
Massgabe der Negativpunkte und der Berichterstattungsintensität
in einer Vierfeldertabelle. Die Abbildung ist wie folgt zu lesen:
Medien, die im oberen rechten Quadranten zu liegen kommen, weisen eine
intensive Berichterstattung aus, welche sehr stark gegen die ethischen
Prinzipien des Journalismus verstiessen. Der Quadrant unten links ist
dagegen durch eine resonanzschwächere und ethisch verantwortlichere
Berichterstattung gekennzeichnet.


In dieser Negativhierarchie folgen auf den weiteren Plätzen die
Newssites tagesanzeiger.ch, bazonline.ch und bernerzeitung.ch von
Newsnetz (je 12 Negativpunkte) und 20minuten.ch (11 Negativpunkte). An
sechster Stelle befindet sich mit dem Boulevardblatt Blick der erste
Pressetitel (8 Negativpunkte).  Weitere Titel mit intensiver und
tendenziell problematischer Berichterstattung sind 20minutes.ch (6
Negativpunkte), aargauerzeitung.ch (6 Negativpunkte), Le Journal von TSR1
(5 Negativpunkte) und Tribune de Genève online (4 Negativpunkte).

Eine ganze Reihe von Medientiteln hat im Gegensatz dazu mit ihrer
Berichterstattung nicht gegen die ethischen Prinzipien des Journalismus
verstossen. Südostschweiz, suedostschweiz.ch, die Neue Luzerner
Zeitung, Le Temps, 20 minutes, Basler Zeitung, die Neue Zürcher
Zeitung sowie die Newssendung von Tele Ticino haben keine Negativpunkte
erhalten. Diese Medien verzichteten gänzlich auf die Verwendung
problematischen Bildmaterials.  An Stelle der Todesbilder wurden
häufig alte Archivbilder Ghadhafi.s verwendet oder es wurde auf
andere FotoSujets zurückgegriffen (z.B.  jubelnde Rebellen auf
einem Panzer).



Umgang mit den Todesbildern in Onlinemedien

Am ausgeprägtesten sind die Verstösse gegen die ethischen
Richtlinien in der Gattung der Onlinemedien. Am meisten hat . wie
oben erwähnt . Blick.ch gegen die Richtlinien verstossen (19
Negativpunkte). Schlecht rangiert sind ebenfalls die Newsnet-Sites
(tagesanzeiger.ch, bernerzeitung.ch, bazonline.ch, je 12 Negativpunkte)
sowie 20minuten.ch (11 Negativpunkte). Im Mittelfeld liegen die
aargauerzeitung.ch (6 Negativpunkte), 20minutes.ch (6 Negativpunkte)
und Tribune de Genève Online (4 Negativpunkte).  Eine ethisch
unbedenkliche Berichterstattung findet sich bei suedostschweiz.ch,
NZZ Online, NLZ Online und Le Temps Online. Die Berichterstattung
der letzteren Sites ist deutlich besser als jene der ersten beiden
Online-Gruppen und ist auch besser als der Durchschnittswert der
gedruckten Pressetitel.



Umgang mit den Todesbildern in der Presse

Auch wenn im Mediengattungsvergleich die Presse am besten abschneidet,
finden sich auch hier grosse Unterschiede. Am stärksten gegen
die ethischen Richtlinien hat das Boulevardblatt Blick verstossen
(8 Negativpunkte), gefolgt von Le Matin Dimanche (4 Negativpunkte)
und Tribune de Genève (3 Negativpunkte). Einige der Pressetitel
zeigten das Todesbild zudem auf der Frontseite, nämlich die Berner
Zeitung, der Blick, 20 Minuten, 24 heures sowie die Aargauerzeitung.

Die ethisch einwandfreiste Berichterstattung im Bereich der gedruckten
Presse findet sich in der Südostschweiz, der Neuen Luzerner
Zeitung, in 20minutes, in Le Temps, in der Basler Zeitung und in der
Neuen Zürcher Zeitung (alle 0 Negativpunkte).

Bei der Gegenüberstellung von Presse und Online sticht die in der
Regel grosse Diskrepanz zwischen der Printausgabe und den entsprechenden
Online-Produkten der Verlage ins Auge.  Während die Printausgaben
sich meist in Zurückhaltung übten, verstiessen die Onlinemedien
meist sehr viel stärker gegen die ethischen Richtlinien. Eine
Ausnahme bildet die Südostschweiz, bei der sowohl in der Printausgabe
wie auch in der Online-Ausgabe eine zurückhaltende Berichterstattung
festzustellen ist.



Umgang mit den Todesbildern im Fernsehen

Eine Mittelposition bei den Gattungen nimmt die Berichterstattung im
Fernsehen ein. Es lassen sich grundlegend zwei Gruppen unterscheiden,
wobei sich Newssendungen von Privaten und den Öffentlichen in beiden
Gruppen finden lassen. Am deutlichsten gegen die ethischen Richtlinien
verstiess Le Journal (5 Negativpunkte), gefolgt von der Tagesschau
(4 Negativpunkte), den Newssendungen von Tele M1 (4 Negativpunkte) und
Tele Züri (4 Negativpunkte). Am besten schneidet die Newssendung
von Tele Ticino ab, die auf jegliche Gewaltdarstellung verzichtete (0
Negativpunkte). Das Nachrichtenformat 10vor10 belegt eine Mittelposition
(2 Negativpunkte).

Ein Blick ins Ausland

Ohne für den internationalen Kontext dieselbe Untersuchung
wie für die Schweizer Medien durchgeführt zu haben,
lassen sich doch auf der Grundlage der Durchsicht der wichtigsten
internationalen Presseerzeugnisse einige Parallelen und Unterschiede
zur Berichterstattung in der Schweiz fest halten. Die Schweiz steht mit
ihrer Publikationspraxis nicht alleine da. Weltweit wurden die Bilder des
toten Ghadhafi rege verwendet und auch auf den Titelseiten publiziert.
Auch wenn die unterschiedliche Verwendung der Bilder nicht so sehr auf
kulturelle Eigenheiten der einzelnen Länder zurück geführt
werden kann, sondern viel stärker entlang der Grenze zwischen
Qualitäts- und Boulevardjournalismus verläuft, fallen dennoch
zwei Regularitäten auf.  Einerseits finden wir insbesondere bei den
britischen Medien auch jenseits des Boulevards sehr blutige Titelseiten
(u.a The Guardian, The Independent, The Daily Telegraph). In Kontrast
dazu sieht die Situation in Deutschland aus. Hier gibt es nicht nur
eine aktivere öffentliche Diskussion darüber, ob der Abdruck
der Bilder aus medienethischen Gesichtspunkten zu verantworten ist.
Hier finden wir auch einen restriktiveren Umgang mit den Bildern selbst.
Mit Ausnahme der Boulevardzeitung Bild, die den toten Ghadhafi auf
die Frontseite setzte, finden in Deutschland die Bilder viel weniger
Verwendung.

Natürlich würde es zu kurz greifen, die Verantwortung in
dieser Sache ausschliesslich den Redaktionen alleine zuschreiben
zu wollen. Eine fragwürdige Rolle haben in diesem Fall auch die
Bildagenturen, insbesondere AFP, eingenommen. Denn durch den Screenshot
(Abfotografieren eines Handy Videos) des AFP-Fotografen, der in der
Nähe des Tatorts weilte, ist es erst möglich geworden, dass
diese ethisch fragwürdigen Bilder am Tage des Todes sehr schnell
und sehr breit in die Redaktionen diffundiert sind.

Über fög

Der fög ist eine Forschungsinstitution an der Universität
Zürich. Der fög analysiert die Inhalte und Formen der
öffentlichen Kommunikation und erforscht deren Wirkungen
auf ökonomische und politische Organisationen.  Der fög
entstand auf der Basis des Erkenntnisinteresses, in Gestalt von
Kommunikationsereignissen ("Issues") die Grundbausteine der sozialen
Welt mittels sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden auf
äquivalente Weise beobachten zu können, wie im Rahmen
der Physik die elementaren Teile der physischen Welt im CERN (Genf)
beobachtet werden.

Die Arbeit an diesem Kommunikations-CERN beruht auf der Prämisse,
dass die öffentliche Kommunikation das wesentlichste Medium der
Selbstregulation und der Integration von Gesellschaft ist. Innerhalb
dieses Mediums Kommunikation ist Aufmerksamkeit die "Kernenergie" der
sozialen Welt. Sie kreiert Kommunikationsereignisse und diese wiederum
fokussieren Aufmerksamkeit.

Das Ziel dieser Beobachtung besteht in der Erfassung und Analyse von
Regularitäten öffentlicher Kommunikation im synchronen und
diachronen Vergleich über möglichst lange Zeiträume anhand
der Erhebung der wichtigsten Kommunikationsereignisse in den Leitmedien
von Medienarenen, in Peripheriemedien sowie auch in politischen Arenen
(parlamentarische Debatten).

Der fög publiziert regelmässig Studien auf folgender Plattform:
www.qualitaet-der-medien.ch

Mehr über den fög finden Sie unter: www.foeg.uzh.ch


Kontakt: Fög . Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft
Universität Zürich Andreasstrasse 15 CH-8050 Zürich Tel.:
+41 44 635 21 11 Fax: +41 44 635 21 01 Mail: kontakt.uzh.ch

Methodische Anmerkungen

a.) Fragestellung: In rund 40 wichtigen Medientiteln der deutschen,
französischen und italienischen Schweiz wurde untersucht, welche
Darstellungstechniken zur Visualisierung des Todes von Ghadhafi zum
Einsatz kamen. In 365 Beiträgen der Gattungen Presse, Online und TV
im Zeitraum vom 20. . 24. Oktober 2011 wurde überprüft, wie
im Rahmen der Ghadhafi-Berichterstattung mit Bild- und Videomaterial
umgegangen wurde und inwieweit dabei medienethische Grenzen
überschritten wurden.

b.) Medien:

Presse: 20 Minuten, 20 minutes, 24 heures, Aargauer Zeitung, Basler
Zeitung, Berner Zeitung, Blick,Corriere del Ticino, Le Matin, Le Matin
Dimanche, Le Matin Dimanche, Le Temps, Neue Luzerner Zeitung, Neue
Zürcher Zeitung, Sonntag AZ, Sonntags Blick, SonntagsZeitung,
Südostschweiz, Tages-Anzeiger, Tribune de Genève

Online: 20minuten.ch, 20minutes.ch, 24heures.ch, aargauerzeitung.ch,
Blick.ch, Le Temps Online, Neue Luzerner Zeitung Online, Newsnetz,
NZZ Online, südostschweiz.ch

Fernsehen: 10vor10 (SF1), Aktuell (Tele M1), Le Journal (TSR1), Tagesschau
(SF1), Telegiornale sera (LA1), Ticino News (Tele Ticino), Züri News
(Tele Züri)

c.) Bewertungssystem: Jeder Beitrag über Ghadhafis Tod wurde
analysiert und mit Bewertungspunkten versehen.  Je mehr Negativpunkte
ein Beitrag erhalten hat, desto stärker hat das jeweilige Medium
gegen die ethischen Richtlinien verstossen. Die Punkte für die
einzelnen Beiträge wurden wie folgt vergeben:


I.) Ethisch unproblematische Berichterstattung (Keine Negativpunkte):
Als ethisch unproblematisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn
die Todesbilder von den Medien nicht verwendet wurden oder wenn aus
Gründen der Dokumentation eines .historischen Ereignisses. der Tod
des ehemaligen libyschen Machthabers einmalig nur am ersten Tag bildlich
festgehalten wurde. Keine Negativpunkte wurden aber nur unter der
Bedingung vergeben, dass die Bilder nicht auf der Frontseite bzw. als
Aufmacher für die TV-Nachrichtensendung verwendet wurden. Bei
Online-Newssites musste darüber hinaus die Bedingung erfüllt
sein, dass kein zusätzliches Videomaterial verwendet wurde.



II.) Ethisch problematische Berichterstattung (Ein Negativpunkt):
Als ethisch problematisch wurde eine Berichterstattung bewertet, wenn
diese nicht nur am ersten Tag (Online: Todestag; Presse: Tag darauf)
Bilder des toten Ghadhafi verwendete, sondern auch an den Folgetagen.



III.) Ethisch stark problematische Berichterstattung (Zwei Negativpunkte):
Als stark unethisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Bilder auf
der Frontseite bzw. als Aufmacher der TV-Nachrichtensend-ung gezeigt
wurden oder wenn bei Onlinemedien Bildstrecken mit mehreren Bildern des
Toten und/oder Videobeiträge der Gewaltdarstellungen gezeigt wurden.



d.) Qualitätsranking: Zur Beurteilung der Qualität eines
Medientitels waren zwei Kriterien entscheidend:



1. Gesamtzahl an Negativpunkten in Bezug auf die unethische Verwendung
von Bildmaterial

2. Intensität der Berichterstattung im Zusammenhang der
Berichterstattung über das Ereignis.



Auf der Basis dieser beiden Kriterien lassen sich die untersuchten Medien
in einer Vierfeldertabelle verorten (vgl. Abbildung 2). Im Quadranten
oben rechts kommen jene Medien zu liegen, die häufig über
den Tod Ghadhafi.s berichteten und dabei stark gegen journalistische
Prinzipien verstiessen. In den beiden unteren Quadranten befinden sich
jene Medientitel, die in ihrer Berichterstattung die ethischen Richtlinien
besser beachteten, und dies mit einer tendenziell wenig intensiven
(unten links) respektive intensiven (unten rechts) Berichterstattung. Im
Quadranten oben links sind die Medientitel angesiedelt, die zwar eine
ethisch bedenkliche Berichterstattung an den Tag legten, aber wenig
intensiv über den Tod Ghadhafi.s berichteten. Die einzelnen
Quadranten wurden jeweils durch die Durchschnittswerte (Resonanz und
Rating-Punkte) voneinander abgegrenzt. Ein solches Verfahren garantiert,
dass Aussagen über die Qualität der Berichterstattung der
einzelnen Titel immer im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Medien
erfolgen.


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